2. Gelbe Augen
An diesem Tag war unheimlich viel los, so wie immer an zwei offensichtlich speziellen, aufeinanderfolgenden Tagen. Es waren die Tage, an denen auch ich einmal aus meinem Gehege kam, denn alle Ponys und Pferde waren besetzt.
Normalerweise trug ich nur kleinere Kinder herum, doch heute war es anders. Auf meinen Rücken stieg ein älteres Mädchen mit dunklen Haaren und einem Zweiggestell auf der Nase. Ihr schwereres Gewicht störte mich weniger, als die offensichtliche Ungeduld, mit der sie an den Zügeln herumriss und gegen meine Flanken trat, um mich anzutreiben. Ich war es gewohnt, Menschen herumzuschleppen, aber mein Inneres zog sich verärgert zusammen, als sie mich so behandelte. Ich hatte das Bedürfnis, einfach stehenzubleiben, wie immer, wenn mir etwas nicht passte, aber dadurch würde es sicher nicht besser werden, also stapfte ich weiter und versuchte den äußerst wirren Anweisungen meiner Reiterin zu folgen. Es war ersichtlich, dass das Mädchen noch nie geritten war und sie war wohl auch nicht gewillt, weniger an den Zügeln zu zerren oder mich etwas sanfter in die Seite zu kicken.
Der Reitplatz war eigentlich nichts besonderes, aber ich mochte die Aussicht auf den Wald und auf die grünen Hügel, voll mit saftigem Gras. Wann immer ich an der Seite entlang trabte, wo man am besten zu den noch belaubten Bäumen sehen konnte, lief ich etwas langsamer um den Ausblick zu genießen, doch plötzlich überkam mich ein seltsames Kribbeln, wie Ameisen, die mir durch den Pelz krabbelten. Das hatte ich noch nie gefühlt, es war wie eine Mischung aus Angst und Freude, die von meinem Nacken aus meinen ganzen Körper überflutete. Ich wurde unruhig, es fühlte sich fast an wie Fieber, doch ich war definitiv nicht krank. Schnaubend tänzelte ich vom Pfad ab und schüttelte den Kopf, was meine Reiterin ungewollt nach vorne riss. Ich spürte, wie die leeren Steigbügel an meinen hellgrauen Bauch prallten, und wie sich das Mädchen schmerzvoll in meine Mähne krallte, als sie aus dem Sattel rutschte und vornüber kippte. Erschrocken wich ich zurück, damit ich sie nicht trat und ich hörte einen dumpfen Laut, als das Mädchen im Staub landete, das Zweiggestell war ihr von der Nase gefallen und ihre Hände, die krampfhaft an meiner Mähne festgehalten hatten, hielten einige, meiner etwas drahtigen, dunklen Haaren zwischen den Fingern. Ich war mir sicher, dass ihr nichts passiert war, schließlich war sie nicht auf den Kopf gestürzt, aber trotzdem tat sie so, als wäre sie schwer verletzt und ich sah Tränen in ihren Augenwinkeln.
Ein schlechtes Gewissen hatte ich eher weniger, meine Sympathie für solche Menschen hielt sich jedenfalls in Grenzen. Kaum einen Moment später stürmte schon die Mutter des Mädchens auf den Reitplatz und hielt sie auf den Knien, als läge ihre Tochter im Sterben. Währenddessen kam der Leithengst der Farm zu mir, tätschelte mir beruhigend die Schnauze und ich vertraute ihm, dass er mich nicht für den Sturz der Reiterin bestrafen würde, aber er sah nicht begeistert aus. Während die Mutter herumschrie, wurde ich mit den Zügeln am Zaun angebunden und alleingelassen.
Ein Hauch eines schlechten Gewissens überkam mich, als ich das Mädchen stöhnen hörte.
Hat sie sich doch verletzt?
Ich versuchte, den Kopf zu drehen, aber die Zügel waren zu kurz angebunden, ich sah nur noch, wie der Leithengst und die Mutter das Mädchen vom Platz begleiteten, es ging gebeugt, offensichtlich unter Schmerzen, war aber wohl nicht zu schwer verletzt, um mich böse anzufunkeln. Ich starrte zurück, aber meine warmen, dunkelbraunen Augen waren sicher nicht annähernd so vor Funken sprühend, wie ihre. Und wieder hörte ich diesen unfassbar verhassten, unfassbar verletztenden Satz.
