Was gewonnen und was verloren ist
Obwohl es mir mein anscheinend doch existierendes Herz brach musste ich Rebeccas Ausbruch zur Seite schieben, ich hatte keine Zeit dafür. Ich musste die Kombination rausbekommen, danach hatten wir ein Leben lang Zeit uns darüber zu unterhalten warum sie ihrem Leben einen höheren Wert beimessen sollte.
Acht Stellen, ein Datum, welches? In meinem Kopf ging ich sie alle durch.
Ein Geburtstag? Möglich aber die Möglichkeiten sind vielzählig, jeder in der Familie hat zwei, einen als Kingsley und den Tatsächlichen Tag ihrer Geburt.
Hochzeitstag? Unwahrscheinlich zu bedeutungslos.
Der Tag des Mordes? Zu einfach und hat nichts mit der Lösung des Falles zu tun.
Am Ende konnte es nur eines sein, der Tag der unweigerlich zu diesem Tag im Juni geführt hatte, der Tag an dem Suvi gestorben war, der Tag an dem sie zu Rebecca Jane wurde. Der Tag der im Feuer geendet hatte, wie es dieser Tag würde, ich tippte mit fliegenden Fingern ein:
24121999
Ich hatte keine Zeit mir Sorgen darüber zu machen ob die Eingabe eines falschen Codes die Explosion vorzeitig auslösen würde. Als ich das dumpfe Geräusch hörte das das entriegeln des Öffnungsmechanismus von sich gab keuchte ich erleichtert auf, noch bevor ich es verhindern konnte.
Beinah brutal riss ich den Deckel auf, er knallte mit Wucht gegen das Metall des Unterbaus, jedoch achtete ich kaum darauf, in meinem Kopf sah ich die letzten sechzig Sekunden unbarmherzig runterzählen. Ich musste sie hier raus und so weit wie möglich vom Haus weg bekommen, mit festem Griff zog ich sie an mich, raus aus ihrem Gefängnis. Nur Unterbewusst nahm ich war wie sehr sie zitterte, ihre Knie gaben kurz unter ihrem Gewicht nach als ich sie absetzen wollte, deshalb trug ich sie mehr als das sie aus eigener Kraft ging.
Jeder Schritt kam mir zu langsam vor, die Sekundenanzeige vor meinem geistigen Auge schien meine Bemühungen zu verspotten in ihrem gleichgültigen runterzählen der verbleibenden Zeit. Wir liefen so schnell wir konnten, keine Überlegung treffend ob wir etwas retten sollten, das wichtigste hatte ich in meinen Armen.
John warf sich beinah gegen die Haustür, diese schlug mit einem lauten Knall gegen die Außenwand, wir rannten weiter, die roten Zahlen vor meinem Blick liefen weiter gegen Null. Der Kies des Weges knirschte unter unseren Schritten, es kam mir vor als würden wir durch Wasser gehen, als wir endlich den Bürgersteig erreichten blieben uns weniger als fünf Sekunden also schrie ich „Runter"
Ich sah im Augenwinkel wie John sich fallen ließ, den Kopf mit seinen Armen schützend, ich tat das selbe nur das ich Rebeccas schützte, genau genommen warf ich mich über sie, versuchend so viel wie möglich meines Sturzes selbst abzufangen aber gleichzeitig auch ihr Schild zu sein. Wir waren kaum auf dem Boden angekommen als hinter uns im Haus die Bombe detonierte, die Druckwelle ließ die Fensterschreiben zerschellen, die Scherben flogen wie Geschosse über unsere Köpfe hinweg, bevor sich ein Feuerball durch das Gebäude nach draußen schob.
Die entstandene Luft die über uns nach oben gedrückt wurde war siedend heiß, ich hatte das Gefühl das Feuer brannte in meiner Lunge weiter, in meinen Ohren hörte ich kurzweilig nur noch ein schrilles Klingeln sowie mein eigenes keuchendes Atmen. Unter mir hatte Rebecca die Augen fest verschlossen, ihr rapider Herzschlag war für mich deutlich durch unsere Kleidungsschichten zu spüren.
Erst als ich mir sicher war das die Explosion vorüber war richtete ich mich langsam auf. Drängte den Protest meines Körpers, über diesen unsanften Sturz zur Seite. Nicht wichtig, nicht wert beachtet zu werden. Rebecca zog ich sanft mit mir nach oben in eine stehende Position. Sie hatte inzwischen die Augen geöffnet, ich spürte ihre zitternden Finger an meiner Wange, ich griff nach ihrer Hand und platzierte einen Kuss auf die Innenseite. Danach zog ich sie an mich, hielt sie so fest wie ich es mir in all den Stunden der Trennung gewünscht hatte.
Sie war wieder in meinen Armen, ich hatte meine Schuld, ihre Entführung zugelassen zu haben, begleichen können. Wir hatten es geschafft, knapp aber wir hatten das Rätsel gelöst. Wir hatten es aus dem Haus geschafft, das Haus welches, wie ich nunmehr feststellte in Flammen stand, zumindest das was davon übrig war. Was die Explosion nicht zerstört hatte würde das Feuer an sich reißen.
Mehrere Autos hatten angehalten, Passanten riefen aufgeregt durcheinander aber das Blendete ich schnell aus, stattdessen schob ich Rebecca ein wenig von mir, ich scannte ihren Körper nach Verletzungen ab. In all meiner Erleichterung über unser Entkommen hatte ich dies kurzzeitig aus den Augen verloren. Doch der Bluterguss an der Wange und die Prellungen durch den Sturz waren das einzige was ich fand. Ich wollte sie wieder an mich ziehen.
Aber ihre Augen lagen nun nicht mehr auf mir, ihre ganze Körperhaltung war wie erstarrt. Ihr Blick wurde von dem Feuer gefangen gehalten. Sie sah die Überreste ihres Kindheitshauses brennen, ihre Augen produzierten bittere Tränen. Für einen Moment regte sich sonst kein Muskel an ihrem Körper, ich musste genau hinsehen um festzustellen ob sie auch das Atmen aufgegeben hatte.
Und dann mit einem Schlag als hätte es die Ruhe nie gegeben, gaben ihre Knie unter ihr nach. Ich fing sie auf als alle Spannung ihren Körper verließ. Blitzschnell schlang ich meine Arme um sie, einen Aufprall ihres Körpers auf dem harten Beton verhindernd. Sie brach in meinen Armen zusammen. Ihre Schreie waren so laut ich hatte Angst ihre Lungen würden anfangen zu bluten, ich drückte sie an mich, ihr Rücken an meiner Brust.
Sie zitterte so stark das ich es bis in meine Knochen spüren konnte als ich alles war was sie aufrecht hielt. Immer wieder zerrissen ihre Schreie, ihr Keuchen und all die furchtbaren Geräusche die sich aus ihr kämpften mein Inneres. Es war als hätte ich einen kalten Stein im Magen, ich hasste es mit jeder Faser meines Körpers sie so zu sehen, zu wissen das es nichts gab was ich tun könnte. Dennoch versuchte ihr gut zuzureden. Hoffend das sie bald wieder in der Lage war mich zu hören.
„Alles wird gut, es ist vorbei, ich bin bei dir" als Antwort bekam ich nur ein weiteres ersticktes Keuchen bevor sie einen zittrigen Atemzug nahm, sie erstickte beinah an der Masse an Emotionen die sich aus ihrem zierlichen Körper kämpften. „Bitte Rebecca Atme" ich hielt sie als sie begann sich schwach in meinen Armen hin und her zu werfen, keine spürbare Kraft dahinter. Ihr Gesicht konnte ich kaum sehen aber was ich davon sah bohrte sich wie ein Messer in mein Herz. "Hilfe ist unterwegs."
Ich war sicher inzwischen hatte einer dieser unnötigen Gaffer die Polizei, Feuerwehr und einen Krankenwagen gerufen. Sie antwortete nicht, ich war mir nicht einmal sicher dass sie überhaupt mitbekam das ich mit ihr sprach. Ich sah hilfesuchend zu John aber auch er sah überfordert aus. Also hielt ich sie weiter fest, lies sie in meinen Armen weinen, schreien und wimmern. Immer wieder versicherte ich ihr dass es vorbei war, dass sie in Sicherheit war, dass alles gut werden würde und hoffte zeitgleich dass es wahr war.
Warum fühlte es sich so an als hätten wir verloren? Ich hätte nichts tun können um die Explosion zu verhindern. Und ich hatte sie gerettet, noch vor einer Stunde war das alles gewesen woran ich hatte denken können, das einzige was wichtig erschien, ihr Leben retten, was es auch kostete. Doch als sie in meinen Armen all diese Emotionen durchlebte hatte ich das Gefühl das sie mir entgleiten könnte, ich begriff das es das war was er gewollt hatte, dass wenn ich sie rettete, ich doch einen Teil von ihr verlor.
Nein, ich schüttelte meinen Kopf, wir würden das überstehen, das war nur ein weiterer Stein in unserem Weg, ich würde da sein, ich würde ihr sagen das es keine Rolle spielte wo sie her kam, das sie dahin nie zurück gehen würde, ein altes Versprechen, das ich für sie wiederholen würde so oft sie es auch hören wollte. Ich würde nicht erlauben das er ihr das strahlen nahm, was es auch kostete oder wie lang es dauerte wir würden das hinter uns lassen.
Nach Minuten oder auch Stunden, ich hatte das Gefühl für die vergangene Zeit verloren, hatte sie sich insoweit beruhigt, das ich sie in meinen Armen drehen konnte. Sofort versteckte sie ihr Gesicht an meiner Brust, ihre Tränen wurden vom Stoff meines Hemdes aufgesogen. Ich ließ meinem Kopf kurz auf ihrem Ruhen, sie roch nach Feuer, Asche und Rauch aber darunter war ihr eigener Geruch versteckt.
Ich erlaubte mir einen kurzen Moment des Glückes das sie wieder in meinen Armen lag. Einen Arm um ihre Mitte geschlungen, spielten die Finger meiner anderen Hand mit ihrem Haar, streichelten die braunen Strähnen glatt. Immer wieder flüsterte ich ihr zu dass alles gut werden würde, dass es vorbei war, dass sie stark war und wir das zusammen überstehen würden.
Ich bemerkte die schwarze Limousine nicht die hinter uns auf der Straße vorgefahren war, weder hörte ich das Öffnen der Tür oder das eindeutige Aussteigen eines Mannes in teuren Schuhen mit einem Regenschirm. Ich hörte jedoch die ungeduldigen Worte „Wenn ihr dann fertig seit" und wusste das wir einsteigen sollten.
*
Als ich sah wie das Haus in dem ich die schönsten Momente meiner Kindheit verbrachte hatte von den Flammen verschlungen wurde war mir, als würde ich auch brennen. Es war mehr als die Tatsache das ich immer gewusst hatte das es noch stand, noch da war, nein es Stand dafür das alles was ich in der Vergangenheit als rein, wahr und unumstößlich angenommen hatte nicht mehr dasselbe war.
Ich konnte das nicht, das war zu viel für mich also schrie ich bis mein Hals schmerzte, ich gab mich all dem Schmerz hin, ließ ihn in meinen Adern pulsieren. Mein Verstand und klares denken schalteten sich ab, meine Muskeln versagten mir den aktiven Dienst. Wie durch einen dichten Nebel hindurch nahm ich war dass ich aufrechtgehalten wurde, dennoch hatte ich das Gefühl zu fallen. Endlos, ich fiel so tief hinein in die Dunkelheit. Agonie verschlang mich bei lebendigem Leibe. Alles was ich wollte war das es aufhörte.
Meine Gedanken waren so laut, sie schrien mich an, aber nichts ergab Sinn. Langsam kämpfte ich um etwas Klarheit in diesem Chaos von Informationen. Es war gelöst, das älteste, schmerzhafteste Mysterium in meinem Leben. Aber um welchen Preis. Vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden war mein Name Rebecca und meine Eltern waren gute Menschen gewesen, die auf tragischer Weise ermordet worden waren. Mein Überleben nichts weiter als ein Zufall. Dieses Verbrechen nichts weiter als ein sinnloser Akt der Gewalt.
Nun war mein Name Suvi, meine Eltern waren Verbrecher gewesen, die von ihren Sünden eingeholt worden waren, mein eigener Großvater hatte sie getötet und dann war er gegangen. Er hatte mich zurückgelassen, nachdem er mir alles genommen hatte. Wahrscheinlich war es in seinen Augen ein Akt der Gnade, das Kind zu verschonen was er einst geliebt hatte, ich wünschte er hätte es nicht getan. Eine Kugel wäre der schnellere Tod gewesen als die Dinge die mir passiert waren, die Dinge die ich getan hatte und der Schmerz denn ich mit mir herumtragen musste.
Nur langsam kam ich wieder zu meinen Sinnen, die Welt die ich vergessen hatte kam langsam zu mir zurück. Ich fand mich mit meinem Gesicht an Sherlock gepresst. Trotz seiner Anwesenheit, die mich sonst immer geerdet hatte fühlte ich mich so leer, als wäre alles Gute in mir fort. Weggespült von dem Blut in meiner Vergangenheit, den Taten meiner Familie, der Qual in meinem Herzen.
Es war schlimmer als jemals zuvor, ich sollte froh sein das ich gehalten wurde denn ich wusste woran mich dieses Gefühl erinnerte:
An einen kalten Morgen im Januar.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro