Nobodys Fault
-------------------- Letztes Kapitel ------------------
"Das Kleid.", stöhnte ich und versuchte erneut an den Schnüren zu reißen. "Keine Luft!"
James sah von mir, zur Tür und wieder zu mir. Ich lehnte mich vorn über gebeugt gegen die Tischkante und schnappte nach Luft. Die Wände schienen näher zu kommen, schwarze Punkte mein Blickfeld einzunehmen. Ich wimmerte und begann langsam in meine Knie zu sacken.
"Verfluchte Scheiße.", knurrte James und warf die Tür hinter sich ins Schloss, versperrte uns vor dem Rest des Hauses.
In drei schnellen Schritten stand James hinter mir und zog mit präzisen Griffen an den richtigen Schnüren. Innerhalb weniger Sekunden löste sich der Klammergriff der meine Lungen eingeschnürt hatte und der schwere Stoff glitt von meinen Schultern. Ein paar weitere Sekunden später war neben dem Oberkleid auch die Korsage gelockert und ich hatte endlich wieder genügend Luft, um mich aufzurichten und seufzend aufzuatmen. "Danke."
"Hmmmh." James brummte. Ich öffnete die Augen und sah über den Spiegel, wie James mich beobachtete. Sein Blick hing an mir, meinem Körper, wie ich übergebeugt vor ihm stand in nichts weiter bekleidet als dem dünnen weißen Stoff meines Unterkleides. Meine schwarzen Haare bildeten einen starken Kontrast zu dem weiß meines Kleides und dem weiß meiner Haut. Dann fiel sein Blick in den Spiegel und verschränkte sich dunkel mit meinem.
----------------------Neues Kapitel ----------------------
Ein Streichholz hätte die Luft zwischen uns ins Flammen aufgehen lassen.
Mochte sein, dass ich keine Erfahrung besaß, doch James Blick genügte um mir zu zeigen, in welche Stimmung ihn meine Körperhaltung, meine ganze Darbietung gebracht hatte. Geradezu vorsichtig wanderte James Hand, die zuvor noch präzise mit der Entfernung meines Kleides beschäftigt gewesen war, um mir zu helfen, meine Seite entlang und griff in meine Hüfte.
„Zilpha." Seine Stimme war belegt und kratzig. Er schloss die Augen, die Augenbrauen zusammen gezogen wie unter Schmerzen, ehe er sie wieder öffnete und mich betrachtete.
Er berührte mich kaum, stand nur hinter mir und hielt mich fest, seine rechte Hand an meiner Hüfte. Sein Blick war verschlossen, doch die Festigkeit seines Griffs verriet seine Anspannung.
Ich hatte mich noch immer nicht umgedreht. Ich hatte Angst. Angst vor dem Sog, von dem ich wusste, dass ich ihm ausgeliefert sein würde. Angst davor unsere Verbindung, die wir in diesem Moment teilten, zu unterbrechen. Ich fürchtete mich davor, was passieren würde, wenn ich es tat. Ich fürchtete mich davor, was passieren würde, wenn ich es nicht tat.
Weiter und weiter wuchs die Spannung zwischen uns, doch keiner rührte sich. Ich traute mich kaum zu atmen. Auch James tat nichts, schien nur mit seinem Blick in meinen Augen zu ertrinken. Seine Hand wanderte nicht weiter, ließ mich jedoch auch nicht los.
Eine Entscheidung... und ihre Konsequenz.
James Muskeln in seinem Arm zuckten, seine Hand an meiner Hüfte schloss sich. Es schien nicht beabsichtigt gewesen zu sein, mehr ein Instinkt, ein Reflex vielleicht, doch diese kleine Handlung kippte die Stimmung in eine Richtung. Etwas flackerte in ihm auf. Ein Funke.
Seine Augen weiteten sich und sein Blick wanderte weiter. Wanderte zu meinem Hals... wo sich ein blauer Fleck seitlich von meiner alabasterreinen Haut abzeichnete. Als wäre eine Klappe gefallen, zog ein dunkler Schleier über James hinweg –Mit ihm änderte sich seine Stimmung schlagartig.
„Du hast ihn dich vögeln lassen." Kalt und emotionslos stellte James seine Aussage in den Raum.
Es dauerte einen Moment, bis mein Gehirn dem zügigen Wechsel von James Emotionen folgen konnte, doch als ich endlich soweit war, hatte James schon beinahe wieder den Raum verlassen. Augenblicklich begann ich zu frösteln, als hätte er mich zuvor wie ein warmes Feuer davon abgehalten. Ich drehte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen um und verschränkte die Arme vor der Brust.„Was?!"
