Kapitel 12
Sturm stand einfach nur da. Nur der Wind strich ihr, wie Finny so oft mit ihrer Zunge über den Pelz. Es war, als würde sie sich für die Begegnung mit einem wilden Wolfsrudel wappnen.
Ihre Fuchseltern hatten sie oft vor Rudeln gewarnt, aber sie war ein Wolf, sie würde immer das Blut eines Rudel in sich tragen. Immer den Drang haben, mit Wölfen zu laufen. Der Wind wurde stärker und trug Sturm den fremden, wilden Geruch der Wölfe am Waldrand zu.
Diese Wölfe waren ungezähmt und frei. Trotzdem lebten sie unter den Regeln und Disziplinen des Rudels.
Sturm bellte. Endlich hatte sie ein Rudel gefunden! Doch ihre Worte wurden mit dem Wind fortgetragen, sie verloren sich in den weiten der Welt, wie ein Blatt, das wehrlos vom Wind mitgerissen wurde.
Sturm stockte. Der Wind verdeckte ihre Witterung, aber einzelne Wörter der Wölfe wurden ihr zugetragen. Sturm blieb stehen. Ein unbehaglicher Schauer durchströmte sie und zog sich durch ihr Herz. Sie hörte die rauen, wilden Stimmen der Wölfe. Sie klangen so fremd und doch konnte sie die Wörter verstehen.
Fasziniert blickte Sturm zu den drei Wölfen. Sie mussten etwa gleichalt wie sie sein, und doch sahen sie so viel stärker und wilder aus als sie. »Diesesmal schaffst du es vielleicht als Krallenjäger, Renn!« bellte eine kleine braune Wölfin, die vorschnellte und den gefleckten Wolf, Renn, spielerisch mit der Schnauze anstieß.
»Und du wirst Hinterwolf.« Knurrte er mit seiner fremd klingenden Stimme. Hinterwolf. War bestimmt keine gute Position. Jetzt liefen die Wölfe los. Sie schnappten spielerisch nacheinander und waren anscheinend weiter in ihr Gespräch vertieft.
Sturm folgte ihnen, wie von selbst trugen sie ihre Pfoten den Wölfen hinterher. Nur verschwommen nahm sie die Bäume um sich herum wahr. Den Wind, der durch die Wipfel strich.
***
Donnernde Hufe auf der Erde. Das Heulen der Wölfe wie ein endloser Wirbel in der Luft. Die stillen Signale des Rudels wie ein unsichtbares Band. Ein einziger Strom, der sich durch Gedanken verständigt. Ein einziges, im Rhythmus der donnernden Pfoten schlagendes Herz. Die Luft angespannt und doch so frei und ungebunden. Ein riesiger Strom aus silbernen Pelzen und donnernden Pfoten zwischen Erde und Himmel in Richtung Horizont. Kein einziger Laut von den Wölfen, und doch ein immerwiederkehrendes Geheul, das lautlos die Luft virbireren lässt. Ein Elchbulle wird von der Herde getrennt, die Wölfe kreisen ihn ein. Die Herde zieht weiter, der endlose Kreislauf schließt sich, während die Wölfe dem Opfer keine Möglichkeit zum Entkommen liefern.
Ein Anmutiges tiefes Geheul hallt zwischen den glatten schwarzen Felsen der Nacht wieder. Der Mond taucht alles in ein silbernes, magisches Licht. Die melodischen Klänge der Wölfe werden vom Wind weitergetragen, so sanft und schön, aber doch so grenzenlos. Keiner der Töne geht verloren und keiner verflüchtigt sich unter den anderen Stimmen. Das Geheul dringt durch die Wolken, bis hin zum schwarzen Nachhimmel, an dem der silberne Mond glitzert. Das ganze Tal hallt von dem ungezähmten Geheul wieder. Die Sprache ist fremd, die der Wölfe, aber trotzdem flechten sich die Töne zu Wörtern und die zu einem endlosen Moment des Friedens und des Zusammenhaltes.
Sturm hätte nie gedacht, dass sie jemals neue Hoffnung, kalte Furcht und doch tiefe Bewunderung auf einmal fühlen würde. Sie hatte ein Rudel gefunden, aber immernoch schlich sich die leise kalte Angst über ihren Pelz. Sie waren freie, wilde Wölfe, warum solten sie mich aufnehmen? Und trotzdem hallte der wunderschöne Gesang der Wölfe in ihr wieder. Die Anmut, mit der sie den Mond anheulten, das ganze Rudel. Keine Ränge waren mehr vorhanden, es wurde nicht nach den Posten geordnet, wie im Jagdrudel. Nur der Klang der Stimme wurde eins mit dem des Rudels.
