Kapitel 23
Wiegenlied
Kapitel 23
Ich legte meinen Kopf auf meine Knie. Das alles wurde mir langsam zu bescheuert. Es ergab keinen Sinn.
»Kündigst du?«, fragte Burak wieder und er würde es immer und immer wieder fragen, bis er seine gewollte Antwort bekam.
»Warum willst du, dass ich nicht kündige?«
Die Frage schien ihn selbst zu beschäftigen, denn er dachte nach und gab mir dennoch keine Antwort. Stattdessen wollte er das Thema wechseln. »Wieso liebst du die Farbe rot?«
Was besseres war ihm offensichtlich nicht eingefallen. Ich seufzte. »Burak, ich habe nicht vor, mein gesamtes Wochenende hier zu verbringen. Es ist Qual genug, dich in der Woche zu ertragen.«
Er zuckte kurz zurück. »Wegen Ecrin«, griff er wieder auf die Frage zurück.
»Wegen Ecrin dies, wegen Ecrin das, eine bessere Antwort findest du nicht?«
»Wieso soll ich mir eine andere Antwort suchen, wenn es wegen ihr ist?«
»Wieso soll das Ecrin stören? Ich sehe sie sowieso jeden Tag. Wie wohnen im selben Apartment, schon vergessen?«
»Es ist wegen mir, verdammt«, brüllte er fast schon, »Weil ich so ein beschissenes Gewissen hab, denn du kündigst wegen mir.«
Ich starrte ihn still schweigend an, weil ich keine passenden Worte fand.
»Ich mache dir einen Deal«, fügte er hinzu. »Wenn du nicht kündigst, dann lasse ich dich soweit es geht in Ruhe, aber wenn du kündigst, dann werde ich lästiger als ein Floh.«
»Deal«, brachte ich hervor. »Ich kündige nicht. Du lässt mich in Ruhe.«
Burak lächelte zufrieden und stand auf. Dabei klopfte er den Dreck von seiner Hose ab. »Sollen wir zurückfahren?«
»Zurück? Ich dachte, der Wagen springt nicht mehr an?«
»Hab dich verarscht«, sprach er amüsiert und stieg ein.
Ich konnte nicht fassen, dass ich auf ihn reingefallen war. Wütend ließ ich mich auf den Beifahrersitz nieder. Als er losfuhr, ließ mich sein Lachen zornig nach vorne schlagen. Meine Faust knallte hart und als ich das nächste Mal ausholte, griff er nach meiner Hand und verschränkte sie in seine. Er drücke sie fest und grinste schief. »Beruhig dich!«
Ich entriss ihm meine Hand und verschränkte die Arme. Mein Blick hing aus dem Fenster. Die Wege, Häuser, Straßen, Bäume rasten an mir vorbei, während wir uns immer weiter in Richtung nach Hause bewegten.
In diesem Moment hätte ich mir am liebsten selbst eine geklatscht. Okay, ich wollte ihm immer eine klatschen, aber jetzt war der Drang noch stärker. Er hatte mich tatsächlich reingelegt und er hatte mich dazu gebracht, nicht zu kündigen.
Dieses ständige Jojo-Entscheidung regte mich sowieso auf. Wieso konnte ich nicht einfach kündigen, wenn ich es vorgenommen hatte? Wieso versuchten mich immer andere davon abzuhalten?
Ein Gutes hatte das Ganze zumindest. Ich würde Burak fernbleiben- so gut es ging.
»Tut Aslı jetzt ein auf beleidigt?«, fragte Burak. War schon klar, dass er jetzt wieder anfangen konnte, beschissen zu werden. Er hatte schließlich bekommen, was er gewollt hatte. Arschloch.
»Was soll ich denn machen?«, zischte ich. »'Ne Party schmeißen, weil du mich reingelegt hast?«
»Sieh es doch mal positiv.«
»Hast recht. Jetzt muss ich dich nie mehr ertragen.«
Nach diesen Worten schwieg er, bis wir ankamen.
»Ich halte mein Wort, solange du deins hältst«, erinnerte er mich. »Denk daran.«
Ich nickte nur und ging in meine Wohnung. Zum Glück war Neslihan noch nicht da. Ich wollte etwas schlafen, aber als ich mich in mein Bett geschmissen hatte, hörte ich ein Geräusch in der Nähe des Fensters. Zuerst ignorierte ich es, aber als in der nächsten Sekunde die Geräusche nicht endeten, stand ich auf und begab mich zum Fenster, welches ich öffnete.
Tatsächlich war es Burak, der mit kleinen Steinen geschmissen hatte. Das war also deine Definition von "fernbleiben"? Der hatte definitiv zu viele Filme geguckt.
»Was soll der Mist!«, fragte ich deshalb und sah ihn wütend an.
»Ich hab vergessen, dir etwas zu sagen.«
Fing ja schon gut an.
»Was?«
»Sag Ecrin nicht, dass wie einen Deal haben.«
»Warum? Weil sie sonst erfährt, dass du mich gezwungen hast?«
»Gezwungen?«
»Wie würdest du es nennen, wenn dich jemand drohend dazu bringt, in seinen Wagen zu steigen?«
»Ich würde es Strategie nennen.«
Er hatte Glück, dass er nicht neben mir stand. Ich hatte nämlich den totalen Drang, ihm eine zu scheuern und dieses Mal hätte ich es getan. »Verpiss dich von hier Burak.«
»Sag Ecrin nichts!«
»Ja!«
Damit knallte ich das Fenster zu und wollte wieder in mein Bett sinken, als wieder die kleinen Steine auf mein Fenster prallten. Na gut, dachte ich. Wenn er so gern wie in einem Film handeln wollte, sollte er es so bekommen. Was machten noch einmal Mädchen in Filmen, die genervt von solchen Typen waren?
Ich lief schnell in das Badezimmer und füllte einen Behälter kaltes Wasser. Damit lief ich wieder in mein Zimmer. Wie es schien hatte Burak noch nicht aufgegeben, denn er schmiss immer noch. Langsam hatte ich das Gefühl, dass er immer noch ein kleines Kind war. Jungs wurden nie erwachsen.
Ich öffnete das Fenster, nachdem ich den Behälter neben mir auf den Boden stellte.
»Wieso dauert das bei dir so?«, fragte er auch noch, als sei es selbstverständlich, dass ich ihm gehorchte.
»Ich sehe, wie toll du dich an dein Wort hältst!«, zischte ich und verdrehte meine Augen.
»Das gilt erst ab morgen.«
»Wie früh ich Bescheid bekomme.«
»Geh doch schnell zu Ecrin und sag ihr Bescheid. Sonst macht sie sich noch Sorgen darum, dass du kündigst und so.«
»Ich hab zu tun.«
»Naz yapma (Zier dich nicht), das ist doch nur ein Schritt entfernt, Mädel.«
»Nenn mich nicht Mädel.«
»Wie willst du dann genannt werden?«
»Evren.«
Er lachte. »Und was soll das zeigen? Ich hab null Respekt gegenüber dir. Auch nicht, wenn ich dich mit deinem Nachnamen-«, da stoppte er, denn ich nahm den Behälter voll mit dem Wasser und kippte ihn über ihn.
Danach streckte ich ihm, wie ein Kleinkind, die Zunge und schloss rasch das Fenster. Eine Freude ging in mir auf und ich musste anfangen zu lachen. Dabei entschied ich mich wirklich zu Ecrin zu gehen und verriet ihr, dass ich mich umentschieden hatte. Sie freute sich riesig und ich merkte, wie wichtig ich ihr war, obwohl ich das wahrscheinlich nicht einmal verdient hatte.
Als ich wieder zu Hause ankam, kam mir Fatih in die Gedanken. Ich rief ihn an, doch er ging nicht an sein Handy. Wenn er weiter auf beleidigt tuen wollte, sollte er doch. Vielleicht war es sowieso besser, wenn ich nichts über Mete herausfand.
Neslihan kam spät nach Hause. Ich hatte etwas zu essen gemacht, was sie mühsam verzerte. Sie sah so kaputt und erschöpft aus.
»Was ist passiert?«, fragte ich schließlich, weil ich diese Stille nicht ertrug.
»Was soll passiert sein? Ich bin nur etwas müde.«
»Das bist du schon seit Tagen.«
»Ich hatte nur Stress bei der Arbeit.«
»Es ist Samstag. Du arbeitest nicht Samstags.«
»Aslı, frag einfach nicht.«
Sie stand auf und verließ mich mit diesen offenen Fragen. Sie ließ mich hier sitzen mit dieser Leere, die mich innerlich zerfraß.
