❝Szene 21: Ein unschlagbares Angebot❞
»Wie meinst du das?«, wollte ich irritiert von ihm wissen und zog fragend meine Augenbrauen zusammen.
»Ich kann es dir nicht sagen«, versuchte Romeo mir verzweifelt zu erklären.
»Wieso nicht?«
»Weil es nicht mein Geheimnis ist«, gab er seufzend zu.
»Und wessen Geheimnis ist es dann? Chloes?« Ich sah ihn eingängig an und wartete auf eine Reaktion von ihm, aber er senkte nur schweigend den Kopf. Das war wohl Antwort genug.
»Chloe hat es nicht leicht. Ich wollte retten, was noch zu retten ist«, erklärte er und sah dann wieder zu mir auf. Verzweiflung lag in seinem Blick.
»Und hast du es geschafft?«, hakte ich nach. Meine Kehle fühlte sich seltsam trocken an. Von welcher Art von retten sprach er, wenn jemand dabei ums Leben kam?
»Eigentlich ja ... aber auch irgendwie nicht.« Er biss sich auf seine Unterlippe. »Ich denke, wir sollten zurückgehen. Der Dreh geht sicherlich gleich weiter.«
Ich nickte, doch mein Kopf war zu beschäftigt damit, sich mögliche Ereignisse auszumalen, von denen eines absurder war, als das nächste. Was ist damals bloß geschehen?
Wir schwiegen den gesamten Rückweg über. Das elektrische Zurren unseres Kusses schien immer noch wie eine Barriere zwischen uns zu hängen und schnürte mir die Kehle zu. Wieso konnte es nicht so leicht und unbeschwert zwischen uns sein, wie in unserer Kindheit? Damals, als alles so unschuldig schien. Keine verbotenen Küsse, keine alles beobachtenden Kameras, keine Ex-Freundinnen und ganz sicher keine Toten oder abgestorbene Zehen.
Thea kam uns schon von weitem entgegengelaufen. Ihre hellbraunen Haaren wippten beim Laufen auf und ab und glänzten golden in der Sonne.
»Hey June, Rachel sucht schon nach dir. Du sollst zu ihr kommen. Sie wartet im Büro auf dich«, erzählte sie mir aufgeregt.
Romeo warf mir einen besorgten Blick zu und ich musste schlucken. Wir beide wussten wohl, dass jetzt die Stunde der Wahrheit nahte.
»Ich sehe mal nach, was sie von mir möchte«, krächzte ich und setzte in Gedanken »und packe schon meine Koffer für die Abreise« hinterher.
»June?«, meldet sich Romeo kleinlaut zu Wort.
Ich sah zu ihm auf.
»Es tut mir wirklich leid, in was ich dich da reingeritten habe. Wenn du möchtest, kann ich mitkommen und Rachel alles erklären. Es ist ja nicht deine Schuld, dass ich mich ...«
Er machte eine Pause und massierte sich kurz den Nasenrücken. »Also ... dass ich mich wie ein betrunkener Idiot benommen habe.«
»Nein, alles gut. Ich bekomme das schon selbst hin, aber danke«, versicherte ich und versuchte mich an einem zuversichtlichen Lächeln, das vermutlich eher aussah, wie das einer Gruselmaske. »Ich gehe jetzt lieber zu ihr. Auf mich zu warten, wirkt sich sicherlich nicht gerade gut auf ihre Stimmung aus.«
Die beiden nickten und wünschten mir Glück. Leider hatte ich das Gefühl, dass ich das auch gebrauchen könnte.
•••
Rachels Büro war eigentlich nur eine normale Hütte, in die sich die Produzentin in ihren Pausen oft zurückzog. Vermutlich, um böse Pläne auszuhecken und ein paar Kinder in ihren Ofen zu schmeißen. Bei ihr konnte man ja nie wissen.
Die Tür war einen Spalt geöffnet, als ich eintreten wollte. Rachels zitternde Stimme ließ mich jedoch innehalten.
»Ich habe das im Griff, Daddy«, hauchte sie. »Ich hab schon viele Shows produziert.«
Für einen Moment herrschte Stille. Nur Rachels rasselnde Atmung war durch den Spalt der Tür zu hören. Es war merkwürdig, sie plötzlich so verletzlich zu hören, obwohl sie normalerweise nur so vor Selbstvertrauen zu strotzen schien.
Ich hasste die Tatsache, dass ich schon wieder lauschte. Hatte ich nicht mittlerweile gelernt, dass man sich aus den Angelegenheiten anderer raushielt?
