sechs
i will gladly break my heart for you
»DAS ist er«, raunt Lana mir am Montag Vormittag zu. Wir sitzen auf der Mauer unter einem Kirschbaum vor unserer Hochschule, haben uns in den Schatten geflüchtet, weil die Sonne seit Stunden unbarmherzig scheint und scheint. Meine Füße baumeln im Nichts vor und zurück und die Ferse meiner ausgelatschten Sneakers knallt in regelmäßigen Abständen gegen die rostrote Backsteinwand.
Ich sehe mich um und entdecke den Jungen, den ich an meinem ersten Tag in der Eingangshalle angesprochen habe. Draußen ist nicht viel los. Bei diesem Wetter schwirren die Studenten zur Klimaanlage wie die Motten zum Licht.
»Das ist wer?«, hake ich irritiert nach. In den letzten Tagen bin ich ihm öfters über den Weg gelaufen. Auch seinen Namen kenne ich nicht, genauso, wie ich den Namen des schwarzhaarigen Jungen, mit dem ich den Großteil des Freitagabends im Wohnzimmer verbracht habe, nicht kenne. Ich bin eindeutig nicht gut in sowas.
»Na der, über den wir am Samstag morgen bei Hanna geredet haben. Der, der die dreihundert Euro für die Sexschaukel gespendet hat«, sagt sie, als wäre es selbstverständlich, von wem sie spricht.
Ich lege den Kopf schief. Diesmal ist mir egal, dass ich auffällig starre. Der berüchtigte Yannik Schreiber also.
»So reich sieht er gar nicht aus.« Ich glaube, von allen Studenten aus meinem Semester, hätte ich eine solche Aktion am wenigsten von ihm erwartet. In den letzten Tagen hat er sich ausschließlich in schlichten Bandpullovern, kaputten Biker Boots und ein und demselben Basecap blicken lassen.
Lana zuckt mit den Schultern. Die cremefarbenen, zierlichen Haargummis an ihren Handgelenken hat sie heute gegen flauschig Weiße eingetauscht, die mit ihren Fransen entfernt an einen Teppich erinnern. »Ich bin ja immer noch der Meinung, dass er das meiste Geld in die Erpressung des Leiters dieser Hochschule gesteckt hat.«
Ich fange an zu lachen. »Du schaust eindeutig zu viele Krimis.«
Genervt verdreht sie die Augen. »Wenn rauskommt dass ich Recht hatte, werde ich diejenige sein, die euch ununterbrochen mit ich hab's euch doch gesagt nerven wird.« Sie klopft mir auf die Schulter und springt im Anschluss von der Mauer. »Ich verziehe mich. Ich glaube, unter meinen Schweißflecken bilden sich gerade Schweißflecken.«
»Ich komme gleich nach«, sage ich.
Lana nickt, schnappt sich ihre schwarze Handtasche und verschwindet schnellen Schrittes in Richtung Eingangshalle. Ich frage mich wirklich wie sie es schafft, Bücher, Blöcke und ein Tablet in diesem winzigen Teil zu verstauen.
Ich bleibe auf der Mauer sitzen und beobachte Yannik heimlich. Er steht mehrere Meter von mir entfernt im Schatten unter einer großen Fichte, neben einer Bank. Anders als den Meisten hier, scheint ihm die Hitze nichts auszumachen. Die Kapuze seines schwarzen Bandpullovers hängt ihm tief in die Stirn. Vereinzelt schauen einige blonde Haarsträhnen, die sich in den Spitzen wieder leicht kräuseln, darunter hervor.
Als würde er meinen Blick auf sich spüren, sieht er sich suchend um, solange, bis er mich entdeckt hat. Einen Moment lang schauen wir uns einfach nur an.
Ich habe keine Ahnung wieso, aber ich springe von der Mauer und laufe zu ihm rüber. Als er sieht, dass ich auf ihn zukomme, nimmt er seine weißen Kopfhörer ab.
»Hi«, sage ich, als ich ihn erreicht habe. Ich weiß nicht einmal, ob er sich überhaupt an mich erinnert. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder, er kann mich absolut nicht zuordnen, oder er hat sich mein Gesicht gemerkt.
»Hi«, erwidert er, steckt sich eine Zigarette in den Mund und zündet sie an.
