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Die nächsten Wochen vergehen sehr schnell. Im Unterricht wird schon von den UTZs gesprochen, obwohl wir die erst nächstes Jahr haben, und der Stoff ist immer anspruchsvoller. Aber das war zu erwarten, und es hilft nichts, sich darüber zu beschweren. In der Zeit, in der andere also im Gemeinschaftsraum sitzen und sich darüber aufregen, dass wir so viel zu tun haben, sitze ich also in der Bibliothek und erledige besagte Aufgaben. Immer wieder schweifen dabei meine Gedanken ab. Zu Remus, der mir am Wochenende erzählt hat, dass er sich den anderen Rumtreiben gegenüber geoutet hat. Zu James, der Lily immer noch jeden Tag nach einem Date fragt und mich verzweifelt ansieht, wenn sie wie immer nein sagt oder ihn ganz ignoriert. Zu Lily, die nicht einmal mehr den Schlafsaal allein verlassen will, ihre Angst aber nur mit mir teilt. Zu Sirius, der auf einmal im Stuhl neben mir aufgetaucht ist und nervös herumzappelt... Warte, was? Überrascht schrecke ich aus meinen Gedanken und sehe ihn forschend an: „Was willst du hier?" „Sehr nette Begrüßung", brummt Sirius nur, „können wir vielleicht irgendwo hingehen, wo wir ungestört sind?" Ich sehe mich etwas um und bemerke: „Ich glaube, viel ungestörter als in einer Riesenbibliothek, in der gerade maximal zehn Personen sind, kann man in Hogwarts nicht sein. Worum geht's?" „Na gut", murmelt Sirius, „Muffliato. Nur zur Sicherheit". Skeptisch sehe ich ihn an. Entweder erfahre ich jetzt irgendetwas, das nicht ganz legal ist und wobei er meine Hilfe braucht, oder ich bin tatsächlich zur Kummerkastentante in meinem Freundeskreis geworden. Ich weiß wirklich nicht, welche Option mir lieber ist. Als Sirius keine Anstalten macht, weiterzusprechen, seufze ich: „Na komm. Bringen wir's hinter uns. Ich verspreche, dass ich dich nur auslache, wenn es was Lustiges ist". „Sehr motivierend. Das ist was ernstes", erwidert Sirius leicht gestresst. „Sorry, war nicht so gemeint. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich hab nur in letzter Zeit einige Gespräche geführt und ich habe das Gefühl, das wird auch so eines. Aber ich helfe dir natürlich, so gut ich kann". „Danke", meint Sirius, dann fährt er nach einer kurzen Pause fort: „Remus war eins von diesen Gesprächen, oder?" Als ich nicke, antwortet er: „Gut. Du weißt also, dass er nicht schwul ist". Wieder nicke ich. „Ich verstehe das nicht. Ich meine, ich hab kein Problem damit, auch wenn ich das definitiv nicht meiner Familie erzählen sollte, aber ich weiß nicht, wie das gehen soll. Ich hab beigebracht bekommen, dass Mann und Frau zusammengehören. Es gibt auch Männer, die auf Männer stehen, und Frauen, die auf Frauen stehen. Aber beides? Wie soll das gehen? Ich meine, klar, mein Wissen ist wahrscheinlich sowieso falsch, meine Eltern sagen schließlich auch, dass diese Leute Abschaum sind, aber ich verstehs trotzdem nicht. Kannst du mir helfen?", fleht Sirius zum Schluss. „Warum fragst du das nicht Remus?", frage ich nach. „Er kann dir das sicher am besten beantworten". Sirius druckst etwas herum: „Als Remus uns erzählt hat, dass er auf Jungs steht, hat er mich so ängstlich angeschaut. Als würde er glauben, dass ich ihn deswegen nicht mehr akzeptiere. Und wenn ich jetzt so nachfrage, denkt er dann nicht, dass ich genau das tue?" „Wie hast du reagiert, als ihr erfahren habt, dass Remus ein Werwolf ist?" Wie aus der Pistole geschossen antwortet Sirius: „Ich hab ihn ausgefragt. Wie das so ist, ob er außerhalb von Vollmond auch was spürt, wie es passiert ist, ob er als Mensch auch manchmal Lust auf rohes Fleisch hat... Alles, was mir grade so eingefallen ist. Am Anfang war ihm das unangenehm, aber ich hab so lange weitergefragt und anscheinend sind die Fragen immer dümmer geworden, dass wir irgendwann vor lachen am Boden gelegen sind. Was hat das damit zu tun?" „Im Prinzip ist das doch dasselbe. Remus hat ein Geheimnis, für das ihn ein großer Teil der Gesellschaft nicht akzeptieren würde, du findest es raus, du willst mehr darüber wissen, und indem du ihn ausfragst, erkennt er, dass du nur neugierig bist und ihn immer noch genauso magst wie vorher". „Also soll ich Remus fragen und nicht dich?", schlussfolgert Sirius. „Genau. Ich hab doch selbst keine Ahnung von dem Thema".
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