❝Szene 15: Wie flüssiger Honig❞
Genervt ließ ich mich in den weichen Sand fallen und starrte auf die Weiten des Meeres. Dieses Strandstück war längst nicht so schön, wie das, was zur Kandidatenvilla gehörte, doch wenigstens lag es unbeobachtet hinter unseren Hütten, abgeschirmt von einer dichten Reihe aus Palmen. Hier konnte ich alleine sein und nachdenken. Über Romeo und mich; und über die Tatsache, dass ich langsam über ihn hinweg kommen musste, um wieder eine klare Sicht auf die wichtigen Dinge im Leben zu haben - wie zum Beispiel auf meine Karriere.
Ich kramte mein Handy aus der Tasche und öffnete den Chat mit Ethan, dem ich den ganzen Sommer über kaum geschrieben hatte. Unsere Verbindung zueinander beschränkte sich nun mal fast ausschließlich auf das Körperliche. Ich schickte ihm bloß ein nichtssagendes »Hey« mit einem dieser dämlichen Affenemojis und wusste selbst nicht genau, was ich damit erreichen wollte. Seufzend legte ich mein Handy in den Sand neben mich, während ich dabei zusah, wie sich die Sonne dem Meeresspiegel näherte und alles dabei golden färbte. Wäre ich nicht so niedergeschlagen gewesen, hätte ich diesen Sonnenuntergang vermutlich als wunderschön empfunden. Ich hätte ein Foto machen können. Eines, bei dem die dunkle Silhouette einer Frau die Farben durchbricht und deren Haltung pure Lebensfreude ausstrahlt - im Gegensatz zu meinem zusammengesunkenen, kläglichen Körper. Dieser Moment hätte magisch sein können, doch stattdessen blies ich Trübsal und verfluchte mich für vertane Chancen.
Ich hörte Sand hinter mir knirschen.
»Hey, können wir reden?«
Ich zuckte viel zu stark zusammen und drehte mich ruckartig um. Romeo stand nur wenige Meter entfernt und näherte sich mir. Er biss sich nervös auf die Lippen und eine besorgte Furche teilte seine Stirn in zwei Hälften.
»Worüber?«, fragte ich emotionslos, dabei wurde ich in diesem Moment von meinen eigenen Gefühlen förmlich übermannt. Einerseits wollte ich mit ihm reden, doch andererseits wusste ich, dass es besser für uns war, wenn wir einander fern blieben.
»Wieso bist du gerade abgehauen?«, wollte er wissen und ließ sich neben mir in den Sand sinken. Er sah mich nicht an, sondern starrte ebenfalls auf das Farbspiel, das sich am Himmel zutrug.
»Gegenfrage: Wieso bist du gegangen? Ist Rachel nicht ausgerastet?« Ich biss mir kurz auf die Lippen, doch konnte mir eine zickige Ergänzung meiner Worte nicht verkneifen: »Du hattest doch gerade so viel Spaß mit Cora.«
Romeo gab einen leisen, amüsierten Schnaufton von sich, bevor ich im Augenwinkel bemerkte, wie er sich zu mir drehte und mich direkt ansah. Ich starrte weiterhin auf das Meer, als würde ich seinen Blick nicht bemerken.
»Ich hab' gesagt, dass ich auf's Klo muss und bin dann durch die Hintertür abgehauen, um dir zu folgen«, gab er zu und zuckte leicht mit den Schultern.
»Wieso tust du so etwas Dummes?«, wollte ich ohne Umschweife wissen. Ließ die Ernsthaftigkeit in meiner Stimme mich gemein klingen?
»Findest du wirklich, dass es dumm ist, jemanden zu folgen, den man gern hat, wenn diese Person aufgewühlt wirkt?« Seine Stimme war sanft. Ebenso behutsam, legte er seine Hand auf meine.
Ich starrte erst unsere Hände an, dann ihn. Diese kleine Geste fühlte sich gut an; warm und richtig.
»Ich bin nicht aufgewühlt«, stritt ich lahm ab und schenkte mir dabei selbst keinen Glauben. Ich entzog ihm meine Hand, obwohl sich mein Herz dabei schmerzhaft zusammenzog. Die Stelle, an der seine Finger meine Hand berührt hatten, fühlt sich plötzlich so leer an. »Du solltest zurück. Cora und Chloe warten bestimmt auf dich.«
»Würde ich es nicht besser wissen, würde ich fast meinen du bist eifersüchtig«, stellte er grinsend fest und wackelte verschmitzt mit seinen Augenbrauen.
Wenn er doch nur wüsste, wie recht er damit hat.
