
sechsundzwanzig
i wanna take you somewhere so you know i care
but it's so cold and i don't know where
(Vorgeschlagen von roselillae . Danke nochmal, dass du mir so wundervolle Playlists geschickt hast <3)
NACH meinem Date mit Jascha vergehen ein paar ereignislose Tage, in denen ich mir das Hirn zermartere. Die Vermutung, er könnte hinter WHY stecken, hat sich in meinem Kopf festgesetzt, wie ein lästiger Parasit.
Es passt einfach alles. Er wusste von Anfang an, wie sehr mir das Genre meiner Komposition zu schaffen macht. Außerdem hat er einen Bruder und kennt meine Adresse - schließlich hat er mich schon einmal von zu Hause abgeholt, um mich zu Johnnys Hausparty zu fahren.
Die Tage ziehen sich in die Länge wie Kaugummi, jeder verläuft exakt wie der vorherige. Abends telefoniere ich mit Aleah und gehe mit ihr wieder und wieder die Dinge durch, die Jascha mir während unseres Dates über sich erzählt hat. Nachts kann ich nicht schlafen, und wenn ich doch ein Auge zukriege, träume ich von schwarzen Haaren, smaragdgrünen Augen und reißendem, tiefem Wasser. Morgens verbringe ich länger damit, meine eigens erstellte Mind-Map anzustarren, als mich im Bad fertigzumachen und sehe den ganzen Tag über entsprechend kaputt und müde aus. In den Vorlesungen kann ich mich kaum konzentrieren. Ständig wandert mein Blick zu Jascha.
Was hat nur dazu geführt, dass er seinen Glauben verloren hat?
Ein paar weitere Tage später telefoniere ich mal wieder mit Aleah. Die Antwort liegt auf der Hand, sagt sie. Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen, sage ich. Ich will aber auch nicht nachfragen. Das wäre unsensibel. Oder? Wir drehen uns im Kreis, bis ich auflege.
Eine Woche und sieben Telefonate nach meinem Date mit Jascha treffe ich eine Entscheidung. Er ist es. Er muss es sein. Aleah bestärkt mich darin, ihn anzusprechen. Nicht in der Hochschule versteht sich, und auch nicht beiläufig, während der Mittagspause in der Mensa. Ein solch schwieriges Thema erfordert besondere Maßnahmen. Ein zweites Date ist eine gute Option.
Ich liege im Bett und es ist dunkel, einzig und allein das bläuliche Licht meines Handys erhellt mein Zimmer ein wenig, als ich zum gefühlt tausendsten Mal die Nachricht an Jascha lösche, die ich in das dafür vorgesehene Feld getippt habe. Plötzlich fühle ich mich wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich wäge jedes Wort, das ich ihm schreibe, zehnmal ab und frage mich, ob ich ihn vielleicht mit einer unüberlegten Aussage verletzen könnte, oder in der Vergangenheit bereits verletzt habe.
Mein Wecker zeigt halb drei an, als ich beschließe, ihn morgen früh persönlich nach einem zweiten Date zu fragen. Mit Nachrichten an Jascha ist es plötzlich wie mit dem Schlussmachen - man fühlt sich verpflichtet dazu, es persönlich zu tun.
xxx
Als ich am nächsten Tag übermüdet und ausgelaugt das Schulgebäude betrete, stolpert mein Herz unkontrolliert gegen meinen Brustkorb. Ich bin aufgeregt. Wieso bin ich aufgeregt? Schließlich geht es nicht um meine Vergangenheit, die, wenn alles nach Plan läuft, heute Abend gelüftet wird.
Nervös suche ich das Gebäude nach Jascha ab und achte nur wenig auf meine Schritte. So kommt es dazu, dass ich meine Zielperson nicht nur finde, sondern auch noch aus Versehen in sie hineinlaufe. Überwältigt von der Wucht meines Aufpralls gerate ich ins Taumeln und lande schließlich auf dem cremefarbenen Fliesenfußboden.
Als ich betreten den Kopf hebe, um mich zu entschuldigen, Jascha mir seine Hand entgegenstreckt und mich dabei besorgt und mit hochgezogenen Augenbrauen ansieht, fühle ich mich plötzlich, wie vom Blitz getroffen.
Jascha ist es. Er ist es.
Scheiße.
Jetzt, wo ich ihm gegenüberstehe (oder in meinem Fall: unfreiwillig gegenübersitze), wird mir erst richtig bewusst, was diese Enthüllung eigentlich bedeutet. Jascha leidet. Er leidet jeden Tag, jede Stunde, jede gottverdammte Sekunde. Er hat seinen Bruder verloren, von einem Tag auf den anderen, und niemand hat es bemerkt. Und in der Hochschule muss er sich zu allem Überfluss auch noch täglich anhören, dass eben genau dieser Bruder ein kaltblütiger Mörder war.
Wie schafft er es nur, seine Gefühle so gut zu verstecken? Hätten wir während unseres Dates nicht über seine Eltern und seinen verlorenen Glauben gesprochen, wäre ich nie im Leben darauf gekommen, dass er hinter WHY steckt. Irgendwie habe ich ihn mir ganz anders vorgestellt, den mysteriösen Bruder von Paul. Jascha wirkt immer so ... gefasst. Eigentlich nicht wie jemand, der gerade ein wichtiges Familienmitglied in einem so tragischen Drama verloren hat. Aber wahrscheinlich kann er seine Trauer einfach nur unglaublich gut verstecken.
Würde es mir schlecht gehen, würde ich auch nicht wollen, dass mein ganzes Umfeld Bescheid weiß. Denn dann wird man mit mitleidigen Blicken überhäuft und jede Sekunde an das erinnert, was passiert ist. Wenn die Leute um einen herum ahnungslos sind, behandeln sie einen auch nicht anders. Es fällt einem leichter, zu vergessen.
Langsam, beinahe wie in Zeitlupe und völlig automatisch, umfassen meine kalten Finger die seinen. Wortlos ziehe ich mich an seinem Arm hoch. Mir ist schwindelig.
»Du ... du bist es!«, hauche ich fassungslos und obwohl ich inzwischen wieder auf beiden Beinen stehe, lasse ich seine Hand noch immer nicht los. Ich bin überfordert. Vor wenigen Stunden noch war ich felsenfest davon überzeugt, bestens auf ein Aufeinandertreffen mit Jascha vorbereitet zu sein. Doch jetzt wird mir klar, dass nichts auf dieser Welt mich je auf diesen Moment hätte vorbereiten können.
Mein Gegenüber zieht seine Augenbrauen so weit hoch, dass sie beinahe seinen pechschwarzen Haaransatz berühren. »Äh ... «, macht er verwirrt. »Ja. Ich bin's. Hi.«
»Hi.« Dumm. Sag etwas Vernünftiges. Aber was? Hi, wir kennen uns erst seit ein paar Wochen, aber ich weiß trotzdem, dass du einen toten Bruder hast? Hi, wie schaffst du es nur, jeden Tag so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung, während du innerlich wahrscheinlich zu Grunde gehst? Ganz bestimmt nicht.
Als Jaschas fragender Blick intensiver wird bemerke ich, dass ich ihn seit geraumer Zeit schon schamlos anstarre. Ich zwinge mich dazu, den Kopf zu senken. Das führt allerdings nur dazu, dass ich eine gute Sicht auf unsere verschränkten Hände habe. Und plötzlich habe ich das Bedürfnis, zu weinen. Er ist es.
Jascha legt die Finger seiner freien Hand an mein Kinn, unterbricht meine rasenden Gedanken und zwingt mich somit dazu, ihn erneut anzusehen. »Hast du dir den Kopf gestoßen?« In seiner Stimme kann ich keinerlei Sarkasmus erkennen, im Gegenteil. Er klingt besorgt.
»Nein«, sage ich mechanisch. Mein Körper funktioniert weiterhin, während mein Gehirn offenbar in den Stand-by-Modus geschaltet hat.
In den letzten Tagen habe ich mir so viele Sätze im Kopf zurechtgelegt. Da war so viel, das ich ihm sagen wollte. Doch nun bringe ich kein vernünftiges Wort über die Lippen, außer nein und hi.
