Die Krankenschwester
(28.07.2015 – London, England)
An diesem Dienstag sollte Sherlock nach seiner Überdosis am Samstag aus dem künstlichen Koma geholt werden. Ich war jeden Tag bei ihm gewesen, hatte seine Hand gehalten, zu ihm gesprochen und versucht ein guter Freund zu sein. Meine Wut und Enttäuschung hatte ich so gut es ging abgebaut. Wenn ich wollte das er Gesund wurde konnte ich keine negativen Gefühlen in ihm auslösen, die die er bereits hatte waren ihm immerhin beinah zum Verhängnis geworden.
Mycroft hatte Vorgeschlagen ihn in diese Klinik zu bringen sobald er dafür stabil genug wäre, damit er einen Entzug machen konnte. Dieselbe Einrichtung die er für Rebecca angedacht hatte vor all diesen Monaten.
Erstaunlich wie einige Ereignisse das Leben so klar einteilen konnten. Es gab ein Leben vor und nach Rebecca und dazwischen die kurze aber wertvolle Zeit die wir mit ihr hatten. Nicht zum ersten Mal geschah dies für mich, es gab auch ein Leben vor Sherlock und mein Leben mit ihm. Eines wusste ich, ich wollte kein Leben nach ihm, wir waren zu einem Team geworden, er war mein Mitbewohner aber mehr als das war er mein bester Freund.
Deshalb konnte ich ihn nicht einfach in eine Klinik abschieben, nein, er war meine Verantwortung und diesmal würde ich nicht versagen. Außerdem war er immer mehr ein Drogenkonsument als ein Abhängiger gewesen, zumindest nach seiner eigenen Aussage, bald würde ich wissen wie viel Wahrheit hinter dieser Behauptung steckte.
Ich hatte früher Schluss gemacht in der Klinik um noch etwas bei Sherlock zu sitzen bevor sie ihn aufwecken würden. Das Personal in dem Krankenhaus in dem Sherlock lag begrüßte ich lächelnd als sie mich zu seinem Zimmer gehen sahen. Jeder einzelne Mitarbeiter war freundlich, kompetent und wichtiger, sehr professionell mit der Hospitalisierung des weltweit einzigen Consulting Detektives umgegangen. Niemand hatte aufdringliche Fragen gestellt und seine Behandlung war einwandfrei verlaufen.
Umso mehr schockte mich was ich sah als ich das Krankenzimmer meines besten Freundes betrat, natürlich war es ein Einzelzimmer, dank sei dem Eismann aber Sherlock war nicht allein. Mit dem Rücken zu mir, stand eine OP Schwester, ich konnte ihr Gesicht nicht sehen aber ich erkannte auch so dass sie sich über ihn gebeugt hatte und ein Schauer ergriff mich bei der Erkenntnis das sie ihn wahrscheinlich geküsst hatte, auf die Stirn aber dennoch.
Sie flüsterte ihm etwas zu, ganz versunken schien sie in ihrer eigenen Welt zu sein, bevor ich mich lautstark räusperte, nicht zulassen wollen das diese Irre ihn weiter belästigte. Merkwürdigerweise drehte sie sich nicht geschockt zu mir um wie man erwarten würde bei dem plötzlichen schlag der durch ihren Körper zu gehen schien, sondern vielmehr flogen ihre Hände zu der medizinischen Maske an ihrem Kinn und sie zog sie wieder über ihr Gesicht.
Erst danach drehte sie sich um. „Was zur Hölle machen sie da?" ich bemühte mich nicht einmal meinen Ärger und meine Fassungslosigkeit in Anbetracht dieser Szene zu verstecken. Ich hatte jedes Recht aufgebracht zu sein. Dies war ein Krankenhaus, kein Meet and Greet. Während sie nach einer Antwort suchte besah ich sie mir genauer.
Das wenige was man von ihrem Gesicht sehen konnte war nicht weiter markant. Sie war zweifelsohne jung, na toll, ein Fangirl dachte ich grummelnd. Mein Blog lockte einige Fans an, doch nie zu diesem Ausmaß. Sie war klein, circa eins sechzig und zierlich, mein Herz zog sich unter Phantomschmerzen zusammen als ich daran dachte wer das auch gewesen war aber ich schob es zur Seite.
Die Augen der Fremden schienen braun zu sein und ich glaubte einige Blonde strähnen unter der Haube hervorblitzen zu sehen. Sie trug den typischen hellblauen Kasack den Krankenschwestern immer trugen, darüber einen offenen OP Kittel, er versteckte ihre Mitte aber ihre Arme verrieten ihre Statur.