Ich schüttelte energisch den Kopf. »Das ist Schwachsinn! Wie kommst du auf so einen Blödsinn?«
»Caleb hat mir gesagt, dass du damals in mich verliebt warst. Also mit 15, als wir noch befreundet waren.« Er musterte mich neugierig, während er seine Worte aussprach.
Dieser elendige Verräter!
Nur mit Mühe schaffte ich es meine Gesichtszüge einigermaßen neutral zu halten, nur das minimale Zucken meines Augenlids verriet mich. »Und das glaubst du ihm? Ich liebe meinen Bruder, aber der Typ hat in seiner Kindheit echt zu viel Typisch Andy geguckt, wenn man bedenkt, wie gerne er Streiche spielt.«
»June«, begann er. Wie schaffte er es bloß immer wieder, meinen Namen so melodisch aussprechen? Als wären diese vier simplen Buchstaben Tee und seine Stimme flüssiger Honig, der alles irgendwie süßer machte. »Ich weiß, dass du gerade lügst.«
Ich wog schweigend meine Optionen ab. Sollte ich mich zur Wahrheit bekennen?
»Du kannst ruhig dazu stehen. Ich war mit 17 ja wirklich ein ganz passabel aussehender Bursche.« Seine minimal zu großen Vorderzähne blitzen zwischen seinen vollen Lippen hervor und entlockten mir ein verhaltenes Lächeln.
»Vielleicht stand ich ein ganz, ganz kleines bisschen auf dich«, gab ich schließlich mit einem Seufzen zu und strich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ich war halt ein junges Mädchen und dadurch, dass wir beide uns so nahe standen und du nicht komplett scheiße ausgesehen hast, haben meine Hormone verrückt gespielt.«
Er nickte verständnisvoll und schien ernst bleiben zu wollen, doch seine Mundwinkel zuckten immer wieder verdächtig Richtung Himmel.
»Freut es dich, dass dein 17-jähriges Ich mein damaliges Ich so um den Verstand bringen konnte?«, forschte ich nach und erröte selbst bei meinen Worten.
Auch seine Wangen färbten sich zart ein und er konnte sein Grinsen nicht mehr zurückhalten.
»Vielleicht schon ein wenig. Ich kann jetzt stolz behaupten, dass der Verstand und die Hormone der kleine June Bloomfield meinetwegen verrückt gespielt haben - wenn das nicht eine tolle Errungenschaft ist.« Er lachte leise.
Ich kicherte ebenfalls und boxte ihm spielerisch gegen den Arm. »Hey, bild' dir bloß nicht zu viel darauf ein. Es war nur die Schwärmerei eines kleinen Sophmore Mädchens, das einen Senior Typen toll fand.«
Er rückte näher an mich heran und mein Bauch begann zu kribbeln.
»Ich bilde mir aber gerne was drauf ein. Für mich hat es nämlich eine Bedeutung«, raunte er. Er legte schon wieder seine Hand auf meine. Hitze durchfuhr meinen Körper, wie ein Stromschlag aus Glück.
»Wie auch immer.« Zügig entzog ich ihm abermals meine Hand und wandte meinen Blick wieder der untergehenden Sonne zu, um nicht in sein gutaussehendes Gesicht sehen zu müssen; um seine schönen grünen Augen und das süße Muttermal schräg darunter nicht wahrnehmen und ständig an seine leicht zerzausten dunklen Haare und seinen athletischen Körper denken zu müssen. »Rachel wird bald Verdacht schöpfen und ich wette, dass dich sowohl Chloe, als auch Cora, schon vermissen werden. Nicht, dass die beiden sich gegenseitig die Augen auskratzen, weil sie vermuten die jeweils andere versteckt dich irgendwo.«
Amüsiert schnalzte er mit der Zunge. »Mach dir da mal keine Sorgen. Mit Chloe habe ich letztens ohne Kameras geredet und wir haben eigentlich abgemacht, dass wir so weit mitspielen, dass wir wenigstens die Teilnehmergage bekommen. Was das heute auf der Yacht war, weiß ich nicht genau, aber das werde ich noch mit ihr klären. Ich mag sie, aber definitiv nicht mehr auf eine romantische Art und Weise. Und mit Cora habe ich mich eben nur über Serien unterhalten, weil sie echt einen guten Geschmack hat, was das angeht. Sie ist aber abgesehen davon überhaupt nicht mein Typ - weder innerlich, noch äußerlich. Also kein Grund eifersüchtig zu sein.«
»Eifersüchtig?«, wiederholte ich und hob gespielt überrascht meine Augenbrauen. Ich schluckte den bitteren Geschmack der Lüge hinunter, als ich behauptete: »Das bin ich nicht. Wie kommst du darauf?«
»Keine Ahnung«, murmelte er und sah mir tief in die Augen. Ich war gefangen in dem Kaleidoskop in ihnen und bemerkte kaum, dass er mir immer näher kam. »Vielleicht war das ja meine Intention, als ich auf der Yacht mit dir geflirtet habe und danach mit Cora zusammen saß. Möglicherweise wollte ich einfach herausfinden, ob du noch das gleiche für mich empfindest wie damals.«
Seine Lippen bewegten sich nur Millimeter von meinen entfernt. Alle zarten Härchen auf meinem Körper stellten sich auf, als wollten sie ihn erreichen.
»Fändest du das gut?«, fragte ich leise. Meine Atmung ging unregelmäßig und viel zu flach.
»Schon möglich«, antwortete er. Ich spürte, wie sein warmer Atem gegen meine Lippen schlug und wie er langsam den Abstand verringerte.
Kurz bevor unsere Lippen sich berührten, ertönte ein schrilles Klingeln. Erschrocken fuhr ihr zurück. Mein Handy, das noch immer zwischen uns im Sand lag, gab einen penetranten Klingelton von sich. Im Display stand Ethans Name, mitsamt des oberkörperfreien Bildes von ihm, das er einst auf meinem Handy für sich eingespeichert hatte.
»T-tut mit leid«, stammelte ich und schnappte es mir.
»Ist das dein Freund?«, wollte Romeo wissen und ein merkwürdiger Ausdruck stand ihm ins Gesicht geschrieben. War es Enttäuschung?
»Ähm ... also ... ja«, brachte ich hervor und verstand selbst nicht, wieso ich log. Hatte mir der Beinahe-Kuss mit Romeo etwa so sehr Angst gemacht, dass ich nun alles versuchte, um eine Barriere zwischen uns zu bringen, damit ich sichergehen konnte, dass er mich niemals wieder so verletzen würde, wie er es damals getan hat?
»Oh, Achso«, brachte er nur hervor und rückte sofort von mir ab. Er presste seine Lippen zusammen und starrte auf seine Sneaker. »Geh ruhig ran.«
»Nein, besser nicht«, versuchte ich mich herauszureden und fuhr mir unruhig durch die Haare.
»Los, mach schon. Ethan sollte sich keine Sorgen um seine Freundin machen müssen. Oder befürchten, dass sie sich mit anderen Typen den Sonnenuntergang anschaut.« Irrte ich mich oder klang Romeo plötzlich ziemlich bissig?
»Na gut«, murmelte ich kleinlaut und drückte meinen Daumen leicht zitternd auf den grünen Button.
»Hey Schönheit«, hörte ich Ethans Stimme durch das Telefon. Er redete so laut, dass es vermutlich selbst Romeo, verstehen konnte, als ich mir das Handy ans Ohr hielt. »Bist du gerade alleine? Ich dachte, du könntest mir vielleicht ein paar schmutzige Sachen erzählen. Ich vermisse es so sehr deine geilen Brüste zu küssen, dir den Hintern zu versohlen und di-«
»Ethan«, unterbrach ich ihn zischend. »Ich bin nicht alleine.«
Mit vor Scham glühenden Wangen warf ich einen Blick zu Romeo, der schweigend zu Boden starrte und seine Finger knacken ließ. Was er wohl jetzt von mir dachte?
»Oh, dann rufe ich morgen nochmal an. Vielleicht kannst du mir ja nachher noch ein heißes Bild von dir schicken«, schlug er in lasziver Tonlage vor, obwohl ich ihm schon so oft gesagt hatte, dass ich ihm so etwas nicht schicken würde.
»Tschüss«, sagte ich deshalb nur und legte auf.
Eine kurze Pause entstand, in der weder Romeo, noch ich, etwas sagten, bis er nach einigen Sekunden endlich die Stille brach.
»Er scheint sehr«, begann Romeo mit abschätzig erhobene Brauen und machte eine kurze Pause, in der er offensichtlich versuchte ein passendes Wort zu finden, um Ethan zu beschreiben, »leidenschaftlich zu sein.«
»Romeo, ich ... also ... ähm ... Ethan und ich ... wir si-« Ich habe die Wahrheit sagen wollen, doch bevor mir die Richtigstellung meiner Lüge über die Lippen kam, winkte Romeo ab.
»Du musst dich nicht dafür rechtfertigen, June. Die Liebe fällt hin, wo sie hinfällt. Ich freue mich für euch. Das eben zwischen uns wäre sowieso ein Fehler gewesen. Keine Ahnung, was ich da vorhatte. Das ganze Gespräch und der Sonnenuntergang haben mich einfach verwirrt, dabei will ich nur mit dir befreundet sein«, sagte Romeo und schluckte, als er endlich zu mir aufsah und mir seinen kleinen Finger entgegenstreckte. »Kleiner-Finger-Schwur, dass wir wieder befreundet sind?«
Seine Worte taten weh. Sie schnürten mir für einen kurzen Moment die Luft ab und ließen blaue Farbe durch mein Gesichtsfeld flackern, bevor ich es wieder schaffte mich zu fassen und meinen kleinen Finger mit seinem zu verschränken.
»Freunde«, murmelte ich und zwang mich zu einem versöhnlichen Nicken und dem Hochziehen meiner Mundwinkel.
Vermutlich war eine Freundschaft das Beste für uns beide. Ich hatte ihn wieder als Kumpel und konnte mich trotzdem vollkommen auf mein Praktikum konzentrieren. Besser hätte es doch nicht laufen können!
Ich zwang mich dazu das zu glauben, als er aufstand und sich den Sand von seiner Shorts klopfte. Und auch dann, als ich es ihm gleichtat und er vorschlug zurückzugehen. Doch war es wirklich das Beste für uns?
»Wie gehts eigentlich Jelina, Veronica und Lexie?«, fragte er nach einem Moment der Stille, während wir auf dem Rückweg zur Villa waren.
Mein Magen verkrampfte sich kurz, als er mich auf meine ehemaligen Freundinnen ansprach, mit denen wir damals, zusammen mit seinen Freunden, so viel unternommen hatten.
»Wir sind nicht mehr befreundet.« Wie beiläufig zuckte ich die Schultern, als wäre es mir egal. Doch war es das wirklich?
»Oh, wieso nicht? Ihr habt früher alles zusammen gemacht!« Romeo zog verblüfft die Augenbrauen zusammen.
»Ich studiere mittlerweile in Kalifornien und irgendwie haben wir uns auseinander gelebt. Außerdem muss ich mich auf mein Studium konzentrieren. Da bleibt nicht viel Zeit zum Feiern. Ich bin lieber alleine«, redete ich mich raus und starrte beim Laufen auf meine Füße, die einen kleinen Stein vor sich herkickten.
Er blieb stehen und hielt mich an den Schultern fest, sodass ich in seine Richtung gedreht war. Seine Stirn lag besorgt in Falten.
»June, hast du, abgesehen von mir und deinem Freund, noch irgendwelche anderen Freunde? Also richtige Freunde, denen du alles anvertrauen kannst und mit denen du dich regelmäßig triffst?«, fragte er vorsichtig und sah mich eindringlich an.
Ich schnappte fassungslos nach Luft. Wie konnte er mich nur so etwas fragen? Hielt er mich für eine Versagerin, die niemand mochte? Und hatte er vielleicht sogar recht damit?
Nein, ich bin keine Versagerin. Ich bin bloß eine Einzelgängerin. Wofür braucht man Freunde, wenn man alleine ebenso gut zurechtkommt?, redete ich mit vehement ein. Immer und immer wieder; wie ein Mantra.
»Natürlich habe ich Freunde«, zischte ich aufgebracht und bemerkte ein Zittern in meiner Stimme. Ihm nicht zu zeigen wie sehr mich diese Frage mitgenommen hatte, ging wohl nach hinten los.
»Wirklich?«, forschte er nach und seine bisher zusammengezogenen Augenbrauen schossen zweifelnd nach oben.
»Freunde sind überbewertet. Ich komme gut alleine klar«, wiederholte ich mein inneres Mantra, als ich merkte, dass er mir nicht glaubte. »Außerdem scheinst du deinen Freunden auch nicht mehr so nah zu stehen wie früher. Sie wussten nicht mal, dass du hier auf O'ahu bist.«
Besorgnis und Trauer trat in seine Augen und ließ die braunen Punkte in ihnen mehr werden. »Freunde sind wichtig, June. Es ist nicht gut nur den eigenen Partner zu haben, mit dem man reden kann. Jeder Mensch braucht Freunde, denen man über Sorgen und Nöte berichten kann. Du solltest nicht all die Last auf deinen eigenen Schultern tragen müssen.«
»Aber Freunde können dich auch verletzten«, sagte ich leise, bevor ich mich aus seinem Griff löste und zügig Richtung Villa ging.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro