Wilma weiß heute nicht so ganz, wo hin mit sich.

Sie geht spazieren und ruft dabei eine Freundin aus Leipzig an und telefoniert zwei Stunden lang mit ihr, bis es zum Spazierengehen langsam zu kalt wird. Als sie dann auflegt und zuhause ankommt, fühlt sie sich aber immernoch rastlos. Also ruft sie noch eine Freundin an, die aus Berlin, und sitzt am Schreibtisch und telefoniert mit ihr, bis die Sonne untergegangen und es richtig dunkel ist. Noch nie hatte Wilma auf ihren Möbeln und an ihrer Zimmerwand den ganzen Abend so genau das Dunklerwerden beobachtet. Irgendwie ist das ein neues, schönes geborgenes Gefühl. Und das Telefonieren mit den alten Freundinnen war wirklich schön.

Sie würde am liebsten der ganzen Welt erzählen, wie toll Matthes ist, aber kann es nicht. Doch das liegt nicht daran, dass die anderen sie nicht verstehen, sondern dass sie es schon nicht so in Worte fassen kann wie es ist, obwohl sie Worte doch so liebt und das eigentlich ihre Stärke ist.

Doch in letzter Zeit erlebt sie die Dinge ganz anders. Und sie erlebt auch sich selbst ganz anders. Überall dort in ihrem Heimatort, wo sie sonst eigentlich nie oder sehr wenig war, außer mit ihm, geht sie jetzt öfter hin. Die Parkbank am Waldrand, wo sie mit Marie nochmal hingegangen war um Sternenbilder anzusehen, die Parkbank in dem Park mit dem vom Haus verdeckten Sonnenuntergang, wo sie sich auch nochmal ganz alleine hingesetzt hatte, um nochmal so einen nicht sichtbaren Sonnenuntergang zu besichtigen. Es war komisch, noch nie zuvor hatte sie sich allein in einen Park gesetzt. Ein Mann mit einem Hund hat sie angesprochen, ob es okay ist wenn der Hund an ihrem Knie schnuppert oder ob sie Angst hat. Sie hatte den Kopf geschüttelt und fröhlich den jungen schwarzen Labrador gestreichelt. Dann war er aber an ihr hochgesprungen, wofür der Besitzer sich schämte und ihn wegzog. Wilma fand, das war gar kein Problem, doch sie verstand dass dem Besitzer das etwas peinlich war. 

Und eine alte Frau mit einem schönen blauen Hut und roten Haaren und einem gemütlichen Mantel hatte mit russischem Akzent zu ihr gesagt: So ein hübsches Mädchen. Keine Piercings oder so. Alles ganz natürlich, so schön.

Wilma hatte gelächelt, auch wenn sie fand dass man mit Piercings ebenso schön sein konnte. Doch wer weiss, warum die Frau das so empfand, und in dem Moment freute sie sich und war so freundlich, also war auch Wilma von Freude erfüllt. 

Auch eine junge Familie die an ihr vorbeilief grüßte sie. Wilma fand das toll, und sie hatte ja keine Ahnung, dass es so sein konnte, wenn man einfach mal eine Weile auf einer Parkbank saß, was man sonst nie tat. Alles war auf einmal so neu und anders. 

(Vielleicht war Wilma aber auch einfach nur einsam, auch schon vor Matthes, und hatte es bisher einfach nicht bemerkt, sondern erst, nachdem es durch ihn kurz verschwunden - und nun offensichtlich war.)