Wie eine Anfängerin! #23
„Sharon, schneller! Lex, du humpelst wie ein alter Mann! Jay! Deine Peitsche gleicht mehr einer betäubten Schlange als einer Tödlichen Waffe! Bewegung! Alva! Ich kann deine Dolche bis hierher schnarchen hören! Strengt euch an!"
Hastig streiche ich mir eine Strähne aus meinem schweißnassen Gesicht.
„Bewegung!"
Ein heftiger Stoß in meinen Rücken, ich stolpere nach vorne und kann mich gerade noch rechtzeitig auffangen.
Ich drehe mich um, halte meinen Dolch schützend vor mich, als auch schon Klinge auf Klinge trifft.
Jays Peitsche hat sich in meinem Dolch verfangen und er reißt sie mit sich.
Sofort lasse ich den Griff los und werfe mit der anderen Hand meinen zweiten Dolch auf ihn. Er weicht aus und sofort lasse ich meine Flügel erscheinen und katapultiere mich in die Höhe.
Schnell folgt er mir, ich schlage Hacken in der Luft und rase auf mein am Boden liegenden Dolch zu. Schnappe ihn und neben mir bohrt sich die Spitze seiner Peitsche in den Boden.
„Stopp!"
Neben mir kommt ein Schuhpaar auf den Boden und löst vorsichtig die Wiederhacken aus dem Boden.
Ich rapple mich auf, stecke meinen Dolch weg und stütze meine Hände in die Hüften.
Mein Atmen geht schnell und es fühlt sich an, als ob mir mein Herz jeden Moment aus der Brust springt.
Es ist unglaublich heiß, der Wind streicht mir beißend warm um die Wangen.
„Lex! Sharon! Ich habe stopp gesagt!" Zwei keuchende Gestalten kommen neben mir zum Stehen.
Jay hält mir meinen zweiten Dolch hin. „Den hast du verloren."
Ich nicke nur danken, ich bringe kein Wort über meine zitternden Lippen.
„Was habe ich euch im letzten Jahr beigebracht? Habt ihr überhaupt irgendetwas gelernt?" Rays goldgrüne Augen funkeln. In schnellem Tempo klopft ihre Schuhspitze auf den Boden, als sie uns nacheinander mustert.
Betreten schweigen wir, die Luft wird nur durch unsere schnellen Atemzüge durchbrochen.
Sie läuft langsam auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Plötzlich fliegt eine Faust auf mich zu und instinktiv reiße ich meine Arme hoch. Knochen trifft auf Knochen und ich zische schmerzvoll.
Ray steht vor mir, schüttelt ihre Hand. „Wenn Jay gewollt hätte, lägen die Wiederhacken in deinem Kopf und nicht im Boden."
Sie wendet sich Jay zu. „Was denkst du dir dabei, die Waffe des Gegners zu dir zu reißen! Sie hätte genauso gut dich treffen können und du warst zu lange damit abgelenkt. Reines Glück das Alvas Schuss dich verfehlt hat."
Erneut trifft ihr Blick meiner. „Du wirfst deine Dolche nicht wie jemand, der bereits fast ein Jahr damit übt. Du wirfst sie wie eine Anfängerin!"
Ich beiße die Zähne zusammen.
Das stimmt doch gar nicht! Es kostet einiges an Überwindung, Ray nicht zu widersprechen.
Unsere Ausbildnerin seufzt, reibt sich die Schläfe. „Wie ihr wisst, stehen in weniger als einem Monat eure Beurteilungen an. Auch wenn ich euch Ausbilde, darf ich euch keine Sympathiepunkte geben, ich muss beurteilen, wie die anderen des Rates. Und aus den Augen des Rates sind eure Fähigkeiten unter den geforderten eines einjährigen Wächterschülers."
Sharon hebt zögernd die Hand. Ray nickt ihr zu.
„Mit allem Respekt, wir haben nie einen Kampf gegen die anderen aus unserer Klasse verloren, wir sind im Schnitt die Gruppe mit den wenigsten verlorenen Kämpfen."
Rays Gesicht zeigt keine Regung. „Glaubst du wirklich? Schülerkämpfe geben euren Stand nicht wieder. Ihr wisst nicht ob die anderen Teams sich extra zurückgehalten haben, denn so sieht es für mich aus."
Sharon zieht die Schultern hoch und antwortet nichts mehr.
„Gut, wir werden für heute abschließen. Ich erwarte jedoch, dass ihr noch weiter übt, damit ich morgen Fortschritte sehe. Jay, deine Peitsche musst du besser im Griff haben. Sharon, Muskeltraining, das Gewicht deines Schwerts darf dich nicht am Kämpfen hindern. Alva, Zielübungen, mit beiden Händen! Lex, versuch dich nicht selbst aufzuspießen, wenn du mit beiden Seiten kämpfst. Wegtreten!"
Fast synchron verneigen wir uns leicht und Ray verlässt die Trainingsinsel. Sobald die glitzernde Rüstung aus unserem Blickfeld verschwunden ist, schmeißt Sharon ihr Schwert zu Boden.
„Was zu Hölle will sie noch von uns? Sie lässt uns bis zum zusammenbrechen trainieren und trotzdem sind wir nicht gut genug!" Ihre Stimme hat einen schrillen Ton angenommen.
„Sie meint es doch nur gut mit uns." Versucht Lex sie zu beruhigen.
„Das sagst gerade du, dabei solltest du doch derjenige sein, welcher einen echten Grund hat, wütend auf sie zu sein!"
„Aber bin ich nicht. Und weißt du warum? Weil ich mich dadurch verbessert habe. Einen solchen Fehler mache ich jetzt nie mehr."
Sharon rauft sich die Haare. „Ich habe echt genug von ihr. Soll sie doch in ihrem dummen Rat bleiben."
„Lasst uns zuerst mal etwas trinken und abtrocknen gehen." Schlage ich vor, deute auf das Haus.
Die Blondine schnaubt, folgt jedoch meinem Beispiel.
Erschöpft lasse ich mich auf die Bank nieder, eine Wasserflasche in der einen, ein Tuch in der anderen Hand.
Sharon sitzt reglos auf dem Tisch, ihre Beine zu einem Schneidersitz verknotet und beobachtet Jay.
Dieser versucht seine halbvolle Flasche so zu werfen, sodass sie aufrecht auf dem Tisch bleibt.
Lex dreht ohne Pause sein doppelseitiges Schwert in der Hand. Fast verschmelzen die Umdrehungen zu einem durchsichtigen Schild. Fasziniert beobachte ich ihn, während ich auch die kühle Luft genieße, die er produziert.
Ich nehme einen weiteren Schluck und strecke mich.
Meine Muskeln brennen und wenn ich mein Bein bewege, knackt etwas unangenehm. „Gehen wir üben?" Sharon schaut Jay ungläubig an.
„Steck dir deine Übung sonst wo hin, ich bewege keinen Muskel mehr, außer um Nachhause zu kommen."
Dieser zuckt mit den Schultern, nimmt seine Peitsche und schlurft nach draußen.
Sharon rutscht vom Tisch und bindet ihre Haare zusammen. „Ich werde jetzt nach Hause gehen, duschen, etwas essen und mich bis morgen nicht mehr rühren."
Ein Schatten fällt auf das Haus, als sie sich in den Himmel erhebt.
Neben dem Eingang ziehe ich einige Zielscheiben hervor und schleife sie auf die Fläche vor dem Haus. Lex folgt mir zwar, macht jedoch keine Anstalten, selbst etwas zu tun.
Meine Dolche in der Hand wägend, laufe ich rückwärts einige Schritte.
Ich fixiere das Ziel, den winzigen Punkt in der Mitte.
Beobachten.
Visieren.
Zielen.
Überprüfen.
Werfen.
Aries Stimme klingt in meinem Hinterkopf und ich versuche mich darauf zu konzentrieren. Ich nehme meine rechte Hand, mit welcher ich schlechter werfen kann. Mit zusammengekniffenen Augen werfe ich beide Dolche knapp nacheinander, der erste trifft das Ziel punktgenau, der zweite nur Millimeter daneben.
Ich ziehe beide wieder raus und beginne von neuem. Ich weiß nicht, warum Ray noch immer nicht zufrieden ist. Wenn man bedenkt, dass ich bei null angefangen habe, haben die Stundenlangen, öden Trainingseinheiten doch etwas gebracht.
Wenn Jay sich nicht bewegt hätte, hätte ich ihn getroffen. Ich seufze.
Aber genau das ist das Problem. Wenn er sich nicht bewegt hätte. Aber jedes lebendige Ziel bewegt sich, ich muss die Bewegung vorhersehen können.
In diesem Punkt hat Ray recht.
Genervt klappe ich das Buch zu und reiche es Mei weiter. Diese gibt es wiederum an Chysa, welche über uns in der Luft flattert.
„Hier hat es noch mehr! Auch Geschichte." Eras legt eine weiteren Stapel Bücher neben mir auf den Tisch und verschwindet gleich wieder hinter den Regalen. Rasch blättere ich das Inhaltsverzeichnis durch, aber hinter keinem Titel ist ein roter Stern.
Seit heute morgen geht das nun schon.
Anstatt uns für die Prüfungen vorzubereiten, hat uns Aries alle in die Bibliothek geschickt, um ein dummes Buch zu suchen, welches er verloren hat.
Jedoch kriege ich langsam das Gefühl, das wir einfach nur die Bücher neu sortieren. Sharon sitzt gelangweilt auf einem Sofa, Felicia und Fenja neben sich.
Kyro hastet hinter Orion her, welcher laufend Bücher von seinem Stapel verliert.
Jay sitzt gebeugt über einem aufgeschlagenen Buch, Eras sitz neben ihm. Die beiden unterhalten sich leise.
Aufgeregte Stimmen dringen zwischen den Regalen durch und ich reiche ein weiteres Exemplar an Mei.
Die Prüfung ist in genau einer Woche, dazu kommt noch der Volantur, die traditionelle Reise an den Prüfungsort, die grösste Mondmetropole in Etronium und Sitz des Rates, welcher für die Wächterausbildung zuständig ist.
Vor den Prüfungen werden wir einige Tage dort verbringen, in welcher wir die Stadt besichtigen können, bevor wir nach der Prüfung in die langen Ferien aufbrechen.
Alle Schüler freuen sich auf dieses Ereignis.
Es ist das Zeichen, dass man den Schritt zum Erwachsenen und in die Gesellschaft nähergekommen ist.
Ich habe dies alles bei meiner Schwester miterlebt, jedoch in der Höllenversion. Es versetzt mir einen kleinen Stich, wenn ich daran denke. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Familie kommen kann, denn Höllenflügler brauchen eine speziell genehmigte Einladung in eine Mondstadt, welche oft nur Geschäftlicher Natur ist.
Wie ich zudem erfahren habe, kommen in den Himmelsstädten die Eltern meist gar nicht zu den Prüfungen.
„Ich wusste es!" Die platinblonde Frau rammt das letzte Buch an seinen Platz und lässt sich auf den Boden fallen.
Verwirrt schaue ich umher, alle Blicke sind auf jemanden in der Nähe der Tische gerichtet. Sofort drehe ich mich um und blicke in ein paar pechschwarze Augen.
„Wenigstens habt ihr etwas Nützliches gemacht und eure Hirnzellen angestrengt, anstatt immer nur eure Muskeln."
Allgegenwärtiges stöhnen.
„Dafür habt ihr heute früher aus, da es euer letzter, richtiger Schultag ist. Ich war früher immer wütend auf meinen Lehrer, da er überzogen hat, aber ich will ja nicht, dass ihr euch so fühlt wie ich damals." Aries grinst.
„Wir sehen uns am Donnerstag, bereit für den Volantur."
Sofort bricht Chaos aus. Die Schüler springen auf und rennen förmlich aus der Bibliothek. Ich könnte wetten, jeder rast zur Trainingsinsel, um sich vorzubereiten.
Aries sucht meinen Blick und nickt mit dem Kopf Richtung Türe.
Was will er mir sagen?
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Was passiert jetzt wohl??? *_*
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