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Montag, 9.12. - Die Geige

Von wegen „arrogante Mieze" - Wie auch immer der Eulenspiegel drauf gekommen ist, als er mir Alex am letzten Sonntag beschrieben hat – seine Informationen über Alex sind dezent veraltet. Alex Freundin muss eine unglaublich nette, sympathische Frau gewesen sein. Überhaupt – ich finde hier keinen reichen Schnösel ohne Hirn. Klar hat der Geld wie Heu und gönnt sich Bequemlichkeit und Luxus. Aber ansonsten ist der so ... normal? Und einfach nett.

Ich habe die halbe Nacht wach gelegen und über Alex und seine große Trauer nachgedacht. Ich weiß jetzt, wer die Wohnung dekoriert und die Kisten ordentlich beschriftet hat. Warum er mir so dankbar ist, dass er nicht ins Krankenhaus musste und darum mich fremdes Wesen einfach hier sein lässt. Warum er manchmal so traurig kuckt, wenn er glaubt, dass ich ihn nicht ansehe. Ich weiß jetzt, wer die Frau auf den Fotos ist, wem die Klamotten und Schuhe gehört haben, wer mit ihm Ski und Motorrad gefahren ist. Karina.

Und ich weiß auch ganz, ganz sicher, dass diese Wohnung nicht ausgeräumt werden wird. Und wenn ich persönlich die Polizei rufen muss. Ich weiß nur noch nicht, wie ich das dem Eulenspiegel verkaufen soll. Eigentlich ... will ich nicht zurück. Ich will das nicht mehr. Aber um was anderes, was Legales auf die Kette zu kriegen, bräuchte ich einen festen Wohnsitz, eine Krankenversicherung, eine Steuernummer. Ach ja – und vielleicht auch noch'ne Idee, was ich eigentlich machen will. Und da beißt sich dummerweise die Katze in den Schwanz. Denn so oder so – hier in dieser Luxushütte werde ich nicht bleiben. Zu meinen Eltern zurück kann ich nicht gehen. Mit der Geige bin ich nicht gut genug und will das auch gar nicht. Und fürs Sicherheitssystemehacken wird man für gewöhnlich nicht bezahlt sondern eingebuchtet.
Und hätt ik überhaupt das Durchhaltevermögen, was auch immer zu Ende zu lernen? Wenn mir niemand den Rücken stärkt? Es is echt scheiße, allein zu sein!

Es ist jetzt früh morgens am 9. Dezember, und ich kann nicht mehr schlafen. Wie von selbst tragen mich meine Füße ins Wohnzimmer. Ich schiebe leise den Schrank mit der Musikanlage auf und durchsuche das Regal mit CD's. Neben quer durch die Bank modernen Sachen stehen hier auch einige klassische Werke. Mein Finger gleitet an den Rücken der CD-Hüllen entlang. Ich habe in zwölf Jahren Geigenunterricht so viel Verschiedenes gespielt. Und wenn meine Eltern nicht grade wieder total Druck gemacht haben, gab es durchaus Stücke, die ich wirklich geliebt habe. Eine Hülle steht etwas vor, und ich schaue genauer hin. Bachs Violinkonzerte.

Ich lege die CD auf, drehe die Anlage leise, schließe meine Augen und lasse mich fallen in die zauberhaften Klänge dieses großen Meisters. Wie von selbst heben sich meine Arme, ich scheine zu schweben. Ich spiele. In der Luft – aber ich spiele. Als nach dem dritten Violinkonzert die CD zu Ende ist, die Musik verstummt, stehe ich noch eine ganze Weile mit geschlossenen Augen da und lasse die Töne in mir nachhallen. Bis ich ein Geräusch vom Flur her höre.

Wie aus ganz weiter Ferne komme ich wieder zu mir, öffne die Augen und sehe grade noch den Rücken von Alex, der versucht, möglichst leise und schnell über den Flur zu verschwinden.
Autsch! Dahin mein Image von der Berliner frechen Göre.
Egal. Er hat mir gestern seine Trauer um Karina anvertraut. Dann darf er von mir auch wissen, dass ich mal Geige gespielt habe.
Und wie krieg ik jetzt geschickt den Übergang?

Ich mache die Anlage aus und gehe in die Küche. Wenn er wach ist, können wir auch einfach frühstücken. Das ist so schön unverfänglich. Ich schmeiße die Kaffeemaschine an, inspiziere den Kühlschrank, decke den Tisch. Dann gehe ich unter die Dusche und ziehe mich an. Schließlich klopfe ich bei Alex. Er lässt mich warten, reagiert erst nach ein paar Minuten auf das nächste Klopfen mit einem seeeeehr verschlafenen „Jaaaa?"
Du mich auch. Schauspielern kannst du vielleicht – aber nich mich übers Ohr hauen ...
Ich gehe zu ihm rein. Er reckt sich und gähnt. Dann blinzelt er mich verschlafen an und seufzt.
„Ob ich es heute wohl schaffe, alleine zu duschen? Mir ist ausnahmsweise mal überhaupt nicht schwindelig.
Stimmt. Er war eben auch ohne Bürostuhl unterwegs auf dem Flur.
„Versuchen Sie's. Und wenn Sie sich wieder in die Badewanne hocken. Is der Hocker im Bad wasserfest? Dann können Sie sich den doch in die Dusche stellen."

Seine Augen leuchten auf.
„Guuuute Idee! Aber erst rasieren!"
Er fährt sich durch die kratzigen Bartstoppeln.
„Und davor frische Klamotten raussuchen!"
Alex lotst mich durch seinen begehbaren Schrank und lässt sich Unterwäsche, eine Jogginhose, ein T-Shirt und einen schlabberigen Hoodie bringen, dem man ansieht, dass es ein jahrelang geliebtes Lieblingsstück ist. Ich helfe ihm auf, begleite ihn, tatsächlich ohne Stuhl, setze ihn mit dem Hocker vor das Waschbecken und reiche ihm sein Rasierzeug.
„Rufen Sie mich einfach, wenn Sie mich brauchen!"
Ich lasse ihn alleine und beziehe wieder sein Bett frisch. Aus dem Bad höre ich erst das Brummen des Rasierapparates, dann das Plätschern der Dusche.

Ich bin grade dabei, eine Einkaufsliste zu schreiben, weil der Kühlschrank allmählich doch ziemlich leer ist, da kommt Alex in die Küche.
„Ah, ich fühle mich wie neu geboren!"
Hmmm, und du siehst auch ziemlich neu und lecker aus.
Rasiert, mit nur trocken gerubbelten Haaren und in diesen gemütlichen Klamotten sieht er aus wie ein großer, fröhlicher Lausbub. Er setzt sich, greift nach der Kaffeetasse und schlürft genüsslich den heißen Wachmacher. Wir unterhalten uns locker, er ergänzt die Einkaufsliste, gibt mir dann wieder Geld und beschreibt mir den Weg zu einem größeren Supermarkt. Ich beschließe, die Sackkarre und ein paar Klappboxen zu nehmen. Zu Fuß krieg ich das alles niemals nach Hause getragen. Bewaffnet mit seinem Gästeschlüsselbund, seinem Geld und meinem Handy breche ich auf.
„Tschüß, Alex. Bis nachher!"
Kaum bin ich um zwei Ecken herum, schmeiße ich mein Phone an und checke erstmal Nachrichten.
Auweia – Eulenspiegel tobt. Er will auf dem Laufenden gehalten werden, will wissen, wann ich geruhe, mal wieder bei ihm aufzuschlagen, will – „Ergebnisse". Jetzt wird's kompliziert.
Statt Alex übers Ohr zu hauen und ihm seinen Reichtum abzuluchsen, muss ich nun versuchen, Eulenspiegel hinzuhalten und auszutricksen. Und das wird nicht einfach. Ich mache erstmal wieder aus.

Zwei Straßen weiter bin ich bei dem großen Supermarkt und gehe an der weihnachtlich geschmückten Markthütte neben dem Einkaufswagen-Häuschen vorbei. Zwei ziemlich alternativ angehauchte Frauen verkaufen Sachen aus der dritten Welt – Honig, Tee, Kaffee, Handarbeiten aus Holz und Speckstein, Schmuck, Weihnachtskarten. Auch ein Strauß mit gehäkelten Weihnachtsfiguren steht da. Dann tauche ich ein in die vorweihnachtliche Jingle-Dingle-Klimper-Welt. Nach dem vollen Bach-Genuss heute morgen ist dieses Gedudel akustische Folter. Ich schalte auf Durchzug, orientiere mich in den Gängen und sammele alles ein, was Alex und ich auf meiner Liste zusammengetragen haben. Viel Obst, paar Sachen, um richtig was zu kochen. Und auf Marzipankartoffeln hatte er Lust.
Soll er haben.

Als ich den Supermarkt verlasse, registriere ich, dass die Hütte inzwischen abgeschlossen wurde. Ich bringe meinen Einkaufswagen weg und stecke meine Nase neugierig in einen kaputten Karton, der daneben im Mülleimer steckt.
Super, Lilli. Den Straßenkinderreflex wirst du wohl nie los!
Mein Finger wühlen in dem Verpackungsmaterial und fühlen etwas Weiches. Ich ziehe meine Hand heraus und bin erstmal sprachlos. Ein Engel. Er ist fein gehäkelt – und ganz dunkelbraun. Also – der Kopf. Es ist sozusagen ein afrikanischer Engel mit dunkler Haut.
Cool!
Sowas hab ich ja noch nie gesehen. Der muss mit.
Bin gespannt, was Alex dazu sagt.

Inzwischen ist es schon so normal geworden, durch diese Haustür ein- und auszugehen. Beim Warten auf den Fahrstuhl schreibe ich eben dem Eulenspiegel eine Nachricht.
„Baue grade Vertrauen auf. Du hast gesagt, bis Weihnachten. Gib mir Zeit."

Ich fahre nach oben, schließe die Tür auf, rolle die Einkäufe in die Küche und packe alles aus. Es ist sehr still in der Wohnung, ich vermute also mal, dass sich Alex wieder hingelegt hat. Ich verräume die Einkäufe, stelle die Sackkarre und die Klappboxen wieder in die Besenkammer und gehe ins Wohnzimmer. Der kleine, dunkle Engel passt perfekt in unsere bunte Sammlung verschiedenster Engel. Ich hänge ihn einfach dazu.

Plötzlich poltert es im Flur. Korrigiere – auf der Treppe von oben. Ich gehe in den Flur. Im nächsten Moment kommt mir auf dieser Treppe eine Kaskade aus Heften entgegen. Alex flucht vernehmlich. Dann taucht er selbst auf, und mir fallen die Augen aus dem Kopf. Er trägt einen Geigenkoffer. Aber er kommt nicht weiter, weil der ganze Papierkram auf den Stufen verteilt ist. Also springe ich hin und fange an, das Zeug einzusammeln. Und jetzt komme ich nicht weiter.
Das sind Noten!
Viele Noten. Kinderetüden, Mozart, Vivaldi. Und - Bach.

Krieg dich ein, Hirn. Jetzt! Irgendwas, egal was ...
„Was machen Sie denn für gewagte Ausflüge in luftige Höhen??? Vom Bergsteigen hat Ihr Doc aber nix gesagt."
Mit einem Grinsen und klapprigen Knien stakst Alex an mir vorbei und ins Wohnzimmer. Dann verschwindet das Grinsen. Beinahe andächtig legt er den Geigenkoffer auf eine Kommode an der Seite, öffnet ganz langsam und sorgfältig den Reißverschluss und klappt den Deckel auf. Ich verrenke mir bald den Hals, um auf das Instrument schielen zu können.

Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Nach einem kleinen Zögern greift Alex in den Koffer – und fängt an, die Geige zu streicheln. Dabei berührt er die Seiten, die ganz leise zu schwingen beginnen.
O.K. Ein „bisschen" verstimmt. Aber das kann man ja ändern.
Stille.
„Die Geige ... hat Karina gehört."
Stille.
„Könnten... Würden ... Ach verdammt! Bitte, spiel für mich, Lilli!"
Er dreht sich um und schaut mich einfach an. Meine Füße möchten nur noch davonlaufen. Aber mein Herz – das möchte spielen.

Mein Herz gewinnt. Es steuert die Füße zu Alex rüber. Ich sehe mir Geige und Bogen an. Beides scheint heile zu sein. Ich suche mir in meinem Handy ein Stimmgabel-A und fange an, die Geige zu stimmen. Sie klingt schön. Weicher als meine damals. Ich lege Geige und Bogen zurück in den Koffer, greife aber nicht nach den Noten.
Will ik das wirklich? Für ihn is das eine Verbindung zu Karina. Für mich isses die Verbindung zu meinen Eltern und sechs Jahren Chaos auf der Straße.

Mein Herz gewinnt. Ich schnappe mir die Noten und suche nach was Einfachem. Dachte ich. Mein Herz greift nach Bach. Ich schaue mich nach was um, das als Notenständer herhalten kann. Alex schaltet, zieht einfach ein Brett aus dem Regal und legt es über zwei Stuhllehnen. Darauf kann ich nun die Noten packen. Nervös lege ich die Geige an und gewöhne mich erstmal wieder an das Gefühl von glattem Holz an meiner Haut. Der Bogen liegt so vertraut in der Hand. Ich fahre sachte über die Saiten – und darf schon wieder nachstimmen. Aber das ist kein Wunder nach so langer Zeit, da verstimmt sich so ein Instrument sehr schnell. Alex ist inzwischen zum Sofa rübergeschlappt und hat es sich zwischen Decken und Kissen bequem gemacht.

Dann schließe ich die Augen, setze den Bogen an und lasse einfach meine Finger wandern. Ein bisschen steif sind die schon, aber nach ein paar Minuten geht es wieder. Ich schlage den Bach auf und stolpere durch die ersten Takte. Allmählich werde ich sicherer. Und dann fange ich einfach an zu spielen. Folge meinem Herzen, ignoriere meine Tränen, lasse meine Finger über die Saiten tanzen und lege mich hinein in die Musik.

Ich merke gar nicht, dass ich aufgehört habe zu spielen. Ich merke erst wieder, dass Alex mir Geige und Bogen aus den Händen nimmt und weglegt, dass er mich in die Arme nimmt und ganz fest hält, während ich mir die Seele aus dem Leib heule. Er drängt nicht. Er fragt nicht. Er lässt mich einfach sein wie immer. Und genau deshalb kann ich ihm am Abend dann doch erzählen, was mir die Geige bedeutet. Wie sie lange Jahre mein Glück und schließlich mein Verhängnis war. Nur den Eulenspiegel – den lasse ich besser weg ...

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9.12.2019    -    25.7.2022

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