"Blöder Esel!"
Unwillkürlich legte ich die Ohren zurück und schnappte ihr hinterher, dass meine Zähne geräuschvoll aufeinanderkrachten. Die Menschen gingen unbeirrt weiter und ich schnaubte frustriert. Wurde man von Menschen denn nie ernst genommen?
Ich war so wütend, dass ich die Schritte nicht hörte. Und auf einmal war das Kribbeln wieder da, diesmal tief in meinem Bauch, fast wie ein Hungergefühl, nur breitete es sich langsam aus. Meine Instinkte waren verwirrt, riefen Alarm, als wäre ein Räuber in der Nähe, aber als ich den Blick hob, war da nur ein Mädchen. Ein ziemlich hübsches Mädchen, aber ich war zu irritiert, um sie näher zu betrachten, bis eine sanfte Hand über meine Nüstern strich. Ich zuckte zurück, ich mochte es nicht, gestreichelt zu werden, doch plötzlich erstarrte ich. Gelbe Augen. Unglaublich stechende, gelbe Augen.
Ich hatte schon viele Menschen getroffen, aber noch nie hatte ich solche Augen gesehen. Die meisten hatten braune oder blaue Augen, selten kamen auch welche mit grünen oder gräulichen, aber gelb?
Wie in Hypnose musterte ich das Mädchen vor mir, ihre ganze Erscheinung war für Menschen unüblich. Ihre Haare waren so hell, dass sie fast weiß wirkten und waren sehr lang, gingen fast bis hinunter zu ihren Ellenbogen. Ihre Kleidung war alles andere als abgestimmt, sie war bunter, als ein Regenbogen, mit einer roten Hose, die nur halb bis zu den Schienbeinen ging, geringelten, gelb-weißen Socken und einer hellblauen Jacke. Dazu hatte sie noch ein pinkes Band um den Hals, das seidig glänzte und einen goldenen Ring am kleinen Finger. Noch nie hatte ich ein Mädchen in ihrem Alter so herumlaufen sehen, normalerweise waren Menschen doch ziemlich auf ihr Äußeres bedacht.
Mich beschlich das Gefühl, dass sie der Grund für dieses seltsame Kribbeln war, obwohl ich sie nicht kannte, und ihr auch noch nie begegnet war. Das Prickeln war noch immer da, nur etwas abgeschwächt in meiner Magengegend, aber trotzdem war ich nicht mehr unruhig. Dieses Mädchen hatte eine angenehme, fast schon vertraute Ausstrahlung, irgendwie besänftigend.
Doch plötzlich war der kurze, friedliche Moment vorbei, ich hörte erneut Schritte nahen, und trat etwas zurück. Zwei Erwachsene traten zu dem Mädchen, ein Mann und eine Frau. Das Weibchen sah dem Mädchen unfassbar ähnlich, mit den selben mondweißen Haaren und den gelben Augen. Der Mann hingegen war ein Hühne von einem Menschen, mit stolzer Haltung und wuscheligen, dunkelbraunen Haaren auf dem Kopf. Er trug einen Gesichtspelz über das ganze Kinn, die Backen und die Oberlippe, der sich an den Schläfen mit seinem Kopfhaar vermischte. Für mich wirkte er wie ein Grizzly, obwohl er eine andere Aura hatte. Trotz seiner Größe war er ziemlich schmal, mit filigranen Fingern und Armen und einem dünnen Hals. Auch seine Augen waren von einem stechenden Gelb, nur etwas dunkler als die seiner Weggefährten.
Sie alle drei bauten sich vor mir auf, wie eine Mauer und ich wich verunsichert zurück, als da plötzlich der Leithengst der Farm aus dem Stall herauskam, mich an den Zügeln packte und zurück zu meiner Weide führte. Ich versuchte noch, mich dagegen zu wehren, war wie gefangen, von den drei Menschen mir den gelben Augen, aber zu perplex, um einfach stehen zu bleiben. Kurz bevor wir um die Ecke verschwanden, hallte eine fremde Stimme in meinem Kopf.
Keine Angst. Wir holen dich da raus.
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