»Wie bereits gesagt: Ich werde mich nicht dazu äußern«, sagte Chloe gereizt, nachdem Rachel sie zum wiederholten Male auf die vergangene Nacht angesprochen hatte.
Rachel ließ ein genervt klingendes Zischen zwischen ihren Lippen entweichen. »Na gut, dann halt nicht.«
Scheinbar wusste selbst Rachel, dass sie bei Chloe mit ihrer Hartnäckigkeit auf Granit stieß.
»Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet, ich will frühstücken.« Mit diesen Worten erhob sich Chloe und stolzierte davon.
Ich war überrascht, dass sie sich nicht zu dem Vorfall geäußert hatte. Zumal ich erwartet hatte, dass sie mir vor laufender Kamera eine Moralpredigt darüber halten würde, dass man sich nicht an quasi vergebene Männer ranschmeißen sollte. Und damit hatte sie nicht einmal Unrecht.
Ich sah ihr nach, wie sie durch die Glastür schlüpfte, die ins Esszimmer der Villa führte und aus der im selben Moment Romeo trat. In seiner Gegenwart wirkte sie stets so anders, als vor der Kamera; nicht mehr stolz und selbstbewusst, sondern vielmehr zart und verletzlich. Als er an ihr vorbeiging, senkte sie ihren Blick beschämt Richtung Boden. Ich hätte sie in diesem Moment gerne in den Arm genommen, aber vermutlich würde sie das, nach all dem, was vergangene Nacht passierte, nicht mehr wollen.
Mein Blick wanderte zu Thea und Diego, die mit ihren Kameras schon für das Interview mit Romeo bereitstanden, als dieser sich auf den beigen Stoff setzte und seine Haare richtete. Er wirkte müde und unausgeschlafen. Seine Augen waren leicht gerötet und tiefblaue Augenringe prangten unter ihnen, während seine bleiche Haut einen starken Kontrast dazu bot und schon fast meiner Blässe Konkurrenz machte. Sein Kater war somit nicht zu übersehen.
Konzentriere dich auf Thea und ihre Kamera, rief ich mir selbst mahnend ins Gedächtnis, schließlich war ich hier um etwas für meine berufliche Zukunft zu lernen. Nur mit Mühe und Disziplin schaffte ich es, meinen Blick von Romeo abzuwenden und stattdessen Theas flinke Finger zu beobachten, die sich an den Einstellungen der Kamera zu schaffen machten.
»Romeo«, hörte ich Rachel neben mir entzückt sagen. »Wie schön dich heute hier zu haben. Ich freue mich auf ein tolles Interview mit dir.«
»Ähm ok«, kam es von Romeo. Ich hörte anhand seines Zögerns und der Skepsis in seiner Stimme, dass er nicht wusste, was er von Rachels Freude über sein Auftauchen halten sollte. Und damit war er nicht alleine. All die Videoaufnahmen von vergangener Nacht, die Rachel gegen uns in der Hand hatte, verursachten mir ein flauen Gefühl im Magen. Gepaart mit ihrer außergewöhnlich guten Laune, hatte es das Potenzial eine tödliche Mischung zu ergeben.
»Hast du gut geschlafen?«, wollte sie wissen.
»Geht so«, gab Romeo zu. Mein Blick huschte zu ihm, als er sich verschlafen über die Augen wischte.
»Erzähl mir von gestern Nacht«, verlangte Rachel, die noch immer so freundlich lächelte, dass es in ihrem fuchsähnlichen Gesicht fast ein wenig deplatziert wirkte.
»Ich habe mit den anderen gestern Nacht ein bisschen zu viel getrunken und bin dann eingeschlafen«, antwortete Romeo mit einem schulterzuckend.
»Ok, interessant.« Rachel nickte langsam. »Aber was ist danach passiert?«
»Danach?« Romeo hob verwirrt eine Augenbraue. »Ich habe geschlafen.«
Ich war mir nicht sicher, ob er ebenso log, wie die anderen, oder ob er sich wirklich nicht mehr erinnern konnte.
»Bist du dir sicher?«, hakte Rachel nach und zu ihrer bisherigen Freundlichkeit mischte sich ein Hauch Spott.
Fragend sah er zu mir und legt den Kopf leicht schief, als wolle er von mir hören, auf was Rachel anspielte. Ich biss mir auf die Lippe und schluckte, hielt jedoch seinem Blick stand.
