Kapitel 22
,,Willst du irgendetwas trinken?", fragte ich langsam und krallte mich förmlich in die Arbeitstheke meiner Küche, sodass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Was wollte er hier? ,,Ja, ein Wasser", bekam ich als Antwort, während mein Vater seine Jacke über einen Stuhl hängte und ohne zu fragen, meine Wohnung begutachtete. ,,Wenn ich gewusst hätte, dass du in solch eine Hinterwäldlerstadt kommst, hätte ich dir nochmal etwas anderes gesucht. Woodshill. Der Stadtname verspricht nicht zu viel", sagte er missbilligend und kräuselte seine Oberlippe. Das hatte er schon immer getan, wenn ihm etwas nicht gefiel oder anwiderte...viel zu oft habe ich den Blick bekommen. Ich schluckte und schenkte meinem Vater ein Glas Wasser ein, wobei ich lieber zu etwas Härterem gegriffen hätte. ,,Ich mach es kurz, Sohn. Wieso hast du dich nicht bei meinem Anwalt gemeldet?", fragte er kühl und griff nach dem Glas, jedoch trank er nicht daraus, als hätte er es nur aus Freundlichkeit bestellt. ,,Wieso hast du einen Anwalt und wieso hätte ich mich bei ihm melden sollen?", hinterfragte ich und mein Vater verdrehte die Augen. So als würde er mit einem trotzigen Kind reden. Ich schluckte wieder. ,,Der Brief? Der dich erreicht haben sollte", begann er und da dämmerte es mir. Ja der Brief hatte mich erreicht, aber danach war Ava in die Praxis gekommen und ich hatte ihn achtlos in meine Kitteltasche gesteckt. Verflucht. Ich war so mit Ava beschäftigt, dass ich ihn danach vergessen hatte. ,,Anscheinend hast du ihn mal wieder verlegt", fuhr mein Vater fort, mit einem Ton, als wäre nichts anders von mir zu erwarten gewesen. ,,Es sind neue Dokumente aufgetaucht, die die Sache noch einmal in ein anderes Licht rücken. Sie wollen jetzt mir eine Teilschuld geben wollen, aber das ist Blödsinn", erklärte mein Vater und ich richtete mich Kerzengerade auf. Neue Dokumente? Was für welche? Und wieso hatte Basti nichts gesagt? Wusste er davon? ,,Ich habe mit meinem Anwalt ein Dokument verfasst. Ein Eingeständnis deiner Schuld und eine Entschädigung an die Familie des Patienten....eine großzügige Entschädigung, dafür dass sie weder das Krankenhaus noch meinen Ruf damit runter ziehen." Seinen Ruf. Nicht meinen. Was wurde hier gespielt? ,,Und was springt da für mich heraus?", fragte ich und sah ihn abwartend an, eine Wut, die ich unterdrückt hatte kochte langsam auf. Er dachte nur an sich und an sein verfluchtes Krankenhaus, aber vor ihm stand sein Sohn, sein einziger Sohn. ,,Du bekommst deine Approbation nicht aberkannt und darfst weiter arbeiten, nur nicht mehr in meinem Krankenhaus und auch in keinem anderen Krankenhaus mehr. Deine Karriere als Chirurg wäre damit beendet, aber du kannst trotz dessen eine einfache private Klinik leiten und dort als Arzt arbeiten", beendete mein Vater seine Erklärung und sah mich mit einem harten Blick an, der mich normalerweise oft einknicken ließ. ,,Unterschreib und uns bleiben Kosten und das Gerichtsverfahren erspart", forderte er mich auf und ich sah ihn immer noch total perplex an. Das soll es gewesen sein? Wieso kam er jetzt damit und nicht schon vor einem Monat. Wieso jetzt?! Da war doch etwas faul.
,,Ich will damit erst mit Basti drüber reden", sagte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Sei nicht dumm, Junge", begann mein Vater, aber ich schüttelte mit dem Kopf. ,,Nein. Ich rede erst mit meinem Anwalt darüber, danach sehen wir weiter", ich reckte mein Kinn etwas in die Höhe und mein Vater sah mich kalt an. ,,Von mir aus", antwortete er und bevor er nochmal ansetzen konnte. ,,Du findest heraus?"
Ich hatte wichtigeres zutun, als meinem Vater zu betreuen oder gar ihm noch weitere Nettigkeiten entgegen zubringen. Verflucht. So schnell ich konnte, bahnte ich meinen Weg zu Avas Haus, in der Hoffnung sie würde da sein. Ich musste mit ihr reden, das klar stellen und ihr davon erzählen, was mein Vater hier wollte. Wieso er so spät in der Nacht vor meiner Haustür stand. Und noch viel wichtiger, dass sie nicht einfach eine Nummer für mich war. Dass sie mir wichtig war, auf welcher Ebene wusste ich noch nicht. Aber ich mochte sie und genau das sollte sie wissen. Ich hätte sie verteidigen sollen, aber als mein Vater da stand, wurde ich so abrupt gegen die Stirn gestoßen, dass ich keine Ahnung hatte, was mit mir passiert. Ich war ein Arsch gewesen. Das weiß ich selbst.
Das Haus war dunkel und auch im Schnee waren weder Fußabdrücke noch Reifenspuren zu sehen. Sie war nicht hier. Trotzdem lief ich die drei Holzstufen zu ihrer Haustüre hoch und klingelte. Ich hörte wie Bucky bellte und zu der Tür gerannt kam. Aber sonst lag das Haus still da. Das hätte ich mir auch denken können. Ava würde nach so etwas nicht einfach schlafen gehen und so tun, als wäre nichts. Das war nicht Ava. Und mein Vater hatte es geschafft, einen Keil zwischen uns zutreiben, ohne es wirklich zu wollen. Verflucht. ,,Es tut mir leid", wisperte ich und legte meinen Kopf in den Nacken, nur um zu spüren wie die Schneeflocken auf meinen Wangen schmolzen. Das hätte viel zu schön sein können.
***
Am nächsten Tag machte ich das einzig richtige. Ich rief Basti an. ,,Hast du mal auf die Uhr geguckt?", bellte mir ein verschlafener Mann entgegen und ich schmunzelte. ,,Guten Morgen. Heb deinen Arsch aus dem Bett, ich brauch dich als Anwalt", antwortete ich und bekam nur ein Stöhnen zurück. Aber Basti stand auf und zog seinen Bürostuhl zurück. ,,Bist du im Büro? Hast du in der Kanzlei geschlafen?", fragte ich sofort, da ich wusste, dass in seinem Apartment Schlafzimmer und Arbeitszimmer getrennt waren und er somit nicht so schnell dahin gekommen wäre. ,,Eventuell. Und du? Musst du nicht an die Arbeit?", konterte er säuerlich. Ja okay, er hatte recht. Ich hatte mich krankgemeldet, aber bei den ganzen Gedanken, hätte ich mich nicht konzentrieren können. Ich wollte das hier erst klären, bevor ich mich bei Ava entschuldigen kann. ,,Egal. Mein Vater war gestern hier...ja hier in Woodshill. Er hat irgendwas von neuen Dokumenten geredet, die den Fall verändern könnten", fing ich an und ich hörte wildes Tippen auf einer Tastatur. ,,Verflucht. Der Mann macht mir Angst...beziehungsweise seine Anwälte. Ja es gibt neue Dokumente, aber die kamen bei mir gerade mal gestern erst an...und da ich sie mir selbst noch nicht angesehen hatte, hab ich mich noch nicht gemeldet. Was wollte er?", fragte Basti und wühlte auf seinem Schreibtisch umher. ,,Er hat irgendwas davon erzählt, dass sein Anwalt mit dem Gericht, sowie der Familie verhandeln will. Also weder ein Gerichtstermin, noch verliere ich meine Approbation. Dafür hingegen müsste ich meine Karriere als Chirurg aufgeben", erklärte ich und Basti begann zu fluchen. ,,Du unterschreibst das nicht, hast du mich verstanden? Die haben deinen Dad an der Mangel", sagte er ernst und ich hätte fast den Kaffee ausgespuckt, den ich gerade getrunken hatte. ,,Bitte?", hinterfragte ich erschrocken und schob die Tasse Kaffee von mir. ,,Ja. Anscheinend hat der Gerichtsmediziner etwas gefunden. Daraufhin wurden der Ehefrau des Verstorbenen nochmal Fragen gestellt...hier steht etwas von gefälschten Werten. Verdammt, Linc...weißt du was das bedeutet?! Du könntest unschuldig sein!", den letzten Satz brüllte mir Basti förmlich ins Ohr und ich zuckte zusammen. Ich realisierte es selbst noch nicht...das könnte alles verändern. ,,Ich schick dir die Dokumente rüber. Dann kannst du dir selbst ein Bild machen...ich ruf sofort den Staatsanwalt an", rasselte Basti aufgeregt runter und ich strich mir langsam durch die Haare. Ich könnte unschuldig sein. Es gab Hoffnung.
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