𓆈 6. Kapitel 𓆈 Willkommen in Tausendwasser!
Amelie kam es vor, als hätte sie Jahre geschlafen. Als wäre sie auseinandergebaut und neu zusammengesetzt worden. Sie spürte ihre Fingerspitzen nicht und sie war nicht sicher, ob ihr Kopf noch an der richtigen Stelle saß.
Sie blinzelte.
Um sie herum tanzten tausend Farben bunt durcheinander. Grelle Lichtpunkte ploppten hier und da auf, nur um zu verschwinden und in einer anderen Ecke wieder aufzutauchen.
Eine unbekannte Melodie schwebte durch ihren Geist, aber sie war wunderschön und Amelie seufzte genüsslich. Ihr Atem war tief und langsam. Die Luft, die sie einatmete, war glasrein und frisch wie Quellwasser.
Sie blinzelte noch einmal und streckte ihre Hand aus, in der Suche nach einem Halt oder einer Orientierung.
Ihre Erinnerungen wollten noch nicht aufholen. Was war passiert? Sie war in diesem Hinterhof gewesen und Johannes... Er hatte den Baseballschläger in der Hand... Minna...
Irgendjemand berührte ihre Hand und Amelie zuckte zusammen. Sie riss die Augen auf und sah hinter weißen Flecken ein verschwommenes Gesicht. Sie erkannte es nicht und bekam Angst.
"Keine Angst", hörte sie die fremde Stimme flüstern. "Du bist sicher." Amelie wollte protestieren, aber sie hatte noch keine Kontrolle über ihren Körper. Das Gesicht wurde langsam schärfer und die Farben ordneten sich wieder so, wie sie es gewohnt war. Es war ein älteres Gesicht. Ein blaues Bandana. Eine große Narbe.
Plötzlich kehrten ihre Erinnerungen mit einem Schlag zurück und sie setzte sich kerzengerade auf. Sofort wurde ihr schwarz vor Augen und Übelkeit erfasste sie. "Sch, sch, immer ruhig mit den jungen Nestlingen", beschwichtigte die gleiche Stimme und Amelie sah zur Seite. Jetzt erkannte sie das Gesicht. Es war Elli. Elli Wildfang. Freundin ihrer Mutter. Sie lächelte Amelie freundlich an und stand dann auf.
Ihr Kopf wurde langsam klarer und sie sah sich um. Sie war in eine Art Kellergewölbe. Die Decken waren sehr hoch und alles leuchtete in einem warmen Licht. Die Wände bestand aus glitzerndem Felsgestein. Überall um sie herum waren die kristallartigen Kapseln aufgereiht und ihre Deckel standen offen. Dutzende verwirrte Kindergesichter saßen genauso verdutzt und beunruhigt in ihren Lagern.
Amelies direkte Nachbarn waren noch nicht aufgewacht. Das Mädchen auf ihrer Rechten wimmerte und verzog das Gesicht, während sie immer wieder den Mund öffnete, als wolle sie schreien. Hat sie einen Albtraum? fragte sich Amelie besorgt und beugte sich hinüber. Ihre Stirn war ganz verschwitzt und ihr kurzes, schwarzes Haar klebte an ihren Schläfen.
Amelie berührte ihre Schulter. "Hey." Das Mädchen stöhnte und drehte sich herum. Amelie rüttelte fester. "Hey, wach auf. Wir sind da, alles ist gut", beteuerte sie und sah erleichtert, wie das Mädchen die Augen aufriss. Das Mädchen, das so zierlich aussah, als könnte eine unsanfte Berührung sie zerbrechen, sah sich panisch um. Ihre Brust hob und senkte sich so schnell, dass Amelie sich beunruhigt umsah, ob ein Erwachsener in der Nähe war.
Sie sah Elli Wildfang an einem der vielen Torbögen stehen. Sie unterhielt sich mit dem ernsten Blonden, der auch auf Dock 3 bei ihr gestanden hatte. Sie war zu weit weg, um sie zu rufen, also suchte Amelie weiter und fand eine alte Frau in einem schlichten Kleid, die weiter hinten durch die Reihen ging. Sie hatte eine eindrucksvolle Flechtfrisur, die wie ein Korb geflochten war und mitten drin saß eine sandfarbene Katze.
Amelie musste grinsen. Wie verrückt.
Bei jedem Kind blieb die alte Dame stehen und redete leise mit ihnen. Amelie warf einen Seitenblick auf das zierliche Mädchen neben ihr, das immer noch atmete, als wäre sie von einem bösen Geist besessen. Es war ein schrecklich kratziges Keuchen.
"Entschuldigung, wir brauchen Hilfe!", rief Amelie und winkte der Frau mit großen, hektischen Armschwenkern. "Hier!", rief sie nochmal, als die alte Frau in die falsche Richtung guckte. Endlich drehte sie sich um und kam quälend langsam auf sie zu geschlichen, während das Mädchen neben ihr anfing, sich zu erbrechen.
Glücklicherweise entschied sich die Katze, ihrer Besitzerin vorauszueilen und kam mit ein paar zielsicheren Sprüngen über die Kapseln bei dem Mädchen an. Ohne zu zögern legte sie sich um den Hals des Mädchens und ringelte sich wie ein Schal um ihre schmalen Schultern.
Erst erstarrte das Mädchen, doch kaum einen Augenblick später, entspannte sie sich sichtlich und ihr Atem beruhigte sich. Sie schloss die Augen und seufzte.
"Danke", hauchte sie und wollte die Katze streicheln, da rief die alte Frau: "Nicht anfassen!" und beeilte sich, die letzten Schritte zu ihnen zu kommen.
"Du könntest sie verwandeln, meine Liebe", keuchte sie und hob ermahnend ihren runzligen Zeigefinger. Ein Mosaik an goldenen Ringen baumelten von ihren Ohren. "Fasse nie einen Drachen an, der dir nicht gehört." Die Augen des Mädchens wurden groß. "Ein Drache?" Besagter Drache in Katzenpelz sprang von ihren Schultern zurück in die Frisur seiner Herrin. Amelie beobachtete die Katze fasziniert.
Hunde... jetzt konnten Drachen sich also auch in Katzen verstecken. Amelie hatte einen Wirbelsturm aus Fragen im Kopf, doch die alte Frau war erst einmal beschäftigt, das arme Mädchen sauber zu machen. Sie lächelte Amelie schüchtern zu.
"Danke fürs Wecken", sagte sie und ergriff die Hand der alten Dame, um aus der Kapsel zu steigen. "Ich bin übrigens Dhuni." Amelie lächelte zurück. "Ich heiße Amelie." Dhuni winkte im Gehen und gemeinsam gingen die Beiden zu Elli Wildfang hinüber, die ihr ein sauberes Bündel Kleider überreichte.
Da merkte Amelie, das ein ähnliches Bündel auf der Decke über ihren Beinen lag. Sie schnürte es gerade auf, als Elli Wildfang mit stolzer Haltung und feierlich ausgebreiteten Armen durch die Reihen schritt und verkündete: "Willkommen in Tausendwasser, werte Jungbändiger! Es war eine lange Reise und Ihr habt es geschafft!" Alle Kinder schienen wach und hörten ihr mit großen Augen zu.
"Ihr alle in diesem Raum kommt aus der Außenwelt und habt noch nie etwas von unserer wundersamen Welt gehört." Ihre Augen waren fast weiß und leuchteten voller Energie. "Und heute seid ihr endlich nach Hause gekommen!" Plötzlich schossen kleine Funken und Glitzer aus ihren Händen und die Kinder machten staunende Ooohs und Aaaahs. Amelie sah verzaubert, wie der Glitzer zur Decke hochstieg und verpuffte.
Elli kicherte. "Ich liebe dramatische Auftritte, müsst ihr wissen. Allerdings war das nicht ich, seht her." Sie streckte ihre Finger deutlich sichtbar in die Luft und Amelie erschrak, als sie sah, dass aus Ellis Silberringen eine Art Dampf austrat und aus dem Dunst winzige, fingergroße Echsen hervorkrochen. Doch statt Vorderbeinen hatten sie filigrane, ledrige Flügel mit winzigen Klauen, mit denen sie sich um ihre Finger wanden und schlangen und dann auf ihren Fingerspitzen Platz nahmen.
Ihre mikroskopisch kleinen Köpfe drehten sich umher, wie um die Kinder zu begrüßen. Jeder von ihnen schillerte in unterschiedlichen Farben, von grün und blau zu rot und lila.
"Das, meine Lieben, sind Funklinge. Die kleinste und unkomplizierteste Drachenart." Amelie keuchte auf, als Ellis Drachen plötzlich verschwunden waren und stattdessen nur noch die Ringe übrig blieben. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Das war Magie! Sie kam sich albern vor, aber trotzdem zwickte sich Amelie kurz in den Arm. Es tat weh und sie wachte nicht auf. Also träumte sie wirklich nicht!
"Ich möchte euch am liebsten gleich alles erklären, aber das ist nicht meine Aufgabe, fürchte ich." Sie lachte und drehte sich, damit sie sich gleichzeitig an alle Kinder wenden konnte. "Eure Lehrer werden euch das alles noch beibringen. Allerdings-" Ihre Mundwinkel zuckten vorfreudig. "ist es meine Aufgabe, euch sicher zur Schule zu bringen. Dafür müsst ihr all euren Mut zusammennehmen, denn hier im Regental gibt es nur eine Art der Fortbewegung."
Sie breitete abermals die Arme aus und dabei schwoll auf einmal eine leise, dramatische Musik von irgendwo her an. "Und das ist per Drache!" Aus ihren Ringen tauchten wieder die kleinen Drachen auf und schossen Funken, kleine Flammen und glitzernde Flocken. Und die kleine Melodie schwoll zu einer Fanfare an. Amelie wollte unbedingt wissen, woher diese Musik kam und sah sich so lange um, bis sie eine Bewegung an Ellis Gürtel bemerkte.
Das musste der Ursprung der Melodie sein, denn gerade als die Musik endete, klappte das kleine Wesen sein Mäulchen zu. Es war in etwa so groß wie die anderen Funklinge, allerdings hatte es viel längere Beine, einen Hals, der sich aufblähte wie bei einem Frosch und um seinen Kopf herum hatte es mehrere fächerartige Hauptlappen, die Amelie an eine Klapperschlange erinnerten. Als es mit seinem Ständchen fertig war, schleckte es sich einmal mit einer dunklen Zunge über die Augen und war verschwunden. Da, wo es sich gerade eben noch an den Gürtel geklammert hatte, baumelte eine kleine Flöte.
Amelie wollte ihre Entdeckung sofort jemandem erzählen, also drehte sie sich zu ihrer Nachbarin um, die auf der Kante ihrer Kapsel saß und ganz und gar nicht so begeistert aussah wie sie. "Dhuni!", versuchte sie es trotzdem. "Hast du den kleinen Drachen gesehen, der die Musik gemacht hat?" Sie konnte nicht verhindern, dass sie vor Aufregung ganz quietschig klang. Dhuni blickte nicht einmal auf, sondern knöpfte an der Kleidung herum, die sie bekommen hatte. Das kleine Mädchen war ganz blass und nickte nur abwesend.
Amelie verspürte einen schmerzhaften Stich. Vielleicht wollte Dhuni gar nicht ihre Freundin sein. Sie wollte nachfragen, aber ihr Kontaktversuch wurde von Ellis nächster Ankündigung unterbrochen.
"Ihr findet alle vor euch eine Garnitur, die ihr behalten könnt. Sie ist Teil eurer Garderobe für die Schule und ihr braucht sie, um auf die Drachen steigen zu können. Bitte zieht euch alle hurtig um, damit wir gleich aufbrechen können!" Sie klatschte in die Hände wie ein Fußball-Coach. "An der Innenwand eurer Transport-Kapsel findet ihr einen Hebel, durch den sich ein Vorhang auffaltet. So habt ihr ein bisschen Privatsphäre", fügte sie noch hinzu, dann verschwand sie durch den Größten der Torbögen, während der blonde Kollege noch wartete.
Amelie bildete sich ein, dass sowohl Elli, als auch jede andere Person, die sie seit dem Abstieg in die Kanalisation getroffen hatte, einen seltsamen Akzent hatte. Nicht jeder war gleich und der von Dhuni war besonders stark, aber trotzdem fragte sie sich, woher die Akzente stammten und ob sie alle aus dem gleichen Land kamen.
Sie fand den bronzenen Hebel und tatsächlich: Als sie ihn hinunterdrückte, entfaltete sich ein dünnes Metallgestell im Oval um sie herum und ein Vorhang rollte sich nach unten aus.
Aufgeregt zog sie sich ihren Pullover und Jogginghose aus und entfaltete die strahlend blaue Garnitur. Es war ein schulterfreier Ganz-Körper-Anzug ohne Ärmel und kupferfarbene Drachenköpfe waren als Knöpfe überall angenäht. Er sah der Uniform der Erwachsenen ganz ähnlich. Sie schlüpfte hinein und war erleichtert, dass der Stoff sich mühelos dehnte und sich an ihre Statur anpasste. Die Innenseite der Hosenbeine waren dick gepolstert und auch der Rücken fühlte sich besonders stabil an. Viele praktische Taschen und Lederbänder mit Haken und Schlaufen zierten den Overall.
Als sie den letzten Knopf zuknöpfte, durchströmte sie ein Gefühl von Stolz. Sie kam zwar überhaupt nicht hinterher und alles war verwirrend und beängstigend, aber es war zu aufregend, um nicht davon mit geschwemmt zu werden. Sie wollte mehr wissen, mehr sehen und endlich Klarheit darüber haben, was hier vor sich ging.
Sobald sie aus der Kapsel gestiegen war, wartete ein Paar wunderschöner, kniehoher Stiefel auf dem Boden neben ihrer Kabine. Amelie zog sie sich ehrfurchtsvoll an und war begeistert, dass sie perfekt passten. Die Sohle war biegsam und die Spitze war nicht rund, sondern zehenförmig, sodass sie jeden Zeh flexibel bewegen konnte. Begeistert machte sie ein paar Probesprünge und genoss das Gefühl des Materials, das sich wie eine zweite Haut anschmiegte.
Als sie merkte, dass die Kinder um sie herum bereits den Keller verließen, band sie die blauen Schnüre bis zu den Knien hoch und wartete dann auf Dhuni, die noch nicht fertig war. Besorgt beobachtete sie das Mädchen. Ihre braune Haut schimmerte vor Schweiß und ihre Finger zitterten im Versuch, die Schnüre richtig zu binden.
"Kann ich dir helfen?", fragte Amelie vorsichtig und Dhuni sah mit glasigen Augen zu ihr hoch. Sie nickte. Amelie bückte sich zu ihr und sobald sie fertig war, nahm sie Dhuni an die Hand und machte sich mit ihr auf den Weg nach draußen, während sie ihr Mut zusprach. Der Griff ihrer neuen Freundin war so fest, als würde sie sich an einer rettenden Klippe festhalten.
Hinter dem Torbogen ging eine breite Treppe nach oben, die sie gemeinsam mit den anderen Nachzüglern hocheilten. Kaum traten sie ins Tageslicht, bot sich ihnen der nächste überwältigende Anblick.
Auf einem weiten offenen Platz warteten die Drachen, die Elli angekündigt hatte. Amelies erster Impuls war, sofort zurück in den Keller zu fliehen. Dutzende Dinosaurier mit Flügeln so groß wie ganze Segelschiffe und schweren, breiten Körpern standen in einem Kreis. Ihre Köpfe waren gesenkt und das Geräusch ihrer riesigen Brustkörbe, die sich mit Luft füllten und sie wieder ausatmeten, war so laut wie der Berufsverkehr in Amelies Heimatstadt. Sie hatten breite Nackenschilder, zwei lange, gebogene Hörner und eine spitze Schnauze. Sie erinnerten Amelie an die Triceratops aus dem Geschichtsunterricht.
Die Sonne stand recht tief, als hätte der Tag erst begonnen. In der Nacht musste es geregnet haben, denn jetzt im Morgenlicht stieg dichter Nebel und Dampf von den glitzernden Steinplatten auf. Amelie konnte bis auf die massigen Gestalten der Drachen und den Menschen nicht wirklich mehr erkennen außer die wagen Umrisse von Gebäuden. In der Ferne rauschte Wasser.
"Aufsitzen, Jungbändiger!", rief Elli über den Platz und mehrere Erwachsene, die wie Amelie feststellte, alle ähnlich dunkle Haut und schwarze Haare hatten wie Elli, Dhuni und die alte Frau, halfen den Kindern auf die Rücken der Drachen.
Amelies Magen zog sich zusammen, als sie die winzigen Kinderkörper hoch oben in den Schulterblättern der Riesen beobachtete. Wie ein Vogel auf dem Rücken eines Elefanten.
Ein athletischer Mann mit finsterem Blick und Glatze kam direkt auf Amelie und Dhuni zu. Als er sprach, hatte auch er diesen fremdartigen Akzent. "Drei Kinder pro Drache. Du gehst da rüber, da ist noch ein Platz frei.", sagte er grob zu Dhuni und zeigte auf einen grün und bräunlich gefärbten Drachen, der ganz in der Nähe stand. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und schubste sie die Richtung, bevor er sich an Amelie wandte.
"Es geht nicht ganz auf. Du wirst alleine auf dem hier fliegen." Seine Stimme war kalt und hart und Amelie duckte sich unter seinem finsteren Blick. "Die Drachen werden von Elli Wildfang und Juma Silberklinge kontrolliert, du musst also nichts tun, außer dich festzuhalten", erklärte er sachlich, während er Amelie zu dem Drachen führte, der ganz am Ende des Halbkreises stand.
Ein ungutes Gefühl schlich sich in Amelies Bauch, als sie auf den behornten Kopf zuging. Eines der beiden Hörner war abgebrochen. Die Augen, die ihr entgegenstarrten, zuckten hin und her und fixierten Amelie mit einer Intensität, die sie zurückweichen ließ. Doch der Mann neben ihr, grunzte ungeduldig und sie ging zögerlich weiter zu seiner Seite, wo ein hohe Sprossenleiter aus Holz stand.
"Du gehst rauf, legst dich auf den Bauch und hältst dich an den Griffen fest. Ich fixiere deine Gurte." Damit nickte er ihr zu und erwartete, dass sie eilig auf diesen geflügelten LKW stieg. Aus Angst, dass er seine Geduld verlieren würde, stieg sie dann doch hinauf.
Die Treppe kam ihr ewig lang vor. Immer höher und höher kletterte sie in den nebligen Dunst und spürte unter sich das Auf-und Ab des Drachenatems. Ihr Herz schlug wie wild, während sie über die ledrige Haut kletterte und sich schließlich in einen länglichen Sattel mit vielen Ringen und Gurten zog.
Wie angewiesen legte sie sich auf den Bauch und ergriff zwei schlaufenartige Griffe, die weiter oben im Sattel links und rechts dicht an den Schulterblättern des Drachen befestigt waren. Der Sattel schmiegte sich stabil an ihren Körper. Ihre Beine waren leicht angewinkelt und die Zehenstiefel gaben ihr einen sicheren Halt in den Einkerbungen des Sattels.
Rings um sie herum war die Lederhaut des Drachens mit tiefen, dunklen Rissen durchzogen. Als der Mann zu ihr hochgestiegen war und die vielen Gurte mit ihrem Overall verzurrte, fragte sie ihn, warum die Haut des Drachens so zerfurcht war. "Narben", antwortete er knapp und stieg kurz darauf wieder hinunter.
Narben. Das Wort jagte Amelie einen Schauer über den Rücken.
Direkt vor ihr war in das dicke Materials des Sattels eine Art Amulett eingelassen. In der Mitte prangte ein Edelstein, der schwach leuchtete. Immer wieder flackerte der kaum sichtbare Schein auf, nur um gleich wieder zu verblassen.
Amelie runzelte die Stirn und versuchte, einen Blick auf die anderen Drachen zu erhaschen. Hatte die anderen auch so einen flackernden Stein? Doch der Nebel war so dicht, sie konnte kaum etwas erkennen, außer die riesenhaften dunklen Umrisse der Urtiere.
Wieder sah sie zu dem Edelstein. Er hatte mehrere dünne Risse. Amelie bekam Bauchschmerzen und ihre Hände wurden ganz schwitzig in den Griffen. Irgendetwas beunruhigte sie zutiefst, aber sie konnte einfach nicht sagen, was.
"ACHTUNG! ALLE FESTHALTEN, ES GEHT LOS!", dröhnte Ellis Stimme durch den Nebel.
Ein Beben ging durch die Erde und der Drache unter ihr kam in Bewegung.
Rund um sie herum fingen die Kinder an zu schreien und Amelie schrie mit.
Sie kniff vor Angst die Augen zusammen. Der schwere Körper unter ihr wankte nach links und rechts und mit jedem Schritt, den die gewaltigen Hinterbeine machten, wurde Amelies Körper durchgerüttelt. Ihr Kiefer klapperte. Sie spürte, wie sich die Wirbelsäule des Drachen schlangenartig hin und her wand. Die Schritte wurden schneller und ihre Hände an den Griffen verfolgten jede kraftvolle Bewegung der Schulterblätter. Sie hörte, wie der Wind umhergeschoben wurde und riesige Luftmassen den gewaltigen Flügeln nachgaben, während die Arme des Drachen immer schneller über den Boden eilten, bis sie sich plötzlich mit einem Ruck entfalteten.
Amelie keuchte auf, als sich der Drache unter ihr langsam aufrichtete und der Wind immer stärker über sie hinweg fegte. Es pfiff und sauste und ihre Ohren wurden eiskalt.
Dann mit einem Schlag sackte der Oberkörper in die Tiefe. Amelie schrie aus ganzem Hals. Alles vibrierte und Amelie spürte die geballte Kraft, die sich gegen die Schwerkraft stemmte. Es war, als würde die Zeit für einen Augenblick einfrieren. Dann explodierten sie in die Höhe.
Amelie war wie in einem Rausch. Es war überwältigend. Das Jaulen des Windes, der an ihr zerrte, als wolle er sie aus dem Sattel reißen. Die Flügelschläge, die durch ihren ganzen Körper wallten. Die Hitze, die sich in ihren Fingern und Zehen und dann im ganzen Körper ausbreitete. Die mächtige Energie, die sich durch die Luft pflügte.
Ihr Kopf wurde ganz still und friedlich. Alles in ihr kam zur Ruhe. Und gleichzeitig hatte sie sich noch nie so lebendig gefühlt.
Für eine Weile badete sie einfach in der Wucht der Elemente, bis sie sich traute, die Augen zu öffnen.
Zum ersten Mal begriff sie wirklich, dass sie in einer neue Welt war.
Sie flogen nicht hoch, aber höher, als Amelie sich je erträumt hatte, zu sein. Tiefe Wolkenfetzen jagten an ihr vorbei. Obwohl sie nicht wirklich nach unten sehen konnte, - der Rücken des Drachens war einfach zu breit und die Flügel waren so riesig, dass sie fast alles um Amelie herum verdeckten - blitzten immer wieder unter ihr die Dächer von Häusern auf. Türme aus Kristall flogen an ihr vorbei und überall waren Wasserfälle.
Ihr Herz machte einen Sprung, als die Drachen höher stiegen und sie einen Blick auf die Anderen über den riesigen Nackenschild ihres Drachen erhaschen konnte. Sie flogen in einer Reihe hintereinander, Amelie war die Letzte. Sie konnte einfach nicht fassen, diese gewaltigen Flügel und langen Schwänze durch die Luft gleiten zu sehen. Die winzigen Pünktchen in ihren Schultern waren kaum als Menschen auszumachen.
Auch ihr Drache glitt nun in die Luftströmung und ließ sich höher und höher tragen. Amelie konnte spüren, wie der massige Körper weniger gegen die Schwerkraft ankämpfen musste und von dem dampfenden Winden emporgehoben wurde. Die Flügel wurden ganz still und flappten nur noch in Zeitlupe. Doch jeder Flügelschlag war so kraftvoll, dass Amelie weiterhin durch die Schulterblätter wie in einer langsamen Achterbahn auf- und abgesenkt wurde.
Amelie sah nach links und rechts und nutzte die Stille der Flügel, um endlich mehr zu sehen. Ihr kleines Herz konnte all die Eindrücke kaum verarbeiten. Um sie herum ragte eine gewaltige Bergkette auf, deren Spitzen nicht einmal zu sehen waren. Ein dichter Wolkengürtel hüllte sie ein und sie kam sich, selbst hier oben auf dem Drachen, so winzig vor im Antlitz der steinigen Giganten. Immer wieder sah sie in der Ferne Gestalten, die weitere Drachen sein mussten.
Plötzlich schüttelte ihr Drache seinen riesigen Kopf und sein Rücken krümmte sie schlagartig. Amelie schrie erschrocken und klammerte sich so fest sie konnte an den Sattel. Seine Flügelschläge wurden schneller und ein durchdringendes Geräusch, das irgendwo aus der Tiefe der riesigen Drachenbrust hervordrang, grollte durch ihren Körper.
Vor ihr flackerte der Stein und mit einem lauten Knacks vertieften sich die Risse.
Amelie konnte nichts tun als mit eingefrorenem Körper und angehaltenem Atem auf das Amulett im Sattel zu starren. Krrrrrkk. Ein neuer Riss tauchte auf. Ein kleiner Splitter löste sich, der Wind erfasste ihn und schoss ihn an Amelie vorbei. Er traf ihre Wange und ein beißender Schmerz durchfuhr sie. Ihr Herz wollte vor Panik aus ihrer Brust springen.
Der gewaltige Körper unter ihr drehte auf einmal ab und sie sah aus dem Augenwinkel, dass er aus der Reihe ausbrach, während die anderen weiter geradeaus flogen. Sie wollte schreien, aber die Angst erdrosselte jeden Laut.
Vor ihr erlosch das Licht des Edelsteins. Eine Sekunde später zerbrach er komplett und die Bruchstücke flogen davon.
Der Drache stieß ein markerschütterndes Röhren aus. Es ging Amelie durch Mark und Knochen. Sie kniff die Augen zu und klammerte sich mit aller Kraft an den Sattel. Die riesigen Flügel falteten sich zusammen und augenblicklich beugte sich der ganze Vorderkörper in die Tiefe. Amelie kreischte.
Wäre sie nicht festgeschnallt, wäre sie hinauskatapultiert worden und in die Tiefe gestürzt. Stattdessen rauschte sie nun auf dem Rücken des Drachens im Sturzflug nach unten. Sie kreischte, doch der Wind trug ihre Stimme so schnell fort, dass sie sich selbst nicht hörte. Alles donnerte und vibrierte um sie herum.
Sie spürte wie der Drache sich unter ihr bewegte, sich um sich selbst drehte, plötzlich nach links, dann nach rechts kippte. Und sie als Geisel wurde erbarmungslos mit geschleudert. Wasser peitschte in ihr Gesicht und das Dröhnen eines riesigen Wasserfalls trommelte durch ihren Kopf. Dann wurde jede Luft aus ihr gepresst, als sie plötzlich wieder nach oben schossen.
Amelie verlor jedes Zeitgefühl. Eine komplette Leere ergriff Besitz von ihr. Ihr Bewusstsein war wie erstarrt und hielt den Atem an. Sie war sich sicher, dass sie jeden Augenblick sterben konnte.
Ein gewaltiges Krachen zersplitterte die Geräuschkulisse und ein brutaler Stoß jagte durch Amelies Wirbelsäule. Wieder und wieder donnerte der massige Drachenkörper gegen etwas und Steinbrocken flogen um sie herum. Schmerz pochte in jeder ihrer Zellen und ihre Hände brannten höllisch.
Als der Drache erneut nach rechts schwang und auf eine riesige Felswand zusteuerte, packte Amelie die eisige Erkenntnis: Er wollte sie loswerden. Er wollte sie zerquetschen.
Sie schloss die Augen und erwartete den Aufprall.
Ein grelles Kreischen zischte durch die Luft und im gleichen Herzschlag legte sich ein schwarzer Schatten über sie. Ein massiver Ruck erfasste den Drachen und riss sie herum. Das Geräusch der brüllenden Drachen explodierte in ihren Ohren. Sie wurden zur Seite geschleudert und rauschten wie ein Stein in die Tiefe.
Amelie wurde schwarz vor Augen und der Druck in ihren Ohren verschloss sie von der Außenwelt. Alles war still und für einige Augenblicke hörte sie nur noch ihren eigenen, galoppierenden Herzschlag.
Dann schlugen sie auf. Der Drache kreischte und Amelie bekam keine Luft. Vor ihren Augen tanzten weiße Blitze und ihr Kopf wurde umhergeschleudert. Gerade als sie drohte, das Bewusstsein zu verlieren, kam der Drache zum Stehen und für einen kurzen Moment konnte Amelie nach Luft schnappen.
Sie öffnete die Augen. Vor ihr schüttelte sich der riesige Kopf und sie wurde gleich mit geschüttelt. Dann drehte er seinen Kopf gerade soweit, dass die lodernden Reptilienaugen Amelie direkt ansahen.
Hass. Blanker Hass traf sie mit so einer Wucht, dass Amelie aufschrie.
Sie hörte wie etwas durch die Luft pfiff und sie dann mit voller Wucht in die Seite traf. Die Gurte wurden in Fetze gerissen, bevor der Schmerz in ihrer Seite explodierte. Sie wurde aus dem Sattel geschleudert und schlug einen Herzschlag später auf.
Für ein paar Sekunden umhüllte sie die Bewusstlosigkeit und beschützte sie vor weiterem Schmerz.
Dann kam sie wieder zu Sinnen. Über ihr sah sie eine riesige Klaue, die auf sie niedersauste. Sie schrie aus ganzem Hals und spürte, wie der Boden unter ihr zersplitterte. Er hatte daneben getroffen. Da öffnete sich das Maul des riesigen Drachen. Sie sah die gewaltigen Hauer und wusste, was kommen wurde.
Doch es kam nicht dazu. Wie aus dem Nichts schossen geflügelte Wesen heran und umwickelten blitzschnell das riesige Maul. Überall um sie herum kamen Menschen und Drachen herbei und überwältigten vor ihren Augen den riesigen Drachen. Ketten schlangen sich um seinen Hals, seine Hörner, seine Flügel. Der Boden bebte unter dem Brüllen und Kreischen des Drachens und Amelie spürte jeden einzelnen in ihrem geschundenen Körper.
Sie schloss die Augen und wollte alles ausblenden. Es war alles zu viel.
Jemand packte sie und zog sie fort, fort von dem Lärm und dem Chaos. Stimmen überall. Besorgt, aufgeregt.
Sie wurde hochgehoben und spürte Wärme um sich. Kurz darauf drückte sich der sanfte Stoff einer Matratze gegen ihren Rücken und eine Hand legte sich auf ihre Stirn. Augenblicklich trat alles in den Hintergrund und der Schmerz verflog. Ihr Atem beruhigte sich und sie konnte die Augen öffnen.
Eine Frau. Dunkle Augen in einem Muster voller Tattoos. Sie sah angespannt aus. Als Amelie ihre Augen wieder schloss, ertönte ihre knisternde, rauchige Stimme. "Hey, bleib wach, Süße. Hiergeblieben." Sie öffnete die Augen wieder und bekam dafür ein schiefes Lächeln von der Frau. "So ist's gut." Die Hand war immer noch auf ihrer Stirn und je länger sie die schuppige Haut spürte, desto klarer und ruhiger wurde sie.
"Was... was ist passiert?", krächzte sie und wollte sich umsehen, doch ihr Nacken war steif wie ein Brett. Die Frau schob ein Kissen unter ihren Kopf. "Du bist mit einem Schildhorn abgestürzt. Sieht aus, als wärst du von der Akademie." Sie fuhr mit ihren Händen über ihren Körper und überall, wo sie ihre Hände auflegte, ließ der Schmerz nach. Dankbar seufzte Amelie.
