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𓆈 3. Kapitel 𓆈 Eine Überraschung aus dem Wasserhahn

Amelie drückte ihre Stirn an die Scheibe der Limousine und ließ die Häuser entlang der Straße vorbeiziehen. Eines prunkvoller als das andere. Ihre Augen waren schwer vor Müdigkeit, aber ihr klopfendes Herz hielt sie wach. 

Ich werde dir alles erklären.

Was bedeutete das? Was wollte ihre Mutter ihr erklären? All ihre Fragen, die sie ihr Leben lang beschäftigt hatte? Warum sie so anders war und so vieles nicht tun durfte? Warum ausgerechnet jetzt?  Am liebsten wollte sie ihre Mutter gleich zum Reden bringen, aber sie wusste, dass das außerhalb der Villa aussichtslos war. 

Ihr Kopf schwirrte und sie war froh über die kühle Glasscheibe, auf der die Regentropfen zibbelnd und zappelnd ihre Wettrennen veranstalten. Immer wieder folgte Amelie einem bestimmten Tropfen und beobachtete ihn, wie er sich nach unten wiggelte. Manchmal traf er einen anderen Wassertropfen und verschmolz zu einem unförmigen Blobb, der zerfloss, sobald er den Rand des Fensters erreicht hatte. Das Prasseln auf dem Autodach beruhigte Amelie und sie gähnte. 

Als ihre Mutter den Wagen auf die gewundenen Straßen des Villenviertels Schöneberg lenkte, schaukelten die vielen Kurven sie langsam in einen erschöpften Schlaf. 

Wilde Wellen, riesige Hunde und die abwesenden Augen von Raffa zuckten durch ihre Träume. Immer wieder hallte das Lachen von Johannes schaurig durch ein Meer von dunklem Wasser.
Die Wassermassen rissen an ihrem Körper und sie spürte, wie ihre Lunge zusammengedrückt wurde. Sie bekam keine Luft. Sie versuchte, nach oben zu schwimmen, aber ihr Körper war bleischwer.
Es zog sie unaufhaltsam nach unten. Sie wollte schreien und spürte, wie sie drohte, aus dem Traum aufzuwachen, da beruhigte sich das Wasser plötzlich.
Wärme umfing sie. Mamas Duft nebelte sie ein und da war das Gefühl, in ihrem Armen zu liegen. Sie hörte ihren Herzschlag ganz nah. Friedlich sank Amelie tiefer in den Schlaf zurück. Und diesmal ließen die Albträume sie in Ruhe. 


Sie wurde von dem Duft von heißer Schokolade geweckt. Noch bevor sie die Augen aufschlug, lief ihr bereits das Wasser im Mund zusammen. Sie kannte die vertraute Note von Zimt, Orange und Ingwer seit ihren frühesten Kindertagen. Amelie streckte mit noch geschlossenen Augen die Finger nach ihrem Nachttisch und spürte die Hitze, die von der Tasse aufstieg. Sie tastete ein wenig nach rechts und fand mit einem Grinsen den üblichen Keks auf der Serviette, den sie sich sofort in den Mund steckte. Der Biskuit-Teig zerschmolz langsam in ihrem Mund und sie wünschte sich, ihre Mutter hätte ihre Haushälterin Madame Minna nicht verboten, ihr noch mehr zu geben. 

Als sie endlich ihre vom Schlaf verklebten Lider öffnete, erschrak sie kurz und hätte beinahe das Tablett vom Nachttisch gefegt. Eine Person stand neben ihrem Bett und beobachtete sie. Sobald sie das asiatische Gesicht von Madame Minna erkannte, plumpste sie zurück in ihre dicken Kissen.
"Minna, du hast mich erschreckt!", schnaufte sie und musste grinsen, als der vertraute schwarz-braune Kopf von Anais über die Bettkannte schoss. Sofort hatte sie eine schlabbrige, rosa Zunge im Gesicht. "Bwuää, Anaiiiiiasssslllwwl" Ihre Protest wurde von einer weiteren Schleckattacke vereitelt. Lachend schubste sie die große Hündin von sich und setzte sich auf. Die zierliche Madame Minna schüttelte tadelnd den Kopf, als Amelie mit dem Ärmel des edlen Nachthemds den Liebesbeweis von Anais abwischte. 

