𓆈 7. Kapitel 𓆈 Ein neues Zuhause
Amelies Lider waren schwer wie Blei, aber sie wollte und konnte einfach nicht den zweiten Flug ihres Lebens verpassen. Jetzt, da ihre Mutter bei ihr war und sie in einer Sänfte flogen, statt im halsbrecherischen Abenteuer-Modus, konnte sie viel mehr von der magischen Welt unter ihr bestaunen als zuvor. Sie flogen tief unter den Wolken, aber für Amelie war es schwindelerregend hoch.
Tausendwasser war wirklich der richtige Name für das, was sie sah. Die Stadt erstreckte sich rund um einen gewaltigen See und seine Oberfläche glitzerte in der Morgensonne wie ein verwunschener Spiegel.
Wasserfälle, so viele, dass Amelie bald den Versuch aufgab, sie zu zählen, stürzten sich von allen Seiten hinab und trennten die winzigen, kunterbunten Bauten, die rund um den See in den terrassenartigen Hängen und Felsen verteilt waren.
Auf dem Rücken eines Drachens sah die Welt da unten aus wie ein winziges Legospiel, das cooler war als alles, was Amelie je hätte bauen können. Überall spannten sich kleine, schimmernde Brücken über die Wasserfälle, aber dort ,wo sie fehlten, flogen die Gestalten von Drachen über die tobenden Wassermassen.
In der Richtung, in die sie flogen, schloss sich die riesige Gebirgswand und Amelie erkannte aufgeregt viele eierförmige Gebilde, die sich an das Felsgestein schmiegten und aus den umgebenden Wasserfällen hinausragten. Ihre Kristall-Oberfläche reflektierte schon von weitem das Sonnenlicht und brach es in strahlend bunte Regenbogenfarben, die ihnen entgegenfunkelten. Die Gebilde hingen hoch über dem See und am Fuß der Bergwand erstreckten sich ein ganzes Dorf auf Stelzen in das kleine Meer hinein. Dort, wo See und Berg sich trafen, glänzte ein Kolosseum, wie es Amelie von den Bildern des alten Roms kannte. Nur war dieses hier anscheinend aus purem Gold. Aufgeregt deutete sie darauf und ihre Mutter lächelte. „Das ist dein neues Zuhause. Dort wohnt ihr Schüler." Amelie schüttelte nur ungläubig den Kopf.
Je näher sie kamen, desto mehr Drachen mit ihren Reitern kamen ihnen entgegen. Manche flogen viel tiefer und Amelie konnte die vielen unterschiedlichen Kleider, Sättel und Muster auf den Rücken der Drachen bewundern. Manche kamen ihnen auf Augenhöhe entgegen und ihre Mutter wurde von allen Reitern respektvoll gegrüßt. Manche der Drachen waren riesig und schwer beladen mit Gepäck, andere waren gerade so groß, dass ein Mensch zwischen ihre Schultern passte.
Jedes Mal, wenn eines der riesenhaften Flügeltiere sich näherte, hielt Amelie den Atem an und duckte sich ein wenig hinter ihre Mutter. Sie waren so unterschiedlich, dass die einzige Gemeinsamkeit, die Amelie ausmachen konnte, die Tatsache war, dass sie fliegen konnten. Der Luftstrom um sie herum veränderte sich schon Minuten bevor ein Drache an ihnen vorbeiflog.
Als der elfenbeinfarbene Waran ihrer Mutter seine Schwingen ausbreitete und zum Landen ansetzte, schwindelte Amelie vor lauter Eindrücken. Sie versuchte gerade zu begreifen, dass sie unter einem walförmigen Riesendrachen hindurchgetaucht waren, an dessen Bauch eine Kabine wie bei einem Zeppelin befestigt war. Dutzende Kinderhände hatten Amelie gewunken und verdutzt hatte sie zurück gewunken.
Seine Flügel waren so astronomisch gewesen, dass es für einen kurze Zeit stockfinster war, während sie unter seinen Flügeln hindurchgeflogen waren.
Der absinkende Drachenkörper unter ihr brachte sie zurück ins Hier und Jetzt. Ihr Herz rutschte in ihren Bauch wie jedes Mal, wenn Amelie in einem Fahrstuhl nach unten fuhr, und sie versuchte, sich nicht zu übergeben. Sobald der Drache zum Stillstand kam und seine Flügel sich zusammenfalteten, drehte sich ihre Mutter um und erkannte schnell die Ursache, der würgenden Geräusche hinter sich. Sie packte ihre Tochter unter den Achseln und sprang mit einem einzigen Satz durch die Luft.
