17 | Wir zu dritt
Würg. Ja, ... äh ... Danke, Oma. Ich hoffe, du liest mir den Sarkasmus aus dem Gesicht ab, falls du mich sehen kannst. Ich fragte mich zwar, was mit euch oder auch dir los ist und ebenso nach Details, aber ... so detailliert wollte ich es eigentlich nicht wissen. Mensch ey. So was von der eigenen Oma zu lesen, geht echt zu weit. Bäh. Oder ist da jemand anderer Meinung?! Also ich brauche es nicht. Echt nicht! Auch wenn es schön ist zu lesen, dass bei euch wieder alles im Lot ist oder war. Whatever.
Mich schüttelt es. Kommt mir eigentlich gelegen, vielleicht nimmt die Bewegung diese Bilder mit sich. Wohin auch immer, ist mir egal. Zu meinem Glück lugt in diesem Moment eine willkommene und zerknautscht aussehende Ablenkung durch den Türspalt.
»Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt«, begrüße ich sie in den Tag. Und wenn doch, bekommt sie dafür als Entschädigung die beste Elja-Show zu Gesicht. Meine Arme hängen noch auf unterschiedlicher Höhe in der Luft von meinen Zappelbewegungen, mein ganzer Körper ist mehr schräg als aufrecht und mein Gesicht will ich gar nicht erst sehen. Ich versuche mich an einem Grinsen und hoffe, es macht den Anblick nicht gruselig.
Len schüttelt lächelnd mit dem Kopf, wobei ihre Locken auf und ab hüpfen. »Und ich hoffe, du warst nicht die ganze Nacht auf?«, erwidert Len mit einer Gegenfrage, die ich mit einer wegwinkenden Handbewegung direkt abtue. »Ach Elja ...« Sie ist so süß, wenn sie noch so verschlafen ist.
»Ach Len«, sage ich im gleichen bedröppelten Ton, während ich mich erhebe und dabei meinen Körper in eine gerade Haltung bringe. Dann gehe ich auf sie zu. »Lass uns lieber nach unten gehen und gemeinsam frühstücken. Die letzten Bilder müssen aus meinem Kopf raus.« Nein, warum habe ich das gesagt?
»Oh, damit machst du mich jetzt aber neugierig.« Und schon scheint sie nicht mehr so schläfrig zu sein. Ihre Augen strahlen plötzlich und blitzen erwartungsvoll auf. Kann ich nicht einmal meinen Mund halten?
»Hm«, lasse ich daher lediglich verlauten, in der Hoffnung, dass sie meinen eigenen Fauxpas versteht.
»Aber El! Du hast mich jetzt wirklich geködert und nun soll ich unwissend und dadurch bestraft mit dir hinunter gehen und so in den Tag starten?«
»Ja. Gut, dass du mich immer so hervorragend verstehst«, antworte ich schmunzelnd auf ihre bestens für mich vorbereitete Aussage.
Ich bin mit dieser Frau wirklich gesegnet, Lenara lässt es – zumindest erst einmal – so stehen und wir begeben uns gemeinsam in das untere Stockwerk, vorbei an diesem grässlichen Ding von Gemälde in die Küche. Während ich mich erschöpft auf einen dieser neumodernen Küchenstühle alias Barhocker am Tresen der Kochinsel niederlasse, geht Lenara genauso selbstverständlich an die Kaffeemaschine. Sie ist bezaubernd. Aber ...
»Du musst das nicht machen. Schon dich lieber.« Ich möchte mich gerade von dem Hocker runtergleiten lassen, da blickt sie mich strafend an, sodass ich in der Bewegung verharre. Das ist ganz schön anstrengend!
»Ich werde dir ja wohl noch einen Kaffee machen können, auch wenn ich schwanger bin.«
Meine Hände zur Abwehr und gleichzeitig als Buße hochnehmend setze ich zum Rücktritt an. Zurück auf den Stuhl. Dort sitzend beobachte ich mein Glück. Auch wenn bei ihr anscheinend gerade die Hormone durchdrehen, bin ich doch die durchaus Verrücktere. Wie kann sie mich momentan ertragen? Ich tue es ja selbst kaum. »Konntest du denn gut schlafen, Len?«
»Ja, sogar richtig gut.« Sie schaut mich prüfend an. »Auch wenn dich das natürlich noch plagt, musste ich mir keine Sorgen machen.«
»Tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht, dass du dich sorgst.« Warning, warning. Mein Gewissen-Alarm, der in irgendwelchen unterirdischen Sphären hängt, schlägt extrem an und am liebsten würde ich einfach wieder nach oben flüchten. Obwohl das selbst für mich skurril klingt. Bis vor ein paar Tagen wollte ich nicht mal nach da oben hinauf kriechen.
»Das wollte ich damit jetzt gar nicht bezwecken. Sorry, El.«
»Du brauchst dich gar nicht entschuldigen.« Ich schnaufe aus. »Vielleicht erzähle ich es dir heut Mittag ... oder später ... oder ... Keine Ahnung wann. Aber ich werde es dir erzählen. In Ruhe, okay? Jetzt ... kann ich ... noch nicht.« Es ist raus. Der Anfang. Na ja, eigentlich nicht. Den Anfang hatte ich ja bereits hinter mich gebracht. Wie nennt sich dann so etwas? Mittelteil? Übergang zum Kern?
