Tod
All die Mauern, die ich über die Jahre so sorgfältig aufgebaut hatte, die mein Herz hatten schützen sollen wurden in diesem Moment zerstört, die Trümmer meines Versagens begrüben mich. Ich hatte so viele Gedanken und Gefühle. „Nein, bitte nicht" sagte eine tränenerstickte Stimme, erst später sollte ich merken dass ich ihr Ursprung war.
Meine Beine trugen mich zu ihr hin, ich sah ihre Umrisse nur verschwommen durch die Tränen in meinen Augen, erst als sie aus meinen Augen fielen wurde das Bild ihres zierlichen Körpers auf dem kalten Beton wieder klar. Ich wünschte mir beinah die Ungewissheit zurück, nun war alle Hoffnung fort, sie war tot. Nun konnte ich mir nicht mehr einreden dass alles gut werden würde, jetzt wusste ich dass dies unmöglich war.
Mit tauben Gliedern beugte ich mich zu ihr herunter. Sah sie einen Moment lang einfach nur an, ihr Gesicht war entspannt und erinnerte mich schmerzhaft an all die Morgenstunden die ich neben ihr verbracht hatte, all die Momente in denen ihr Anblick alles gewesen war was ich gebraucht hatte um mich geerdet zu fühlen.
Ich sah einen Augenblick lang zur Decke und stieß einen gepeinigten Schrei aus. Mir war als würde ich in tiefes dunkles Wasser gezogen. „Rebecca" murmelte ich leise als ich sie wieder ansah. Langsam zog ich ihr die Spritze, welche ihr Leben beendet hatte, aus ihrem Arm. Sie würde es nicht spüren aber dennoch war meine Berührung sanft.
Ich kniff die Augen zusammen und verzog mein Gesicht in Schmerz als ich fühlte wie kühl ihr Körper war. Meine Beine gaben endgültig unter mir nach. Meinen Rücken gegen die Wand lehnend setzte ich mich auf den Boden, ich fühlte dabei nichts, weder den kalten harten Beton unter mir oder den Wind um uns herum. Alles war dumpf und farblos. Behutsam zog ich ihren leblosen Körper an mich, legte meine Arme um sie, hielt sie und versteckte mein Gesicht in ihrem Haar, es verspottete mich mit seinem unveränderten Geruch nach Vanille und Kokosnuss.
„Bitte nicht" flüsterte ich nahe ihres Ohres, mein Körper schmerzte aber ich wusste dies hatte keinen physischen Ursprung. „Du hast es versprochen" meine Worte ergaben keinen Sinn, wusste ich doch dass es unveränderlich war, ihr Tod war eine endgültige Tatsache, meine Worte würden nichts bringen und trotzdem konnte ich sie nicht zurückhalten. Mein Herz stand in Flammen. Und mein Verstand konnte nicht erfassen was all dies bedeutete, er weigerte sich weiter zu machen.
„Komm zurück" ich richtete meinen Blick auf ihr Gesicht, es lag gestützt in meiner Armbeuge. Ich küsste ihre kühle Stirn und murmelte „Ich liebe dich doch" an ihre Haut. Wissend das dies meine letzte Chance war hob ich meinen Blick und sah ihr ins Gesicht. Ich hatte fälschlicherweise geglaubt ich würde es für den Rest meines Lebens jeden Tag sehen aber ich hatte mich geirrt, ich hatte mich bei so vielem Geirrt, so viele Fehler auf meinem Weg und nun hielt ich die Konsequenzen meiner Taten in den Armen.
„Bitte Rebecca, komm zurück" eine meiner Tränen fiel aus meinen Augen direkt auf ihre blasse Haut, lief langsam über ihre Wange. Mit sanften Fingern wischte ich sie fort. Sie sah friedlich aus, wenn ich es nicht besser wüsste konnte man annehmen dass sie lediglich schlief. Doch sie würde nicht aufwachen egal was ich tat oder sagte. Ich schluchzte hemmungslos, drückte ihren immer kälter werdenden Körper an mich. Wie lange ich dasaß und versuchte die Tatsache zu begreifen dass sie fort war wusste ich nicht.
„Bitte" murmelte ich immer wieder in die beunruhigende Stille „Sei nicht tot" keuchte ich atemlos und strich ihr gleichmäßig durchs Haar als ich sie sanft in meinen Armen hin und her wiegte. In meinem Kopf schrie alles danach ihr zu helfen aber ich wusste das ich dies nicht konnte, niemand konnte sie mir zurückbringen und diese Erkenntnis saß wie ein Eisklumpen in meiner Brust.
