Kapitel 3
Nach vielen Jahren, in denen der junge Zauberer nichts von einer magischen Welt wusste, folgte eine lange Zeit, in der er nichts von einer nichtmagischen Welt wusste. Aber was ist bei einem Kind schon viel? Oder lang?
Dadurch, dass er in der Winkelgasse wohnte, sah er tagein tagaus nur Zauberer und Hexen. Es war normal für ihn, dass ab und an und manchmal sogar ziemlich häufig ein Zauberstab herausgeholt wurde. Wenn morgens die Geschäfte öffneten, trug niemand irgendetwas nach draußen, es flog von alleine. Zumindest hätte man dies glauben können, wüsste man nichts von diesen Holzstäben, die Leute befähigten, Außergewöhnliches zu tun.
Doch Garrick war das gewohnt. Seit er eine Größe erreicht hatte, die ihm erlaubte, über das Fenstersims zu sehen, beobachtete er das bunte Treiben, das sich jeden Tag vor dem Haus der Familie Ollivander abspielte. Es zog ihn in seinen Bann, egal wie oft er es schon erlebt hatte. Diese Wirkung der Magie, die so massenhaft war, dass man sie beinahe spüren konnte. Die Verbindungen zwischen Zauberstab und Besitzer, die bei jedem auf seine Weise einzigartig waren. Es faszinierte ihn an jedem neuen Tag.
Sein Vater beobachtete ihn an jedem Morgen, an dem Garrick zum Fenster sprang. Stolz durchflutete ihn jedes Mal, wenn er seinen Sohn sah. Oh ja, wie war er doch stolz auf seinen kleinen Sohn, der so aussah als wäre er auf dem Weg dahin, sein Nachfolger zu werden. Seine Mutter dagegen war besorgt. Er sollte auch die andere Seite der Welt kennenlernen, nicht nur die der Zauberer, auch wenn sie noch so schön sein sollte. Er sollte die Welt kennenlernen, in der sie selbst groß geworden war, die Welt der Muggel, der Nichtmagier. Es gab viele Zaubererfamilien, die diese Muggel verabscheuten, sie als minderwertig ansahen, und sie gab sich selbst das Versprechen, ihn zu Toleranz und Respekt zu erziehen, egal, wem er gegenüberstehen sollte. Ein Versprechen, was sie niemals brechen wollte, da es dem Wohl Garricks dienen sollte.
Eines Morgens, Garrick war mittlerweile sieben Jahre alt, stellte sich die Mutter neben ihn, während er am Fenster stand und das morgendliche Treiben beobachtete. Sie streichelte ihm über den blonden Schopf, was er gerade noch akzeptierte. Das Alter, in dem er so etwas peinlich fand, hatte er noch lange nicht erreicht. „Wir fahren heute zu deinen Großeltern", erklärte sie ihm und sah ihn liebevoll an. Garrick drehte den Kopf. „Schon wieder?", fragte er in einer Stimme, in der schon ein Hauch Protest mitschwang. „Nein, zu deinen anderen Großeltern", räumte seine Mutter die anfangende Maulerei schnell aus dem Weg. Garrick konnte ganz schön stur sein, dazu hatte sie gerade wenig Lust. „Zu meinen Eltern, weißt du. Sie leben nicht hier, wir müssen etwas laufen, aber das sollte kein Problem sein, nicht wahr?" Es war keine wirkliche Frage, trotzdem nickte er kurz, um dann wieder auf die Straße zu sehen. Die Mutter dagegen trat wieder weg vom Fenster. „Wir gehen bald los, zieh dich bitte an, ich erwarte dich gleich unten." Mit diesen Worten verließ sie das kleine Zimmer unterm Dach, was dem kleinen Garrick gehörte, und ging zügig die Treppe hinunter. Der Junge war mit seinen Gedanken dagegen wieder weit weg, mit dem Blick in den Massen, die nach und nach ihren Weg in die Winkelgasse fanden.
„Garrick!", hallte die Stimme die Treppe hinauf, nachdem viele Minuten verstrichen waren. „Garrick, komm!" Der Blick des Angesprochenen schellte zur Tür. Das hatte er schon ganz vergessen, er sollte kommen. „Jahaa", rief er hinunter und klaubte sich noch einen Pulli aus dem Schrank, den er die Treppe hinunterlaufend schnell überzog. Unten blieb er vor seiner Mutter stehen, die ihm seine Jacke reichte. „Los, es ist Zeit", sagte sie lächelnd, während sie noch einmal eine Treppe hinunterging. Kurze Zeit später kam sie aber wieder hinauf, sie hatte nur kurz ihrem Mann Bescheid sagen wollen. Zum Glück war Garrick schon fertig, als sie zurückkam, was sie kurz erleichtert seufzen ließ. Zumindest das hatte geklappt. Zusammen verließen sie die Wohnung durch den Hintereingang und kurz darauf auch rasch die Winkelgasse. „Warum sind wir nicht durch den Kamin gegangen, Mama?" fragte er, als sie auf der überfüllte und lauten Straße Londons standen. Außerhalb der vertrauten Winkelgasse. Wenn sie sonst Leute besuchten, war es stets üblich gewesen, mit Flohpulver zu reisen. „Meine Eltern haben keinen Kamin", beantwortete sie die Frage knapp und nahm sanft seine Hand, damit sie sich in der Menge nicht verloren. Ohne ein weiteres Wort lief sie mit ihm los.
Sie liefen gut eine Stunde, mal rechts, mal links, direkt durch das überfüllte London. Garrick hatte schon längst angefangen, sich zu beschweren, doch mit der Zeit hatte die Mutter es einfach ignoriert. Was blieb ihr auch anderes übrig? Ohnehin hing sie viel mehr ihren eigenen Gedanken nach.
Gerade als er sich aus Protest einfach zu laufen weigern wollte, blieben sie vor einem alten Bauernhaus stehen. Efeu rankte an der einen Seite hinauf. Blumen wuchsen in allen Ecken des Gartens. Eine alte Schaukel knarrte an einem Baum im Wind. Erst auf den zweiten Blick sah man die kaputten Dachbalken, das Unkraut, was kaum mehr zu bändigen war. Das Gesicht der Frau bekam besorgte Falten, die ihr ohnehin schon blasses Gesicht bedeckten. Garrick dagegen drehte den Kopf erwartungsvoll in die Richtung seiner Mutter. Doch an der Miene erkannte er, dass er still sein sollte. Er stand einfach nur da und hielt die Hand seiner Mutter, die ihre Hand fest um die Seine geschlossen hatte.
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