Meine Stimme war krächzend und brüchig. Die Tränen hatten gerade erst aufgehört zu fließen. Zusätzlich schnürte eine unbändige Wut auf James mir weiter die Kehle zu und hinderte mich daran mit fester Stimme zu sprechen.
„Ich kann ihn an dir riechen."
Er rümpfte angewidert die Nase und ich Widerstand dem Impuls an mir zu schnuppern. Was war das denn bitte für eine komische Aussage?
„Natürlich kannst du das!", fluchte ich und trat wieder näher an James heran. „Ich habe schließlich den ganzen Abend in seinem Haus verbracht."
James lachte alles andere als amüsiert auf. Es war höhnisches und gehässiges Lachen.
„Du riechst nach seinem Aftershave, du riechst nach seinem Schweiß." Er musterte mich von oben bis unten. „Vater hat recht, du bist nichts weiter als eine gewöhnliche Straßenhure."
Ohne lange zu überlegen oder es zu planen, traf meine Hand schallend seine Wange. Unter der Wucht des Schlages war James Kopf zur Seite gefallen. Seine Hand schoss hoch, schnappte mein Handgelenk und er drehte sich mir wieder zu, härte in seinem Blick.
„Wag es ja nicht-", drohte diesmal ich mit festerer Stimme als zuvor. Dennoch brach sie zum Ende hin, so sehr färbte meine alles versenkende Wut meine Stimmenbänder. „-mir etwas von Straßenhuren zu erzählen James. Nicht, so lange du als größter Hurenbock in ganz London durch die Gegend rennst und ihr bester Kunde bist!"
Erinnerungen an all den Schmerz, welchen er mir systematisch zugefügt hatte, kämpften sich an die Oberfläche. All die Mädchen,- nein, die Frauen die er mit zu sich ins Zimmer genommen hatte über die letzten Wochen, nur um nicht in meiner Nähe sein zu müssen. Die Zurückweisungen emotionaler und körperlicher Natur, die von ihm ausgegangen waren. Das er einfach gehen wollte, ohne es mir zu sagen. Es tat weh. Ich schluckte schwer.
„Was ich mit meiner Freizeit anstelle, geht dich nichts an Zilpha.", knurrte er und machte Anstalten den Raum erneut zu verlassen.
Ich rannte um ihn herum und schlug ihm die Tür, welche er zum Gehen geöffnet hatte, wieder vor der Nase zu, ehe ich mich vor den Türknauf positionierte. Sein Blick war mörderisch.
„Und dich nicht, was ich in meiner Freizeit tue", zischte ich.
„Falsch. Deine Handlungen reflektieren die Ehre der Familie.", zischte er zurück. Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich die stark pochende Ader an seinem Hals pulsieren sehen konnte. Mein lachendes Schnauben kam lauter heraus, als geplant.
„Ehre? Ist das dein Ernst? Ich scheiß auf die verfickte Ehre."
Einzig meine für mich untypische, vulgäre Ausdrucksweise gepaart mit der aufgebrachten quietschigen Stimme schienen James aufzuhalten, mich am Weitersprechen zu hindern. Ich nutzte den Moment und redete mich weiter in Rage:„Unsere Ehre der Familie besteht aus einem versoffenen, alten Mann mit einem Hurenbock als Sohn und schwindenden Finanzen als Statussymbol. Er gilt als verrückt und du als des Teufels Sohn höchstpersönlich, aber ich bin das Problem?"
Ich lachte erneut auf. Atemlos. Ungläubig.
„Ich. Als würde es irgendjemanden scheren was ich tue... oder interessieren was ich weiß."
Ruhe legte sich über den Raum, als ich zuende gesprochen hatte, nur mein atemloses Keuchen war zu hören. James sah mich nur eindringlich an. Schien wütend und zugleich nachdenklich. Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht versucht herauszufinden, was er dachte, doch ich hing noch meinen eigenen Gedanken hinterher. Was ich gesagt hatte, stimmte. Ich war wie Luft in diesem Haus. Niemandem war es wichtig was ich tat oder was ich wusste. Ich wurde in die alltäglichen Belangenschaften nicht mit einbezogen, ich nahm lediglich Platz ein wie eine vergessene Vase. Das unser Vater mich so behandelte, kannte ich schon. Das war es nicht, was mich so verletzt hatte.
„Warum hast du es mir nicht erzählt?". Meine Stimme brach.
James Blick fokussierte sich wieder auf mich. Er war still gewesen, in Gedanken. Nun war er wieder anwesend, hielt jedoch seine Muskeln angespannt. Für einen Moment betrachtete er mich, blinzelte und fragte dann mit zusammen gezogenen Augenbrauen und rauer Stimme: „Was?"
