Kein einfacher Mord
(08.06.2015 – London, England)
Es hatte eine ganz normale Tatortbegehung und Zeugenbefragung werden sollen, der Tote war ein Politiker, kein großer Fisch aber sein, recht öffentliches Ableben während einer Spendenveranstaltung hatte für Aufsehen gesorgt. Beziehungsweise würde es das sobald die Presse Leute aus dem Gebäude gelassen werden würden. George Porter war sein Name gewesen, verheiratet, keine Kinder, einzelner Schuss in den Hinterkopf. Die Polizei hatte den Tatort abgesperrt, die Anwesenden befragt, durchsucht aber nichts gefunden.
Ich schrieb all das in mein Notizbuch, mit der Anmerkung 'Sally könnte kein Verbrechen lösen um ihr Leben zu retten' nachdem eben jene mal wieder abwertend über Sherlock gesprochen hatte. Kaum waren wir angekommen erkannte eben jener dass der Tote eine Affäre gehabt hatte, mit seinem Fahrer, des Weiteren hatte er Spielschulden und sein Interesse an der Politik war ebenfalls nur oberflächlich.
An seinem Genie würde ich mich wohl nie satt sehen können, es war ein Schauspiel, jedes Mal aufs Neue. Lestrade sagte woran er das erkannte, ich schrieb es auf. Er erklärte „Die Falten in seiner Hose verraten uns wo sein Liebesspiel stattgefunden hat, das mit wem erklärt sich dabei ganz von selbst. Seine Rolex ist eine Fälschung, die echte, welche er noch vor drei Wochen trug als dieses Wahlplakat erstellt wurde hat er verpfändet. Er hat während der Veranstaltung aller zwanzig Minuten auf sein Handy gesehen, sie dachten das wäre wegen der eingehenden Nachrichten aber es ist genau die Zeit zwischen Pferderennen. Nun zu seinem schwindenden Interesse an seinem Job, die Karten mit seiner Rede sind voller Flecken, er hat nicht darauf geachtet wo er sie hinlegte, es war ihm nicht wichtig sie sauber zu halten. Außerdem sollten sie sie mal lesen, die Punkte sind schlecht recherchiert und mehr Augenwischerei als echte Innovationen auf politischer Ebene."
Stolz blühte in meiner Brust auf, er war brillant.
*
Nichts davon erklärte jedoch warum er ausgerechnet auf dieser Veranstaltung erschossen worden war. Etwas war falsch, ich spürte es wie einen kalten Luftzug in meinem Nacken. Moriarty? Nein das passte nicht, keine Verbindung zu uns, keine Spielregeln, keine Hinweise darauf. Ich hatte seine Drohungen ignoriert ich durfte mich jetzt nicht davon beherrschen lassen, dennoch blickte ich kurz zu Rebecca, sie stand noch hinter mir.
Ich schloss meine Augen, ging alles durch was ich an Informationen gesammelt hatte, ließ alle im Raum verschwinden, es gab nur mich und das Verbrechen. Warum hat ihn jemand erschossen, warum hier und warum heute.
Warum?
Die Ehefrau, wegen der Affäre? Nein, sie wusste schon länger davon und hatte selbst eine, offene Ehe. Es gab auch kein finanzielles Motiv, es ging ihr besser wenn er lebte.
Der Fahrer? Wollte er mehr? Möglich aber er war in der Tiefgarage gewesen, ein weiterer Täter als Komplize unwahrscheinlich. Ein Mord aus Eifersucht geschieht meist direkt.
Der Buchmacher? Wegen der Spielschulden? Nein der hätte ihm die Beine gebrochen, Tote zahlen keine offenen Forderungen zurück.
Ein anderer Politiker? Um die Konkurrenz zu beseitigen? Nein so gut war er auch wieder nicht gewesen, seine Ansichten zu allgemein und wenig innovativ.
Weiter, vielleicht war das gar nicht wichtig. Es hätte Heute mindestens vier andere, bessere Gelegenheiten gegeben den Mann umzubringen. Also warum dieser Ort und diese Zeit?