Eine wilde grenzenlose Sehsucht durchzog sie so plötzlich wie der Gedanke einfach mitzuheulen. Sie wollte ihren Kopf in den Nacken legen und einfach miteinstimmen in dieses ungebändigte Heulen, dass ihr durch die Adern pulsierte wie ihr eigenes Blut.
Ich bin ein Wolf. Aber ich war ein Fuchs. Sturm trat hinter ihrem Felsen hervor, hinter dem sie die Jagd und das Heulen beobachtet hatte. Die Klänge waren in ihrem Herz hängen geblieben. Fasziniert beobachtete sie die Wölfe, wie sie den riesigen erlegten Elchbullen teilten.
Sturms Magen knurrte wie ein Bär und sie fasste einen Entschluss. Ja, dachte sie das ist mein Rudel. Der Duft des Elchbullen strömte durch ihre Scnauze und zog sie wie magisch an. So etwas großes hatte sie noch nie gegessen.
Die Füchse jagten Kleinwild, Mäuse und Vögel. Aber der Geruch des frischen Fleisches und warmen Blutes der Beute ließ sie ihre Furcht vor den Wölfen vergessen.
Sie lief an sie fragend, oder fast entsetzt anblickenden Rudelwöfen vorbei. Sie ignorierte die Blicke die sie trafen, wie Pfeile eines Flachgesichts, von denen die Füchse oft erzählten.
Sie konnte nur noch an den warmen, saftigen Elch denken, der so verführerisch nahe war. Sie konnte keinen Gedanken fassen. Der Hunger hatte ihre Kräfte vollständig aufgezehrt. Sie lief einfach gerade auf die große Beute zu.
Ruckartig wurde sie wieder zurück in die Realität gerissen. Einer der Wölfe hatte ihr einen scharfen Biss in den Hinterlauf verpasst. Sofort zuckte der Schmerz durch ihren Körper und sie hätte beinahe laut aufgejault, wenn die scharfen Krallen, die sie auf das stechende Gras nagelten ihr nicht die Luft geraubt hätte.
Einen Moment verließ sie die Kraft, doch dann zuckte ihr die Energie wie Feuer durch die Adern. Zusammen mit der aufgestauten unterdrückten Wut konnte Sturm sie einfach nicht halten.
Die letzten Tage, der Hunger und Verrat von einem Eiswolf. Sturm wollte den Namen nicht einmal denken.
Tiger.
Nein. Die Hoffnung die sie durch ihn hatte hatte sich blitzartig in Verzweiflung umgeschlagen. Aber jetzt sah sie nur noch dieses innere Feuer der Wut, dass sich in ihr ausbreitete.
Sie war nie in einem Rudel gewesen. Sie hatte ihre Eltern verloren und das zwei Mal. Sie hatte es von Anfang an schwer zu überleben und jetzt das. Die Wut rauschte durch ihr Inneres, bis sie vollständig von ihr ausgefüllt wurde.
Sie spührte keinen Schmerz mehr. Nur die zischenden Flammen der Wut rauschten in ihren Ohren. Ihre Krallen wirbelten und ihre Zähne trafen auf Fell, dann Blut.
Sie spührte ihr eigenes Blut an ihrem Fell herunterlaufen, doch der Schmerz blieb aus. Irgendein Pelz zwischen ihren Zähnen. Blut, dass ihr in die Augen spritzte. Ihr eigenes Blut.
Sie stand. Der plötzliche Schmerz ließ sie auf den Boden sinken. Doch aus irgendeinem Grund kippte sie nicht einfach um. Zwei große graue Wölfe hielten sie oben. Ein dritter stand knurrend vor ihr. Sein Schwanz war steil nach oben gerichtet und sein grau-brauner Pelz zeigte ein paar blutige Kratzer. von seinem Kiefer troff Blut. Ihr Blut vermischt mit dem des Elchbullen, dem er vor kurzem noch seine ganze Aufmerksamkeit zugewendet hatte.
Die schwarzen Ohren waren vollständig nach vorne gerichtet. »Was willst du?« Knurrte er mit einer klaren tiefen Stimme.
Sturm fand ihre Stimme. Auch wenn sie ein wenig zitterte hob Sturm den Kopf. Trotz der mehr als unangenehmen Lage schaffte sie es, dem Anführer in die harten grünen Augen zu blicken »Ich bin Sturm. Rudellose Jungwölfin und ich suche ein Rudel.«
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