Rebecca
(03.07.2015 – London, England)
Ich hatte mir den Rest meines Eises mit John geteilt als wir im Park gewesen waren während Sherlock in Gedanken versunken schien. Der Anruf von Scotland Yard überraschte mich kaum, wie ich bereits festgestellt hatte hatten wir einen Lauf, so viele Fälle. Wir begaben uns natürlich sofort auf den Weg.
Wir mussten für Gerechtigkeit sorgen.
*
Erschrocken lauschte ich auf die Worte des D.I. welcher uns bereits erwartet hatte. Ich hatte Mitleid mit der unbekannten Frau als Lestrade uns die Geschichte erzählte. Niemand verdiente es so behandelt zu werden, ich wusste was einige Männer auf der Straße mit den Mädchen, die mir in vielen Dingen so ähnlich gewesen waren, gemacht hatten und immer noch taten aber dennoch ergriff einen solch Grausamkeit jedes Mal aufs Neue.
Doch alle Gefühle oder Gedanken wurden aus mir hinausgeschlagen als sie die Türen vor uns öffneten und ich sah wer die Unbekannte war. Sie war keine Fremde, sie war für Jahre das wichtigste in meinem Leben gewesen und ich hätte sie in jedem Zustand wieder erkannt. Immerhin liebte ich sie.
Es war mir ein Einfaches, trotz der unzähligen Verletzungen und dem Loch in ihrer Stirn sie zu identifizieren. Wie gesagt, ich kannte ihr Gesicht wahrscheinlich besser als mein eigenes.
Da auf dem kalten Stahltisch lag Susann Bones, meine Sue, meine große Schwester.
Ich fühlte einen Moment lang nichts als puren Schock, meine Fingerspitzen fühlten sich taub an als ich sie zu meinem Mund brachte und ich „Entschuldigt mich" murmelte. Bevor ich unauffällig den Raum verließ. Jeder Schritt fühlte sich an als würde ihn jemand anders gehen und ich sah nur dabei zu. Meine Füße schienen Bleischwer und dennoch ging ich unbeirrt voran.
Im Gang angenommen nahm ich einen zittrigen Atemzug der sich anfühlte als wäre es mein erster nach dem ich Stunden in Eiswasser gelegen hatte. Eis das sich nun in mein Herz bohrte, es tat so weh, mir fehlten die Worte. Es war als würde sich eine glühende Nadel durch mein Hirn bohren. Ich wollte schreien aber kein Ton kam über meine Lippen. Ich wollte zu Sherlock aber meine Füße trugen mich keinen Millimeter zurück.
Wie konnte das sein? Was war passiert? Wie kam ich hier her? Warum war sie Tod? Wo war sie gewesen? Wer hatte ihr das angetan? So viele Fragen flogen in meinem Kopf herum aber alles was ich wollte war Zusammenbrechen. Wissend das Sherlock mich auffangen würde aber ich blieb nie lange ganz. Und der Schmerz wurde mit jedem Mal unerträglicher.
Nein, beschloss ich, das war genug, das war es. Lange genug war ich schwach gewesen. Der letzte Tropfen war gefallen. Niemand sollte sich mehr um mich kümmern, die Scherben meiner selbst zusammensammeln müssen. Es würde kein Blut mehr für mich vergossen werden das nicht mein eigenes war.
Ich öffnete meine Tasche, nahm mein Telefon heraus und legte es sanft auf den Boden des Ganges. Das war etwas das ich alleine machen musste. Danach ging ich so schnell wie es gerade noch unverdächtig war aus dem Krankenhaus. Mein Herz das nunmehr in dreifacher Geschwindigkeit schlug schmerzte bei dem Gedanken was ich zurückließ aber ich musste stark sein.
Ich hatte einen groben Plan und in meiner Tasche befand sich immer noch das Wechselgeld von meinen Einkaufsausflügen und das Geld das mir Sherlock vor dem Brunch mit seiner Mutter gegeben hatte, niemals hatte er auch nur ein Pfund davon zurückverlangt.
Das würde reichen, ich fühlte nichts bei dem Gedanken Rückfällig zu werden, mir war vielleicht immer klar gewesen dass es mich früher oder später einholen würde, meine Abhängigkeit. Erstaunlich gefasst hielt ich ein Taxi an, meine Stimme verriet nichts von meinem Zustand. Ich ließ mich in eine Gegend fahren von der ich wusste dass ich dort etwas Stoff bekommen würde.
Als ich die Spiegelung meines Gesichtes in der Fensterscheibe sah erkannte ich mich selbst kaum wieder.
*
Wütend aufschreiend trat ich gegen eine herumliegende Mülltonne, der Schmerz in meinem Fuß brachte mir etwas Erleichterung aber er war bei weitem nicht genug.
Die mir bekannten Dealer hatten ihre Standorte verändert, verdammt, wütend presste ich meinen Kiefer zusammen, ich war kein halbes Jahr von der Straße runter und schon wusste ich nichts mehr über ihre Routen. Langsam kamen die Gefühle die ich zu verdrängen gesucht hatte zu mir zurück, Tränen liefen meine Wangen hinab und ein Schrei löste sich aus meiner Kehle. Ich hatte das Gefühl zu ertrinken, ich konnte kaum atmen.
Sie war tot aber nicht wie ich angenommen hatte seit Januar 2014 sondern seit weniger als einem Tag. Sie hatte die ganze Zeit über gelebt.
Ich hatte sie im Stich gelassen, hatte meine Suche aufgegeben, hatte sie nicht gefunden und ein neues Leben angefangen, war glücklich gewesen während meine Schwester geschlagen, gequält und ihr Körper verkauft wurde. Ich malte mir aus was sie hatte erdulden müssen. Anderthalb Jahre in den Fängen eines brutalen Zuhälters. Die Qualen die sie durchstehen musste.....
Schlagartig wurde mir schlecht, hinter einem anderen Müllcontainer übergab ich das wenige was ich an diesem Tag zu mir genommen hatte. Mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft und ich war dankbar, ich verdiente diesen und noch so viel mehr Schmerz. Ich hatte kein Recht gehabt Glücklich zu sein während sie gelitten hatte. Kurz wurde mir schwindelig und schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen, das Blut rauschte in meinen Ohren.
Sue hätte niemals aufgegeben, bis zu ihrem letzten Atemzug hätte sie nach mir gesucht, sie hätte nicht angefangen ein bequemes Leben zu führen, sie hätte Himmel und Hölle für mich in Bewegung gesetzt, ich hatte nicht mal Sherlock nach ihr suchen lassen, ich war ein Monster, ein selbstsüchtiges dummes Miststück. Der Hass auf mich selbst der sich in meinem Magen sammelte war so brutal, verschlingend und intensiv das es mir fast den Verstand raubte.
Ich biss auf meine Faust als sich weitere tränenerstickte Schreie aus meinem Körper kämpften. Gut das diese Gegend für Junkies und Kriminelle bekannt war, da wunderte sich niemand über ein zusammenbrechendes Mädchen in einer dreckigen Gasse.
Wie hatte ich ohne Beweise einfach glauben können dass sie Tod war? Warum war mir nie der Gedanke gekommen das sie entführt worden war? Ich hatte nur gewusst dass sie mich niemals freiwillig verlassen hätte und ich dummes Kind hatte angenommen das bedeutete das sie Tod war. Ich hatte um sie getrauert dabei hatte sie gelebt. Ich hätte sie die ganze Zeit retten können, dies war bis gestern eine Möglichkeit gewesen, doch nun war sie wirklich tot. Eine Kugel hatte ihr Leben, auf die gleiche Art wie das meines Vaters, beendet. Wie ein angeschossenes Tier schrie ich auf und schlug mit meiner Faust gegen eine der Ziegelmauern.
Warum hatte mein Großvater mich nicht auch erschossen, so viele Leben wären unberührt von dem Unheil geblieben das ich brachte. Weniger Leid wäre über unschuldige Menschen hereingebrochen. Ich raffte mich auf, zitternde Beine verdammt, ich würde seinen Fehler berichtigen. Einmal in meinem Leben würde ich das Richtige tun.
Niemand sollte mehr meinetwegen Leiden, niemand sollte mehr sterben müssen. Meine jämmerliche Existenz sollte keinen Schatten mehr auf die Leben der Menschen werfen die ich liebte. Sie waren ohne jeden Zweifel besser dran ohne mich.
*
(04.07.2015 – London, England)
Dies war ein schöner Ort es zu tun. Vor vielen Jahren hatte ein Investor beschlossen ein großes Wohngebäude für Familien der unteren Mittelschicht in der Nähe der Bahnschienen zu bauen. Doch nachdem der Rohbau vollendet worden war, verstarb der Mann, ich glaubte es war ein natürlicher Tod gewesen, konnte mich aber nicht an alle Einzelheiten erinnern.
Ich saß im zehnten Stock des Gebäudes an einer Aussparung die für ein Bodentiefes Fenster gedacht war. Alles war nackter kalter Beton, auch die Innenseite der Wand gegen die mein Rücken lehnte, es war gefährlich, dachte ich lächelnd. Drei Zentimeter neben meinem Oberschenkel ging es hinab in die Tiefe aber ich hatte keine Angst.
Früher hatte das graue Skelett des Gebäudes vielen Obdachlosen und Junkies als Unterschlupf gedient doch nun war seit ungefähr zwei Jahren ein Wachschutz damit beauftragt zweimal am Tag Kontrollen zu laufen und alle Eindringlinge zu verscheuchen. Das war mir recht, so würde man mich zwangsläufig finden, ich würde nicht auch zu einem ungeklärten Vermissten Fall werden.
Wusste ich doch das John und Sherlock eine Antwort bräuchten auf die Frage wo ich war und was mit mir passiert ist. Das schuldete ich ihnen.
Gott Sherlock, ich wusste John würde es verkraften mich zu verlieren, er war ein Soldat, er hatte Männer, Freunde und Kameraden verloren und er stand noch. Er war so stark, ich wünschte ich hätte ihm sagen können wie viel es mir bedeutet hatte zu wissen das er auf meiner Seite stand. Dieser warme gute Mann der so bereitwillig für mich da gewesen war.
Aber Sherlock würde leiden, es tat mir leid, es brach mir was von meinem Herz noch übrig war aber es gab keinen anderen Weg, das war das einzig richtige was ich tun konnte. Also schrieb ich ihm eine Botschaft, hoffend das er sie ernst nahm, mir nicht folgte:
Bitte hasse mich nicht
Sei stärker als ich
Pass gut darauf auf
Eine Träne fiel auf die Seite in meinem Notizbuch auf die ich meine Nachricht schieb. Mit zitternden Fingern nahm ich meine Kette ab, drückte einen letzten Kuss auf das von meinem Körper angewärmte Silber und legte sie anschließend zwischen die Seiten. Ein Abschiedsgeschenk für den Mann der mir alles bedeutete, dessen Leben ich hiermit rettete.
Ich legte das Buch und seinen neuen Inhalt sanft ab. Eine Träne unterdrückend, ich tat das Richtige. Der kühle Wind des Morgens, noch nicht gewärmt von der langsam aufgehenden Sonne schlug mir ins Gesicht. Ich lächelte traurig, es erinnerte mich an den Morgen vor sechs Monaten. Doch dies war ein schönerer Ort zu tun was getan werden musste.
Alles was ich mir wünschte war das ich mich richtig von Sherlock hätte verabschieden könnten aber er hätte mich aufgehalten, mich nicht gehen lassen hätte er auch nur geahnt was vor sich ging, das konnte ich nicht zulassen. Ich wusste nicht mal mehr was das letzte war das ich zu ihm gesagt hatte, oder das letzte Mal das ich ihn geküsst hatte. Er würde sich erinnern, ich hoffte es waren gute Erinnerungen.
Es wurde Zeit, ich nahm all meinen Mut zusammen. Rebecca Jane Kingsley musste ein letztes Mal stark sein. Mit geübten Handgriffen rollte ich meinen Ärmel nach oben, bereitete meinen Arm für die Injektion vor, bevor ich meine neu erworbenen Sachen aus meiner Tasche holte. Es kam mir beruhigend vertraut vor, das aufziehen der Spritze, ich ließ nichts zurück, zog alles auf, wissend dass es seine Wirkung nicht verfehlen würde.
Die Erinnerung an meinen ersten Schuss kam aus der tiefe meines Verstandes zu mir zurück. Ich hatte es ebenfalls alleine getan, die Sachen hatte ich von Sue, welche nicht gewollt hatte das ich ebenfalls damit anfing aber der Sog war zu stark gewesen und ich, wie immer, zu schwach. Drei Tage hatte ich danach dagelegen weil der Stoff total verschnitten gewesen war aber dennoch hatte es mich süchtig gemacht. Mit sanften Händen hatte Sue mich gepflegt. Ich lächelte bei der Erinnerung.
Dies würde mein letzter Schuss werden, dessen war ich mir bewusst und dieser Gedanke hatte etwas bittersüßes an sich. Die Nadel durchstach mühelos meine vernarbte Haut, dieser beinah vergessene Schmerz war köstlich in seinem Versprechen von dem was folgen würde.
Ich ließ die Sonne ein letztes Mal mein Gesicht küssen bevor ich den Kolben der Spritze nach unten drückte und das Gift in meine Adern fließen ließ. Mein Herzschlag wurde sofort langsamer, ich ließ mich nach links in das Gebäude fallen als ich mich nicht mehr in meiner sitzenden Position halten konnte.
Mein Körper wurde taub, schwer und ich fühlte nichts mehr. Weder die Spritze in meinem Arm, noch den kalten Beton unter mir. Der Wind spielte mit meinem Haar als ich die Augen schloss. Ich fühlte wie alles langsamer wurde, mein Herzschlag, meine Atemzüge sogar meine Gedanken.
Bevor alles schwarz wurde erinnerte ich mich dumpf an den klang meines Liedes auf Sherlocks Geige gespielt, die Wärme seiner Umarmungen und den Glanz seiner einzigartigen Augen. Ich hatte geschworen ich würde ihn lieben bis ich keine Luft mehr in den Lungen hatte, dies war wohl eines der wenigen Versprechen das ich hielt.
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