Dass ihre Mutter sie wie eine Heuschrecke durch die Luft katapultierte, half ihrem Magen nicht. Keine Sekunde, nachdem sie festen Boden unter ihren Füßen spürte, erbrach sie sich auf den glitzernden Pflasterstein.
„Flugkrankheit", bekundete ihre Mutter mit einer Mischung aus Missbilligung und Mitleid und klopfte ihr auf den Rücken. „Sehr verbreitet unter Jungbändigern, aber mit Übung wird es besser. Ich verspreche dir, dass es den meisten deiner Mitschüler auf dem Hinflug passiert ist", munterte sie Amelie auf und reichte ihr ein besticktes Seidentuch.
Amelie wischte sich den Mund ab und sah sich mit schwummrigen Beinen um. Sie waren auf einer runden Plattform zwischen zwei Wasserfällen gelandet. Ein fein geschwungenes Geländer aus Kupfer umrandete die Plattform und dort, wo sie in den Berg überging, erhob sich eine gebogene Wand aus Glas und Kristall. Ein älterer Mann mit Zipfelbart, der so lang war, dass er über den Boden schleifte, eilte herbei und ein brauner Dackel dackelte ihm hinterher. Während der alte Herr in dem farblosen Overall ihr Erbrochenes aufwischte und seinen Lappen in einem Bottich auswrang, starrte sie verständnislos den Dackel an. Ein Dackel, hier. Mitten in dieser verrückten Welt.
„Komm Amelie, wir müssen zum Sekretariat", erinnerte sie ihre Mutter und Amelie riss sich los. Sie wunderte sich schon nicht mehr, dass der Waran neben ihr zusammenklappte und einen Herzschlag später wieder ein weißer Schäferhund war. Die anderen beiden Schäferhunde glitzerten seit ihrem Abflug in Form von zwei Broschen an der Brust ihrer Mutter. Sie eilte ihr hinterher, in Richtung des großen Glastors in der Kristallwand.
Amelie legte den Kopf in den Nacken und bestaunte die vielen Stockwerke an kunstvoll verzierten Glastüren. Ein Netzwerk an Brücken entfaltete sich über ihr, das das eiförmige Gebäude mit weiteren entlang der Felswand verband und sich über Wasserfälle und Felsvorsprünge bis weit hoch in die Wolken schlängelte.
Überall waren Kristallkugel und Kristalleier, die aus dem Berg ragten und Drachen jeder Art flogen von einem Tor zum anderen. Amelie wollte nicht glauben, dass das Gebäude waren, aber die Fenster und Türen und Brücken sprachen eine eindeutige Sprache. Hier lebten Menschen.
Mit klopfendem Herzen und schwitzigen Händen betrat sie die Eingangshalle und ließ sich ein weiteres Mal von dem Anblick überwältigen. Überall flogen winzige Drachen - Funklinge, wie sie jetzt wusste - umher. Sie flogen, meistens mit einer Schriftrolle beladen, auf und ab, verschwanden zwischen Flügeltüren und tauchten wieder auf, schossen empor und schlängelten sich durch das Slalom an Brücken, die die Plattformen im Inneren des hohen Gebäudes verbanden. Sie sahen aus wie schwebende Teller, höher und höher versetzt übereinander gestapelt.
Hier und da wanderten Kinder in den gleichen Overalls, wie Amelie ihn trug, über die Brücken und unterhielten sich. Erwachsene, die anhand der vielen Schriftrollen, die sie trugen, eindeutig Lehrer sein mussten, gingen nebeneinander, nur um urplötzlich von einer Plattform einen halsbrecherischen Sprung in die Tiefe auf die Ebene darunter zu wagen und dann weiter zu schlendern, als hätten sie gerade nicht sämtliche Gesetze der Physik gebrochen.
Amelie zupfte am Umhang ihrer Mutter, damit sie ihr diese unmenschlichen Sprünge erklärte, doch die wedelte nur ungeduldig mit der Hand und zog sie an den Empfang. Es war ein sichelförmigen Tresen, der in der Mitte des Erdgeschosses stand und hinter dem ein noch sehr jung aussehender, schwarzhaariger Schüler saß. Seine Brille verzierten links und rechts Drachenflügel und seine Finger ließen in Blitzgeschwindigkeit eine Schreibfeder umherwirbeln. Sobald er Amelies Mutter erblickte, wurden seine Augen groß wie Uhren. Seine Feder fiel im aus der Hand, ließ sie liegen und stand stramm.
"Ehrenwerte Kabinettsvorsitzende Sturzflug! Welch Ehre!", keuchte er und verbeugte sich gleich viermal, bevor er nervös an seiner Brille fummelnd fragte: "Was bringt Euch hierher?" Sein Blick fiel auf Amelie, die sich sofort hinter ihrer Mutter versteckte.
"Wo ist Madame Federschwung?", fragte ihre Mutter kühl und Amelie wunderte sich, was der arme Junge falsch gemacht hatte, dass ihre Stimme so herablassend war. "Sie hat sich vor einer Woche die Brandpocken eingefangen", stammelte der Junge mit der gleichen dunklen Haut.
"Direktorin Leuchtfeuer hat sie auf Kur geschickt, ich glaube nach Blütenwalde." An seiner Brust steckte eine Brosche, die Amelie an die Orca-Brosche von Elli Wildfang erinnerte, doch statt einem Orca war es eine Eule in der Mitte des goldenen Ringes.
Ihre Mutter schnaubte zur Antwort. "Und du bist die Vertretung?" Der Junge nickte. "Sehr wohl, Kabinettsvorsitzende." Daraufhin bekam er einen weiteren missbilligenden Schnauber ab. "Jetzt überlässt Leuchtfeuer schon Jungbändigern die Verwaltung unserer Schule, so weit sind wir also gekommen", knurrte sie und Amelie sah den Jungen rot wie eine Clownsnase anlaufen. Seine Unterlippe zitterte und er rückte noch einmal seine Brille zurecht. Er holte tief Luft und stotterte dann mit Schweißperlen auf den Schläfen: "Verzeihen Sie, Kabinettsvorsitzende, aber ich bin kein Jungbändiger mehr."
"Ach?" Ihre Mutter sah auf ihre Fingernägel und ihre Stimme machte deutlich, wie uninteressant diese Information für sie war. Der Junge wurde noch roter. "Ich bin Bändiger der dritten Stufe!" Amelie wusste nicht, was das bedeutete, aber es klang eindrucksvoll. Anscheinend nicht für ihre Mutter.
Sie sprach weiter, als hätte sie nichts gehört. "Ich bringe meine Tochter. Sie ist auf dem Schulweg verloren gegangen, weswegen ich der Schuldrachen-Amme noch einen Besuch abstatten werde. Weise meine Tochter ein und sorge dafür, dass sie heute um 8 Stunden nach Mittagsruf wieder hier ist."
Und noch bevor Amelie sie aufhalten konnte, marschierte sie mit ihrem Schäferhund durch die Halle und verschwand in einer der Seitentüren.
Ich hab dich auch lieb, Mama, dachte Amelie enttäuscht.
Ratlos sah sie zu dem Jungen auf, der ein ganzes Stück größer war als sie und bestimmt einige Jahre älter. Er kratzte sich im Nacken und tupfte sich mit einem Tuch die Stirn ab, dann sah er zu ihr über den Tresen. "Na dann wollen wir mal", rang er sich ein Lächeln ab und holte eine Schriftrolle hervor. Er glitt mit der Federspitze über das Papier. "Sturzflug, Amelie. Hier ist es. Tatsächlich, du bist die Einzige, die ich noch nicht abgehakt habe." Er machte einen Haken und holte eine weitere Schriftrolle hervor. Sie war mit einem knallblau gefärbten Leder umwickelt und mit einem goldenen Siegel verschlossen.
"Hier steht alles drin, was du wissen musst, bevor es los geht. Ich rufe jetzt einen Funkling, der zeigt dir den Weg in dein Quartier." Er nahm eine kleine, spiralförmige Pfeife, die um seinen Hals hing, und pfiff hinein. Amelie hörte nichts, doch wenige Sekunden später landete ein Vogel mit feuerfarbenem Gefieder auf dem Tresen. Als sie genau hinsah, entpuppte sich der Vogel als eine Art Reptil, das statt Haut oder Schuppen mit Federn bedeckt war. Er machte ein klickendes Geräusch, streckte seine Flügel und gab damit den Blick auf die Unterseite der Schwingen frei. Statt Federn war dort eine dunkle Haut, die sich zwischen den Flügelknochen spannte.
Amelie begann zu ahnen, wie viel sie über Drachen noch lernen musste. Und das ließ ihren Bauch vorfreudig kribbeln.
"Wie heißt er?", fragte sie verzückt und wollte ihn streicheln, da fiel ihr die Reaktion der alten Frau ein und zog die Hand zurück. Der Junge sah auf. "Er hat keinen. Wir geben Drachen keinen Namen", sagte er mit einem Tonfall, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Amelie schwieg schockiert. Haustiere ohne Name? Ihr Herz sank ein Stück. Sie sah den feurigen Funkling an und gab ihm im Stillen den Namen Flammi.
Sie verabschiedete sich von dem Sekretär, der ihr noch seinen Namen Aziz verriet, und folgte dem süßen Federwesen aus dem Glastor hinaus. Die königsblaue Schriftrolle umklammert, begann der Abstieg über die zahlreichen Brücken, von denen eine schöner und filigraner verziert war als die Nächste.
Amelie streckte die Finger aus und ließ die Gischt der Wasserfälle ihre Haut kitzeln. Das Wasser toste in ihren Ohren wie ein betörendes Orchester.
Sie musste sich ein wenig beeilen, denn Flammi glitt von Brücke zu Brücke nach unten, wobei sie mühsam außen herum laufen musste. Während sie über die geschwungenen Brücken lief, sah sie immer wieder nach unten ins Tal, wo die kleine Stadt auf Stelzen und das goldene Kolosseum immer näher kamen. Im See glitten Boote umher und hier und da sah Amelie riesige Schatten unter der Wasseroberfläche.
Als sie endlich vor dem eindrucksvollen Torbogen ankamen, der den Eingang zum Kolosseum bildete, stand Amelie vor lauter Schweiß den Wasserfällen in Nichts nach. Sie war zu erschöpft, um die schlangenartigen Drachenfiguren zu bewundern, die ihre Flügel zu einem Dach verkreuzten und schlurfte einfach ihrem gefiederten Freund hinterher.
Der kleine Drache führte sie springend und gleitend durch das Eingangstor und dann mehrere Gänge entlang, deren Wände golden schimmerten und in die Zeichnungen von Drachen und anderen Tieren eingraviert waren.
Amelie gähnte immer wieder, aber ihr Herz schlug schnell und hektisch. Sie war die Letzte. Alle waren schon da und sie musste mitten in eine Schar unbekannter Kinder hineinplatzen. Ihr Nacken tat weh vor lauter Anspannung.
Nach ein paar Rundgängen flatterte Flammi auf die Klinke einer Holztür in der Wand. In die Mitte war ein Symbol hineingeschnitzt worden, ein leerer Goldring mit Sternen rundherum.
Amelie schluckte. Sie hörte viele verschiedene Kinderstimmen hinter der Tür und wollte am liebsten auf dem Absatz kehrt machen. Flammi legte seinen Kopf schief, flappte mit den Flügeln und machte sich nach seinem erledigten Auftrag auf den Rückweg. Beklommen sah ihm Amelie hinterher.
Na toll, wieder allein.
Sie verfluchte ihre Mutter dafür, sie schon wieder einfach irgendwo abgestellt zu haben, um dann ohne eine Erklärung zu verduften.
Sie atmete tief ein, strich ihre Schweißhände an der Uniform ab und trat ein.
Der Lärm erstarb und dutzende Kinderaugen guckten ihr entgegen. Und statt die turmhohen Decken oder die Kristallfenster zu bewundern, die Hängematten, die übereinander hingen oder die reich gefüllten Obstschalen, sah sie nur Eines.
Den rothaarigen Jungen auf der ersten Hängematte.
Johannes.
------
sooo da sind wir hehehe! (⸝⸝ᵕᴗᵕ⸝⸝) Ein kurzes Kapitel, eine kleine Abwechslung!
Ich habe den Punkt erreicht und dachte mir, dass es eigentlich ein herrlicher Schluss für ein etwas entspannteres Kapitel ist <3 ❀⸜(˶' ˘ '˶)⸝❀
Aber ich habe einfach so eine Vorfreude gehabt, es hochzuladen und wollte nicht warten
hihi (˃̣̣̥ヮ˂̣̣̥)
DANKEEE FÜR EURE LESEFREUDE!! ⸜(。˃ ᵕ ˂ )⸝⋆˙⟡♡
Eure Hannah
CREDIT: Das Bild über dem Kapitel ist mal wieder von @blackwing24 auf Deviantart/Twitter <3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro