Kapitel 6 - Camping
Als Summer erwacht, ist sie immer noch von trübem Sonnenschein umgeben. Es ist daher schwer zu sagen, wie lange sie geschlafen hat, da hier kein normaler Tag-und-Nacht-Rhythmus herrscht. Müde reibt sie sich die Augen und blickt sich verwundert um. Sie hat so tief geschlafen, dass sie noch nicht einmal geträumt hat, und kann sich im ersten Moment nicht erinnern, wo sie ist, geschweige denn, wie sie hierher gekommen ist. Beim Aufsetzen fällt ihr dann alles wieder ein: Rune, die Reise, seine Stimme in ihrem Kopf. Und die Tatsache, dass sie an ihn gekuschelt eingeschlafen ist. Doch jetzt ist er nicht mehr da. Sie ist alleine, umgeben von einer schier endlosen Weite aus Schnee und Schneehügeln. Erschrocken schaut sich die junge Frau um, ängstlich darüber, dass sie sich vielleicht in ihm getäuscht hat und er sie jetzt alleine in dieser schneebedeckten Einöde sitzen gelassen hat. Doch da vernimmt sie schon die dunkle samtene Stimme, die ihr aus ihren Träumen mittlerweile so vertraut ist, in ihrem Kopf.
„Ich bin gleich bei Euch, Prinzessin. Ich war auf der Jagd und habe Essen besorgt. Ich hoffe, Ihr könnt Feuer machen. Holz findet Ihr neben Euch im Schnee."
Noch immer vom Schlaf etwas benommen, sieht sich Summer um und findet das Feuerholz unweit neben ihrem Schlafplatz. Unsicher, wie sie daraus ein Feuer machen soll, versucht sie sich an die Zeit mit ihrem Adoptiv-Vater Edward zu erinnern. Er liebte es, mit ihr an den Wochenenden in den Bergen campen zu gehen, und brachte ihr vieles bei, was man zum Überleben in der Natur braucht. Darunter auch, wie man in der Wildnis Feuer macht. Konzentriert ruft sie sich seine Worte und Anleitungen in Erinnerung und schafft es tatsächlich, nach wenigen Minuten der Vorbereitungen, eine kleine Flamme zu erzeugen. Erfreut über ihren Erfolg lässt sie diese zu einem kleinen gemütlichen Lagerfeuer anwachsen und wartet darauf, was der Eiswolf wohl erfolgreich von seiner Jagd mitbringen wird.
Lächelnd schaut sie ins Feuer und schwelgt in den Erinnerungen an die Campingausflüge mit ihrem Vater. Sie hatte diese geliebt, es gab nur sie und Edward, eine Vater-Tochter-Zeit. Niemals hatte er die geplanten Touren abgesagt, oder Summer gar versetzt, auch wenn er noch so beschäftigt war oder sein Beruf in zeitlich immens einspannte. Camping mit seiner geliebten Summer ging immer vor. Und sie freute sich jedes Mal auf die Wochenenden, in denen sie kletterten, wanderten und lustige Lieder am Lagerfeuer schmetterten. Das kleine Waisenmädchen in ihr vergöttert ihn bis heute dafür. Und wer hätte gedacht, dass sie tatsächlich einmal wissen muss, wie man in einer unwirtlichen Gegend ein Feuer macht? Summer ganz bestimmt nicht, schmunzelt sie in sich hinein, als auch schon Rune etwas entfernt über einem kleinen Hügel auftaucht und in großen eleganten Sätzen zu ihr läuft.
„Entschuldigt meine Abwesenheit bei Eurem Erwachen, aber ich dachte, etwas zu Essen würde Euch dafür entschädigen und wie ich sehe, hat das mit dem Lagerfeuer wunderbar geklappt. Habt Ihr denn gut geschlafen?"
Summer wendet sich ihm zu und nickt: „Ja, danke. Was hast du denn mitgebracht?"
„Schneekaninchen. Hat mich ganz schön genarrt, bis ich es erwischt habe", grummelt es dunkel durch ihre Gedanken, als sie Rune das tote Tier vorsichtig aus seinem Maul nimmt.
„Der große böse und mächtige Eiswolf wurde durch so ein kleines unschuldiges Tier zum Narren gehalten?", kichert Summer, als sie einen bösen Blick ihres Gegenübers dafür kassiert. „Entschuldige, ich bin einfach nur erleichtert, dass du wieder da bist und reagiere wohl etwas albern. Zum Glück bin ich eine Frau mit vielen Talenten!", erklärt sich die junge Frau und fängt an, das kleine Kaninchen etwas ungeschickt abzuziehen und auszunehmen.
„Soll ich dir was abmachen, bevor ich es über das Feuer hänge?", fragt sie Rune, doch dieser schüttelt nur seinen weißen Kopf und legt sich in einer fließenden Bewegung in einigem Abstand zum Feuer in den Schnee und beobachtet schweigend Summers Vorbereitungen.
Eine Zeit lang herrscht Stille zwischen den beiden Reisenden und das Kaninchen brät nach einigen Minuten an einem großen Stock, aufgespießt über dem Feuer. Als Summer dann zögernd mit dem Essen beginnt, hört sie wieder die dunkle Stimme des Wolfs in ihrem Kopf.
„Es tut mir leid, dass ich Euch so viel abgenötigt habe. Ich bin verantwortlich für Eure körperliche Unversehrtheit und diese habe ich sträflich vernachlässigt, als ich Euch diesen mörderischen Ritt zugemutet habe", hört sie ihn in echter Reue murmeln. Stirnrunzelnd sieht sie von ihrem Essen auf und bemerkt, wie Rune ihre Schrammen und blauen Flecken genaustens zu betrachten scheint.
„Ich habe mich deswegen auch um eine bequemere Reisemöglichkeit für Euch bemüht. Sie sollten bald hier sein, so dass Ihr in Ruhe essen könnt."
Nachdenklich reibt sich Summer ihre noch immer schmerzenden Handgelenke und sieht ihn dann offen an. „Rune, du hast mir mehr als einmal klar gemacht, dass Zeit von Bedeutung ist, auch wenn ich nicht wirklich weiß warum. Und, ich vertraue dir. Etwas sagt mir, dass du mir nie wirklich Schaden zufügen würdest. Auch wenn die letzten Tage und Stunden gewiss nicht angenehm waren... ich fühlte deine Eile. Ich fühlte sie in jeder Zelle meines Körpers. Ich weiß nicht warum, aber auch ich wollte so schnell ankommen, wo auch immer dieses Ankommen ist. Irgendwas scheint mich anzuziehen, je länger wir unterwegs waren. Selbst jetzt drängt es, mich aufzuspringen und loszulaufen. Es fällt mir schwer, dagegen anzugehen, und ich weiß du fühlst es auch."
Erstaunt schaut der Wolf sie an.
„Seit wir auf dieser Seite des Meeres angekommen sind, seitdem wir „Zuhause" sind... schwingt etwas von deinen Gefühlen mit, wenn du zu mir sprichst."
Sichtlich geschockt erwidert Rune: „Ihr könnt bereits jetzt etwas von meinen Gefühlen empfangen? Wie ist das möglich?"
„Ich weiß es nicht... du bist in dieser Angelegenheit mein Mentor, falls du das vergessen haben solltest", schmunzelt Summer ihn an. Sie kann einfach nicht anders, als ihn des Öfteren zu necken. Der Eiswolf wirkt immer so ernst und seit ihre Reise begonnen hat, kam sie nicht umhin zu bemerken, dass ihn eine gewisse Anspannung überkommen hat. Sie hat ihn am Anfang auch mehrmals geneckt, dass es mit dem Auto bequemer gewesen wäre, doch Rune hat sie nur immer angewidert angesehen, genauso wie beim ersten Versuch, den Wolf in ihr Auto zu verfrachten. Er hat sich mit allen vier Pfoten gewehrt und sie sogar an geknurrt, als Summer versucht hat, ihn einfach auf die Rückbank zu hieven. Daraufhin sind Sie in der Nacht danach losgeritten und Summer musste ihre gepackten Sachen zum größten Teil im Auto lassen.
„Wie kommt es eigentlich, dass ich dich jetzt in meinem Kopf hören kann?", versucht sie etwas von ihren tausend Fragen endlich beantwortet zu bekommen.
„Das liegt daran, dass wir endlich die Grenzen zu Eurem Herrschaftsbereich überschritten haben. Auch habe ich hier mehr Fähigkeiten zur Verfügung als außerhalb und jetzt da wir zusammen sind, wächst unsere Verbindung zueinander. Je länger wir Zeit miteinander verbringen werden, desto stärker und mächtiger wird diese Verbindung werden."
„Okay, das erklärt es. Und wir sind noch nicht am Ziel?", seufzt Summer genervt auf. Hoffentlich ist die neue Reisemöglichkeit wirklich bequemer, denn sie hat wirklich keine Lust mehr darauf, weiter auf dem Wolf hin- und hergeschüttelt zu werden.
„Ja, wir haben noch ungefähr eine Tagesreise vor uns. Ihr braucht Euch jedoch nicht zu sorgen, wir legen den Rest der Strecke anders zurück, wie ich bereits angekündigt hatte", zerstreut er ihre Abneigung und wirkt dabei ein bisschen beleidigt, dass sie offensichtlich nicht mehr auf ihm reiten will. „Es musste leider sein, dass Ihr auf mir reitet. In Eurem stickigen Metallkasten wären wir nicht annähernd so schnell gewesen. Und jetzt da wir über die Grenze sind, ist das Tempo etwas zu vernachlässigen. Wir sollten uns trotzdem nicht allzu viel Zeit lassen, weswegen ich um Unterstützung ersucht habe", ergänzt er, jedoch nicht ohne Summer dabei entschuldigend anzusehen.
„Wie sieht diese Unterstützung denn aus?"
„Lasst Euch überraschen", scheint sie der Wolf anzugrinsen, „Ich bin mir sicher, es wird Euch gefallen. Und jetzt ruht Euch noch etwas aus", gähnt der Wolf unverhohlen und signalisiert Summer mit einer Bewegung seines Kopfes, sich an ihn zu lehnen.
Keinen Grund sehend, warum sie das nicht tun soll, löscht Summer das Feuer, macht es sich an Runes Flanke bequem und legt ihr Kinn auf seinen Rücken, um ihn hinter dem Ohr zu kraulen. Sichtlich genießend dreht er leicht seinen Kopf, um ihr besseren Zugang zu gewähren.
„Was erwartet mich eigentlich dort? Wo auch immer dieses dort ist? Meinst du nicht, dass du mir allmählich etwas mehr verraten solltest, jetzt da wir fast dort sind?"
„Alles zu seiner Zeit", entgegnet ihr Begleiter nur geheimnisvoll.
Enttäuscht zieht Summer ihre Hand von seinem Ohr. „Rune! Bitte! Ich hab mich von dir überreden lassen mitzukommen, habe dir vertraut, aber du gibst überhaupt nichts preis. Ich möchte einfach nur gerne wissen, was ich zu erwarten habe. Ich fühle mich so unsicher", schnieft Summer etwas. „Ich fühle, dass es richtig ist hier zu sein, mit dir. Und etwas zieht mich an, dort draußen", murmelt Summer etwas verzweifelt vor sich hin, „etwas, dass wenn ich seinem Ruf folge nicht wieder umkehrbar ist", sieht sie den weißen Wolf unsicher an.
„Summer", nennt ihr Begleiter sie das erste Mal beim Namen, wie ihr auffällt. „Ich verstehe Eure Gefühle, auch ich empfange sie zum Teil von Euch", und wendet sich mit dem Gesicht ihr zu, so dass er Auge in Auge mit der jungen Frau liegt.
„Bitte, ich würde niemals zulassen, dass Euch etwas geschieht, und Ihr müsst mir einfach glauben, wenn ich Euch sage, dass ich Euch nicht mehr erzählen kann... noch nicht. Ihr werdet alles erfahren, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist, das verspreche ich Euch", schaut er der jungen Frau tief in die Augen und Summer kann Aufrichtigkeit und Sorge um sie darin erkennen. Sie fühlt einen Widerhall, dessen in ihrem Herzen, Runes Gefühle welche jedes seiner Worte begleitet hat. Stumm nickend nimmt sie den Kopf des Eiswolfs in ihre Hände und schmiegt Ihre Wange an seine.
„Ich vertraue dir, du Geheimniskrämer!", und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn, „aber wehe dir, ich muss jemals wieder auf einem Wolfsrücken reiten! Dann streike ich!", beginnt sie zu scherzen und ihre eigene gedrückte Stimmung zu vertreiben.
Schnaubend und irritiert über ihre Liebkosung und der Neckerei dreht sich Rune wieder von ihr weg, legt seinen Kopf auf seine Vorderpfoten und sie hört nur, wie es in ihrem Kopf murmelt: „Schlaft jetzt."
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