Sie sah mich an und ich konnte nicht recht ausmachen welche Gefühle in ihrem Blick lagen, merkwürdig, ich glaubte zu sehen das sie geschockt war von meinem Auftauchen und meinem rauen Tonfall. Des Weiteren schien sie traurig(?) erwischt worden zu sein aber ich sah, wiedererwartend, keine Reue, das brachte mich beinah zum Ausrasten aber da sie so eine kleine Person war sah ich davon ab sie sofort niederzuringen.
„Antworten sie mir" forderte ich sie auf und trat einen Schritt näher an sie, sie trat daraufhin beinah sofort einen zurück. War da Angst in ihren Augen? Noch vor einem Augenblick hatte sie keine gezeigt oder zumindest nicht in diesem Ausmaß.
„I-Ich habe n-nur nach Sh-Mr. Holmes gesehen." begann sie stammelnd, ihre Stimme klang merkwürdig als würde sie sie verstellen aber bei dem Akzent mit dem sie die Worte hervorwürgte war das schwer zu sagen. Dennoch hatte ich deutlich hören können das sie erst Sherlock sagen wollte bevor sie sich eines besseren bedacht und das professionelle Mr. Holmes geäußert hatte.
„Ohne Handschuhe und über ihn gebeugt?" fragte ich spottend und richtete mich noch weiter auf, meinen Kopf schräg legend. So schnell wie sie die Maske aufgesetzt hatte brachte sie nun ihre Hände unter die langen Ärmel ihres Aufzuges. Allein ihre Fingerspitzen waren nun noch sichtbar.
„E-Entschuldigen sie b-bitte, ich mache diesen J-Job noch nicht sehr lange." Nun hatte sie Tränen in den Augen und sie zitterte am ganzen Körper. Wenn sie glaubte sie könnte damit Mitleid erhaschen kam sie zu einem schlechten Zeitpunkt. Ich brauchte alle Vergebung und Rücksicht für den Mann in dem Bett auf welchen ihr Blick wieder gefallen war.
Wie sie ihn ansah, mit einer solchen Sehnsucht, krank, sie kannte ihn doch gar nicht und ich wusste das Sherlock es hassen würde wäre er wach. Ich musste an die arme Molly denken und die Art wie er sie zurückgewiesen hatte, aber schüttelte den Gedanken schnell ab, dies war nicht der Zeitpunkt.
„Blödsinn" spuckte ich ihr entgegen, kein Wort ihrer Aussage glaubend, mein Blick hart auf sie gerichtet. „Ich weiß was ich gesehen habe. Sie haben ihn geküsst. Wie können sie es wagen? Sie haben kein Recht dazu seinen Zustand derart schamlos auszunutzen. Und glauben sie mir er würde sie niemals an sich heran lassen wäre er wach." die Worte sprudelten wie flüssige Lava aus mir heraus, mein Kopf war bestimmt rot vor Wut, ich fühlte die Ader auf meiner Stirn pulsieren.
Ihr Blick wurde für einen Moment trotzig bevor sie sich wieder darauf beschränkte mich geschockt und mit Tränen in den Augen anzusehen. Ich zwang mich widerwillig zur Ruhe. Einsehend das ich so nicht weiter kam.
„Wie heißen sie?" sprach ich gezwungen ruhig um ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zu richten und damit ich wusste über wen ich mich beschweren musste.
„Jane" kam es wie aus der Pistole geschossen, ihre Augen weit und nervös. Ich war vielleicht kein Genie aber selbst mir fiel auf das dies zum einen eine zu schnelle Antwort gewesen war und das, erschwerend hinzukam das auf ihrem Namenschild etwas anderes stand.
Ich sagte ihr genau das „Die Stickerei auf ihrem Shirt sagt aber Schwester Betty". Ihr Blick schoss auf ihre Brust und sie wirkte als sehe sie zum ersten Mal das eingestickte Logo des Krankenhauses und den Namen darunter. „N-Nachname" platze sie hervor bevor sie sagte „Jane. Mein N-Nachname ist Jane. Mein Name ist Betty Jane."
Ein humorloses Lachen entkam mir das war doch wohl nicht wahr, für wie blöd hielt diese Frau mich eigentlich? „Ich werde die Polizei rufen wenn sie mir nicht sofort sagen.."
„Was geht hier vor sich?" Meine Drohung wurde von Mycroft Holmes unterbrochen welcher plötzlich in der Tür stand. Unglaublich wie leise er eingetreten sein musste, ich hatte ihn nicht gehört aber das lag wahrscheinlich auch daran das ich mich bereit gemacht hatte diese Frau auszukauen.
Überrascht hatte ich mich zu ihm umgedreht, er sah jedoch erst eine Sekunde später zu mir. Er hatte vorher die Schwester angesehen. Zu kurz um zu sagen was er ihr hatte vermitteln wollen aber so wie ich ihn kannte hatte er sie wohl einschüchtern wollen, er war noch spezieller wenn es um Sherlocks Schutz ging als ich es war.
Ich drehte mich wieder zu der Dame um, welche nunmehr das Zittern und weinen aufgegeben hatte, wahrscheinlich weil sie erkannt hatte das das sie nicht weiterbringen würde. Mit rasender Wut erklärte ich was ich hatte vorfinden müssen und wie mir ins Gesicht gelogen worden war.
Wie immer konnte man dem älteren Holmes keine Reaktion entlocken, sein Gesicht verriet nichts. Der Eismann war wieder da. Sein Blick glitt von mir zu unserer Stalkerin oder was auch immer sie war. Sie sah ihn ängstlich an, anscheinend war seine Wirkung auf Goldfische immens. Vielleicht spürte sie die Macht und die stille Bedrohung in seinem Auftreten.
„Sie haben richtig gehandelt Dr. Watson aber ab hier übernehme ich." beschloss er kurzerhand. Ich rollte mit meinen Augen, da war er wieder sein Machtkomplex, sein Wunsch alles selbst zu regeln und das streng nach seiner Art. Dennoch war mich nicht ganz klar was er vorhatte, ein wenig Sorgen machte ich mir jetzt schon. Er war ziemlich unberechenbar, er würde sie nicht verschwinden lassen, hoffte ich, aber hübsch würde es dennoch keinesfalls werden.
Ich schüttelte leicht meinen Kopf, das war doch egal, Hauptsache sie verschwand aus dem Zimmer und kam nicht wieder. Sherlock brauchte ruhe.
„Ich werde mit der jungen Dame ein Gespräch über Regeln und deren Einhaltung führen. Deren Sinn und was passiert wenn man sie missachtet." Er streckte seinen Arm in Richtung Tür aus und sah sie die ganze Zeit an, er forderte sie damit auf ihm zu folgen und zu meinem Erstaunen tat sie genau das. Sie ging mit dem Eismann, dabei ging sie den weitest möglichen Bogen um mich herum. Erst als sie Beide nicht mehr zu sehen waren besah ich mich Sherlocks Zustand.
Versuchte herauszufinden ob sie etwas mit ihm oder an ihm angestellt hatte. Doch ich fand zu meiner Erleichterung nichts, er lag da wie immer und all seine Kabel, Schläuche und derlei waren an ihrem Platz und funktionierten wie Angedacht.
Was für eine kranke Frau, sich ihm zu nähern wenn er so hilflos war. Gut das er bald aufgeweckt wurde damit das nicht mehr vorkommen konnte. Mir kam der schreckliche Gedanke das es ja sein konnte das diese Irre öfter bei ihm gewesen war, ich schüttelte mich. Ein schrecklicher Gedanke aber es gab nichts was ich nun noch tun konnte, außer aufzupassen bis er aufwachte.
*
Es vergingen beinah zwei Stunden bis der Eismann wieder kam, seine Erscheinung verriet nichts über die Umstände seines Gespräches mit der Krankenschwester aber er nickte kurz auf meinen fragenden Blick hin also nahm ich an das er sich darum gekümmert hatte das sie bekam was sie verdiente.
Schweigend saßen wir beieinander als die Ärzte sich daran machten Sherlock zu wecken. Ein schleichender Prozess der erst Stunden später dazu führte das mein Freund die Augen öffnete. Aber er sah weder mich noch seinen Bruder sondern wirkte viel mehr als sehe er mehr als wir oder weniger je nachdem wie man es betrachtete.
Er versuchte zu sprechen aber seine Stimme war rau von der Beatmung und der Stille zu der ihn das Koma gezwungen hatte. Ich sagte ihm in meinem sanftesten Ton dass er sich nicht zwingen sollte zu reden und das er nicht gegen die Müdigkeit ankämpfen sollte, sein Blick ging zur Tür und ich hatte das Gefühl er wollte mir etwas mitteilen aber noch bevor ich auch nur die Chance hatte zu hinterfragen was los war rollten seine Augen zurück und er fiel zurück in die Bewusstlosigkeit.
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