Mediocre
„Und, hast du gefunden, was du gesucht hast?“, werde ich von der Bibliothekarin begrüßt.
„Ja, ich habe das, was ich gesucht habe“, gebe ich zurück, und so ganz gelogen ist das auch nicht.
Ich verlasse die Bibliothek und laufe wieder zurück in den Hinterhof, wo ich das Buch unter meiner Jacke hervorhole.
Mit zitternden Fingern streiche ich über den Einband, bevor ich das Buch aufschlage und mein Blick an die vergilbten Seiten gefesselt wird.
Der erste „Day of Missing“ ist der 20.4.3025.
Alle sind in purer Aufregung.
So etwas hat es davor noch nie in Flawless City gegeben.
Der frisch gewählte Präsident Richard Miller versucht, die Stadt zu beruhigen und verspricht, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Kinder wiederzufinden.
Es ist aber nicht leicht, wieder Ruhe einkehren zu lassen, denn eine größere Gruppe aus dem Volk verdächtigt Miller, dass er die Kinder verschleppt und Experimente an ihnen durchführen lässt.
Es wird vermutet, dass ...
Ich muss mich erst einmal kurz sammeln und die Informationen verarbeiten.
Wenn es stimmt, was hier steht, ist meine Schwester höchstwahrscheinlich im Regierungshaus.
Ich fange wieder an zu lesen, aber überfliege nur noch hektisch die Seiten, bis etwas meine Aufmerksamkeit erregt.
Es haben Leute versucht, aus Flawless City zu fliehen.
Sie sind zum Transportbahnhof gegangen und hätten es fast geschafft, wurden im letzten Moment aber doch noch gefunden und an der Flucht gehindert.
In meinem Kopf beginnt sich ein Plan zu bilden.
Ich befreie Gin und fliehe mit ihr aus Flawless City.
Doch so einfach wird es nicht werden.
Gin ist in einem der am besten gesicherten Gebäude der Stadt.
Es wird schon schiefgehen.
Ich stehe auf und schmeiße das Buch in die Mülltonne, um Spuren zu verwischen.
Danach mache ich mich auf den Weg zum Regierungshaus.
Meine Zuversicht schrumpft, als ich das Haus sehe, das mit einem hohen, mit Stacheldraht bestückten Zaun umgeben ist.
Ich muss schlucken.
Ich werde es nie schaffen.
Selbst wenn Gin jetzt wirklich da drinnen ist, werde ich es nicht hinkriegen, sie zu befreien.
Ich möchte mich abwenden, sehe dann aber eine Schulklasse in Richtung Tor gehen.
Ich warte, bis sie fast an mir vorbeigegangen sind, und reihe mich dann hinten ein.
Immer näher kommt das Tor mit dem Wachmann darin.
Der Wachmann guckt uns missmutig an und winkt uns durch.
Mir fällt ein ganzes Gebirge vom Herzen, als ich auf der anderen Seite des Zauns bin.
Für meinen Geschmack läuft die Klasse zu langsam den weißen Kiesweg zum Gebäude entlang.
Mein Herzschlag klingt fast so laut in meinen Ohren wie das Knirschen des Kieses unter meinen Füßen.
Endlich taucht mich das Gebäude in seinen Schatten.
Die Klasse läuft durch die Gänge, und ich schaue mich nach einer Stelle um, wo ich mich von ihnen absetzen kann.
Als wir an einem dunklen Gang vorbeikommen, nutze ich die Chance und verschwinde in diesem.
Meine Schritte hallen laut auf dem Boden, als ich den leeren Gang entlanglaufe.
Links und rechts säumen Türen die Wände.
Ich sehe mich schnell um, aber als ich niemanden sehe, trete ich auf eine von ihnen zu.
Langsam trete ich näher und drücke die Klinke herunter.
Zu meiner Überraschung schwingt sie auf, und ich finde mich in einem Büro wieder.
Mein Blick schweift durch den Raum und bleibt beim Schreibtisch hängen.
Schnell laufe ich auf ihn zu.
Nacheinander ziehe ich die Schubladen auf, durchsuche sie und mache sie wieder zu.
Als ich die letzte Schublade zugemacht habe, stoße ich resigniert die Luft aus.
Ich werde Gin nie finden.
Ich stehe auf und laufe zur Tür.
Meine Hand berührt schon die Klinke, als ich Schritte auf dem Gang höre, die in meine Richtung kommen.
Panisch blicke ich mich um und sehe bodenlange Vorhänge.
Ich eile auf sie zu, verstecke mich dahinter und warte mit angehaltenem Atem, was als Nächstes passiert.
Die Schritte werden lauter und verstummen genau vor der Tür.
Ich fange an zu zittern.
Hoffentlich kommen sie nicht rein.
Bitte, bitte lass sie sich in der Tür geirrt haben.
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