»Warte mal, ich hab' hier etwas für dich«, sagte Rachel und winkte sich einen der Produktionshelfer herbei. »George, bringst du mir die Videos von Romeo?«
Der schlanke Mann kam mit dem gleichen Tablet an, das Rachel zuvor Jace gereicht hatte, um ihm die Szenen von Giannas Fremdgehen zu zeigen. Am liebsten wäre ich einfach gegangen, doch ich konnte nicht schon wieder die Flucht ergreifen. Wie sähe es aus, wenn die Praktikantin öfter die Fliege machen würde, als zu arbeiten? Definitiv nicht sehr professionell. Statt zu gehen, versuchte ich mich deswegen so unauffällig wie möglich zu verhalten, während ich meine glühenden Wangen probierte zu verbergen.
Romeos Blick war skeptisch, aber gleichzeitig auch neugierig, als er das schwarze Gerät in die Hand gedrückt bekam und das Video auf ihm startete. Es begann mit ihm und mir vor der Villa. Ich versuchte ihm darin auf die Beine zu helfen und scheiterte kläglich. Von dem, was ich von hier aus sah, stellte ich mich dabei noch dämlicher an, als ich mich in dem Moment sowieso schon gefühlt hatte.
Mit gerunzelter Stirn sah Romeo mich an. Sein Gesichtsausdruck wirkte ausdruckslos, dabei hätte ich so gerne gewusst, was gerade in seinem Kopf vorging. Ich verbarg mein Gesicht vor Scham in meinen Händen. Die Röte in meinem Gesicht schien von Sekunde zu Sekunde ihr Brennen zu intensiviere, als hätte jemand mir Säure über die Haut geschüttet. Mir war schon lange nichts mehr so unangenehm gewesen.
Als ich meine Hände endlich von meinem Gesicht löste, versuchte ich überall hinzusehen, nur nicht zu Romeo. Ich starrte auf die sanften Wellen des Meeres und auf die Palmen, die sich kaum merklich im Wind wogen, sowie auf Thea, die gerade zoomte. Im Hintergrund hörte ich mein Gespräch mit Chloe leise aus den Lautsprechern dringen. Dürfen sie diese Szenen eigentlich ohne meine Einwilligung senden?
Romeos Augenbrauen schossen geschockt nach oben, als die Stelle kam, an der er mich aufforderte ihn zu küssen. Anscheinend war er nüchtern von dieser Idee nicht mehr so angetan.
Ich wollte nicht, dass mich seine Reaktion verletzte, doch das tat sie. Sehr sogar. Ich bohrte meine Fingernägel in meine Handinnenfläche, um den Schmerz in meinem Inneren zu betäuben und bemühte mich, einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten.
»Sind deine Erinnerungen jetzt aufgefrischt?«, wollte Rachel wissen, als er nach Ende des Videos schweigend das Tablet beiseite legte.
Romeos seufzte leise, sein Blick huschte zu seinen Schuhen, bevor er wieder in die Kamera sah. In seinen Augen wechselten sich die Gefühle ab, wie Farben in einem Kaleidoskop. Verzweiflung, Angst, Trauer, Wut.
»Nein, deswegen gibt es jetzt auch nichts mehr zu sagen«, sagte er mit erstaunlich fester Stimme und stand auf. »Tschüss!«
»Romeo, warte«, versuchte Rachel ihn zu stoppen, doch er trat schon seinen Weg zurück zur Villa an.
»Los, hinterher!«, forderte sie Thea auf.
Für einen Moment verharrte diese unschlüssig in ihrer Position. »Ich finde, wir sollten ihm etwas Zeit geben, um sich zu sammeln.«
»Zum Glück bin immer noch ich deine Vorgesetzte und kann entscheiden, was an diesem Set wie zu laufen hat, also folg' ihm gefälligst, Thea!«, keifte Rachel und schmiss sich aufgebracht die lange, roten Haare über die Schulter.
Widerwillig setzte sich Thea in Bewegung und folgte Romeo.
»Wieso willst du dich nicht dazu äußern?«, versuchte Rachel weiterhin eine Antwort aus ihm herauszuquetschen, während sie ihm hinterher eilte.
Entnervt wirbelte er herum. »Weil ich mich verdammt nochmal letzte Nacht komplett zum Affen gemacht habe und das ausgerechnet vor ihr! Und jetzt lasst mich in Ruhe!«
»Vor ihr?«, wiederholte Rachel interessiert. »Meinst du Chloe oder June?«
Beim Klang meines Namens wurde ich hellhörig.
»Kein Kommentar!« Romeo versuchte seinen Weg zur Villa erneut anzutreten, doch wurde von Rachel aufgehalten, die sofort Thea herbeipfiff.
»Welche Beziehung hegst du zu June?«, bohrte sie nach.
»Kein Kommentar!«, zischte Romeo abermals und streckte seine Hand zur Linse der Kamera aus, um diese abzudecken.
Thea schreckte zurück. Scheinbar gab es für sie auch nichts Schlimmeres, als Fingerabdrücke auf ihren wertvollen Objektiven.
