
Kapitel 19
So weiter der Abend voranschritt, desto weniger Kraft blieb mir den Dämon zurückzudrängen, der nur noch auf mich wartete und sich im Dunklen schon die Finger leckte, um sich später, wenn ich allein mit ihm war, über mich her zumachen.
Egal wie oft ich mich im Raum um sah, so oft fragte ich mich, was wäre wenn Ben hier wäre, oder auch die anderen Kameraden, die gefallen waren oder unter einem schweren Trauma litten.
Was wäre wenn? Eine Frage, die man sich eigentlich nicht mehr stellen sollte, weil man es eh nicht mehr ändern konnte.
Ella lies sich auf den Stuhl neben mir fallen und lächelte mich an. Ihre Wangen waren leicht gerötet und sie atmete schneller. Sie hatte die letzte halbe Stunde auf der Tanzfläche mit Roger verbracht, prinzipiell erlaubte es mir eine kurze Verschnaufspause von seinen Monologen, aber andersherum hatte ich die Präsenz von Ella vermisst.
Ja, allein das Gefühl ihrer Hand auf der meinen hatte mich während der Rede im hier und jetzt behalten, ohne dass ich panisch den Raum verlassen musste.
,,Wie geht es dir?", fragte sie, als Roger uns etwas zu trinken besorgen wollte, weswegen er und seine Frau kurz von unserem Tisch aufstanden.
Ich blickte sie an und überlegte kurz, was ich ihr antworten sollte. Ich entschied mich für die Wahrheit. Eine warme Hand griff wieder nach meiner.
,,Wir können auch wieder verschwinden...ich glaube, dass das Gröbste jetzt eh vorbei ist", erklärte sie mir und sah kurz über ihre Schulter.
Sie hatte recht, einige hatten sich schon kurz nach dem Essen verabschiedet oder spätestens nachdem die Tanzfläche eröffnet wurde, wo nur wenige tanzte, weswegen es mich schon gewundert hat, wieso ausgerechnet Roger das Tanzbein schwingen wollte.
,,Aber wir können Roger nicht einfach hier sitzen lassen", warf ich ein, jedoch brachte dies Ella zum Schmunzeln.
,,Ach glaub mir, der findet schon jemanden zum Reden."
***
,,Warte kurz", meinte Ella, als wir den Saal verließen und uns auf dem Weg zum Fahrstuhl befanden.
Ich drehte mich zu ihr um und beobachtete sie, wie sie sich an die Wand lehnte um aus ihren Schuhen zu schlüpfen.
,,Die Dinger haben mich fast umgebracht", erklärte sie und seufzte kurz erleichtert auf als ihre nackten Füße den kalten Steinboden berührten. Sie wackelte mit ihren Zehen, so als wöllte sie sichergehen, dass sie nicht abgestorben waren.
,,Wieso hast du sie überhaupt angezogen, wenn sie nur weh tun?",hinterfragte ich das und Ella lächelte mich an, bevor wir weiterliefen.
,,So eine Frage kann auch nur von einem Mann kommen", entgegnete sie mir lachend, während sie zum Fahrstuhl lief und den Knopf drückte. ,,Sie haben eben zum Outfit gepasst", sie zuckte mit den Schultern, was mich zum Schmunzeln brachte.
Die Fahrstuhltür öffnete sich und wir liefen den Flur entlang auf welchen sich unsere Zimmer befanden.
So näher ich meinem Zimmer kam, desto unbehaglicher wurde es mir, so als würde ich genau wissen, was in meinem Zimmer auf mich wartete. Stille.
Erdrückende Stille, die sich um meine Kehle schließen wird, um mir die Luft zum Atmen zu nehmen.
Ich spürte Ellas Hand an meinem Unterarm, was meinen Blick von dem Flur zu Ella wandern ließ. In ihren rehbraunen Augen lag Sorge und Mitgefühl, so als hätte ich meine Gedanken laut ausgesprochen.
,,Ich weiß, diese Veranstaltung macht dir sehr zu schaffen", begann sie vorsichtig und schluckte, als würde sie gerade jedes Wort mit bedacht wählen wollen.
Ihre Augen wanderten über mein Gesicht hin zu der Wand hinter mir und wieder in mein Gesicht, als würden dei Worte irgendwo in der näheren Umgebung stehen.
,,Danke", entgegnete ich hingegen und sie sah mich überrascht an, dabei blinzelte sie zwei Mal total verdutzt, als wollte sie einen Traum weg blinzeln.
,,Danke, dass du mich überredet hast hinzugehen und Danke, dass du da warst", fügte ich hinzu und sah Ella direkt in ihre Augen. Diesmal erwiderte sie den Blick, ohne dass nur eine Spur von Unsicherheit zu erkennen war.
,,Gern geschehen", hauchte sie und ich schluckte.
,,Wäre es absurd, wenn ich dich um einen weiteren Gefallen bitte?", fragte ich, wobei meine Stimme nun auch viel leiser wurde, als würden diese Worte nur für uns bestimmt sein.
Ella schüttelte den Kopf, wobei ihre braunen Locken leicht hin und her hüpften.
,,Lass mich heute Nacht nicht allein", flüsterte ich so leise, dass ich fast schon bezweifelte, dass sie meine Worte hören konnte.
Ich will mich nicht mit Medikamenten vollstopfen, nur um schlafen zu können. Ich muss mich dieser Dunkelheit stellen, die auf mich wartete, aber das wollte ich nicht alleine machen.
Auch wenn ich ein nein akzeptieren würde, schließlich wäre das so eine intime Geste, die vielleicht einfach zu viel wäre...einfach die Grenze überschritt.
,,Bei dir oder bei mir?", fragte sie und ich atmete erleichtert auf, wobei ich jedoch genausten jede Regung ihres Gesichtes wahrnahm, so als würde ich nur beim Hauch eines Zögerns sofort die Idee für hirnrissig erklären.
Aber es kam kein Zögern.
***
Ich trat aus dem kleinen Bad und erblickte Ella, wie sie in ihrem rosa Schlafanzug in meinem Hotelbett saß.
Sie war in die helle Decke gekuschelt und hatte ihre Haare in einen lockeren Dutt zusammen gebunden. Ich schluckte, während ich dieses Bild in mich aufsog.
Wie lange hatte ich das Bett nicht mehr mit jemanden geteilt? Hatte ich jemals mit jemanden in einem Bett geschlafen? Zumindest noch nie so bewusst wie heute.
,,Willst du etwa doch in der Dusche schlafen?", hinterfragte Ella und zog ihre braunen Augenbrauen hoch.
Sie lehnte an dem Kopfende des Bettes, während hinter ihrem Rücken ein hellblauen Plüschkissen lag. Ja mit diesem Kissen im Arm war sie eben vor meiner Tür aufgetaucht und hatte beteuert, dass sie ohne dieses nicht schlafen konnte, egal was ich davon halten würde.
Mit wenigen Schritten humpelte ich zum Bett und ließ mich auf die andere Seite fallen. Es war irgendwie total ungewohnt und irgendwie auch nicht. Schließlich lag hier Ella neben mir, die mich seit Wochen fast täglich besuchte, mich sogar in den schlimmsten Momenten erlebt hatte und nun lag sie hier auf der anderen Seite meines Bettes und das fand ich komisch? Ja sogar sehr.
Ich kroch unter meine Decke und lehnte mich neben sie an die Lehne, bevor wir beide gegen die hellorange Wand uns gegenüber blickten.
Seltsam.
Anders konnte ich diese Situation nicht beschreiben.
Plötzlich begann Ella zu lachen, erst ganz leise und dann immer lauter. Ich sah sie irritiert an, was sie nur noch mehr zum Lachen brachte. Hab ich irgendetwas falsch gemacht?
,,E-Es tut mir l-leid", prustete sie und hielt sich den Bauch vor lachen. ,,Es ist nur so, hätte mir jemals jemand gesagt, dass ich irgendwann mit dir nach solch einer Veranstaltung im Bett lande, hätte demjenigen einen Vogel gezeigt", erklärte sie und nun war ich noch verwirrter.
,,Wie viel Wein hast du unten getrunken?", fragte ich sofort, was sie verstummen ließ, bevor sie sich auf die Lippe biss, um nicht noch weiter lachen zu müssen.
,,Ein Glas, mehr nicht", antwortete sie ernst und sah mich an.
,,Naja du warst immer unerreichbar, vielleicht liegt das an den vier Jahren Unterschied, oder daran, dass du mich einfach nicht wahrgenommen hast...du musstest erst einen Skiunfall haben, damit wir uns so richtig kennenlernen, auch wenn wir uns schon seit Kindertagen begegnen", klärte sie mich nun auf und ich konnte ihr nur zu stimmen, so gerne ich ihr auch widersprochen hätte...so sehr wusste ich auch, das sie verdammt nochmal recht hätte.
Ohne diesen Unfall, wäre sie nie zu mir nach hause gekommen, geschweige denn hätten wir nur einen Grund gehabt uns zu treffen.
,,Eigentlich total absurd oder? Ich meine, du bist die beste Freundin meines Bruders zusätzlich bist du seine Nachbarin und wir haben es wirklich nicht auf die Reihe bekommen...", fügte ich hinzu und musste sie auch anlächeln, weil es einfach so verdammt dämlich von uns war.
Schließlich verstanden wir uns blind, was wir all die Jahre nicht bemerkt haben.
Wir kuschelten uns in unsere Kissen und redeten über Gott und die Welt, nichts Spezifisches um ehrlich zu sein.
Um uns herum war alles dunkel, aber es machte mir nichts aus, schließlich hörte ich Ellas Stimme, was mich nicht daran denken ließ, was diese Veranstaltung aufgewühlt hatte.
Ella war da. Und das wurde diesen Abend zu meinem Mantra, total absurd, ich weiß...aber das war nicht das Absurdeste an diesem Abend.
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Vergiss das ☆ nicht, wenn dir das Kapitel gefallen hat^^
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