1. Allein
"Du bist niemals allein, solange noch jemand an dich denkt."
Das hatte meine Mutter einmal gesagt, als ich noch ein Fohlen war, als ich noch alles geglaubt hatte, was sie erzählte. Wie glücklich ich damals gewesen war. Aber das Leben war nicht bestimmt dazu, einfach zu sein, wie das schöne Sprichwort sagt: "Das Leben ist kein Ponyhof."
Nur das mein Leben beides war. Definitiv nicht einfach und doch ein Ponyhof. Ein Hof, wo ich der einzige meiner Art war, der einzige Esel und doch war ich bis vor einigen Jahren unvorstellbar glücklich gewesen. Aber jetzt war ich das nicht mehr.
Ich habe mich immer gefragt, wie es sich anfühlte vergessen zu werden und ich dachte dabei immer an den Tod und was passierte, wenn man starb. Aber wie sich herausstellte, muss man nicht sterben, um vergessen zu werden.
Ich hatte eine Weide für mich ganz allein, bloß, dass ich kaum noch Gras darin hatte. Platz war begrenzt, und wenn ich mich nicht an den selben Orten erleichtern wollte, wo ich aß, musste ich wirklich gut aufpassen, wohin ich kackte. Mein Gehege war rund wie ein Ei und alles was ich von morgens bis abends tat, war, im Kreis herumzulaufen.
Mir machte das keinen Spaß, ich tat es nur, um irgendetwas zu tun, da es ja sonst nichts gab, was ich hätte tun können, wenn ich nicht im Stehen schlafen wollte. Ich trabte also umher, das stetige Klappern meiner Hufe auf dem Boden, in den Ohren und ich dachte ständig darüber nach, dass früher alles besser gewesen war.
Die Menschenwelt war für mich immer faszinierend gewesen. Merkwürdig, aber faszinierend. Ich hatte vieles gelernt, in meiner Zeit hier, wo ich praktisch das ganze Jahr über von Menschen umgeben war. Ich erfuhr, dass sie kein Fell hatten und deshalb das von Tieren tragen mussten um nicht zu frieren und ich erfuhr auch, dass sie Geräte hatten, um das was sie sahen auf einem Rechteck festzuhalten, damit sie sich immer an einen besonderen Moment erinnern konnten. Aber das wichtigste von allen, was ich in der Nähe der Menschen gelernt hatte, war, dass sie die Tage feierten, an denen sie geboren waren. Und genau da kam ich damals, vor einigen Jahren ins Spiel, denn ich war ein Geschenk gewesen, zu einem dieser Tage.
Ich wurde einem kleinen Mädchen zum Geschenk gemacht und ich konnte mich von da an kaum beschweren. Wir wurden gute Freunde und sie verbrachte etliche Stunden bei mir auf der Weide, bürstete mein hellgraues Fell sauber, oder brachte mir Äpfel aus dem Nahrungsvorrat ihres eckigen Baus. Das war eine schöne Zeit gewesen, doch sie sollte nicht wirklich lange halten. Das Mädchen wurde älter und ließ sich immer weniger blicken. Ich sah sie oft mit anderen Menschen, etwa in ihrem Alter, über den Hof laufen, aber sie gingen nie zu mir, als würde sich mein Mensch für mich schämen.
Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht, und zerbrach mir den Kopf über einen Grund, warum sie mich nur noch selten besuchen kam, doch mir wollte nichts einfallen.
In dem Moment registrierte ich am Gatter eine Bewegung und blieb stehen, nur selten kam jemand zu meiner Koppel, da mich Kinder nicht so interessant und schön fanden, wie die großen und edlen Pferde und die niedlichen Ponys. Und selbst wenn ich mich einmal streicheln ließ, war das Interesse an mir schnell verschwunden.
Am Zaun stand ein Junge, ein kleiner Halbwüchsiger mit einer nervig hohen, quietschenden Stimme. Er rüttelter an der Umzäunung wie blöde und tat so, als hätte er etwas zu essen in der Faust, aber ich wusste genau, dass er nichts hatte, was für mich von Interesse war, also blieb ich in feinster Eselmanier wie angewurzelt stehen. Ich mochte keine kleinen Kinder, die steckten sich alles in den Mund, was auf dem Boden lag und liebten es, an meinen empfindlichen Ohren zu ziehen. Sie wussten einfach nicht, was sich gehörte und bekamen einen Wutausbruch, wenn ihnen etwas nicht passte. Das waren nur einige Gründe, warum ich Menschenkinder mied, und der Junge bewies gerade, wie richtig ich lag, denn er kreischte frustiriert und stampfte mit den Füßen auf dem Boden auf.
"Dummer Esel!", plärrte er, woraufhin gleich mehrere Frauen angerannt kamen, um ihn zu beruhigen. Ich war noch immer nicht davon begeistert, zu ihnen zu kommen, nur damit das Kind mir dann in die Augen greifen oder in meine Nase pusten konnte, weil es das lustig fand. Offenbar war es für die Eltern aber nicht einsehbar, dass ich ihrem kostbaren Engel die kalte Schulter zeigte, denn sie begannen, nach mir zu schnipsen und zu pfeifen, als wäre ich ein Schoßhund, doch mit der wundervollen Macht der Esel, nämlich der puren Igoranz, trabte ich weiter meine Kreise, bis sie verschwanden.
Ich war die Blicke der Menschen leid und wie sie mich abwerteten, weil ich nicht ihren Vorstellungen entsprach, aber ich sah nicht ein, dass meine einzige Lebensaufgabe das Erfüllen von Menschenwünschen sein sollte. Oft fragte ich mich, wie das wohl war, ein Mensch zu sein, so ohne Fell aber dafür mit diesen praktischen Fingern, aber das wichtigste war eigentlich, dass die Menschen hingingen, wo sie wollten und sie mussten auch kein Hafter oder so etwas tragen, wie die Pferde und ich. Freiheit. Das war es was ich wollte.
Die Freiheit, zu tun was ich wollte und auch andere Esel kennenzulernen. Ich vermisste die Nähe in der Herde und die Sorgfalt, mit der jedes Mitglied behandelt wurde.
Trotz dieser Gedanken hatte ich jedoch noch nie daran gedacht, wegzulaufen, denn ich hatte grundlegend keine Möglichkeit dazu, da der Zaun um meine Koppel zu hoch war, um darüber zu springen und sonst wurde ich an einem Strick gehalten, wie ein Hund an einer Leine. Je länger ich jedoch alleine war, desto mehr kam ich mir eingesperrt und beengt vor. Ich hatte ja noch keine Ahnung, dass sich mein eintöniges Leben bald von Grund auf ändern sollte.
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