»So, wie es gut für dich ist.« Lenara ist ganz schnell bei mir und nimmt mich abermals in die Arme. Womit habe ich sie nur verdient? Nachdem ich mich lösen kann – sowohl von meinen Gedanken als auch von ihr –, nehme ich dankend den Kaffee von ihr und verabschiede mich wieder nach oben. Eindeutig Flucht.
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März 1972
Im Innenhof des Clubs verarbeiten wir die harten Dämpfer der letzten Monate. Ich muss nicht einmal hochschauen und weiß dennoch, dass Val am liebsten irgendetwas klein hacken wollen würde und Soph einfach keine Ahnung hat, was sie sagen soll. Ich bleibe einfach ruhig dasitzen und starre auf meine Hände. Was soll ich auch sonst tun? Es ist, wie es ist oder?!
»Wir müssen doch irgendetwas tun!«, ruft Val aus.
»Aber was denn?«, fragt Soph hilflos nach.
»Ich stimme Val zu«, pflichtet Anne ihr bei. Auch ich bin ihrer Meinung, aber ich habe keinen blassen Schimmer, was. Die Reform des Paragrafen 218 mit der Indikationslösung wurde in Westdeutschland verabschiedet. In der Deutschen Demokratischen Republik hingegen sind sie schlauer gewesen und haben erst vor wenigen Tagen – wie viele vermuten, aus Sorge vor Druck der Bevölkerung – die Fristenlösung ins Gesetz aufgenommen. Demnach zucke ich nur mit meinen Schultern. Seit Langem fühle ich mich sowieso ständig ausgelaugt und erschöpft. Wir machen und tun und doch ... Wenn es vorwärtsgeht, dann kommt ein richtiger Energieschub, aber ansonsten ist es auch echt kräftezehrend. Wir alle haben auch andere Verpflichtungen und ich meine die, die wir uns selbst ausgesucht haben. Ich habe mein Studium, was bald zu Ende geht und ich sollte mir dringend mal Gedanken machen, wohin es mich verschlägt.
»Sag doch mal was dazu, Patti«, drängelt Val mich nun.
»Äh. Entschuldigung, was hast du als Letztes gesagt, Val?«
»Wir bleiben auf jeden Fall dran oder?«, richtet sie sich an uns alle drei, bevor sie mich jedoch mit einem prüfenden Blick ansieht. Den kann ich nicht wirklich deuten.
»Klar und wir könnten uns ebenso an den anderen Themen beteiligen.« Ich nicke Anne bestätigend zu. Was soll ich sonst machen? Recht hat sie. Aber ich bin so müde.
»Ja, das finde ich auch«, schaltet sich Soph ein.
»Gut, lasst uns das in der Sitzung ansprechen. ›Frauen gemeinsam sind stark‹ verbindet. Daran sollten wir uns wirklich beteiligen. Beziehungsweise unser Angebot darauf schauend überprüfen. Wir bieten ja schon vieles an«, beschließt Anne zufrieden.
Etwas, das mich noch brennend interessiert, möchte ich aber noch wissen. »Wenn das Buch von ›Brot und Rosen‹ draußen ist, sollten wir es auch bestellen. Findet ihr nicht?«, frage ich voller Hoffnung nach.
»Auf jeden Fall«, stimmt Val zu.
»Gut, dann lasst uns noch einmal die Punkte für die Sitzung gleich durchgehen und schauen ...«
Unbeabsichtigt schalte ich ab, als Anne noch einmal alles durchsprechen möchte. Zumindest höre ich nur noch vereinzelt die Stimmen der drei um mich herum. Es sind ja sowieso die gleichen Themen, die wir nun bereits – keine Ahnung wie oft – in der letzten Stunde durchgekaut haben.
Und zu all diesem Mist – unseren Schwestern in der DDR gönnen wir diesen Erfolg – kommen auch noch die Kardinäle, die weiterhin einen enormen Einfluss auf die Politik nehmen können und ihre verqueren Argumente vorbringen. Der eine Kölner Kardinal sagte erst letzten Monat, dass Abgeordnete für ihn als Christen nicht zu wählen sind, die die Unantastbarkeit menschlichen Lebens – worunter er ebenso beziehungsweise gewichtiger das ungeborene Kind zählt – nicht sichern können. Ob er an seine eigenen Worten glaubt oder nicht, dies diente lediglich dazu, die Politiker einzuschüchtern und auf Kurs zu bringen – im Wahljahr.
Wir werden auch darauf reagieren. Sobald wir uns regeneriert haben, planen und organisieren wir unsere weiteren Aktionen. Denn ja, Frauen gemeinsam sind stark. Das konnten wir schon abermals erfahren sowie erleben.
Wir ... Dieses wir ... Ich finde das alles so wichtig, aber wo ist mein ich? Es verschwimmt mit dem wir. Wo bleibe ich in dem wir?
Gott, ich bin so froh, dass wir uns heute eine Auszeit gönnen. Heute wollen wir uns nicht nur betrauern und nicht nur bis zur Unendlichkeit damit bequatschen. Die spontan einberaumte Sitzung im Club, in der Anne und Val unsere vorbesprochenen Punkte angebracht haben, ist eben zu Ende gegangen. Bin ich froh. Die Punkte wurden sehr schnell verabschiedet. Erleichtert mit jedem Schritt – zumindest ich – gehen wir zu dritt in den Park.
Das frühlingshafte Wetter mit den sanften Sonnenstrahlen lädt einen dazu ein, auf der Wiese zu liegen und gemütlich auszuspannen.
Viel zu lange ist es her – ich erinnere mich gerade nicht einmal mehr –, dass wir uns zu dritt außerhalb des Clubs getroffen haben. Soph und ich versuchen es uns Zeiten einzuräumen. Ja, wir versuchen es. Doch mit Val gemeinsam wird es wieder schwieriger. Sie sind mir beide enorm wichtig und ich kann mir gar nicht vorstellen, ohne sie zu leben. Was ich mir jedoch durchaus ausmalen kann, ist ein Leben fernab von dieser Bewegung. Nicht immer. Aber in Zeiten wie diesen schon. Es würde mir fehlen, das steht fest. Zudem ist es mir zu wichtig, als das ich mich rausziehen würde, aber ... Na ja. Ich würde gerne anders daran teilnehmen können. Nicht dieses ganz oder gar nicht ... Für Soph denke ich, ist es schwieriger und da sehe ich unsere Herausforderungen. Sollte es mal zu Entscheidungen kommen ... Daran wollte und sollte ich jetzt nicht denken. Das könnte uns womöglich ... Nein.
»Na, wo bist du wieder mit deinen Gedanken, Patti?«
Ich drehe mich zu Val um, die links von mir auf der Decke sitzt und mich belustigt ansieht. »Ach keine Ahnung. Hier und da.« Nun schaue ich rechts von mir zu Soph. Amüsiert stelle ich fest, dass sie eingeschlafen ist. Sie ist bestimmt auch fix und fertig, doch sie lebt dafür. Sie brennt dafür.
»Du scheinst manchmal ganz schön erschöpft zu sein«, spricht sie aus, was ich fühle und blickt wieder geradeaus.
»Vielleicht ist es auch so. Geht es dir denn nie so?«
»Doch natürlich. Patti, du musst ja nicht zu jedem Treffen kommen oder an jeder Aktion teilnehmen. Du bist deswegen keine schlechte Frau.«
Ich muss grinsen. »Dass das ausgerechnet du sagst.« Ich glaube, sie ist bei allem dabei.
»Denkst du echt, dass ich dich für eine schlechte Frau oder so halten könnte?«
»Nein, das meinte ich nicht.«
»Na also.«
Ja, sie hat irgendwie recht. Prioritäten setzen ... Das habe ich mir schon ein paar Mal gesagt und auch schon damit angefangen. Soph und ich sind dran bei uns ... so irgendwie und ich finde auch unser Treffen heute ist ein guter Beginn dahin ... Aber ja, ich könnte noch mehr an manchen Stellen schrauben, um meine Energiereserven besser zu nutzen. Aber was, wenn dann Beziehungen zu Menschen kaputt gehen, die ich nicht verlieren möchte?
»Erinnerst du dich noch an unser erstes Aufeinandertreffen?«
»Oh ja.« Ich muss anfangen zu lachen, weil sie an sich herunterschaut, bis zu ihren Brüsten und mir ihre damalige Aussage direkt wieder in den Sinn kommt.
»Du warst echt ein Neuling. Aber damals wusste ich schon, dass du cool drauf bist.«
Das ist ein enorm großes Lob von Val. »Danke dir, Val.«
»Okay, bevor es hier noch peinlich wird, wollen wir ein bisschen Volleyball oder so spielen?« Damit steht sie schon auf und wartet. Val und Gefühle. Das ist nicht ihre Stärke, aber mir kann sie nichts vormachen. Ich hab sie auch lieb. Ich stehe auf und nehme sie in die Arme. Ohne selbst noch etwas zu sagen oder eine Aussage ihrerseits abzuwarten, löse ich mich nach kurzer Zeit wieder von ihr und wende mich Soph zu. Sanft stupse ich sie an. Sie brabbelt mir entgegen, was wirklich niedlich ist. Nachdem sie verstanden hat, wo sie ist, schreckt sie hoch, was Val zum Lachen bringt. Ich helfe ihr hoch und gebe ihr einen Kuss, was sie verwundert – da ich so etwas sonst nicht in der Öffentlichkeit tue –, aber sichtlich genauso erfreut. Ihr bezauberndes Lächeln verrät es mir.
Und dann spielen wir aus Freude Volleyball – als Freundinnen.
Ein normaler Tag in einer schönen Stadt in einem herrlichen Park mit wundervollen Freundinnen.
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