"Du siehst noch so jung aus. Bist du eine Jungbändigerin? Warum bist du auf einem hochklassigen Drachen gewesen?"
Amelie kam nicht ganz hinterher. "Ich... wir... wir waren auf dem Weg zur Schule", stammelte sie und stöhnte. Ihr Kopf pochte wie verrückt.
"Auf dem Weg zur Schule?", fragte die Frau erstaunt. Sie entfernte sich kurz und kam wieder. "Etwa zur Einschulung? Ach verbrannter Drachenmist." Sie knurrte fast wie ein Tier. "Dann tauchen die Goldmasken bestimmt gleich auf." Sie legte ihr einen kühlen Lappen auf die Stirn.
"Ich muss die Leute vorwarnen.", sagte sie knapp, verschwand aus ihrem Sichtfeld und fluchte. Eine Tür fiel ins Schloss und Amelie war allein.
Das war ihr ganz recht. Sie wollte einfach nur Ruhe. Einfach weg von Drachen und Drachenmenschen und dieser ganzen, beängstigenden Welt.
Nur kurze Zeit später kam die Frau wieder und Amelie schluchzte erleichtert, als sie das vertraute Gesicht ihrer Mutter erkannte. Sie sah ganz blass aus und ihre Augen waren schreckgeweitet. "Mama!", krächzte Amelie und streckte die Arme nach ihr aus. Kaum war ihre Mutter bei ihr, brach sie in Tränen aus. "Mama", schluchzte sie und war so erleichtert, den Tränen freien Lauf zu lassen. "Mama, wo warst du?" Sie klammerte sich so fest sie konnte in den Stoff ihres Mantels und spürte, wie ihre Mutter sie ganz fest an sich drückte.
"Es tut mir so leid, Amelie. Ich... ich...", flüsterte sie in ihr Ohr und verstummte. Amelie schluchzte umso heftiger. Amelie weinte und weinte, bis sie vor Erschöpfung nur noch schniefen und zittern konnte. Ihre Mutter hielt sie lange in den Armen.
Irgendwann hob sie sie hoch und trug sie aus dem düsteren Zimmer. Dort warteten die drei weißen Schäferhunde ihrer Mutter und der vertraute Anblick beruhigte Amelie. Sie zuckte zusammen, als einer der Schäferhunde sich vor ihren Augen auflöste und sich in einen elfenbeinfarbenen Waran verwandelte. Er war riesig und füllte die Holzhütte fast komplett aus. Seine Vorderbeine gingen in gekrümmte, schuppige Flügel über und die Flügelhaut spannte sich bis zu den Hinterbeinen.
Die Frau mit den vielen Tattoos und ein ebenfalls bemalter Mann hoben mithilfe mehrerer kleiner Drachen und zwei Leitern einen Sattel auf den geflügelten Waran. Der Sattel sah aus wie eine kleine Sänfte mit Bett. Sie zurrten das Geschirr rund um die breite Brust und hinter den Flügeln zu und legten noch eine Decke in die Sänfte. Dort legte ihre Mutter sie hinein und erst jetzt, als sie ihre Tochter vorsichtig zudeckte, merkte Amelie, dass ihre Augen in leuchtende Grüntönen schimmerten. Das erschrak sie, denn ihr Leben lang, hatte ihre Mutter stumpfe, braune Augen gehabt.
"Ruh dich aus, meine Kleine", sagte sie und klang dabei angespannt und abwesend. Sie wandte sich eilig ab und Amelie sah ihr hinterher. Sie redete leise mit den beiden anderen und Amelie konnte sie gerade noch verstehen.
"Ihr habt nichts gesehen. Ich war nicht hier und bin nur gekommen, um meine Tochter zu retten, verstanden?" Die beiden grinsten verschlagen. "Klar, Chefin. Wie immer", brummte die Frau und winkte lässig mit der Hand. "Kannst' uns vertrauen, weißte doch", fügte sie noch mit einem Zwinkern hinzu und streckte de Zunge raus. Amelie kauerte sich tiefer unter die Decke, als sie die durchbohrte Zunge sah. Es war eine Art goldene Kralle, die sich quer über die Zunge erstreckte.
Sie wollte weg von hier.
Struppig aussehende Streuner schlichen um die Füße der beiden und knurrten angriffslustig die beiden Schäferhunde und den weißen Waran an. Ihre Mutter ballte die Fäuste und rümpfte die Nase. "Mach das nochmal und ich schneide dir die Zunge raus, Kali", sagte sie hinter zusammengebissenen Zähnen und so leise, dass Amelie es beinahe nicht gehört hatte. Aber sie hatte es gehört und verstand die Welt nicht mehr. Ihre Mutter würde nie so etwas sagen.
Kali lachte schallend, als wäre es ein Witz gewesen. Ihr Lachen war rau wie Stein. "Ich merk's mir, Chefin."
Ihre Mutter machte auf dem Absatz kehrt und unter ihr setzte sich der Drache in Bewegung. Sie verließen die Holzhütte durch ein hölzernes Tor und Amelie drehte sich zur Seite, um besser sehen zu können. Sie waren auf eine Art Marktplatz. Ein dreckiger, düsterer Marktplatz und nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Ihre Mutter stolzierte in ihrer prächtigen Kleidung durch die schlammigen Gassen wie ein weißer Pudel durch einen Sumpf. Hier und da sah Amelie leuchtende Augenpaare, die sie aus den Schatten verfolgten, doch kaum hatte Amelie geblinzelt, waren sie schon wieder verschwunden.
Die Gegenstände, die verstreut auf der Straße oder in den halb leeren Marktständen hingen, sahen aus wie verwunschene Zutaten für Hexentränke. Alle Arten von halb verfaulten Pflanzen, trübe Glasflaschen in Lederbändern, dunkle Truhen und eine Vielzahl leerer Käfige.
Amelie zog die Decke über den Kopf und hörte ihrem pochenden Herzen zu. Wo war sie? Warum hatte ihre Mutter sich so seltsam verhalten? Sie war so erschöpft und wollte nichts lieber als schlafen. Aber sie war zu aufgewühlt, also starrte sie dem dunklen Stoff ihrer Decke entgegen und lauschte.
Eine ganze Weile waren nur die schweren Schritte des Drachens und das Flatschen im Schlamm zu hören. Hier und da hörte sie Geräusche, die sie nicht einordnen konnte. Dann mischten sich auf einmal schlagartig aufgeregte Stimmen und mächtige Flügelschläge in die Stille. Sie spürte die Vibrationen, die durch den Boden und den Drachen bis zu ihr drangen und sie lugte unter der Decke hervor. Um sie herum landeten dutzende von Drachen in unterschiedlichen Größen. Auf ihnen saßen Menschen, die für Amelie eindeutig wie Krieger aussahen. Sie trugen goldene Masken, ihre Kleidung war dunkelblau und an vielen Stellen mit kupfernen Schuppen verstärkt. Jeder von ihnen trug Waffen. Schwerter, Speere, Messer, Bögen und mehr.
Sie sprangen bereits mehrere Meter über dem Boden ab und landeten ohne einen Kratzer, die Waffen kampfbereit gezückt.
Amelie versteckte sich hinter der Brüstung der Sänfte und beobachtete, wie ihre Mutter stolzen Hauptes den Kriegern entgegenschritt. Ein großer Mann mit einer goldenen Wolfsmaske salutierte. "Ehrenwerte Kabinettsvorsitzende, eine Ehre, Sie hier anzutreffen. Was ist vorgefallen?", fragte er und sah sich um. "Wir haben die Meldung bekommen, dass ein Schuldrache außer Kontrolle geraten und hier abgestürzt ist."
Ihre Mutter nickte und schritt an ihm vorbei, sodass er zu ihr aufschließen musste. Die restlichen Krieger scharrten sich abwartend um sie. "So ist es, Hauptmann. Und ich frage mich, wie so etwas überhaupt passieren konnte. Es war meine Tochter, die dadurch in Lebensgefahr gebracht wurde! Ein Glück, dass ich rechtzeitig zur Stelle war!" Sie schäumte sichtlich vor Wut. Der Hauptmann sah über die Schulter. "Konnten sie den Drachen binden? Irgendwelche Zeugen?"
Ihre Mutter schnippte ungeduldig mit dem Finger und ließ eine schwere Kette aus großen Kristallen in die Hand des Hauptmanns fallen. "Hier haben sie ihn. Ich erwarte, dass er unschädlich gemacht wird. Das war ein Mordversuch an meiner Tochter." Der Hauptmann nickte. "Und die Zeugen? Sollen wir die Unfallstelle-" "Sie kennen den Schwarzmarkt. Sobald jemand von uns auftaucht, ist das Nest ausgeflogen. Ich bezweifle, dass Sie etwas erreichen."
Der goldene Wolf sah noch einmal über die Schulter, dann zuckte er mit den Schultern. "Tja, ich fürchte, Sie haben Recht, Kabinettsvorsitzende. Dann werde ich den Schuldrachen zu Direktorin Leuchtfeuer bringen. Sie wird entscheiden, wie mit dem Drachen verfahren wird." Ihre Mutter knurrte. "Sorgen Sie dafür, dass diese Frau einsieht, was für eine Gefahr er darstellt, verstanden?" "Jawohl, wie Ihr befehlt."
Damit drehte er sich um und rief seinem Bataillon einen Befehl zu. "Aufsitzen! Einsatz ist beendet!" Er nahm Anlauf und mit einem gewaltigen Satz sprang er an die Seite seines schlanken Drachens, der von oben bis unten mit stachligen Schuppen übersäht war. Dort ergriff er einen Ring an seinem Sattel und mit einem weiteren Sprung saß er hoch oben in seinen Schulterblättern. Voller Staunen und Bewunderung sah Amelie der Kriegerschar zu, die voller Eleganz aufsprangen und in einem Wirbel aus bunten Flügeln abhoben. Der Schwarm stob davon und das Geräusch der schlagenden Flügeln resonierte noch lange in ihren Ohren.
Ihre Mutter atmete aus und sah zu hoch zu Amelie.
"Dann wollen wir dich mal endlich zur Schule bringen."
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Ich bin so stolz auf mein Abenteuer, auf das ich euch einlade (*ฅ́ ˘ฅ̀*)♡ Bin so gespannt, wie es euch gefällt!! <3
Es war so eine Freude, es auf meinen heimgekehrten Laptop zu schreiben ( ⸝⸝'꒳'⸝⸝)
Viel Freude, beim Lesen und durch die Lüfte fliegen! ૮ ˶ᵔ ᵕ ᵔ˶ ა
Eure Hannah
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