How it all began
Schnee wirbelte durch die Luft, auf dem Rückweg vom Sonntagsgottesdienst ausgerechnet. James war den ganzen Tag schon ungewöhnlich ruhig gewesen.
Gedankenverloren spielte er die ganze Zeit mit einer Silbermünze in seiner Hand und drehte sie geistesabwesend hin und her, ließ sie durch die Luft fliegen und fing sie anschließend wieder auf. Meinem Gerede über unseren Vater und seine mögliche neue Freundin hatte er augenscheinlich nicht zugehört. Wütend drehte ich mich um.
"Kann ich dir mit deinem Gegrübel irgendwie behilflich sein? ", raunzte ich ihn an.
James Kopf schoss erschrocken hoch und sein Blick richtete sich verwirrt auf mich.
"Was?"
Ich verdrehte die Augen „ Ob man dir noch irgendwie helfen kann, habe ich gefragt! Manchmal frage ich mich, was in deinem Kopf so vorgeht..."
Sein Gesicht bekam einen rötlichen Unterton, welcher sich selbst bis in seine Ohrenspitzen verteilte. Das hatte mein Interesse geweckt. James war schon immer ein starrköpfiger Mensch gewesen, der seinen Weg gegangen war, egal welcher widerstand sich ihm auch in den Weg stellte. Dabei hatte er sich nicht um die Gefühle anderer und noch weniger seinen eigenen gekümmert.
Er war herangewachsen zu einem furchtlosen und selbstbewussten jungen Mann, der es wusste, seine Gedanken und Gefühle zu verheimlichen. Manches Mal hatte er mich mit seinen Handlungen so lange getritzt, das ich ihm gerne die ein oder andere Ohrfeige verpasst hätte und während ich wütend und tobend über sein Verhalten vor ihm mit hochrotem Kopf auf und abgesprungen war, ihn beschimpft und angeschrien hatte, hatte er nur süffisant gegrinst und sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Doch jetzt stand er vor mir. Rot bis in die Haarspitzen und meinem Blick ausweichend. Aufgeregt klatschte ich in die Hände.
"Erwischt! Dich beschäftigt etwas! "
Ohne sich noch einmal umzudrehen oder stehen zu bleiben, machte sich James schnell weiter auf den Weg nach Hause und ließ mich zurück. Nur mit Mühe konnte ich mit seinen schnellen Schritten mithalten, doch es gelang mir. Sobald ich ihn eingeholt hatte sprang ich ihm in den Weg und verhinderte dadurch sein weiterhechten. Abrupt blieb er stehen und funkelte mich wütend an.
Jeder andere Mensch hätte wohl schon seine Faust im Gesicht gehabt (- war James doch nicht für seine Geduld bekannt) doch ich durfte mir immer ein bisschen mehr rausnehmen als andere.
"Netter Versuch, aber ich lass dich jetzt bestimmt nicht einfach davon rennen!" blaffte ich ihn etwas aus der Puste an. Meine Güte, war er schnell mit seinen langen Beinen.
Geringschätzig hob er eine Augenbraue, sein Gesicht hatte die Farbe verloren. "Du denkst du kannst mit mir mithalten und mir befehlen was ich zu tun oder zu sagen habe?", er beugte sich leicht vor und schaute beinahe mitleidig auf mich herab.
"Zilpha, ich bin nicht nur der ältere von uns beiden, sondern auch noch dein Bruder. Dir damit überlegen. Wenn, dann habe ich DIR zu sagen, was du zu tun oder zu lassen hast."
Wieder hatte er meine Knöpfe gedrückt. In mir begann es zu brodeln und ich hob die Hand um ihn eine zu scheuern. Er kannte mich zu gut. Kannte meine wunden Punkte und wusste mich zu reizen.
Schlimm genug, dass der Rest der Gesellschaft der Auffassung war, die Frau als solches sei weniger wert als das starke Geschlecht „der Mann". Die meisten Männer, welche mir zu diesem Zeitpunkt begegnet waren, waren mir nicht nur in der Allgemeinbildung als auch in den Naturwissenschaften, Mathe oder Latein unterlegen, nein sie Schiene insgesamt im Intellekt weit zurück geblieben.
James erkannte das verräterische Funkeln in meinen Augen und fing meine Hand lässig ab, bevor sie sein Gesicht erreichen konnte. Dies machte mich nur noch wütender und ich stampfte wütend mit dem Fuß auf, versuchte ihn dabei zu erwischen, wie ein kleines trotziges Mädchen. James lachte.
"Was war das denn gerade? Wie alt bist du? Fünf?"
Ich schmollte widerwillig. Das hatte er schon immer gemacht. Nie nahm er mich erst oder hört mir zu. Stattdessen erhob er sich über mich und verwies mich auf meinen Platz zurück.
"Du weißt ganz genau, dass ich 15 Jahre alt bin. Ab nächsten Jahr darf ich heiraten!" ich streckte mich ein wenig und schob die Brust raus. James räusperte sich um eher schlecht als recht sein Lachen zu maskieren. Dennoch sah ich etwas in seinem Gesicht, dass nicht allein Spott war.
"Was?"
Er schüttelte den Kopf und wollte sich an mir vorbei drängen. Ich schob mich ihm wieder in den Weg und er verdrehte stöhnend die Augen.
"Was!", verlangte ich erneut.
Er lächelte überheblich, boshaft, schwieg jedoch. Mit meinem Temperament war es nicht besser als mit seinem. Ungeduldig schlug ich mit der flachen Hand gegen seine Brust.
"Sags mir!"
James sah auf meine Hand, welche nach dem Schlag auf seiner Brust lag. Als er seinen Blick wieder auf mich richtete, hatte sich etwas in seinen Augen verändert. Herausfordernd funkelte er mich an.
"Zilpha, spiel dich nicht so auf. Deine Mitgift muss erst noch gesetzt werden und so wie du dich aufführst merkt man, dass dir die nötige Erfahrung der Verführkunst fehlt um überhaupt als Erwachsen betrachtet zu werden.", stichelte er weiter und drängte sich erneut an mir vorbei um den Weg nach Hause fortzusetzen. Diesmal ließ ich ihn gewähren.
Mit der Aussage hatte er tatsächlich ins Schwarze getroffen und mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich war tatsächlich noch komplett unerfahren und begann mir deswegen insgeheim langsam Sorgen zu machen. Flirten, ein verführerischer Wimpern Aufschlag hier, eine aufregende Berührung dort und vielleicht ein Kuss? Das lag mir nicht.
Wann immer ein Junge Interesse an mir geäußert hatte, bekam ich plötzlich wahnsinnige Angst, etwas falsch zu machen oder mich zu blamieren und so war ich sämtlichen bekannten zuletzt aus dem Weg gegangen. Was, wenn ich zu alt werden würde um einen passenden Ehemann zu finden.
Ein Teil von mir (-winzig Klein und widerspenstig), welcher Zugab in der momentanen Gesellschaft nicht alleine Überleben zu können wusste, ich würde mir sämtliche Chancen verbauen und einsam und verarmt sterben. Verzweiflung machte sich in mir breit. Aus einem verängstigten und wütenden Impuls heraus, den James wie so oft bei mir auszulösen wusste, rief ich hinter her.
"Du hast doch selber keine Ahnung. Wenn du so gut in allem bist, dann bring es mir doch bei!"
Noch während ich die Worte sprach, hörte ich mir selber zu und riss panisch die Augen auf. James Kopf flog so schnell zu mir herum, dass es mich wunderte das er sich bei der Bewegung nicht den Nacken verrenkt hatte. In drei schnellen Schritten stand er wieder vor mir, näher jetzt als zuvor. Zum ersten Mal vielen mir die kleinen grünen Sprenkel in seinen Augen auf. Seit wann hatte er grüne Augen? Waren die schon immer da gewesen? Sie waren ihr in den letzten drei Jahren, seitdem sie bei ihnen eingezogen war un ihn besser kannte nicht aufgefallen...
"Ist dir klar, was du da gerade gesagt hast?", flüsterte er zischend.
Er hob abschätzend eine Augenbraue, während ich mir des Horrors bewusst wurde, welchen peinlichen Fehler ich hier gerade begangen hatte. Mein Mund wurde trocken und mein Gesicht rot.
"So war das doch gar nicht gemeint!", wollte ich sagen. "Du hast mich missverstanden!"
Doch zuvor öffnete James seinen Mund und der nächste Satz brachte mich wieder zur Weißglut.
"Du könntest damit doch gar nicht umgehen.", flüsterte er bedrohlich in mein Gesicht.
Ich holte kurzatmig Luft. "Du doch auch nicht!", schleuderte ich ihm ins Gesicht.
Was tat ich hier bloß und warum konnte ich damit nicht aufhören? Am liebsten hätte ich an dieser Stelle wieder einen Rückzieher gemacht und wäre an James vorbei gerauscht. Nur Zentimeter trennten uns und wir lieferten uns ein wütendes Wettstarren, wie nur Geschwister es konnten. Keiner blinzelte und wir warteten darauf, wer von uns als erstes nachgeben würde. Doch nach der Beleidigung vorhin, es wäre meine Aufgabe als Frau klein beizugeben und ihm jeden Wunsch von den Lippen zu lesen, würde es bestimmt nicht ich sein.
Sekunden verstrichen und mein Herzschlag wurde mit jeder einzelner von ihnen schneller und lauter. Mein Bauch verkrampfte sich und mein Magen schlug Purzelbäume.
James Blick war starr und unnachgiebig und doch konnte ich einen Konflikt in seinen dunkel leuchtenden Augen spiegeln sehen, der tief in seiner Seele ausgetragen zu werden schien. Kaum in der Lage, die wachsende Anspannung länger zu ertragen, war ich gerade dabei meine Angriffshaltung aufzugeben und meine Augen nieder zu schlagen, als seine Hand plötzlich nach oben schoss und sich in meinen Nacken legte.
Erschrocken schoss mein Kopf wieder nach oben und im gleichen Moment waren seine Lippen auch schon auf meinen und ein Feuerwerk der Gefühle explodierte.
Ich fühlte mich überrumpelt, verunsichert, überrascht, aber zugleich auch glücklich und sicher. Doch nicht nur meine Gefühle spielten verrückt. Auch mein Körper reagiert auf ihn auf eine Art und Weise, wie ich es zuvor noch nicht erlebt hatte. Was James da mit mir tat, mit seinen Lippen, seiner Zunge, seinen Händen - es fühlte sich gut an. Ich wollte mehr!
Diese Gefühle führten ihrerseits wieder dazu, dass ich mich schuldig und sogar angewidert fühlte.
Meinem Körper war dies egal. Seine vollen weichen Lippen passten sich perfekt an die meinen, als wären sie eigens für diesen Zweck entworfen worden. Er küsste mich sanft und vorsichtig und zugleich auch drängend.
Seine Sanftheit ließ mich vermuten, er wolle mich nicht überfordern. Doch die darunterliegende Gier war deutlich zu spüren, kämpfte sich mehr und mehr nach oben und feuerte mich überraschend an, noch weiter zu gehen. Ich lehnte mich an ihn und nach vorn in seine Brust und ließ meine Hand ganz instinktiv in seine Haare gleiten. Als ich dann auch noch leicht an ihnen zog, war es dahin mit James Selbstbeherrschung.
Grob drängte er mich in der Gasse an die Wand, sodass ich das kalte Backsteingemäuer noch durch die vielen Schichten Kleidung spüren konnte. Ebenso wie ich von der Vorderseite nun James spüren konnte, wie er sich fordernd und bettelnd zugleich weiter an mich drängte mit so viel Druck, dass ich den Boden unter den Füßen verlor und er mich küsste. Seine Zunge hatte mittlerweile seinen Weg zu mir gefunden und suchte sich einen Weg in meinen Mund, während seine Lippen meine Unterlippe halbwegs umschlossen und ansaugten.
Ein Schauer jagte mir den Nacken hinunter bis in meine Schuhspitzen. Mir kam ein bestätigender Laut über die Lippen, der mich dazu brachte ihn erschrocken und außer Atem von mir zu stoßen
Beide schwer atmend standen wir uns gegenüber. Erst langsam und mit Zufuhr weiteren Sauerstoffs wurde uns Bewusst, was wir gerade getan hatten.
Er, mein Bruder und ich. Halbbruder genau genommen. Das machte es doch dann auch nur halb so schlimm, oder?
Mir wurde übel. Während ich rot wurde, bekam James die Farbe eines weißen Lakens. Für eine Sekunde schien es, als entglitten auch ihm die Gesichtszüge, doch bereits im nächsten Moment setzte er sein sarkastisches ernstes Gesicht wieder auf und war bereits auf dem Heimweg. Auf halben Weg dahin drehte er sich noch einmal um und sah mich über die Entfernung an. Ich war noch immer wie erstarrt und versuchte mit meinen rasenden Gedanken und Gefühlen wieder in Einklang zu geraten.
"Du hast dich auch gar nicht so schlecht geschlagen... Für eine Fünfjährige."
Dann schnalzte er mit der Zunge, hob geringschätzig eine seiner vollen geschwungenen Augenbrauen und verschwand im Nebel.
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