„Warum hast du mir nicht erzählt, dass du gehst?", murmelte ich und ließ den Kopf sinken.
Langes Schweigen. Erst als ich dachte, er habe mich vielleicht nicht gehört oder würde sich weigern mir zu antworten. Doch als ich einen Schritt zur Seite trat, um ihn an mir vorbei zu lassen, legte er seine Hände auf meine Schultern und drehte sich zu mir, zwang mich, als er mit seinem Zeigefinger meinen Kopf in den Nacken neigte, ihn anzusehen. Ich zuckte unter seiner unerwarteten Berührung zusammen. Vor Angst. Vor Lust. Aufgrund der Erfahrungen, was seine Berührungen mit mir anrichten konnten. Er bemerkte es, sein Blick verfinsterte sich.
„Du wolltest das ich gehe!", stellte er fest.
Das traf mich unvorbereitet. „Das habe ich nie gesagt!"
Er schüttelte mich leicht. „Zilpha, nein"
„Was?"
„Jetzt dreh das nicht alles so, als sei es meine Schuld!", schnauzte er. In einer für ihn sehr untypischen Geste, fuhr er sich durch die Haare, dass sie ihm wild vom Kopf abstanden. Er sah sofort jünger aus.
Perplex sah ich ihn an. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass ich was mit seinen Entscheidungen zu tun hätte. Das ich überhaupt einen Einfluss auf seine Entscheidungen haben konnte. Ein Gefühl von Zuneigung und Macht durchströmte mich und veranlasste mich entgegen sämtlicher Vernunft und dem gesunden Menschenverstand, auf den aufgebrachten James zuzutreten und ihm eine Hand auf die Wange zu legen.
„Es ist nicht meine Schuld.", wiederholte er erneut aufgebracht, doch ein Teil seiner Wut schien unter ihrer Berührung zu schmelzen. Es war erschreckend, denn unter der Wut versteckten sich weitere Emotionen, die ich nicht bereit war zu sehen. Angst. Zweifel. Ratlosigkeit.
James auftreten, die breiten Schultern, tiefe Stimme und kantiges Aussehen gepaart mit seinem Charakter und seinem Verhalten ließen ihn stark wirken. Unverwundbar beinah. Seine Züge im Konflikt solcher Emotionen zu sehen ließ Risse in seiner Rüstung erkennen. In mir regte sich der Wunsch, ihn beschützen zu wollen.
Ich ihn beschützen! Es war lachhaft. Dennoch beugte ich mich vor und zog ihn an mich, meine Finger waren von seiner Wange in seinen Nacken gewandert. Meine Stirn legte sich an die seine.
„Es ist nicht meine Schuld.", wiederholte er erneut. Leise diesmal, beinahe flüsternd. Er wiederholte es für sich, wie ein Mantra. Ein Wunsch oder ein Gebet, welches ihm vielleicht Kraft geben oder ihn schützen sollte. Seine Hände hatte er um meine Mitte gelegt, seine Finger vergruben sich in dem Stoff in meinem Rücken. Es war ein sehr, sehr dünner Stoff, den ich noch trug. Dünne weiße Baumwolle.
„Nicht deine Schuld!", stimmte ich ihm zu und übernahm sein Mantra, während er mich näher an sich zog und zugleich die Kluft zwischen uns überwand.
„Nein,", stimmte er mir zu. „Und auch nicht deine Schuld."
Diese Zustimmung brachte mein Herz zum Flattern und trieb mir Tränen in die Augen. Seine Nase streifte die meine und sein Atem traf heiß mein Gesicht. Er roch nach Alkohol und Tabak und Minze. Ich schloss die Augen, meine Sinne übernahmen. Ich schüttelte sanft den Kopf.
„Niemandes Schuld."
Nicken seinerseits.
„Niemandes Schuld."
Und mit dem kleinen Einverständnis riss das letzte bisschen Anstand, dass bisher davor bewahrt hatte, etwas zu tun, dass sich nicht mehr zurück nehmen lassen würde. Dann waren seine Lippen auf meinen und es war, als wäre keine Zeit vergangen. Ein Feuerwerk explodierte, Luft war zu wenig, jede Berührung nicht genug, jeder Zentimeter zwischen uns viel zu viel. Seine Finger in meinem Rücken gruben sich nicht weiter angespannt in meinen Stoff, sie gruben sich in mein Fleisch, so wie ich mich an James festkrallte.
Wir waren nur zwei Menschen, Gefangen in einer Welt, in einer Familie, die nichts kannte außer Schuld und Schmerz und Abweisung, bis sie sich gegenseitig in der Schuld die Absolution erteilt hatten und Trost ineinander finden konnten.
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