Frau Bauer wünscht Sie zu sehen, Fräulein Amelie, gestikulierte sie in Gebärdensprache und neigte höflich in einem Zeichen von Respekt den Kopf. Auf ihrer Schulter saß der schwarze Wellensittich, der sie überallhin begleitete. Amelie hatte ihn noch nie singen hören. Er war genauso stumm wie sein Frauchen. 

Einmal mehr fragte sie sich, wie sie in einem Haus voller Tiere leben konnte, in dem scheinbar niemand Tiere mochte. Weder die Hunde ihrer Mutter noch der Wellensittich von Minna, noch das Pferd, das im Stall neben der Villa stand, wurden gut behandelt. Eher als wären sie entweder Luft oder lästig. Sie wurden gefüttert und das war es auch schon.

Amelie nickte, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Ihre gute Laune hatte einen ordentlichen Dämpfer bekommen. Es war eben nur ein Traum gewesen. Ihr reales Zuhause war ein kaltes Schloss mit einsamer Prinzessin. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Mutter sie jemals ins Bett getragen hatte. Wahrscheinlich war es Minna gewesen, die sie aus dem Auto ins Schlafzimmer gebracht hatte. 

Minna verließ mit einem angedeuteten Knicks das Zimmer und kurz darauf hörte Amelie ihre Schritte im Treppenhaus klicken und klacken. 

Wie sehr sie sich wünschte, Minna wäre herzlicher zu ihr.  In den Zeiten der unzähligen Geschäftsreisen ihrer Mutter war sie die einzige Seele in diesem viel zu großen Haus. Doch die größte Form der Zuneigung, zu der sie im Stande war, war jeden Tag pünktlich eben jene Tasse heiße Schokolade an ihr Bett zu bringen. Den Großteil der Zeit ertrug Amelie ihre Einsamkeit alleine in ihrem Zimmer. 

Wie um sie zu erinnern, dass sie auch noch da war, sprang Anais auf ihr Bett und legte sich längs auf ihre Beine. Ihre großen, nussfarbenen Augen sahen sie eindringlich an. Amelie schniefte und wischte sich über die Augen. "Danke, Süße. Vor dir kann ich nichts verstecken, hm?", flüsterte sie und gab der Hündin einen Stirnkuss. Anais stupste ihre Hand. "Jaja, ich steh ja schon auf.", grummelte sie und streckte sich ein letztes Mal, bevor sie ihre nackten Füße unter Anais hervorzog und auf den Teppichboden stellte. Sie genoss es jedes Mal, für einen kurzen Moment durch die watteweichen Büschel des Teppichs zu füßeln. Es erinnerte sie an flauschiges Hundefell. 

Eine Schnauze schob sich zwischen Bettrand und ihren Popo und schubste sie auf die Füße. Amelie kicherte und tapste mit Anais im Schlepptau zum Bad. Überrascht stellte sie fest, dass der Himmel hinter den turmhohen Fenstern tiefschwarz war und das Licht der Straßenlaternen die Fensterrahmen in ihr oranges Licht tauchten. Nochmal legte sie den Kopf in den Nacken und gähnte herzhaft, während sie nach dem Kleid griff, das gebügelt und gefaltet auf dem Hocker neben der freistehenden Badewanne lag.

"Wie lange habe ich geschlafen, Anais?", fragte sie die Dobermann-Dame, die wie ein Soldat neben der Tür saß und wartete. Sie hob die Ohren und legte den Kopf schief. Dann drehte sie sich einmal um sich selbst und bellte. Eilig stülpte sich Amelie das Kleid über den Kopf. Der Geruch nach frischem Waschmittel umhüllte sie. "Jaja, ich weiß. Zu lang." Noch die Unterwäsche und Hausschuhe, dann griff sie nach der Bürste und stellte sich vor den vergoldeten Spiegel, der vom Boden bis fast unter die Decke reichte. 

Mit schnellen Bewegungen zähmte sie ihr Haar und konnte den üblichen Anflug von Beklommenheit nicht verhindern. Jedes Mal, wenn sie sich selbst sah, fühlte sie sich unwohl. Sie war pummelig und das mochte ihre Mutter nicht. Deswegen war Amelie seit ihrer Kindheit auf Diät und hatte ein strenges Sportprogramm im hauseigenen Fitnessraum. Es war egal, dass es nicht funktionierte.
Ihr Haar war dreifarbig und das mochte ihre Mutter nicht. Seit Amelie ein Baby war, ließ sie den Friseur es in einem einheitlichen Braun färben. Sie hatte zwei unterschiedliche Augenfarben. Und auch das mochte ihre Mutter nicht. Deswegen trug sie Kontaktlinsen, damit sie beide blau waren. Eben damit sie ganz normal aussah, wie alle anderen. Wie sich das gehörte.  

Anais bellte wieder, lief zu ihr und stupste sie an. "Du kannst echt meine Gedanken lesen", grinste sie mit einem schiefen Lächeln. "Danke, dass du mich aus meinen Grübeleien rausholst." 

Sobald sie sich so zurecht gemacht hatte, wie ihre Mutter es für angemessen empfand, machte sie sich auf den Weg in den Speisesaal. Die Standuhr hatte ihr verraten, das es Zeit fürs Abendessen war. Dem Kalender nach war es noch der gleiche Tag, doch Amelie kam es vor, als läge ihr Abenteuer in der Schule schon Wochen zurück. 

Ihre Aufregung stieg mit jeder Treppenstufe. Sie hatte nicht vergessen, was ihre Mutter ihr angekündigt hatte. 

Der satte Duft einer reich gedeckten Tafel hing in den Fluren. Bis sie bei den monumentalen Flügeltüren des Speisesaals angekommen war, hatte Amelie schon ihren Lieblingseintopf und die Ramen-Suppe, die Spezialität von Minna, identifiziert. Trotzdem verschlug es ihr den Atem, als sie den Überfluss sah, der sich auf dem Esstisch türmte.
Frisches Obst bildete einen Turm in der Mitte mit lila schimmernden Trauben, die wie kleine Wasserfälle hinunter hingen. Duftende Töpfe und Bleche bedeckten jeden übrigen Zentimeter des Tisches, der groß genug war, dass eine ganze Schulklasse an ihm Platz nehmen konnte. Türmchen aus Porzellan ließen hier und da ein Dessert aus der Masse herausstechen.
Zahlreiche Kerzen erleuchteten den Raum.

Mit aufgeklappter Kinnlade ging Amelie staunend an der Tafel entlang zu ihrer Mutter. Sie wartete mit einem ungewohnten Gesichtsausdruck: Freude und Aufregung.

Amelie hatte ihre Mutter so lange nicht mehr so gesehen, es war, als säße eine andere Frau dort an der Stirnseite. Sie war wie immer makellos herausgeputzt. Ihr hüftlanges, schwarzes Haar war kunstvoll mit einer Goldkette verflochten und ein unauffälliges Diadem schmückte ihre Stirn. Ein tiefblauer Stein hing an einer Kette um ihren Hals und passte zu dem Abendkleid und ihren Damenhandschuhen. 

Zu ihren Füßen lagen wie immer ihre drei Schäferhunde und Anais legte sich in einigem Abstand hinter Amelies Platz. Hinter ihrer Mutter stand Minna abrufbereit und ihr Wellensittich bewegte sich genauso wenig wie sie. 

"Meine Liebe, du hast dir Zeit gelassen!" Amelie war überrascht, diesen Satz ausnahmsweise ohne Tadel zu hören und lächelte unsicher. Sie schob den Stuhl zurück und setzte sich, wobei ihr Blick auf ein besonders leckeres Tablett mit kleinen Schokotörtchen fiel. 

"Mama, mein Geburtstag war vor einer Woche. Du hast dich doch nicht im Tag geirrt?", fragte sie mit echter Besorgnis, dass das wirklich nur ein Missverständnis war.

Ihre Mutter schüttelte den Kopf und Amelie fühlte sich ganz leicht ums Herz, als sie die Lachfältchen um ihre Augen sah. "Nein, das hat alles seine Richtigkeit.", schmunzelte sie. Fragend hob ihre Tochter die Augenbrauen in der Erwartung, dass sie nun loslegen würde mit der angekündigten Erklärung. Aber ihre Mutter klatschte nur damenhaft in die Hände und sagte feierlich: "Na dann, genieß das Festessen! Heute wird gefeiert!" 

So sehr Amelie sich auf die Leckereien stürzen wollte, ihre Neugier war größer. Sie fasste ihr Besteck nicht an. "Bitte Mama", flehte sie. "Verrate mir endlich, worum es geht. Warum feiern wir? Was ist heute?" Sie konnte kaum stillsitzen und wackelte auf ihrem Stuhl nervös hin und her. 

Ihre Mutter senkte ihre Gabel, in ihren Augen spiegelten sich die Flammen der Kerzen. "Du hast keinen Hunger?" Ihre Tonfall war verschmitzt.

"Doch, doch! Aber-" Ihre Mutter lachte. Was für ein schönes, helles Geräusch das war. Vor Erstaunen wurde Amelie ganz still. Ihre Mutter hatte noch nie so gelacht. Dieser Tag war wirklich anders. 

Ihre Mutter winkte ausgelassen zu Minna hinüber. "Madame Minna, die Neugier meiner Tochter ist zu groß. Das hätte ich eigentlich wissen müssen." Sie stand auf. "Bitte stülpen sie nochmal die Deckel über die Platten, damit wir das Essen warm halten." 

Mit klopfenden Herzen stand Amelie auch auf und wartete, bis ihre Mutter bei ihr war und ihr die Hand auf ihre Schulter legte. 

"Aber hier können wir nicht reden", sagte sie und ihr Tonfall war plötzlich eine ganze Spur ernster. "Es gibt einen Raum, den ich dir schon immer zeigen wollte, aber ich musste warten, bis du alt genug warst. So sind die Regeln."
Sie nahm ihre Tochter an die Hand und Amelie trippelte aufgeregt hinter ihr her. Sie drückte ihre kleinen Finger fest um den Griff ihrer Mutter. Es war so selten, dass sie die Gelegenheit hatte, ihre Wärme zu spüren, sie wollte es auskosten. Die Hunde schlossen sich ihnen an. 

Sie hatten den Speisesaal gerade zur Hälfte durchquert, da fing plötzlich etwas an, lautstark zu piepen. Amelie zuckte vor dem durchdringenden Geräusch zurück und hielt sich die Ohren zu. Ihre Mutter holte etwas aus einer eingenähten Tasche in ihrem Kleid, das Amelie nicht erkennen konnte. Während sie darauf blickte, runzelte sie erst die Stirn, dann riss sie die Augen auf. In einer schnellen Bewegung steckte sie es weg und ging neben Amelie in die Hocke. 

"Amelie, es tut mir leid. Es ist sehr dringend und ich muss kurz weg.", erklärte sie knapp, stand auf und war eine Sekunde später zusammen mit ihren Hunden aus dem Speisesaal verschwunden. Die Flügeltüren wappten hin und her, als würden sie zum Abschied traurig winken. 

Madame Minna kam eilig herbei gestackelt. Beklommen las Amelie die Worte
Ich begleite ihre Mutter und verschließe die Tür. Bitte gehen Sie auf ihr Zimmer, bis wir zurück sind. Dann war sie auch verschwunden und Amelie war alleine im riesigen Saal. 

Verloren stand sie da und hörte ihrem eigenen Herzschlag zu. Anais winselte und legte sich nach einer Weile neben ihr auf den Boden. Amelie bewegte sich nicht vom Fleck, während langsam das schmerzhafte Gefühl in ihrer Brust anschwoll. Ihre Fäuste ballten sich und Tränen stiegen ihr in die Augen. Das war so typisch. Niemandem war sie wichtig. Es war egal, was sie fühlte und was aus ihr wurde. 

Sie fühlte sich wie das unwichtigste Häufchen Elend auf dem Planeten. 

Ein Schluchzer schüttelte ihre Brust und weitere wollten aus ihr herausbrechen, doch Amelie drückte sie wütend hinunter. Ihre Mutter mochte es nicht, wenn sie weinte. Sie wollte stark sein. 