»Bedeutet dein Schweigen, dass ihr eine romantische Vergangenheit habt?«, versuchte Rachel sein Verhalten zu analysieren.
»Ja stimmt, ich habe ganz vergessen, dass June und ich schon seit 50 Jahren verheiratet sind, acht Kinder und sechzehn Enkel haben. Gut, dass ihr mich darauf hinweist.« Romeo schüttelte schnaubend den Kopf.
Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, weil ich seine sarkastische Art wirklich mochte. Als er es bemerkte, musste er auch kurz lächeln, bevor er zu dem grimmigen Gesicht, das er gegenüber der Kamera machte, zurückkehrte.
»Wir möchten doch nur ein bisschen mehr über euch beide erfahren, damit wir verstehen können, in welcher Zwickmühle du dich gerade befindest. Nimmst du Chloe oder June? Das wird die Zuschauer brennend interessieren!« Rachel wackelte neugierig mit den perfekt gezupften Augenbrauen.
»June ist nicht mal Kandidatin in dieser Show, also lasst sie da gefälligst raus«, beschwerte sich Romeo und drehte sich dann Richtung Villa. Mit schnellen Schritten entfernte er sich von den Kameras.
»Und wenn sie es doch wäre?«, rief Rachel ihm hinterher, doch erntete dafür keine Antwort mehr.
•••
»Ich habe das Gefühl, dass Rachel dich fragen wird, ob du als verspätete Kandidatin in die Show einsteigen willst«, überlegte Thea zwischen zwei Bissen von ihrem Sandwich.
Aufgrund ihrer Befürchtung verschluckte ich mich fast an meinem eigenen.
»Meinst du?«, fragte ich, nachdem ich mich von meiner Hustenattacke erholt hatte. Mit skeptischem Blick lehnte ich mich an die Palme neben uns, unter der wir - abseits von all dem Trubel - unsere Frühstückspause verbrachten.
»Ja, ich meine das wäre dramaturgisch perfekt! Kandidat verliebt sich in die süße Praktikantin. Zwei Lager und eine verbotene Liebe! Das ist genau wie in ...«
»Wenn du jetzt schon wieder Romeo & Julia erwähnst, beschmeiße ich dich mit meinem Sandwich!«, unterbrach ich sie lachend.
Thea verdrehte grinsend die Augen. »Jaja, ich bin schon still!«
»Romeo ist außerdem sowieso nicht in mich verliebt und«, sagte ich und machte dann eine Pause, um von meinem Sandwich abzubeißen und mit vollem Mund fortzufahren, »ich würde auf gar keinen Fall bei dieser Show als Kandidatin mitmachen, da könnte mir Rachel noch so viel Geld bieten.«
»Aber denkst du nicht, dass es einen Versuch Wert wäre? Was hast du schon zu verlieren?«, versuchte mich Thea mit eindringlichem Blick zu überzeugen.
»Meine Würde?!«
»Naja ok, aber du könntest auch einen heißen Typen an Land ziehen, mit dem du alt wirst, ihn wirklich heiraten und acht Kinder und sechzehn Enkel bekommen!«
»Bist du dir sicher, dass du damals bei deinem Sturz vom Balkon nicht auf den Kopf gefallen bist?«, zog ich sie auf.
Sie lachte. »Ziemlich sicher.«
»Können wir jetzt eigentlich endlich das Thema wechseln?«, bat ich, nach einem Moment der Stille.
»Ja, von mir aus. Ich könnte dir dein heutiges Horoskop vorlesen, wenn du möchtest!« Ihre Augen funkelten vor Aufregung.
Obwohl ich nicht an so etwas glaubte, nickte ich zustimmend, um ihr nicht den Spaß zu verderben. Thea kramte sogleich ihr Handy raus und öffnete irgendeine App.
»Hey, darf ich kurz stören?«, ertönte es plötzlich hinter uns. Wir zuckten beide zusammen und fuhren erschrocken herum. Ich hatte nicht erwartete, dass jemand uns an diesem abgelegenen Ort, fernab der anderen, finden würde.
Die Stimme gehörte zu Romeo, der seine Hände in den Taschen seiner Hose vergraben hatte und sich nervös auf die Unterlippe biss.
Mein Herz raste. Wie lange stand er wohl schon dort?
Uff dieses Kapitel war echt eine schwere Geburt. Wie manche von euch schon mitbekommen haben, habe ich erst eine ganz andere Version davon geschrieben, doch leider hat Romeos Reaktion in der alten Version überhaupt nicht zu seinem Charakter gepasst. Und mit der Änderung dieses Kapitels, musste ich auch einiges am Plot ändern/anpassen und das war gar nicht so einfach, aber mittlerweile bin ich zuversichtlich, dass ich eine gute Lösung gefunden habe 😊
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