... Prolog ...
Dunkelheit. Nichts als Schwärze. So dicht wie undurchdringbarer Nebel. Ala konnte die Finsternis regelrecht spüren. Kalt glitt sie über ihre Haut, und ein Schauer kalten Schweißes jagte ihren Rücken hinunter. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen. Der Boden knirschte laut, und sofort blieb sie wieder stehen. Ala hatte Angst, dass sie sie hören könnten, sie hatte Angst, dass sie alle sie hören könnten. Sie lauschte angespannt. Doch nichts außer ihr pochendes Herz und ihr Atem war zu vernehmen. Wieder tat Ala einen Schritt. Dieses Mal vorsichtiger, aber dennoch konnte sie nicht verhindern, dass die gefrorene Erde unter ihren Schritten knirschte. Sie schluckte. Noch immer war in der Dunkelheit rein gar nichts zu erkennen. Sie schloss die Augen, und versuchte ruhig durchzuatmen. Aber es gelang dem Mädchen nicht. Zu viele Sachen wirbelten in seinem Kopf herum wie Seifenblasen in der Luft. Doch diese Seifenblasen waren pechschwarz, und brachten allerlei unerfreuliche Gedanken mit sich. Ala schluckte erneut. Ihre Kehle war knochentrocken und in ihrer Lunge kratzte es. Das Kratzen wurde stärker, und es begann in ihrer Kehle zu kribbeln. Ala versuchte den Hustenreiz zu unterdrücken. Aber er wurde unerträglich. Sie öffnete den Mund um zu Husten, als ihr jemand von hinten eine Hand auf den Mund legte. Ala wollte schreien, aber ihre Stimme war heiser und leise. Sie trat einen Schritt zurück um die Hand loszuwerden, aber die Person ließ nicht von ihr ab. Das Mädchen zappelte und versuchte freizukommen. Doch die Person hinter ihr stand fest. Dann dachte Ala schon es wäre endlich vorbei, denn der Griff um ihren Mund wurde lockerer, aber wer auch immer hinter ihr stand, wechselte nur die Hand. Sie versuchte ruhig zu atmen um zu überlegen was sie jetzt tun könnte, da kam ihr eine Idee. Schnell riss sie den Mund auf und biss in den nächstbesten Finger. Aber außer einem kurzem Zucken und einem leisem 'Au', passierte überhaupt nichts. Ala biss fester zu. Jetzt hatte sie schon blutigen Geschmack im Mund. Sie war selbst erstaunt, noch nie hatte sie jemanden so fest gebissen dass es blutete. Aber noch immer kam keine Reaktion von dem Fremden. Mit aller Kraft bohrte das Mädchen ihre Zähne in den Finger. Wie ein Raubtier beschloss sie ihre Beute erst wieder loszulassen wenn sie tot wäre. Jetzt bewegte sich die Hand. Na endlich. Sie ruckelte und versuchte den Finger freizubekommen. Doch Ala blieb stur und biss weiter zu. Die Hand wurde langsam wilder, Blut tropfte das Kinn des Mädchens hinunter. Auf einmal schlugen ihre Zähne aufeinander. Ein spitzer Schrei durchschnitt die Dunkelheit, und die Hand zog sich so ruckartig zurück, dass Ala nach hinten taumelte. Erst jetzt begriff sie: Sie hatte tatsächlich gerade jemandem den Finger abgebissen. Dann drehte sie sich um. Mit dem Ärmel wischte sie sich das Blut aus dem Gesicht. Zusammengesunken saß dort am Boden eine Gestalt mit blauem Umhang. Ala konnte nicht sagen ob es ein Mädchen oder ein Junge war, aber eine Blutspur verriet, dass das tatsächlich ihr Peiniger war. Dann hob die Person den Kopf. Tränen standen in den grauen Augen. Die schwarzen Haare hingen unsortiert in das Gesicht. Es war ein Mädchen, so viel konnte Ala jetzt erkennen. Mit der rechten Hand presste sich die Fremde ein Tuch auf das Stück vom Finger das noch übrig war. Als sie auch lange die hellen Augen und blauen Haare von Ala gemustert hatte, durchzuckte sie offenbar eine Schmerzenswelle, denn ihr ganzer Körper zitterte. Dann legte sie ihren Kopf auf die angezogenen Beine. Erst jetzt fielen dem zwar noch etwas geschocktem aber dafür gesundem Mädchen die eigenartigen Ohren der Verwundeten auf. Sie waren lang, spitz und standen leicht schräg vom Kopf ab. Das waren keine gewöhnlichen Tiron-Ohren. Das Mädchen musste wohl von weit her kommen, vielleicht vom Berg oder auch vom Wald. Oder auch von ganz woanders. Vorsichtig trat Ala einen Schritt auf sie zu. Die Angst vor den Wesen die hier im Nebel herumschleichen könnten, war vergangen. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt diesem Mädchen vor ihr. Es müsste wohl in etwa so alt wie Ala sein, aber so zusammengesunken erschien es viel kleiner. Es schien sehr krank zu sein, denn ihr Körper hob und senkte sich unregelmäßig. Ala bemerkte, dass die Fremde viel dicker angezogen war als sie selbst. Dann ging sie einen weiteren Schritt nach vorne. Sie hatte das Gefühl dass es dem Mädchen nicht besonders gut ging. Dann kippte es auf einmal zur Seite und blieb reglos liegen. Ihre Augen waren geöffnet, doch sie starrten ins Nichts. Ala wusste dass sie tot war, denn ihr Brustkorb hob sich nicht mehr und ihr Körper blutete aus einer tiefen Wunde am Bauch. Sie kniete neben dem fremden Mädchen nieder, und betrachtete die Wunde. Ein tiefer Schnitt unterhalb der Rippen, musste von einem Messer stammen. Ala wusste, dass das Mädchen an der Bauchwunde gestorben sein musste und sicherlich nicht an dem abgetrennten Finger, sie kannte sich etwas damit aus. Ihre Mutter war Heilerin im Dorf gewesen, aber Tote zum Leben erwecken, das konnte niemand. Mit traurigem Gesicht erhob sich das Tiron-Mädchen, ihr tat das tote Mädchen sehr leid, und zu gern hätte sie gewusst wer ihr das angetan hatte. Auch verfluchte sie sich selbst die Verwundete so gebissen zu haben. Sie betrachtete noch einmal die Ohren der Toten, und stand dann langsam wieder auf. Plötzlich war die Dunkelheit wieder da. Sie umhüllte Ala wie ein eiserner Mantel, das Mädchen fröstelte. Es schien als hätte die fremde Person die Finsternis zurückgedrängt gehabt. Aber nun war sie tot, und die Schatten, die Nacht und der Nebel hatten wieder die Oberhand gewinnen können. Ala versuchte sich zu erinnern aus welcher Richtung sie gekommen war, aber sie hatte nicht die kleinste Ahnung. Auch waren jetzt all die Ängste wieder zurück, die das Mädchen schon zuvor gespürt hatte. Ala machte sich im Stillen für den Tod der Schwarzhaarigen verantwortlich, schließlich setzte sie sich neben die Tote und schlief irgendwann ein.
Ala erwachte wieder. Schlaftrunken öffnete sie die Augen. Das Mädchen wusste im ersten Moment nicht wo es war. Da kamen ihr wieder die Bilder des toten Mädchens und des Nebels in den Sinn, und ruckartig war sie hellwach. Doch der Nebel war fort, auch das tote Mädchen war weggeschafft worden, nur eine große Pfütze geronnenen Blutes wies auf sie zurück. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht mehr allein war, Leute standen um sie herum. Es waren Männer und Frauen, alle mit Fellumhängen und hohen Stiefeln. Alle standen um sie herum, niemand wagte etwas zu sagen, sie sahen Ala nur an, und diese starrte zurück. Vielleicht Stammesmitglieder des toten Mädchens? Ala konnte es nur vermuten, da sie die gleichen Kleider trugen und die selben spitzen Ohren hatten. Schließlich stand sie auf, und betrachtete einen Mann, der ihr am nähesten stand, in seiner Hand hielt er ein langes gebogenes Messer. Seine schwarzen Augen waren unter den buschigen, fast schwarzen Augenbrauen halb verborgen. Der Mund stand leicht offen, und immer wieder entwichen ihm weiße Atemwölkchen. Es war kalt geworden, oder es war genauso kalt geblieben, aber gestern, oder zu welcher Tageszeit auch immer, hatte sie es vermutlich einfach verdrängt. Ihr Geist hatte sich schon mit genug rumschlagen müssen. Vorsichtig strich sie sich erst einmal den Dreck von ihrem blauen Kleid. Wenn diese Leute sie so umringten, würden sie doch sicher etwas zu sagen haben, und zu fragen traute sich Ala nicht. Ala fror. Bibbernd rieb sie sich die Hände, und stieg von einem nackten Fuß auf den anderen. Sie hatte nicht gerade die besten Kleider für dieses Wetter, das gab sie ja zu. Aber andererseits, als sie aufgebrochen war, hatte die Sonne geschienen und alle hatten selbst im Schatten geschwitzt. Ihr wurde bewusst, dass sie nicht den leisesten Schimmer hatte wo sie sich befand, irgendwo weit im Norden? War sie denn so weit gelaufen? Unmöglich, das hätten tausende von Meilen sein müssen! Das Tiron-Mädchen hatte keinerlei Erinnerungen mehr an den Weg in den Nebel, nur