Nachdem sie eine kleine Ewigkeit mit sich gekämpft hatte,  tappte sie zurück zur Tafel und ließ sich wieder auf ihren Stuhl plumpsen. Sie sah zu den Fenstern, die eine Seite des Saals wie eine Kirche aussehen ließen. Es war stockdunkel draußen und Regen klopfte immer noch an die Scheiben. Immer wieder fegte der Wind einen besonders prasselnden Schwall heran.

Die große Uhr über dem Kamin tickte. Tick, tock, tick, tock. Sie verhöhnte Amelie, dass das Leben auch ohne sie weiter ging. 

Sie wusste nicht, wie lange sie da gesessen hatte, bis sie endlich anfing, sich ihrem einsamen Abendessen zu widmen . Lustlos nahm sie sich nacheinander von allem ein bisschen und kaute gedankenverloren darauf herum. Die erlesensten Speisen schmeckten heute fade und Appetit auf ein Dessert fehlte ihr ganz. Ihr Inneres  war ein matschiger Sumpf voller Enttäuschungen. Ihr Herz schmerzte und sie wollte, dass es aufhörte. 

Nachdem sie die Lust verloren hatte, weiter zu essen, schlurfte sie zurück in ihr Zimmer. Wie jedes Mal kam sie dabei an einem der vielen Bildern vorbei, die überall im Haus verteilt waren. Es war ein quadratisches, imposantes Porträt, das am Ende der Treppe an einer der Säulen hing und ihren verstorbenen Bruder zeigte. 
Normalerweise beachtete sie die Bilder nicht und versuchte sogar, sie zu meiden. Doch heute schien es sie regelrecht herbeizurufen. Vielleicht war es ihr Gefühl von Nicht-gewollt-Sein, das es in ihr weckte. 

Sie stellte sich vor das Porträt und erwiderte den Blick des schwarzhaarigen Jungen, der ihr entgegen strahlte. Er blickte in die Kamera so offen und unerschrocken, dass Amelie Gänsehaut bekam, wenn sie es sah. Sie hatte ihn nie kennengelernt. Laut Madame Minna war er gestorben, als sie wenige Monate alt gewesen war. Ihre Mutter redete selten, eigentlich nie über ihn. Nur manchmal erwischte Amelie sie, wie sie mit einem Blick voller Wut und Schmerz vor einem der Bilder verharrte, sich dann schnell abwandte und davoneilte. 

Amelie berührte mit einer Hand die raue Oberfläche des Abbildes. "Warum hast du mir Mama weggenommen?", flüsterte sie erstickt und spürte das Verlangen, das Bild zu zerkratzen. "Ich werde dich nie ersetzen können. Ich werde nie gut genug sein."

Bevor der junge Mann, der ihrer Mutter so ähnelte, ihr beim Weinen zusehen konnte, lief Amelie fort in ihr Zimmer. Dort warf sie sich aufs Bett und ließ sich von Anais die Tränen vom Gesicht schlecken. Sie drückte dankbar ihre Nase dichter in das Fell der Hündin und weinte so lange, bis sie nicht mehr konnte. Anais drückte sich an sie wie eine beschützende Mauer gegen die grausame Welt und brummte immer wieder. Es war ein beruhigendes Lied, das Amelie irgendwann sanft in einen Schlummer begleitete und ihr versprach, das alles gut werden würde. 

Ihre Schlaf war traumlos und tief, solange, bis ein ohrenbetäubendes Krachen sie schlagartig wachrüttelte. Sie fuhr hoch und sah Anais, die mit großen Augen zum Fenster hinaus sah, wo Blitze den Nachthimmel durchzuckten. Es war ein verrückter Tanz und im Sekundentakt erhellte sich ihr Schlafzimmer und wurde von den Blitzen in silbernes Licht getaucht. Im Hintergrund grollte Donner. 