Ich hätte nicht gedacht, dass vor ihm zu stehen einen solch großen Unterschied macht. Jetzt wo ich ihm direkt in die Augen schaue - Augen, die Paul einst lebend gesehen haben und ihn jetzt nur noch in Form eines lieblosen Grabsteins betrachten können -, verstehe ich erst so richtig, was ich seit einigen Tagen weiß.
Jascha hat meinen Song beendet. Dieser rührende Text über einen verzweifelten jungen Mann - Paul - stammt von ihm. Ich habe WHY verzweifelt gesucht, überall und nirgends, dabei stand er eigentlich die ganze Zeit über direkt vor mir.
»Du bist noch blasser als sonst«, kommt es von ihm, weil ich noch immer kein Wort gesagt habe. Er zieht seine Hand zurück, um sich damit durch die lakritzschwarzen Haare zu fahren und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich beobachte seine Finger. Finger, die Pauls einst gehalten haben. Und ihn nie wieder halten werden. Denn Paul ist tot. Weg. Für immer. Meine Brust zieht sich schmerzhaft zusammen.
Der Schock lässt allmählich nach und mein Gehirn springt wieder an. Was habe ich in den vergangenen Tagen beschlossen? Ich will Jascha helfen. Für ihn da sein. Er muss wissen, dass er mit seinen Problemen nicht alleine ist.
»Hör mal ... « beginne ich mit dem ersten vollständigen Satz, den ich an diesem turbulenten Vormittag zu ihm sage. »Wenn du reden möchtest, oder so, dann ... kannst du jederzeit zu mir kommen. Okay? Wirklich, egal ob Tag oder Nacht. Ich bin für dich da.«
Sein Adamsapfel hüpft auf und ab, während er schluckt. Er wirkt plötzlich verloren in der großen Eingangshalle und beginnt, nervös am Saum seines dunkelblauen Oberteils herum zu pulen. »Danke? Schätze ich ... « entgegnet er überfordert.
Ich nicke. Ich habe nicht erwartet, dass er mir sofort all seine Sorgen und Probleme anvertraut, schließlich kennen wir uns noch nicht lange. Und er hat immerhin auch noch keinen blassen Schimmer davon, dass ich es weiß.
»Und dir gehts wirklich gut?«, hakt Jascha noch einmal nach.
»Ja«, zwinge ich mich zu sagen. Mein Herz klopft noch immer laut und hektisch gegen meinen Brustkorb und ich muss den Drang unterdrücken, ihn in den Arm zu nehmen.
»Okay. Dann sehen wir uns später«, höre ich Jascha murmeln und konzentriere mich augenblicklich wieder voll und ganz auf ihn. Er will gerade auf dem Absatz kehrtmachen, da halte ich ihn auf.
»Hast du vielleicht Lust, nachher was zu machen?«
Er dreht sich halb zu mir um und sieht mich über seine Schulter hinweg an. Er wirkt überrascht. Dann schleicht sich ein Grinsen auf seine Lippen. »Klar, wieso nicht.«
»Cool.« Ich muss ebenfalls Grinsen.
Er nickt. »Cool.« Dann dreht er sich wieder um und steuert auf eines der vielen Treppenhäuser zu, die aus der Eingangshalle raus, in die Obergeschosse führen.
»Ich ruf dich an!«, brülle ich ihm hinterher, woraufhin er mir im Gehen einen Daumen nach oben zeigt.
Zufrieden verschränke ich die Arme vor der Brust und sehe ihm nach. Heute Abend werde ich ihn auf Paul ansprechen. Wenn er nicht darüber reden will, kann ich das akzeptieren, aber er sollte wenigstens wissen, dass ich Bescheid weiß und für ihn da bin, wenn er mich braucht.
A/N: Moin moin. Ein Lebenszeichen von mir, wer hätte damit noch gerechnet? 😂 Ich hatte in den letzten Wochen ziemlich viel zutun, deshalb ist Social Media bei mir leider etwas zu kurz gekommen. Ich hoffe, ich habe euch nicht allzu lange zappeln lassen und ihr freut euch genauso sehr wie ich, dass es mit Raya und WHY jetzt wieder regelmäßiger weitergehen wird!
Was glaubt ihr, hat sich Raya da in etwas verrannt, oder ist Jascha tatsächlich der, nach dem sie seit Wochen sucht? xx
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