»Du rauchst?«, frage ich ihn überrascht und bemühe mich, betont freundlich zu klingen. Wie gesagt; ich bin nicht mehr die, die ich vor neun Monaten war. Aus Soraya wurde Raya. Jemand anderes. Jemand, der stärker ist. Selbstbewusster. Dieses Studium ist die perfekte Gelegenheit, um an mir und meinen Anlaufschwierigkeiten mit Fremden zu arbeiten.
»Nein.«
»Nein?«, wiederhole ich stumpf und bete innerlich, dass er mir nicht ansehen kann, wie nervös es mich macht, mit ihm zu sprechen. »Also hast du dir die Kippe nur zum Spaß zwischen die Lippen gesteckt und schaust ihr beim Abbrennen zu?«
Yannik zuckt mit den Schultern. »So ähnlich.« die Zigarette, die lässig in seinem linken Mundwinkel baumelt, wippt auf und ab, während er spricht.
Weil mir der unangenehme Rauch in der Nase kitzelt und ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll, wende ich mich ab. »Dann viel Spaß noch.«
»Wobei?«
»Beim Zusehen«, erläutere ich mit Blick in den klaren, blauen Himmel. »Dabei wie Papier und Teer verbrennt.«
Dann vergrabe ich meine Hände in den Hosentaschen und laufe auf den Eingang zu. Das lief doch gar nicht so schlecht.
»Ich rauche nicht«, ruft Yannik mir hinterher.
Ich bleibe stehen, drehe mich aber nicht zu ihm um.
»Die sich auflösende Zigarette zeigt mir, wie schnell die Sekunden verrinnen und erinnert mich daran, dass alles vergänglich ist. Ich schaue nicht Teer und Papier, sondern der Zeit beim abbrennen zu.«
Jetzt drehe ich mich doch um. Mit großen Augen sehe ich ihn an. Wer hätte gedacht, dass in dem mutmaßlich talentlosen Millionär ein kleiner Poet steckt?
Er erwidert meinen Blick. Dann fängt er plötzlich an zu lachen. »War ein Scherz. Ja, ich rauche und meine Lunge ist inzwischen wahrscheinlich noch schwärzer als mein Humor.« Zum ersten Mal seit unserer Konversation zieht er an der Zigarette. Heller Rauch umgibt ihn wie eine Schutzmauer.
Gerade als ich den Mund öffne, um etwas zu erwidern, wirft er einen Blick auf sein Handy und macht auf dem Absatz kehrt.
»Also dann. Man sieht sich.« Dann läuft er an mir vorbei, zu den Fahrradständern. Die glimmende Zigarette steckt noch immer in seinem Mund.
xxx
Um halb elf falle ich dann endlich, müde und geduscht, in mein Bett. Es ist schon spät, doch das hält meinen Mitbewohner Noel nicht davon ab, sich lautstark mit seiner Freundin zu streiten. Ich kenne ihr Gesicht nicht, dafür aber ihre dunkelsten Geheimnisse, die sie seit über einer halben Stunde schon an den Kopf geworfen bekommt.
Weil ich bei diesem Lärm sowieso nicht schlafen kann, entsperre ich mein Handy.
Freundschaftsanfrage von Len Nart
Neugierig klicke ich auf die Benachrichtigung und werde augenblicklich auf eine Facebookseite weitergeleitet. Ich bereue es jetzt schon, meinen Account wieder aktiviert zu haben. Auch wenn er nur Studiumszwecken dient, bekomme ich jeden Tag mindestens zehn unwichtige Spam-Emails.
Lennarts Profilbild erscheint auf meinem Display. Der braunhaarige Student lächelt breit in die Kamera und zeigt einen Daumen nach oben, während er rechts und links je ein Mädchen im Arm hat. Es sieht so aus, als wäre das Foto in einem Club entstanden und seinen blutunterlaufenen Augen nach zu urteilen war er zu dem Zeitpunkt nicht mehr ganz bei sich.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Es ist Lanas Sache, mit wem sie in die Kiste steigt. Schließlich ist es auch Yanniks Sache, wem er eine überteuerte Sexschaukel finanziert. Ich hoffe nur für sie, dass sie keine Beziehung erwartet, denn Lennart scheint daran nicht sonderlich interessiert zu sein.
Eine Weile scrolle ich durch seine Fotos, die ihn meistens mit anderen Mädchen zeigen, nur selten ist er allein.
Bei einem seiner neusten Bilder halte ich inne. Es ist von der Semesterparty im Wohnzimmer. Um 04:43 Uhr waren wir schon lange nicht mehr da.
Er sitzt zusammen mit einem rothaarigen Mädchen auf dem Ledersofa, auf dem ich zuvor am Abend einsam und alleine meinen Ipanema geschlürft habe. Doch das ist nicht der Grund für mein Stutzen. Der Grund ist Yannik. Er hängt mit einem leicht genervten Gesichtsausdruck neben Lennart auf der Couch und schaut auf sein Handy. Ich habe ihn in der Nacht im Club gar nicht gesehen. Ist er vielleicht erst gekommen, als wir schon weg waren?
Seine Wangen sind stark gerötet, das schwarze Oberteil, das er trägt, klebt förmlich an seinem Oberkörper und lässt einen gut erahnen, was für Muskeln sich darunter verbergen.
Ich scrolle weiter nach unten, zu den Kommentaren.
War ein schöner Abend, honey schreibt ein Mädchen namens Alina. Allen Anschein nach ist sie diejenige, die auf dem Foto neben ihm sitzt.
stabil bruder hat ein mir fremder Junge kommentiert.
Eine Weile lese ich mir durch, was Lennarts Freunde von seinem Facebookpost halten und muss bei einigen Kommentaren teilweise sogar laut loslachen.
Mein Lachen verstummt, als ich einen ganz bestimmten Namen entdecke.
Yannik Schreiber:🖕🏼
Mein Finger verharrt nur wenige Millimeter direkt über seinem Namen. Ich zögere einen Moment, bevor ich auf sein Profil klicke. Mich würde wirklich interessieren, ob er so reich ist, wie Lana vermutet. Ich glaube zwar nicht, dass an ihren Anschuldigungen etwas dran ist, aber irgendwie lässt mir seine großzügige Spende einfach keine Ruhe.
Auf seinem Profilbild sitzt er hinter einem schwarzen Schlagzeug. Auf der Base Drum klebt derselbe neongelbe Sticker, den ich zuvor schon auf seinem Pullover entdeckt habe. Yannik trägt dicke Lärmschutzkopfhörer und ein schwarzes T-Shirt. Unter seiner grauen Basecap schauen vereinzelt ein paar blonde Haare hervor. Sie sind ein starker Kontrast zu der dunklen Farbe, in der das gesamte Bild gehalten ist.
Yannik wirkt vertieft in das, was er tut. Seine Arme hängen in der Luft und lassen mich die leicht verschwommenen Drumsticks in seinen Händen nur erahnen. Man hat ihn beim Spielen fotografiert. So viel zum Thema er ist nicht musikalisch, Lana.
Es scheint, als wäre auch er seit Jahren nicht mehr aktiv gewesen. Das letzte Foto ist von 2015. Trotzdem klicke ich mich interessiert durch seine Galerie.
Die meisten Profilbilder zeigen ihn von hinten, beim Urlaub, vor irgendwelchen Ruinen in fremden Ländern. Beeindruckt nehme ich mir Zeit, jedes einzelne ausgiebig zu mustern. Er ist anscheinend schon viel rumgekommen. Vielleicht ist er wirklich reich.
Seine Titelbilder strahlen in den buntesten Farben. Ich erkenne auf Anhieb mehrere Werke von dem bekannten Graffiti-Künstler Banksy. Offenbar interessiert er sich neben Musik auch sehr für Kunst. Er hat einige Werke veröffentlicht, die aussehen, als hätte er sie selbst gezeichnet; Ein schwarzer Mund, aus dem bunte Blumen sprießen. In der Beschreibung steht ein Satz: Kill em with kindness. Das Foto ist von 2014.
Das nächste Bild zeigt einen schwarzen Kopf, in den da, wo das Gehirn sein sollte, eine Farbexplosion gezeichnet ist. Die Beschreibung ist leer.
Es folgt ein Foto von einem Graffiti auf der Berliner Mauer. Ein älterer Mann mit Brille hält sich warnend den Zeigefinger an die Lippen. In der Beschreibung steht: Shhh.
Als im Flur plötzlich die Haustür knallt und lautes Fluchen zu hören ist, werde ich aus meiner Seifenblase gerissen. Offenbar hat Noels Freundin nun endgültig genug von seinen haltlosen Vorwürfen und ist abgehauen.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich eine halbe Stunde lang auf Yanniks Profil war. Inzwischen ist es halb zwölf. Ich schüttele den Kopf, akzeptiere Lennarts Freundschaftsanfrage und lege mein Handy anschließend auf den Nachtschrank.
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