an den gefrorenen Boden. Aber da war sie ja schon längst im Dunkeln herumgeirrt. Sie runzelte die Stirn, und bemerkte dabei schmerzlich, das ihre Augenbrauen gefroren waren, kein schönes Gefühl. Sie musste ins Warme, sonst würde sie noch vor den Augen dieser Geschöpfe erfrieren. Also ging sie auf die Menge zu, und dieses Mal wich niemand zurück. „Hallo?", fragte Ala in die Stille hinein. So leise und hell, wie ein Eiszapfen der auf dem Boden zerbarst. Wie vom Winde verweht hatte Ala plötzlich das Gefühl gar nichts gesagt zu haben. Noch immer stand die Masse um sie herum, sah sie mit dunklen Augen an, aber tat nichts, guckte nur. „He!", rief Ala. Keine Reaktion. Waren die jetzt alle zu Eis erstarrt oder was? Sie versuchte es nochmal, diesmal bei jemand einzelnen: „He Sie!" Der Mann, den sie sogar in den Bauch geschlagen hatte, blieb ruhig. Nur seine Augen bewegten sich und starrten sie an. Alas Hände und Füße wurden schon blau, und waren eiskalt. Nur noch schwer gelang es ihr sie zu bewegen. Auch ihre Lippen waren taub, und alle Haare ihres Körpers schienen sich aufgestellt zu haben. Die Kälte kroch in ihren Körper, und drohte sie zu töten. Das Mädchen sackte auf die Knie. Zitternd schlang sie ihre Arme um ihren Leib. Würde das das Ende sein, würden diese Wesen mit den abstehenden Ohren sie einfach sterben lassen? Ala konnte und wollte es nicht glauben, sie rappelte sich noch einmal mit schmerzenden Beinen auf, und stürmte gegen eine Frau. Sie zerrte an ihrem Umhang, und als er von den Schultern seiner Besitzerin glitt, schnappte sie ihn sich und wickelte sich ein. Doch sie wartete vergebens auf die wohltuende Wärme auf die sie gehofft hatte. Das Fell blieb kalt, und wärmte sich nicht auf. Vielmehr entzog es ihr noch die letzte Wärme. Schreiend warf sie ihn von sich. Was war das hier nur für ein Teufelsort? Sie wollte weg, nach Hause, oder sonst wo hin. Nur fort von diesem unwirklichem Ort. Weinend warf sie sich schließlich an den Körper eines Anderen, versuchte sich an ihm zu wärmen. Aber er war ebenso kalt und abweisend wie der Umhang. Es nützte nichts, niemand der Anwesenden schien noch etwas anderes lebendiges als seine Augen zu besitzen. Ala überlegte schon ob es an ihr lag dass sie die Körperwärme der Umstehenden nicht fühlte. Aber wenn sie sich in die eisigen Finger hauchte spürte sie warme Luft. Da hatte Ala eine Idee, und sie versuchte sich durch die Körper der Eisleute zu zwängen, aber sie standen so dicht an dicht in geschlossenen Reihen, dass es unmöglich war hindurch zu kommen. Schnaufend schleppte sie sich zurück auf die Lichtung. Dann gaben ihre Beine unter ihr nach und sie stürzte nach vorn auf den Boden. Alles was sie noch bewegen konnte waren ihre Augen. Ihre Hände hatte sie unter ihrem Körper begraben. Da kamen ihr die Geschichten der Ältesten auf einmal in den Sinn. ...geht niemals in den Nebel der Toten, oder ihr werdet nie mehr herausfinden ... Waren diese Leute etwa die Monster vor denen sie sich immer gefürchtet hatte? Die Beschreibung passte zwar mit keinem einzigen Ding überein, aber wer hatte sie schon einmal gesehen und hatte es überlebt? Kurz freute sich Ala darüber, dass sie die Ungeheuer nun einmal von der Nähe gesehen hatte. Ganz kurz wurde ihr wieder etwas warm ums Herz. Aber dann fühlte sie wieder den eisigen Boden unter ihr, und die kalte Luft um sie herum. Sie spürte wie ihre Lunge es immer schlechter schaffte die eisige Luft aufzunehmen. Alas Rachen brannte schon, so als würde sie Eissplitter atmen. Da lag sie nun am Boden, neben der Pfütze eingetrockneten Blutes. Vielleicht waren die Stammesmitglieder des merkwürdigen Mädchens ja einfach nur unglaublich sauer und wollten sie deshalb töten? Ihre Wange die den Boden berührte, brachte die Kälte schließlich auch in den Kopf, und unter Zittern und Frieren erlosch die Lebensglut langsam aber sicher. Aller Wind verebbte, und Alas Geist wurde von den Schmerzen und der Kälte befreit, hinfortgetragen in ein anderes, warmes Land ...
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