Etwas bedrückte sie und ich durfte zusehen. Das war grausam. Ich biss mir fest auf die Lippe, stand auf und erledigte den Abwasch. Ich hatte sowieso nichts besseres zutun und dabei konnte ich Fragen verdrängen wie zum Beispiel, wie gut ich Neslihan kannte und ob ich wirklich alles von ihr wusste.
Zum Schluss duschte ich, föhnte mein Haar und machte mich bettfertig.
Sonntag. Ich schlief nicht lange aus. Es war gerade mal acht als ich aufwachte und mich umzog. Ich hatte erwartet, dass Neslihan zu Hause ist, das war sie nur nicht und das machte mich nur noch neugieuger. Was tat sie denn jeden Tag, was sie mir verheimlichen musste?
Ich frühstückte etwas und wurde da von Fatih angerufen. Er war also auch ein Frühaufsteher.
»Aslı?«, fragte er, als ich den Anruf annahm.
»Ja?«
»Hab ich dich geweckt? Du klingst noch so müde.«
»Nein, ich war schon wach.«
»Gut, hast du jetzt Zeit?«
»Jetzt sofort?«
»Ist das ein Problem?«
Ich blickte auf dir Uhr. »Nein, nein. Ich hab Zeit.«
»Dann hole ich dich in zehn Minuten ab. Bis gleich.«
»Bis gleich.«
Ich band mein Haar zu einem Pferdeschwanz und wartete die zehn Minuten ab. Danach lief ich aus dem Apartment und wie erwartet war dort Fatih mit seinem neuen Wagen. Entweder er lieh sich immer wieder welche aus oder er kaufte sich Neue. Auf jeden Fall wechselte er sie wohl schneller als seine Socken.
Zur Begrüßung umarmte er mich lange, als sei das ganz normal. Ich hatte ihn bis jetzt noch nie- nie- nie- nie umarmt. Danach setzten ich mich hinein. Seine Sitze waren bequemer als die von Burak, aber das war ja normal.
»Wie geht's dir, Aslı?«
»Gut, dir?«
Er startete den Wagen und fuhr mit schneller Geschwindigkeit fort.
»Fatih, du bist über der Geschwindigkeitsbegrenzung und du bist Polizist.«
Angeber. Wie ich sowas hasste.
»Du bist wohl eine Gesetzeshüterin, noch ein Grund, weshalb wir zusammen passen.«
Ich würde gleich kotzen, wenn er so weiter machte. Außerdem war ich ganz bestimmt keine Gesetzeshüterin.
»Du bist so still«, lachte er dann und fuhr mit seiner Hand durch das blonde Haar.
»Bin ich immer.«
»Irgendwann öffnest du dich. Da bin ich mir sicher.«
Ich nicht. »Wieso hast du mich angerufen? Hast du etwas über Mete herausgefunden?«
»Dürfen wir uns nicht einfach so treffen?«, fragte er lachend.
Oh Gott, Nein!
Er musste meinen Blick bemerkt haben. »Keine Sorge, Aslı. Wir fahren zum Polizeirevier.«
Meine Augen wurden weit. »Wohin!?«
»Ich kann von zu Hause aus diesen Mete gar nicht finden. Dafür muss ich im Revier sein. Tut mir leid, dass ich dich angelogen hab, aber ich wollte etwas Zeit mit dir verbringen und da hatte ich einfach die perfekte Ausrede. Ich würde nicht nach diesem Typen suchen, weil ich versuchen würde, so langsam wie möglich zu sein, um länger bei dir zu sein, verstehst du? Aber wenn du da bist und mich sozusagen kontrollierst, mach ich das nicht.«
Ich sah aus dem Fenster. Schön, dass mich alle verarschten.
»Hey, Aslı«, murmelte er. »Ich hatte Angst, dass du mich fallen lässt, nachdem ich dir von diesem Mete berichtet hätte.«
Ich schwieg, denn ich hatte verstanden, dass das die härteste Strafe für ihn war.
Kurze Zeit später hatte Fatih geparkt. Ich stieg widerwillig aus. »Ich will gar nicht mitkommen.«
»Wir essen dich schon nicht auf«, meinte er und nahm mich an der Hand. So führte er mich in das Revier und dann mit in ein Büro. Da er heute frei hatte, war das wohl okay, dass ich hier war.
Nur sein Chef sollte mich nicht sehen. Ich war auch nicht wirklich scharf darauf, seinen Chef zu sehen. Zu mal würde mir das Ärger einhandeln.
Fatih tippte an einem Laptop herum. Ich saß nur neben ihm, wie eine dumme Puppe.
»Aslı? Soll ich uns einen Kaffee bringen?«
»Das mach ich schon«, erklärte ich und stand auf.
Im Vorraum hatte ich einen Automaten gesehen. Ich verließ den Raum, während ich noch Fatihs letztes »Danke«, hörte und betätigte den Automaten. Ein Mädchen kam zu mir. Ihre Uniform ließ mich erkennen, dass sie Polizistin war. Sie hatte langes braunes rot schimmerndes Haar mit einem Vollpony.
Ihre Augen waren grün und hatten mich in ihren Blick gefangen. Sie legte ihren Kopf schief und sah mich verwirrt an. »Wer bist denn du?«
»Aslı«
Half lügen überhaupt?
»Oh«, machte sie, als würde sie alles verstehen. Ihre Stirn hatte sie gerunzelt und die vollen Lippen zusammengepresst. Langsam hob sie ihre rechte Hand, als wolle sie das in Wirklichkeit gar nicht. »Du bist bestimmt die eine Freundin von Fatih! Er hat mir schon einiges über dich erzählt!«
Ich nahm ihre Hand und schüttelte sie. Was konnte bitte Fatih über mich wissen, dass er weiter erzählen konnte? Wir hatten uns nie getroffen- oh ja, er war ja ein Stalker.
»Nett dich kennenzulernen, ich bin Anise, bin Türkin und eine gute Freundin von Fatih.«
Aha. »Freut mich dich kennenzulernen.«
Anise sah mich so an, als ob sie mich mit ihren Blicken umbringen wollte. »Und, wie findest du Fatih?«
»Er ist ein sehr netter Mensch«, erklärte ich. Was sollte ich denn sagen? Er ist ein Typ, der mich ausspioniert hat, aber schon nett ist, weil er mir ja hilft. Ach ja und er verarscht mich wie die halbe andere Welt auch.
Ich ging rein und brachte Fatih seinen Kaffee. Anise wollte bei uns bleiben. Das war ein großer Grund für mich abzuhauen. Ich täuschte einen Anruf von Neslihan vor und verließ schnell das Revier. Ich nahm den nächsten Bus und fuhr nach Hause. Endlich fühlte ich mich wieder sicher.
Schleppend bewegte ich mich in das Apartment hinein und wollte nur schlafen. Ecrin kam da aus ihrer Wohnung raus und blickte mich mit großen Augen an. »Was für ein Zufall!«
»Kannst du laut sagen«, ich umarmte sie und sie erklärte mir, dass sie mit ihrem Vater, der momentan mit Krücken sich fortbewegte kurz zum Arzt musste, zur Kontrolle.
»Brauchst du Hilfe? Ich kann mitkommen«, bot ich ihr an.
»Nein, aber das ist richtig süß von dir«, strahlte sie, ihr Lächeln aber verebbte sofort. »Deshalb kann ich heute nur nich zu Burak. Er ist krank geworden weißt du. Seine Mutter hatte mich heute Morgen angerufen, ob ich nach ihm sehen könnte, weil sie selbst am Sonntag arbeiten muss. Er soll gestern platschnass zu Hause aufgetaucht sein. Sie hat lange versucht etwas aus ihm herauszuquetschen, aber er hat nicht gesagt, wie es passiert ist. Der Ärmste.«
Ich nickte und versuchte dabei den Knoten, der in meinem Hals entstanden war, runterzuschlucken. Der Knoten nannte sich auch "schlechtes Gewissen" und wurde übrigens immer größer.
_______________________
Ich hab jetzt einen Wochenplan auf meinem Profil. Also falls ihr wissen wollt wann es weiter geht, braucht ihr nur da vorbeischauen. Kann auch sein, dass ich vorher schon weiter mache, je nachdem :)
Dankeschön für eure Kommentare ❤️
HayAleyna
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro