Kapitel 7
Als ich vor dem hohen Metalltor stehenblieb, stockte mir der Atem. Ich wusste, dass das Haus gross war, aber das... Es glich mehr einer Villa als einem Haus, es mussten mindestens drei Stöcke sein. Das Anwesen wurde von einem prächtigen Garten. Ich klingelte und kurz darauf öffnete sich das Tor mit einem leisen Quietschen. Ich lief vorsichtig und ganz leichten Schrittes und während ich nähertrat, fühlte ich mit jedem Schritt deutlicher, dass die Aura der Verlassenheit und Einsamkeit immer noch spürbar war.
Dominik lehnte lässig an den steinernen Türrahmen gelegt. Seine Hände hatte er in seine verwaschenen Jeans gesteckt. Er sah wirklich gut aus, musste ich mir eingestehen. Sofort verbannte ich diesen Gedanken wieder. Als ich bei ihm ankam, konnte ich nicht anders, als ihn zu fragen:
«Warum habt ihr keine Weihnachtsbeleuchtung?»
«Ich halte nicht so viel davon. Um ausserdem ist es über einen Monat vor Weihnachten. Sollte die Frage nicht eher lauten, warum ihr schon eure Weihnachtsbeleuchtung aufgestellt habt?»
«Man kann nie genug früh damit anfangen», antwortete ich.
«Dann bist du auch eine fanatische Weihnachtsfeierin? Mit Weihnachtsbaum, riesigem Weihnachtsessen, Geschenken, Liedern und allem?»
«Also einen Weihnachtsbaum hat wohl jeder, ich glaube nicht, dass das unter fanatische Weihnachtsfeirerin durchgehen kann. Aber nein, ich erfreue mich an der Beleuchtung, aber ich feiere Weihnachten nicht wirklich. Ausser es zählt, wenn man auf der Couch sitzt, mit Eis auf seinem Schoss und «Love actually» sieht.»
«Wirklich? Dieser Film?»
«Hey, kein schlechtes Wort über «Love actually». Ich liebe diesen Film.»
Er verkniff sich ein Lächeln.
«Und das macht ihr jedes Jahr?»
Bei dem ihr zuckte ich schmerzverzerrt zusammen.
«Nein. Nur dieses Jahr. Früher war es anders.»
Den letzten Teil murmelte ich nur noch. Früher war alles anders.
«Nun ja, bei mir wird es dieses Jahr wohl ähnlich traurig aussehen.»
«Wirklich? Warum?», fragte ich ihn.
«Mit dem Einziehen und auspacken und allem haben wir dafür keine Zeit.»
Ich merkte, dass er log.
«Sind deine Eltern Zuhause?», fragte ich ihn.
Ein Einfaches «nein» erklang. In derselben Stimme, in der er schon meine letzte Frage beantwortet hatte. Gerne hätte ich nachgefragt, aber die Kühlheit, in der er geantwortet hatte und die kurze Angebundenheit hielt mich davon ab.
«Gehen wir hinein?», fragte er mich.
Ich nickte und trat nach ihm ein.
Ich zog meine Schuhe und Jacke aus und sah mich um. Auch im Inneren war alles prächtig ausgestattet, ein Kronleuchter hing an der hohen Decke und tauchte das Haus in ein angenehmes Licht. Alles war ordentlich eingerichtet. Keine Kartons standen herum. Das war für mich die Bestätigung für meine frühere Vermutung. Er hatte gelogen. Aber warum?
«Willst du etwas trinken?», fragte er mich.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er in einen anderen Raum getreten war. Ich folgte ihm.
«Habt ihr Tee?», fragte ich ihn.
«Ja, wir haben Schwarztee, Pfefferminztee, Kamillentee und Kräutertee.»
«Gerne einen Pfefferminztee», antwortete ich ihm.
Er goss Wasser in einen Teekessel und stellte ihn anschliessend auf die Herdplatte. Danach holte er zwei Tassen aus dem Schrank und zwei Teebeutel aus einem anderen. Als das getan war, drehte er sich zu mir um und musterte mich. Ich fühlte mich sehr unwohl dabei und beschloss, ein Gespräch zu beginnen.
«Das ist wirklich ein prächtiges Haus», sagte ich.
Er zuckte mit den Schultern.
«Irgendwie fühle ich mich nicht so wohl hier. Das Haus fühlt sich einsam am.»
Also hatte nicht nur ich das gespürt.
«Warum seid ihr überhaupt von hier weggezogen?», fragte ich ihn.
«Aus beruflichen Gründen.»
«Und warum seid ihr zurückgekommen?»
«Aus beruflichen Gründen.»
Ich fühlte mich unwohl. Er schien sichtlich genervt zu sein ab meinen vielen Fragereien und so beschloss ich, zu schweigen. Wenn er wollte, konnte er ja eine Konversation beginnen.
Aber das tat er nicht. Das nächste Geräusch, welches die Luft durchdrang, war der Teekessel, der laut zu Pfeifen begonnen hatte.
Er nahm ihn von der Herdplatte und goss das heisse Wasser in zwei Tassen. Er reichte mir eine davon. Dann stieg er die Treppen hinauf und führte mich in einen Raum. Dort war nur ein grosser Flügel zu sehen. Nein, das war nicht gut. Das war gar nicht gut.
«Äh, wollten wir nicht «Game of Thrones» schauen?»
«Äh, wolltest du nicht noch Klavier spielen?», äffte er meine Stimme nach.
Ich blickte ihn finster an, war aber innerlich erleichtert, dass er nun nicht mehr so kalt und abwesend war.
«Ich... ich habe meine Noten vergessen.»
Erleichtert atmete ich auf. Noch mal Glück gehabt. Eigentlich hatte ich seit zwei Jahren aufgehört zu spielen und dementsprechend lange das Klavier auch nicht mehr angefasst.
«Keine Sorge», sagte er und deutete auf ein hohen und breites Gestell.
«Hier hat es tonnenweise Klavierklassiker. Was musst du üben?»
Wäre ich schlau gewesen, hätte ich nun irgendein Klavierstück erfunden, das es gar nicht gab oder welches niemand kannte. Aber hatte ich schon mal erwähnt, dass ich nicht gut darin war, eine Lüge zu erfinden?
«Frédéric Chopin Nocturne cis-Moll.»
Das war das einzige Stück, welches mir auf die Schnelle eingefallen war. Er nickte, stellte seine Tasse auf einem kleinen Tisch ab, begab sich zu dem Gestell, suchte kurz und zog dann ein dickes Heft hervor. Er blätterte kurze Zeit darin und reichte mir dann das aufgeschlagene Heft. Auch ich stellte meine Tasse auf dem Tisch ab und nahm langsam das Heft entgegen. Musste ich jetzt aller ernstes Klavier spielen? Wie war ich da hineingeraten?
Ich starrte auf die aufgeschlagene Seite. Das war das Lieblingsstück meines Vaters gewesen.
«Ich spiele selber kein Klavier, aber ich glaube, dass du dich auf den Flügel setzen und deine Hände auf die Tasten legen musst, damit du das Lied spielen kannst. Aber vielleicht gibt es eine neue Technik? Kann man neuerdings auch mit seinen Gedanken Klavier spielen?»
Ich ignorierte seine Bemerkung und trat langsam zum Flügel hin. Es war ein prächtiger anblick. Auf so einem hatte ich noch nie gespielt! Im Gegensatz zu unserem alten und verstimmten Klavier musste hier der Ton wundervoll und klangvoll sein. Ich setzte mich auf den gepolsterten Sitz und öffnete den Klavierdeckel. Danach stellte ich die Noten auf. Erneut blickte ich einen Moment starr auf das Heft, aber ich schaffte es selbst wieder, aus dieser Starre hinauszukommen. Meine Finger berührten die kühlen Tasten.
Der erste Akkord kam langsam und etwas gebrochen, aber danach verwandelte sich das Ganze in ein fliessendes Spiel. Meine Finger flogen vom selbst über die Tasten und ich gab mich ganz der Musik hin und sog den wunderbaren Klang der Töne in mich ein. Bilder schossen mir in den Kopf. Plötzlich erinnerte ich mich wieder daran, wie mein Vater neben mir gesessen hatte und mir als fünfjähriges Mädchen versuchte, das Klavierspielen beizubringen. Ich erinnerte mich daran, wie er früher immer dieses Lied gespielt hatte und ich ihm begeistert dabei zugesehen hatte, wie er seine Augen geschlossen und einfach von der Musik geführt worden war. Und als auch ich endlich das Stück gelernt hatte, war er so begeistert gewesen. Egal, was er getan hatte: Ob er am Kochen, Arbeiten oder Fernsehen gewesen war. Wenn ich dieses Stück gespielt hatte, dann war er immer ans Klavier heran getreten und hatte mir zugehört.
Als der letzte Ton verklungen war, öffnete ich meine Augen wieder. Ich wandte meinen Blick ab und strich mir kurz über die Augen.
«Das war wunderschön», flüsterte er.
Ich blickte ihn an und lächelte leicht. Einen Moment waren wir einfach an Ort und Stelle geblieben und hatten uns angesehen. Mir war seltsam warm zumute.
Dann erhob ich mich.
«Also, wo können wir jetzt «Game of Thrones» schauen? Dafür bin ich schliesslich hierhingekommen.»
Er nickte mit einem Lächeln auf den Lippen und führte mich wieder hinunter.
Den Tee hatten wir auf dem Tisch vergessen.
Bei der Grösse des Flachbildfernsehers staunte ich. Es hätte nicht mehr viel gebraucht und es hätte die Grösse einer Kinoleinwand. Ich setzte mich auf die Couch. Sofort schloss ich die Augen und es bedurfte einiger Anstrengung, dass ich mich nicht einfach hinlegte und einschlief.
«Bequem, nicht wahr?»
Ich brachte nur ein «Mhm» über die Lippen.
«Warum hast du ein Bett bei diesem Sofa?», fragte ich ihn.
«Ja, das frage ich mich manchmal auch. Wobei ein Wasserbett auch nicht ganz umbequem ist.»
«Du hast ein Wasserbett?», kam es mir sofort über die Lippen.
«Ja, willst du es sehen?»
Okay, Marianne. Überlegen wir mal kurz. Du wolltest diesem Jungen um jedenPreis aus dem Weg gehen und nun bekommst du eine Einladung von ihm, zu seinemZimmer zu gehen. Starke Leistung!
«Nein, passt schon», versuchte ich locker zu sagen.
Meine Stimme zitterte trotzdem leicht.
Zum Glück stocherte er nicht länger herum, sondern legte die DVD ein und setzte sich neben mich. Meiner Meinung nach etwas zu nah.
«Wundere dich nicht. Die jüngeren Charaktere sind viel älter als im Buch beschrieben.»
Als er das sagte, lehnte er sich noch etwas weiter nach vorne. Instinktiv wich ich zurück.
Und dann begann es auch schon.
Schon beim Intro hatte ich das Gefühl, dass es eine gute, eine epische Serie werden würde. Und als es dann die ersten fünf Minuten vergangen waren, war ich mir sicher.
Nach zwei Folgen stellte er ab
«Was? Warum hast du abgestellt? Stell wieder an! Stell wieder an!»
Mir war mein Ausbruch auch gleich wieder ziemlich peinlich.
«Es ist gut, nicht wahr? Aber schauen wir morgen weiter.»
Mir war der Gedanke, morgen wiederzukommen, etwas ungeheuer.
«Hmm, mal schauen. Soo gut fand ich es jetzt auch wieder nicht. Es kann nicht mit den Büchern mithalten.»
«Na schön wie du meinst. Weder die DVD oder ich laufen davon.»
Ich räusperte mich und erhob mich.
«Also dann, ich sollte glaube ich machen, dass ich nach Hause komme.
Er öffnete die Tür und ich war schon nach draussen getreten, als er mich amHandgelenk umdrehte, ich zu ihm hingezogen wurde und er seine Lippen auf meine presste.
Im ersten Moment war ich wie erstarrt und ich konnte mich nicht bewegen. Aber dann, als ich realisierte, was passierte, stiess ich ihn mit aller Kraft von mir weg und ergriff die Flucht, ohne noch einmal zurückzuschauen.
Okay Marianne, überlegen wir nochmals kurz. Du wolltest diesem Jungen um jeden Preis aus dem Weg gehen und nun hat er dich geküsst.
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