Amelie klammerte sich stärker an Anais. Sie mochte Regen, aber Stürme machten ihr Angst. Bei jedem Blitz und Donner zuckte sie zusammen und verkroch sich tiefer unter ihre Bettdecke. Wie eine wild gewordene Bestie tobte der Sturm und rüttelte an den Fenstern. Der Stoff ihrer Kissen konnte die Geräusche nicht dämpfen und Amelie fing an zu zittern. Wo war all ihr Mut hin, den sie in der Schule gehabt hatte? 

Als der Sturm auch nach einer halben Stunde nicht nachließ, hielt sie es in ihrem Zimmer nicht mehr aus. Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und machte sich in eine dünne Decke gewickelt auf den Weg ins Erdgeschoss. Vielleicht waren ja ihre Mutter und Minna schon zurück. Doch als sie unten ankam, war alles in Dunkelheit gehüllt und die einzigen Geräusche waren das entfernte Donnern und ihre eigenen Schritte, die durch die Flure hallten. 

Ein schwacher Lichtschimmer kam aus dem Speisesaal, also schlich Amelie hinüber, froh, dass Anais ihre Angst im Dunkeln ein bisschen minderte. Als sie die Flügeltüren öffnete, erkannte sie enttäuscht, dass auch hier niemand war. Es waren nur die Kerzen, die auf halber Höhe vor sich hinflackerten und die Reste des Abendessens bewachten.  

Die Blitze zuckten an den Fenstern vorbei, aber das Kerzenlicht strahlte ihnen entgegen, sodass der Raum nicht so gruselig erleuchtet wurde. Hier wollte Amelie lieber bleiben, als zurück in ihr Zimmer zu gehen. Vielleicht konnte sie ein Feuer im Kamin machen und sich davor kuscheln. Dann bekam sie auch eher mit, falls ihre Mutter zurückkam. 

Gemeinsam gingen die beiden an der langen Tafel vorbei zu dem gemauerten Kamin am Ende des Saales. Amelie sah links und rechts in den Nischen nach, doch nirgendwo war Feuerholz zu sehen. Sie stieß ein Seufzen aus und wollte sich schon einfach ins Dunkle setzen, da fand sie einen Knopf auf der Metallleiste neben der Feuerstelle. Neugierig drückte sie ihn und beobachtete entzückt, wie eine warmer Feuerschein hinter dem Kaminglas aufleuchtete. Das Geräusch von knisterndem Feuer vertrieb die Stille im großen Saal und gab ihr das Gefühl, nicht ganz so verloren zu sein. 

Sie kuschelte sich in ihre Decke und machte es sich auf den Fellteppichen vor dem Kamin bequem. Anais trottete einmal um den Esstisch auf der Suche nach etwas, das vielleicht auf den Boden gefallen war, doch als sie nichts fand, kam sie zurück zu Amelie, legte sich an ihre Seite und rollte sich zu einem Donut ein. Eine Weile lang hörte Amelie noch dem Feuer zu, wie es knackte und fauchte. 

Immer wieder dachte sie daran, dass sie beinahe eine Erklärung bekommen hätte, warum vieles in ihrem Leben so wenig Sinn machte. Sie hatte Jahre gebraucht, bis sie sich damit abgefunden hatte, einfach das zu tun, was ihre Mutter sagte und keine Fragen zu stellen. Und gerade heute, als ihre Mutter endlich reden wollte, war sie verschwunden. Das Gesicht ihrer Mutter tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Sie hatte so besorgt ausgesehen. Normalerweise, wenn sie so spontan auf ihre langen Geschäftsreisen aufbrach, war sie kühl und distanziert ihr gegenüber. Doch das heute hatte anders gewirkt. 

Bedrückt legte Amelie eine Hand auf Anais und versuchte, nicht mehr zu denken. Sie wollte einfach nur einschlafen und hoffen, das morgen alles anders werden würde. Sie kniff die Augen fest zusammen und konzentrierte sich auf den Hundegeruch in ihrer Nase. Der Bauch ihrer Beschützerin hob und senkte sich in einem langsamen Takt. 

Blib. 

Amelie grummelte und zog die Decke fester um den Kopf. 

Blib.

Sie verfluchte den Wassertropfen, der ausgerechnet jetzt irgendwo tropfen musste. 

Blib. 

Es war ganz nah. Wahrscheinlich das Marmorwaschbecken neben der Tür zu Küche, an der sich Minna immer die Hände wusch.

Blib.

Amelie wollte nicht aufstehen und rückte näher an den Kamin. 

Blib

Blib.

Blib.

Mit einem genervten Stöhner stand sie auf und schlurfte zum Waschbecken, dass in die Mauer des Speisesaals eingelassen war. Ein goldener Wasserhahn mit kunstvollen Verzierungen tropfte ihr munter entgegen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Hahn zuzudrehen und zog erschrocken die Hand weg, als ein kleiner Stromschlag ihre Fingerspitzen traf. Amelie trat verunsichert einen Schritt zurück. Alarmiert von ihrem Aufkeuchen kam Anais herbeigeeilt, den Schweif steil in die Luft und das Fell gesträubt. Sie fixierte den Wasserhahn und knurrte. 

Amelie tätschelte ihren Kopf. "Es war nur ein Stromschlag, nichts weiter.", beruhigte sie die Hündin, aber die knurrte weiterhin unbeirrt den Wasserhahn an. Zweimal versuchte Amelie, sie wegzudrücken, dann gab sie es auf und sah wieder zum Wasserhahn. Er tropfte immer noch. 

Es war nur ein Stromschlag, feuerte sie sich selbst an und wollte gerade erneut das kleine goldene Drehkreuz ergreifen, da bewegte es sich plötzlich von selbst. Mit einem Aufschrei sprang Amelie zurück und kauerte sich hinter Anais, die jetzt wild bellte und immer wieder mit ihren Vorderpfoten auf den Boden stampfte.
Mit angehaltenem Atem ließ sie den Griff des Wasserhahns nicht aus den Augen. Er drehte sich einmal. Zweimal. Dreimal. Die Wassertropfen wurden zu einem kleinen Rinnsal. Viermal. Fünfmal.  

Jetzt war er ganz offen und Wasser prasselte in einem kraftvollen Strahl ins Becken. Amelie konnte es nicht glauben. Der Wasserhahn hatte sich selbst aufgedreht. Eine ganz neue Art von Angst wallte in ihr auf. Der Wasserstrom versiegte und nur noch ein kleines Rinnsal blieb übrig.

Plötzlich erwartete sie,  dass eine gruselige Puppe könnte mit einem teuflischen Geheul aus dem Wasserhahn auftauchte. Sie kroch mit schweißnasser Stirn rückwärts. 

Doch aus dem Wasserhahn kam kein teuflisches Geheul. Eher ein glitschiges, quietschendes Flatschen. Flitsch, Glitsch, Flitsch, Glitsch. Es wurde lauter und Anais stellte sich grollend auf die Hinterbeine, ihre Vorderpfoten auf dem Rand des Waschbeckens. Was auch immer da im Wasserhahn war, würde direkt in ihr zähnefletschendes Maul plumpsen.

Flitsch. Bleb. 

Es klang, als wäre das Etwas stecken geblieben. Der Wasserhahn wackelte.

Flotsch.

Es hatte sich befreit und eine Sekunde später tauchte eine winzige, schwarze Kralle aus dem Loch des Wasserhahns auf. 

Amelie schrie. 

Anais packte den Wasserhahn und rüttelte heftig daran, dass das Wasser in alle Richtungen spritzte. Amelie hörte ein Quietschen und das Aufjaulen von Anais, dann kam ihr Wachhund mit eingezogenem Schwanz zu ihr gerannt und steckte den Kopf in ihre Armbeuge. Amelie wurde von Angst durchflutet. Was musste das für ein schreckliches Wesen sein, dass selbst Anais die Flucht ergriff?

Sie packte den Fellteppich, der am nächsten lag und warf ihn über sich und die Hündin. Sie kniff die Augen zusammen und hoffte, das dieses Etwas sie nicht finden würde. 

Stille kehrte ein. Amelie lauschte. Dann, nach ein paar Sekunden, hörte sie ein leises Trippeln. Neben ihr winselte Anais. Das Trippeln war so leise, dass sie es kaum bemerkte, als es kurz verstummte. Das Wesen war gesprungen und kam mit einem leisen Geräusch auf dem Boden auf.

Es war ganz nah. 

Amelie biss sich so fest auf die Lippen, dass sie Blut schmeckte. Ihre Hände krallten sich noch tiefer in die Decke und Anais' Fell. Da war wieder das Trippeln. Kurz entfernte es sich, dann kehrte es zurück und kam näher. 

Amelie traute sich nicht, zu atmen. Näher und näher trippelte das Wesen, bis es direkt bei Amelie war. Sie spürte, dass sich die Decke bewegte. Ihr Herz blieb stehen. 

Plötzlich schoss Anais vor, die Decke flog weg und Amelie sah gerade noch, wie ihr Maul sich um etwas winziges Schwarzes schloss, da jaulte die Hündin auch schon wieder auf und ließ das schwarze Etwas fallen. Doch diesmal rannte sie nicht weg, sondern kauerte sich davor nieder, die Schnauze dicht an dem fremdartigen Häufchen. Sie wedelte mit dem Schwanz und machte Geräusche, die Amelie von ihr nicht kannte. Es war eine Mischung zwischen Winseln und aufgeregtem Bellen. 

Jetzt, wo Anais wieder mutig war, traute sich auch Amelie ein wenig näher zu robben und wollte einen Blick auf den Störenfried werfen. Immer noch galoppierte ihr Herz in ihrer Brust herum, doch die Neugier half ihr, bis neben Anais zu kriechen, wo das schwarze Wesen bewegungslos verharrte. 

Als sie es endlich im Halbdunkeln erkennen konnte, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Es war kein Monster. Es war eine Eidechse. Sie war gerade einmal so groß wie Amelies Hand und hatte zwei glänzende, schwarze Knopfaugen, die sie unverwandt anstarrten. Ihre winzigen Krallen waren gebogen und ihre Schuppen spiegelten den feurigen Schein der Kerzen und des Kamins. 

Amelie hatte keinen blassen Schimmer, wie mitten in der Nacht eine Eidechse in einem Wasserhahn landen konnte, aber sie war zu fasziniert von dem Reptil, um sich darüber Gedanken zu machen. Sie war versucht, seine winzigen Schuppen zu streicheln und streckte die Hand aus. Die Eidechse folgte ihrer Bewegung und sprang plötzlich mit einem Satz auf ihren Finger. 

Amelie zog erschrocken die Hand zurück, doch die Eidechse hielt sich gut fest und als das Mädchen wieder still hielt, sperrte es sein kleines Mäulchen auf und ließ etwas Feuchtes in ihre Handfläche rollen. 

Amelie hatte keine Zeit, um es anzusehen, denn die Echse warf einen Blick auf die Uhr über dem Kamin, - oder bildete Amelie sich das ein? - sprang zurück auf den Boden und krabbelte in Windeseile zurück zum Waschbecken. Mühelos erklomm sie die Mauer, trippelte auf den Wasserhahn und verschwand in der Öffnung. Ein paar Sekunden später strömte wieder Wasser in das Marmorbecken. 

Die Uhr gab mit einem sanften Gong Bescheid, dass es Punkt Mitternacht war. 

Verdutzt starrte Amelie den laufenden Hahn an, bis die Schnauze von Anais sie daran erinnerte, dass sie etwas in der Hand hielt. 

Sie nahm es zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt es ins Kerzenlicht. Es sah aus, wie die winzigen Schriftrollen aus Glückkeksen. Sie schob einen Nagel dazwischen und schob es auseinander. Entgegen jeder Erwartung entrollte sich ein großes Stück Papier, das so groß war, wie eine Seite aus ihren Schulbüchern. 

Anais streckte ihren Kopf neben ihren, als wolle sie mitlesen. 

Ungläubig entzifferte sie den Titel, der in einer wunderschön geschlungenen Schrift ganz oben stand.

Hoheitliche Berufung in die Schule der Drachenkünste von Tausendwasser - Sonderbrief für Einschulung auswärtiger Schüler und Schülerinnen.


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aadfjlaskdfj hab noch schnell fertig geschrieben, bevor ich gehen muss, sind wahrscheinlich noch ein paar Rechtschreibfehler drin <3 LOVE YOUU 

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