„Rebecca" meine Stimme war rau und tränenerstickt als meine Schultern bebten. Ich hoffte auf ein Wunder doch musste ich einsehen dass die Realität keinen Platz für eben jene hatte. Glühende Lava schien nur meine Adern zu fließen zumindest fühlte ich mich so. Mein Brustkorb war wie zugeschnürt.
Als ich mein Bein bewegte stieß ich gegen etwas, es raschelte unbeeindruckt von meinem Zustand. Ach ja fiel mir ein, ihr Notizbuch, ich hatte es nicht wahrgenommen als ich mich gesetzt hatte, es war nicht wichtig gewesen aber nun sah ich das sie mir eine Nachricht hinterlassen hatte. Meinen Griff um sie mit einem Arm haltend nahm ich mir mit der Hand des anderen Arms das Buch. Auf einer der Seiten, direkt unter den Details unseres letzten Falles stand in Rebeccas zittriger Handschrift:
Bitte hasse mich nicht
Sei stärker als ich
Pass gut darauf auf
Eine Weller neuer Tränen überkam mich, hatte sie geglaubt es gäbe auch nur die entfernteste Chance dass ich sie jemals hassen könnte? Selbst jetzt mit ihrem leblosen Körper in meinen Armen liebte ich sie mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt.
Sie hatte gewusst was sie schrieb als sie verlangte ich sollte stärker sein als sie, hatte sie doch abschätzen können was mein erster Impuls sein würde sobald mir klar wurde das ich fortan ohne sie sein musste. Deshalb nahm sie mir ein letztes Versprechen ab, besiegelte es in dem sie mir das wertvollste hinterließ das sie gehabt hatte. Die Kette ihrer Mutter.
Ich sah von der letzten beschrieben Seite des Buches zurück zu ihr. „In Ordnung" presste ich hervor bevor ich meinen Kopf an ihren legte.
*
Ich nahm die Welt um mich herum erst wieder wahr als ich das Anfahren mehrerer Fahrzeuge hörte. Um die Ecke aus der Fensteraussparung blickend erkannte ich das John die Kavallerie informiert hatte. Zwei Polizeiwagen, ein Notarztwagen, ein Krankenwagen und ein Team der Spurensicherung aber was mich wunderte auch ein Leichenwagen, zu erschöpft um darüber nachzudenken beschloss ich das es Zeit war mich der Realität zu stellen, ob ich breit war oder nicht.
„Es wird Zeit" sagte ich ihr leise, ich legte mir ihre, nunmehr meine Kette um, packte ihr Buch in ihre Tasche und hängte mir diese ebenfalls um, so dass ich die Hände frei hatte um Rebecca anzuheben. Die Erinnerungen an die anderen Gelegenheiten als ich sie so getragen hatte brachten frische Tränen in meine Augen, sie ließen mich inne halten. Ich zwang mich weiter zu atmen als ich die Bilder ihres schlafenden Gesichtes und das Echo des Gefühls ihres warmen weichen Körpers zur Seite drängte.
Vorsichtig trug ich sie die zehn Stockwerke nach unten, darauf achtend das ihr Kopf nicht nach hinten kippte, das sie Sicher in meinem Griff lag. Es machte keinen Unterschied aber ich wollte es richtig machen, es war das letzte was ich je für sie tun würde. Sie war so leicht aber es war als lastete eine unmenschliche Last auf mir, die mich niederdrückte, ein wenig mehr mit jedem Schritt den ich ging.
Bevor ich die letzten Stufen ging erlaubte ich mir einen kleinen Moment, ich sah einfach auf sie herab, sammelte meine Emotionen und versuchte sie wegzusperren, ich musste jetzt stark sein. Vor dem Gebäude waren die Beamten, Sanitäter aber am wichtigsten John. Ich musste mich zusammenreißen. Wenn nicht für mich dann für ihn.
Als ich hinaustrat kam John mir sofort entgegen als er mich entdeckte „Sherlock, du hast sie...." gefunden, wollte er sagen doch dann fiel sein Blick auf unser Mädchen in meinen Armen, er war Arzt er erkannte was passiert war und doch stotterte er „i-st.....oh Gott....S-Sherlock.....ist s-sie...?"
„Tot" sagte ich, es klang nicht mal nach meiner Stimme aber die Bestätigung brachte Tränen in die geschockt blickenden Augen des Arztes, er biss auf seine Faust bevor er sich vorn über beugte. „Becky" hörte ich ihn wispern. Die Sanitäter wollten sich uns nähern aber ich brachte sie mit einem bestimmten Blick und einem Kopfschütteln zum Stillstand, sie waren, wie ich, zu spät um etwas ausrichten zu können.
John hatte sich wieder aufgerichtet, mein Zeitgefühl war immer noch nicht vollständig hergestellt, deshalb konnte ich nicht sagen wie lange er gebraucht hatte um sich zu sammeln. Er nahm Rebeccas Handgelenk und fühlte selbst nach ihrem, nun mehr non-existenten Puls. Als er den endgültigen Beweis für meine Worte, ihren Tot hatte schloss er abermals gepeinigt die Augen. Er versteckte sein Gesicht in seinen Händen, sein wimmern brachte auch mir neue Tränen aber ich versuchte sie zurückzuhalten.
Greg kam auf uns zu, er sah mitgenommen aus, warum? Er hatte sie doch kaum gekannt. Er müsste nicht in eine Wohnung zurückkehren die nie wieder von ihrem Lachen und ihrem Licht erhellt werden würde, nachdem sie Monate lang unserer Leben bereichert hatte. „Sherlock, John... es tut mir wirklich leid" er meinte dies sogar ernst.
„Sie haben sie nicht umgebracht. Es war Selbstmord. Nichts was ihnen leid tun müsste." Er sah mich an als verstände ich die Welt nicht, sein Blick noch mitleidiger bevor er mir auf die Schulter klopfte. Einer der Beamten die mit dem Leichenwagen hergekommen waren trat zu uns, wollte mir Rebecca aus den Armen nehmen. Ich drückte sie reflexartig an mich, ich wusste dass ich zwangsläufig loslassen müsste aber ich dachte ich hätte mehr Zeit.
Ich hatte gedacht ich hätte mehr Zeit mit ihr. Der Blick mit dem ich den fremden Mann bedacht hatte brachte eben jenen dazu zurückzuzucken. John rieb mir über die Schulter, seine Augen waren rot, sein Gesicht schmerzerfüllt, doch er versuchte tapfer zu lächeln „Schon gut, leg du sie hinein" er deutete auf den grauen Plastik Sarg der offen auf dem Boden lag.
Es wiederstrebte mir sie in dieses grässliche Ding zu legen aber ich wusste das es sein musste. Allein ging ich also darauf zu, jeder Schritt schien mir ein neues Messer ins Herz zu treiben. So hätte es nicht enden sollen. Sie verdiente ein besseres Schicksal als eine Überdosis in einem leeren Gebäude am Rande der Stadt. Und wenn sollte sie auf Rosen ruhen und nicht auf hartem Plastik das nach Desinfektionsmittel roch.
So sanft wie ich konnte, legte ich sie nieder. Nicht darauf achtend ob ich mir weh tat in der Art wie ich auf dem dreckigen Vorplatz kniete oder wie ich aussehen musste. Anschließend platzierte ich ihre Hände auf ihrem Bauch und strich ihr das Haar glatt bevor ich leise flüsterte „Schlaf gut Liebling".
Sie war nun fernab aller Alpträume, eine Hand vor meinen Mund legend um mich abzuhalten noch weiter Zusammenzubrechen stand ich langsam auf, hinter mir Stand nun mein Mitbewohner, er legte mir eine Hand auf den Rücken, jedoch sah ich ihn nicht an, mein Blick haftete auf meiner Frau bis der Deckel über ihr geschlossen wurde. Auch danach verfolgten meine Augen den Sarg.
„Keine Autopsie" sagte ich als sie in das schwarze Auto gehoben wurde. Greg sah mich wieder aus diesen traurigen Augen an „Sherlock" ja das war mein Name warum wiederholte er ihn ständig. „Es ist ein ungeklärter Todesfall, es muss eine Untersuchung geben und dazu gehört eine Autopsie" er sprach leise und als wäre ich ein unberechenbarer Schwachkopf,
Ich drehte mich vollständig zu ihm um „Nichts ist ungeklärt" alles war klar, schmerzhaft klar, ich wünschte mir den Nebel der Ungewissheit, doch es war eindeutig „Niemand war bei ihr, sie hat Selbstmord begangen. Die Nadel steckte noch in ihrem Arm. Es gibt keinen Grund sie aufzuschneiden und zu sezieren wie einen wertlosen Frosch."
John sah mich geschockt an, hatte ich geschrien? Oh ja stellte ich fest als ich die letzte Minute nochmals durchging. Ich wusste ja das es sich aus meinem Mund lächerlich anhörte, ich schlug Leichen mit Reitgärten, bewahrte Kopfe im Kühlschrank auf oder experimentierte an Zehnen in Mikrowellen oder Säure an Augäpfeln herum aber das hier war etwas anderes. Sie war etwas Besonderes. Sie hatte genug durchgemacht, sie sollte in Frieden ruhen.
„Sherlock, ich...." er atmete schwer aus, er rang um seine Worte. „Ich denke ich kann ihnen Aushelfen." die Stimme meines Bruders an diesem Ort überraschte mich. Das es mich nicht störte das er sehen konnte das mir die Schwäche und die Gefühle ins Gesicht geschrieben standen zeigte nur das dies der schlimmste Tag meines Lebens war, ich wünschte mir plötzlich ich würde neben ihr in diesem grauen Sarg liegen, fernab von Schmerz und Sehnsucht. Im tiefen kalten nichts das jetzt ihr zu Hause war.
„Der Geheimdienst wird die Ermittlungen übernehmen. Eine Untersuchung ihrerseits sowie eine Leichenschau werden somit unnötig." er strahlte seine übliche Autorität aus, kein einziges Gefühl war auf seinem Gesicht abzulesen. Der Eismann in Bestform. Lestrade verstand den wink und zog sich zurück, wahrscheinlich erleichtert das er nicht länger in meiner unmittelbaren Nähe sein musste. Ich musste zugeben ich kam mir selbst unberechenbar vor, zu viele und gleichzeitig zu wenig Empfindungen hatte ich in mir. Sie kämpften um die Vorherrschaft.
„Warum interessiert es sie wer ermittelt?" was interessierte es ihn was mit Rebecca passierte war die versteckte Frage meines Mitbewohners, seine Stimme klang nach den Tränen in seinen Augen und der Frustration in seinem Herzen.
„Sie war die Enkeltochter eines einflussreichen ausländischen Geschäftsmannes, der dazu noch ein internationales Kartell leitet." Falsch, das war Suvi Padar gewesen, nicht Rebecca Jane Kingsley. Es lag ein Gewaltiger Unterschied zwischen diesen Frauen.
„Sie war meine Frau und du hast sie sterben lassen" brauste ich auf, seine Worte waren so beiläufig ausgesprochen gewesen. Sie trieben eine eiskalte Wut in mir auf. Ich merkte nicht einmal was ich gesagt hatte.
„Wie bitte?" nicht mal von meinen Emotionen schien er sich beeindrucken zu lassen. Er wirkte weiterhin als wäre diese Szene nichts weiter als eine Unannehmlichkeit, eine unschöne Formalität für ihn. Etwas das man zwischen Frühstück und Mittagessen erledigen und danach nie wieder erwähnen sollte.
„Dein Agent hat sie in das Gebäude gehen sehen und hat nichts unternommen, er ist gegangen während Rebecca sich das Leben nahm. Er hätte sie retten können." ich schrie und einige Köpfe drehten sich in unsere Richtung. "Er hätte sie retten müssen." fügte ich leiser an. Tränen in meinen Augen. Wer auch immer dieser wertlose Schwachkopf war, er sollte schnell seine Koffer packen und das Land verlassen.
„Ich entsinne mich das du meintest sie würde mit keinem meiner Männer mitgehen" Ich glaubte zu Träumen als ich Mycroft's Worte hörte, war das seine Antwort? Er war schlauer als das. „Es gibt einen Unterschied zwischen sie versuchen mitzunehmen und ihr einfach den Rücken zuzukehren"
Diese Aussage zu meinem Bruder dass sie nicht mitgehen würde mit einem Fremden hatte nicht zu ihrem Tod geführt. Das durfte nicht sein. Es war nicht meine Schuld, obwohl es ihr Selbstmord an sich vielleicht war. Doch das wollte ich nicht vor Mycroft ausbreiten, er hatte kein Recht mir das Vorzuwerfen. Nicht nachdem er sie hat sterben lassen. Wir hatten Beide versagt aber nur ich hatte sie geliebt.
„Das bringt doch nichts" sagte John geschlagen, er rieb sich über seine roten Augen, er schwankte leicht als könne er kaum stehen. Ich musste ihn nach Hause bringen, war er doch der einzige Freund der mir blieb, ich musste es bei ihm richtig machen. Auch für Rebecca, sie hatte ihn auch geliebt. Mit meinem Bruder würde ich ein anderes Mal abrechnen.
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