Zum Ort: Hotel, fünf Sterne mit vielen Kongressräumen. Es war immer viel los, kein ruhiger Ort für ein Verbrechen aber was wenn das der Grund war, was wenn es weniger um ihn persönlich ging sondern um das Wo und im Zusammenhang damit auch um das Wann?
Aber warum? Was übersah ich? Was hatte ich noch nicht beachtet. Warum musste dieser Mann an diesem Tag an diesem speziellen Ort sterben. Was hatte der Mörder davon? Ein Gedanke überkam mich.
Ich kam zurück in den Raum mit den Zeugen, den Beamten, dem Tatort und Rebecca. „Die Veranstaltung die nach dieser hier stattfinden sollte? Welche ist das?"
Lestrade sah verwirrt in seinen Unterlagen nach, Sally wollte ihn ablenken und zweifelsohne Fragen warum das wichtig war ich hielt eine Hand hoch, sie unterbrechend. „Der Bürgermeister hält eine Rede vor Schulkindern die sich für den Umweltschutz eingesetzt haben."
„Wurde das abgesagt? Nachdem Mord?"
„Nein sie wurde verlegt, sie findet jetzt im Raum 503 statt, ein Stockwerk über uns." dies war Raum 401, also andere Gebäudeseite, größerer Raum. Auch der Zugang zum Fahrstuhl war näher und die Lüftungsschächte waren breiter. Das hatte ich beim Weg zu unserem Tatort bemerkt.
„Wir müssen gehen" sagte ich, einige Schritte zur Tür nehmend, ich sah auf die Uhr, in weniger als Fünf Minuten würde die Veranstaltung beginnen und selbst ich konnte nicht vorhersehen wann es geplant war. Niemand außer Rebecca folgte mir, ich sah ungeduldig hinter mich, eine dramatische Kehrtwendung machend.
„Es wird einen weiteren Mord geben wenn wir uns nicht beeilen" nun kam Leben in die Sache, musste ich denn immer alles auskauen für diese Schwachköpfe. „Bleib hier" wand ich mich an Rebecca. Verwirrt sah sie mich an „Wie bitte?" entfuhr es ihr, ich wusste was sie dachte, erst lasse ich sie kaum aus den Augen und nun wollte ich sie zurücklassen. Sah sie denn nicht dass ich das Risiko einschätzte, das sie Sicherer hier war.
„Noch ist nicht klar was für ein Anschlag verübt werden soll, ich tippe auf einen einzelnen Schützen aber das ist keine abschließende Feststellung. Es könnte eine Bombe, ein Bioangriff, Giftgas oder ein anderes Ereignis sein. Was es auch ist ich will nicht das du in die Nähe davon kommst." ich sprach schnell, standen wir doch erneut im Wettlauf mit der Zeit, die meisten von Lestrades Leuten waren schon losgelaufen.
Sie wollte wiedersprechen, natürlich wollte sie das, gerade war nicht der Moment für neue Angewohnheiten, sie musste mir Vertrauen wie sonst auch immer. „Bitte" sagte ich danach wies ich einen Beamten an sie nicht weg zu lassen bevor ich losrannte.
*
Er hatte mich einfach zurückgelassen, ich konnte es nicht glauben. Wir machten das immer zusammen, egal was kam. Er hatte es Versprochen, glaubte er ich hatte Lust in Lebensgefahr zu geraten? Nein, ich war ja nicht Lebensmüde, na gut ein wenig war ich das vielleicht gewesen, früher. Aber es ging mehr darum das ich nicht wollte das er allein in die Gefahr rannte. Ich hatte ihm zugesagt das ich wegrennen würde, ihn zurücklassend sollte er es verlangen aber das war lange her und ich konnte nicht riskieren das er alleine war. Niemand auf ihn Acht gab, selbst wenn ich die schlechteste Verstärkung der Welt war, war es doch besser als keine.
Mit dieser Logik im Herzen schrie ich „Schauen sie nur" und rannte los als alle Köpfe in die entsprechende Richtung schwenkten. Noch bevor der Aufpasser seinen Fehler bemerkte war ich auch schon aus dem Raum, ich stürmte zum Treppenhaus, keine Zeit für Fahrstühle, ich nahm zwei Stufen auf einmal, mein Herz pochte wie das eines Kolibris.
In der fünften Etage angekommen nahm ich mir einen Moment Zeit nach dem Messer in meiner Jackentasche zu greifen, mich versichernd das es noch da war. Danach ging ich weiter, der Beamte der auf mich aufpassen sollte hatte sich anscheinend nicht die Mühe gemacht mir zu folgen oder war langsamer als erwartet. Super Aufpasser aber das sollte mir nur recht sein.
Das Hotel war riesig, ich sah mich um, die Schilder an den Türen lesend. Von weitem hörte ich aufgeregte Stimmen, das würde die richtige Richtung sein. Ich lugte um die Ecke, ich sah Sherlock, Lestrade, Donovan und andere Beamte von Scotland Yard mit mehreren Männern sprechen, von den Bruchstücken die ich mitbekam sah es so aus als würden diese Gorillas in Anzügen nicht glauben das es eine Sicherheitslücke gäbe die es zuließe das dem Bürgermeister etwas passierte.
Meine Hände begannen zu schwitzen, was sollte ich nur tun. Ich überlegte den Feueralarm zu betätigen. Man würde das Gebäude räumen, sein Leben wäre gerettet aber der Täter würde mit der Masse an Menschen aus dem Gebäude verschwinden, einen neuen Anlauf unternehmen. Es gab noch die Chance ihn zu fassen anhand der Beweise die er hinterlassen hatte aber wollte ich das Risiko eingehen?
Ich hasste es das es meine Entscheidung war, das hatte ich davon hinterher zu laufen und mich einzumischen. Hier draußen war ich jedenfalls keine Hilfe, nicht das ich das in dem Raum zwangsläufig wäre aber noch unnützer war es im Flur rum zu hocken. Mein Haar glattstreichend überlegte ich weiter, Sherlock war es zu bunt geworden er drängte sich einfach an den Männern vorbei, das war die Ablenkung die ich brauchte, ich ging schnell mit einer Familie, die höchst wahrscheinlich eine Einladung hatte in den Raum. Es gab etwas geschubse und Gebrüll als auch Lestrade, seine Männer und Sally einfach ihren Weg in den Saal einforderten.
Ich sah mich um, nicht zum ersten Mal wünschend ich hätte Sherlocks Begabung. Für mich war nichts ungewöhnlich an dieser Szene, die Kinder hatten Projekte für den Umweltschutz eingereicht und präsentierten diese nun stolz. Eltern, Lehrer, Sicherheitsleute, Politiker und andere wichtige Menschen waren zu gegen. Mein Herz zog sich zusammen als ich eine Familie erblickte die meiner ähnlich sah. Doch ich riss mich von dem Anblick und der schmerzhaften Erinnerung los.
„Was machst du hier?" natürlich fand er mich, dabei war ich doch theoretisch klein genug um in der Masse unterzugehen. „Ich will dass du gehst" sein Ton hatte nichts von der Wärme mit der er sonst zu mir sprach. Er sah mir nicht mal in die Augen sondern scannte den Raum. Noch nie zuvor hatte er mich weggeschickt, mir war als würde jemand mein Innerstes zusammenknoten. Ich schluckte, hassend wie ich mich fühlte.
„Warum? Ich bin immer an deiner Seite gewesen, egal was passierte" sein Blick wanderte immer noch in alle möglichen Richtungen, ob bewusst oder unbewusst schob er seinen Körper immer zwischen mich und den Raum, als wäre er mein Schild. Als er meine Worte hörte spannte er sich an, er schien kurz mit sich zu kämpfen bevor er mich nun endlich ansah.
„Ich kann mich nicht mehr konzentrieren wenn du in Gefahr bist." es klang als würde es ihn körperlich schmerzen diese Worte auszusprechen. Er nahm ohne Vorwarnung mein Gesicht in seine Hände „Bitte geh Rebecca" der Kuss, den er mir danach gab, passte nicht zu seinem vorherigen Verhalten, er war zwar kurz aber so zärtlich. Mehr ein Hauch als eine Berührung, so schnell vorbei das ich nur noch überrascht blinzeln konnte als Sherlock auch schon in der Masse verschwand.
*
Ich hatte sie stehen lassen, die Angst um sie lenkte mich nur ab, ich konnte sie jedoch auch nicht abstellen. Ich wusste nun warum mein Bruder sagte sich zu Kümmern brachte keinen Vorteil, nicht das ich das jemals zugeben würde. Mit jeder Gefahr in die ich sie brachte wurde es schwerer einen kühlen Kopf zu bewahren, die Tür vor meinen Emotionen zu verschließen.
Mich zur Konzentration zwingen sah ich mich weiter um, einen Anschlag aus der Masse heraus könnte er auch in dem anderen Raum begangen haben, nein er hatte diesen Raum gewollt, er hatte einen Mord begangen damit sein Ziel in diesem Saal seine Rede hielt also würde er entweder einen Weg über den Lieferanten Fahrstuhl nehmen, kurzer Weg zur Bühne und deshalb auch Fluchtweg oder er nutzte die Lüftungsschächte, wahrscheinlich eher das, ich sah nach oben. Von welchem hatte er den besten Winkel.
Ein Bild von braunem Haar in Blut getränkt, getroffen von einem Querschläger wollte sich vor mein geistiges Auge drängen, ich gab nicht nach, ich hatte eine Aufgabe. Der Bürgermeister war inzwischen angekommen, er ging im Raum umher und sah sich die Projekte an, der Täter würde wahrscheinlich warten bis er länger still stand, ein freieres Ziel war. Am Podium würde er still genug stehen, entfernt von anderen Hindernissen die in die Schussbahn geraten konnten, wieder sah ich ein unerwünschtes Bild, löschen - wies ich meinen Verstand an.
Aus dem Augenwinkel sah ich es, beinah hätte ich es nicht bemerkt eine Reflektion des Lichtes von seiner Waffe. Ich suchte in der Menge nach Lestrade er musste seine Männer an den Zugängen der Schächte platzieren und wir brauchten einen Plan.
*
Ich hatte wirklich gehen wollen aber irgendwie auch nicht. Es war schwer. Meine Liebe zu Sherlock wollte mich dazu überreden zu tun was er sagte, er hatte so verletzlich und ehrlich ausgesehen in diesem kurzen Moment aber die Angst um ihn wollte mich nicht von seiner Seite weichen lassen. Also stand ich da, um mich rum fremde Menschen, die redeten, nicht wussten was los war und einfach den Tag genossen. Das Erinnerte mich an unangenehme weise an Moriarty's Spiele. War das ein Grund mehr oder weniger Sherlock nicht allein zu lassen?
Wie lange ich mit dastand und überlegte wusste ich nicht, mein Blick wanderte zwar durch den Raum aber meine Gedanken kreisten nur um Sherlock und sein Verhalten. Ich hatte ihm immer vertraut ich sollte es auch jetzt tun. Meine Schritte trugen mich nunmehr endlich durch den Raum. Ich hatte den Überblick verloren und suchte den Ausgang. Durch die Aufgebauten Projekte konnte ich nicht sehen wo er sich befand.
Ich war nahe der Bühne als ich durch die Menschenmassen endlich die richtige Tür sah. Meine Beine wollten mich dort hin tragen auch wenn mein Herz bleiben wollte. Die Entscheidung oder besser gesagt die Ausführung meiner Entscheidung wurde mir jedoch abgenommen.
Das nächste was ich hörte war wie jemand „Schütze" schrie, dann ein dumpfer Knall, ein Stöhnen und dann fiel ein Schuss. Mir war als zerriss dieses laute unerwartete Geräusch mein Trommelfell. Doch ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, im nächsten Moment fühlte ich nur noch wie mein Kopf hart auf dem Boden aufschlug und die Welt wurde dunkel.
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