Kapitel 22
Während ich ihn intensiv küsste und er zuerst überrascht war, dann aber meinen Kuss erwiderte, stiess ich ihn immer weiter in Richtung Bett. Dort angekommen, drückte ich ihn hinab und legte mich auf ihn. Seine Hände fuhren unter mein Shirt und streichelten sanft meinen Rücken. Dies löste bei mir wieder dieses Prickeln aus. Nun fuhr auch ich unter sein Shirt und fuhr über seinen Waschbrettbauch. Ich fuhr weiter hinab und war nun bei seinem Hosenbund angelangt. Ich machte mich schon daran, sie ihm auszuziehen, als er innehielt und mich sanft, aber bestimmt von sich stiess. Für eine Sekunde blieb mein Herz stehen und verletzt und gleichzeitig auch geschockt und beschämt blickte ich ihn an.
Schnell erhob ich mich und wäre schon fast aus dem Zimmer gegangen, als ich mich nicht daran hindern konnte, folgende Worte zu sagen:
«Entschuldige. Ich habe angenommen, dass du auch Gefühle für mich hast. Du weisst schon, als du zum Beispiel meinen Kuss erwidert hast. Ich habe das gedeutet als: «Ja, Marianne, ich will das auch.» Abe offenbar habe ich mich getäuscht. Vielleicht bedeutet, wenn sich zwei Menschen küssen, etwas anderes für mich als für den Rest der Welt. Danke, du hast mir etwas Neues beigebracht. Ab jetzt weiss ich, dass es heisst: Ich finde dich abstossend und hege keinerlei Gefühle für dich.»
Am Ende schrie ich ihn beinahe an.
«Marianne...»
Aber ich war schon aus der Tür gestürmt.
Kurz überlegte ich, wo ich hingehen sollte und entschied mich letztendlich für das dritte Stockwerk.
Dort würde er mich bestimmt nicht finden.
Ich betrat den dunklen Gang und lief in das hinterste Zimmer. Jeden Moment hatte ich das Gefühl, dass jemand aus einem der Zimmer, die sich im Gang nur so aneinanderreihten, herauskommen und mich packen könnte.
Aber nun war mir nicht mehr danach, meine Karateübungen nochmals durchzugehen, auch wenn ich es wahrscheinlich dringend nötig hätte.
Meinetwegen kann dieses dumme Monster gerne kommen und mich auffressen.
Ich öffnete die hinterste Tür und trat ein.
Es war ein mittelgrosses Zimmer. An der einen Seite der Wand befand sich ein leeres Bücherregal und gegenüber davon ein grosser Schreibtisch. Früher war es wahrscheinlich ein Arbeitszimmer gewesen und mit genügend Fantasie konnte ich mir tatsächlich vorstellen, dass es, wenn es bewohnt war und draussen gerade kein Wintersturm mehr wütete, es wahrscheinlich ziemlich schön hier war. Die Aussicht auf den Garten war bestimmt prächtig und durch die hohen Fenster würde bestimmt viel Licht hineinströmen.
Aber nun war es verlassen und dunkel hier drin.
Ich lehnte mich an eine Wand, gegenüber vom Bücherregal und starrte auf den Boden. Draussen heulte noch immer der Wind und die Fensterläden klapperten leicht, wenn der Wind durch sie hindurchfuhr.
Was warst du nur für eine Idiotin gewesen? Wie hätte ich annehmen können, dass Dominik das alles ernst meinte? Natürlich hatte er nur mit mir gespielt und jetzt, da er erreicht hatte, dass ich Gefühle für ihn hatte, war sein Ziel erreicht.
Ein paarmal schlug ich mit meinem Hinterkopf gegen die Wand. Dann liess ich es aber sein.
Ich hatte offenbar in diesem Leben keine Liebe mehr verdient. Dann mussten mich nicht auch noch alle grauen Hirnzellen verlassen.
Ich begann leise vor mich hinzusingen. Denn ich hatte mal irgendwo gelesen, dass man nicht singen und gleichzeitig Angst haben konnte. Vielleicht konnte man ja auch singen und sich gleichzeitig keine Traurigkeit oder Verlassenheit spüren.
«The lights go out and I can't be saved
Tides that I tried to swim against
Have brought me down upon my knees
Oh I beg, I beg and plead, singing»
Plötzlich hörte ich, wie sich eine Stimme, eine Oktave tiefer, hinzumischte.
«Come out of the things unsaid
Shoot an apple off my head and a
Trouble that can't be named
A tiger's waiting to be tamed, singing»
Ich blickte auf und entdeckte Dominik, gegen den Türrahmen gelehnt.
Ich konnte gut singen? Er konnte gut singen!
Für einen Moment vergass ich, dass ich wütend auf ihn und verletzt war. Von einer Welle der Faszination und des Erstaunens überschwemmt, setzte ich auch wieder ein.
«Confusion that never stops
The closing walls and the ticking clocks gonna
Come back and take you home
I could not stop, that you now know, singing
Come out upon my seas
Cursed missed opportunities am I
A part of the cure
Or am I part of the disease, singing»
Am Ende blickten wir uns gegenseitig an. Unsere Stimmen ergänzten sich perfekt.
«You are, you are
Home, home, where I wanted to go
Home, home, where I wanted to go
Home, home, where I wanted to go
Home, home, where I wanted to go»
Er trat zu mir hin und hielt meine Hand fest. Und ich entzog sie ihm nicht.
«Marianne, du hast mich falsch verstanden. Ich habe Gefühle für dich. Aber... ich will nicht, dass du es überstürzt und im Nachhinein bereust. Glaube mir, ich wäre so was von bereit dazu, mit dir... aber deine Gefühle sind mir wichtiger. Und zu riskieren, dass du es bereust...»
«Du hast wirklich Gefühle für mich? Das ist alles kein blödes Spiel für dich?»
Er drückte meine Hand fester.
«Nein, nein, natürlich nicht! Seitdem ich dich das erste Mal gesehen habe, habe ich etwas zwischen uns gespürt.»
Einen Moment war ich noch wütend und verletzt auf ihn, aber nachdem ich verstand und ihm glaubte, dass er mich nicht von sich gestossen hatte, weil er keine Gefühle für mich hatte, sondern weil er Gefühle für mich hatte, nickte ich langsam.
«Ja. Du hast recht. Danke, dass du es gestoppt hast.»
Er trat zu mir heran und küsste mich sanft auf die Lippen.
«Es freut mich, dass du dir die Gefühle für mich eingestehen konntest, bevor ich meine Midlifecrisis habe.»
Ich schüttelte nur grinsend den Kopf.
Wir lagen Arm in Arm im Bett und ich kuschelte mich an ihn.
«Wie hast du mich eigentlich so schnell gefunden?»
«Nun, ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass du in den dritten Stock gehen würdest, weil du wahrscheinlich gedacht hast, dass ich dich dort am wenigsten vermuten würde. Und ich habe dich dort auch am wenigsten vermutet, aber gerade, weil ich dich dort am wenigsten vermutet habe, habe ich dich dort am meisten vermutet.»
«Das klingt nach irgendeinem Paradox.»
Nach einer Pause drehte er den Kopf zu mir und blickte mich an.
«Was hat sich eigentlich verändert? Ich weiss noch genau deinen Gesichtsausdruck, als ich dich das erste Mal geküsst habe. Du hast ausgesehen, als ob ich eine Riesenkakerlake sei.»
Ich lachte.
«Nun, ich kann es mir auch nicht so ganz erklären. Ich glaube, dass es damit zusammenhängt, dass ich dich anfangs einfach nur für einen Idioten gehalten habe.»
Er schlug sich auf die Brust.
«Autsch.»
«Aber nicht nur. Du hast auch so einen intensiven Blick und ich habe das Gefühl gehabt, dass du in mein Innerstes sehen konntest. Oder immer noch kannst. Und ich habe mich davor gefürchtet. Aber jetzt... jetzt fürchte ich mich nicht mehr davor. Denn ich bin bereit, mich vor ihm zu öffnen.»
«Wirklich? Wunderbar! Dann sag mir mal: Welche Körbchengrösse hast du? Ich kann mich nicht zwischen B und C entscheiden... oder ist es etwas dazwischen?»
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich ihn an.
«Dünnes Eis, Freundchen. Dünnes Eis.»
«Warte mal. Jetzt, wo du Gefühle, die über Freundschaft hinausgehen, für mich hegst: Habe ich nun endlich Lennie...»
«Sein Name ist Freddie.»
«...besiegt? Magst du mich nun mehr, als du ihn je gemocht hattest?»
«Nun ja, ich habe mich in der Grundschule eigentlich mit ihm verheiratet.»
«Was? Du betrügst mich?»
«Wohl eher ihn...»
Er richtete sich auf.
«Warte. Wenn du ihn mit mir betrügst, dann bedeutet das, dass... du mich mehr magst wie ihn.»
Wow. Langsam fragte ich mich, ob das nur ein Spiel war, oder er wirklich neidisch auf Freddie war.
«Gut. Ja. Du hast gewonnen. Ich mag dich mehr. Aber... Freddie und ich müssen noch gemeinsam wohnen. Wegen den Kindern...»
Er blickte mich gespielt geschockt an.
«Du hast Kinder mit ihm?»
«Ja, Trutsi, Pupsi und Knurzi. Ich habe sie aus Marzipan gemacht. Ah, warte, stimmt. Ich habe sie aufgegessen.»
«Das erinnert mich irgendwie an die griechischen Sagen. Ist dein Name etwa Kronos?»
«Was? Nein! Du hast mein Geheimnis erfahren, das ich über Jahrtausende geheim gehalten hatte!»
«Ja, ich habe es immer gewusst! Ich habe immer...»
Ich brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen.
Als ich ihm danach in die Augen blickte, sah ich zum ersten Mal, dass dieser Ausdruck von Traurigkeit in seinen Augen verschwunden war.
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