»Du hast noch nie an mich geglaubt«, murmelte sie erstickte und ich hörte etwas, das klang wie ein Schluchzen.
Ich wich einige Schritte zurück. Das Gespräch klang wirklich privat und war sicherlich nicht für meine Ohren bestimmt. Ich sollte nicht hier sein. Langsam ging ich noch einige weitere Schritte rückwärts, bis ich plötzlich über eine aus dem Boden ragende Wurzel stolperte und mit einem dumpfen Geräusch zu Boden ging.
Nur mit Mühe verkniff ich mir einen gequälten Laut, als der Schmerz durch meinen Hintern zuckte.
Die Tür von Rachels Büro wurde aufgerissen und sie starrte schockiert auf mich herab. Ihre Augen hatten den gleichen Rotton wie ihre Haare angenommen und ihre Hand, mit der sie sich immer noch ihr Handy ans Ohr hielt, zitterte leicht.
»Ich rufe dich nachher zurück. Ich muss etwas am Set klären«, murmelte sie in das Smartphone und steckte es dann weg. Ihr Blick ruhte auf mir, doch ich konnte ihn nicht wirklich deuten.
»Komm rein, Bloomfield«, forderte sie mich tonlos auf und bedeutete mir mit einer ausschweifenden Handbewegung, einzutreten.
Benommen rappelte ich mich auf und folgte ihrer Anweisung. Würde ich für den Lauschangriff noch mehr Ärger bekommen, als sowieso schon?
In dem kleinen Büro standen zwei Campingstühlen und ein schmaler Schreibtisch, auf dem sich ein roségoldenes MacBook befand. An der gegenüberliegenden Wand hing ein magnetisches Whiteboard, an dem Bilder der Kandidaten und Verführer hingen. Rachel hatte wilde Pfeile von einem Foto zum nächsten gezeichnet, sodass nur ein wirres Netz aus Strichen zu erkennen war. Und dann hing dort noch mein Bild - ganz oben in der letzten Ecke, mit zwei zarten Strich in Richtung Chloe und Romeo. Es war ein Porträt von mir, das ich vor einiger Zeit auf Instagram gepostet hatte.
»Wieso hänge ich an der Wand?«, fragte ich sogleich verunsichert.
Hatte Thea wohl doch recht, als sie meinte, dass Rachel mich als Kandidatin wollte? Mein Magen zog sich beunruhigt zusammen.
»Darüber möchte ich jetzt mit dir reden«, sagte sie und deutete auf einen der Stühle, während sie sich ein letztes Mal über die geröteten Augen wischte und sich die Haare richtete. »Setz dich bitte.«
Ich ließ mich brav auf den klapprigen Campingstuhl sinken, während sich Rachel mir gegenüber setzte.
»Wie viel hast du eben von meinem Telefonat mitbekommen?«, wollte sie ohne Umschweife wissen und musterte mich abschätzig. Es faszinierte mich, wie schnell sie vom verunsicherten, weinenden Mädchen wieder zu der angsteinflößenden, strengen Frau werden konnte, für die jeder sie hielt. Vielleicht war all das nur eine Fassade, hinter der sie sich versteckte, damit niemand bemerkte, wie verletzlich sie in Wahrheit war.
»Nicht viel, ich bin auch eben erst gekommen. Ich wollte nicht lauschen. Eigentlich wollte ich gerade gehen und Ihnen Privatsphäre gönnen, als ich plötzlich gestolpert bin«, antwortete ich aufrichtig und merkte, wie mein Hintern bei dem Gedanken an meinen unsanften Sturz, noch immer unangenehm pochte.
»Ok«, erwiderte Rachel. »Sollte ich auch nur am Rande mitbekommen, dass irgendjemand auch nur einen Hauch des Gesprächs von dir erfährt, dann kannst du sofort gehen. Verstanden?«
»Ja, Miss Thornton«, bestätigte ich nickend.
»Gut!« Sie seufzte. »Ich habe dich aus einem bestimmten Grund zu mir gebeten. Kannst du dir vorstellen um was es geht?«
Ich nickte. »Vermutlich um die Ereignisse der vergangenen Nacht.«
»Ganz genau. Du und Romeo...«, begann sie und musterte mich wie eine Viper, die versucht die nächste Bewegung ihrer Beute vorauszusehen. »Läuft da etwas zwischen euch?«
»Nein, Miss Thornton«, antwortete ich. Meine Lippen pochten verräterisch.
Jetzt bloß nicht rot werden!
»Sag mal June, magst du Emma Watson?«, wollte sie plötzlich wissen.
Ich runzelte verwirrt die Stirn über ihren plötzlichen Themenwechsel.
»Ähm ... ja, ich schätze schon. Gibt es irgendjemanden, der sie nicht mag? Sie ist eine gute Schauspielerin«, stieg ich, immer noch sichtlich durcheinander, in das Gespräch ein.
»Sehr gut.« Rachel lächelte zufrieden. »Was würdest du sagen, wenn du nächstes Frühjahr ein Praktikum am Set ihres neuen Films machen könntest?«
Mir fiel die Kinnlade runter. Das konnte nicht ihr Ernst sein, oder?
»Wow ... das .... wäre der Wahnsinn«, stammelte ich verblüfft und fand gar nicht die passenden Worte, um meine Begeisterung darüber zum Ausdruck zu bringen.
An einem richtigen Filmset mit berühmten Schauspielern zu arbeiten, war immer das, was ich wollte. Doch nie hätte ich mir träumen lassen, dass mein Traum jetzt schon so zum Greifen nah sein würde. Ich fragte mich jedoch, welchen Haken die Sache hatte. Bei so einem Angebot musste es einfach einen Haken geben.
»Mein Vater ist Ronald Thornton, der preisgekrönte Regisseur«, erklärte sie. »Sein Name sagt dir bestimmt etwas, oder?«
Ich nickte aufgeregt. Selbstverständlich kannte ich Ronald Thornton. Viele der erfolgreichsten Filme und Serien dieses Jahrhundert liefen unter seiner Regie.
»Ich könnte dir ein Praktikum bei ihm besorgen. Du könntest Emma am Set kennenlernen und es würde sich hervorragend auf Bewerbungen machen«, schlug sie gönnerhaft vor. »Was hältst du davon?«
Mir blieb fast die Spucke weg. Alleine die Tatsache, dass sie Emma Watson nur mit Vornamen nannte, als wären sie alte Freundinnen, ließ mein Herz Purzelbäume schlagen. Dieses Praktikum klang nach etwas, für das ich morden würde!
»Ich würde das unglaublich gerne machen!«, versicherte ich mit zittriger Stimme und atmete kurz ein und aus, um meinen wild pochenden Herzschlag wieder etwas zu beruhigen. »Aber Sie möchten dafür etwas von mir, nicht wahr?«
»Eine Hand wäscht nun mal die andere«, bestätigt Rachel schulterzuckend und lehnt sich ein Stuck über den Schreibtisch, um mir noch tiefer in die Augen sehen zu können. »Ich möchte, dass du, sobald ein Pärchen am Ende dieser Woche rausfliegt als Kandidatin dazu kommst. Zu dem Praktikum gibt es zusätzlich natürlich auch noch die gewöhnliche Teilnehmergage.«
Meine Schultern sacken enttäuscht hinab. Thea hatte also doch recht behalten.
»Wieso?«, hauchte ich, obwohl ich mir die Frage schon selbst beantworten konnte.
»Ach June, alle hier am Set wissen, dass irgendwas zwischen Romeo und dir ist. Irgendwas, von dem Chloe ganz und gar nicht begeistert ist. Für die Zuschauer gäbe es nichts Spannenderes, als eine Romanze zwischen der Praktikantin und dem Kandidaten und einen ausgewachsenen Zickenkrieg zwischen Chloe und dir. Das würde unsere Einschaltquoten zum Explodieren bringen!«
»Ich würde als die Bitch dastehen, die Chloe den Typen ausspannt«, stellte ich wenig erheitert fest.
»Ja und? Dafür bekommst du einen Haufen Kohle und ein unschlagbares Praktikum! Glaubst du, dass deine Kommilitonen so eine Möglichkeit ablehnen würden? Vertrau mir June, so eine Gelegenheit gibt es nur ein einziges Mal im Leben. Wenn du wirklich Karriere machen willst, ist das deine einzige Chance. Denn wenn du es ablehnst, haben mein Vater und ich genügend Kontakte, um dafür zu sorgen, dass dir so ein Angebot nie wieder zuteil wird«, sagte sie und ich sah anhand ihres durchdringenden Blickes, dass sie nicht bluffte.
Ich schluckte schwer. Vielleicht war das wirklich meine einzige Chance auf beruflichen Erfolg.
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