Kapitel 8
Ich schwebe, ehe ich mitgerissen werde. Da ist nichts mehr um mich herum. Nur ein lautes Krachen höre ich, aber es kümmert mich nicht.
Ich spüre etwas an mir ziehen, aber ich weiß nicht was. Die Dunkelheit will es mir vorenthalten.
Ein Geräusch dringt an mein Ohr und es erinnert mich an etwas, doch kein Gedanke will mir verraten woran.
Ich werde weiter gezogen, in eine Richtung, die ich nicht kenne. Auf einmal schwebe ich nicht mehr, sondern spüre etwas Hartes unter mir. Das Krachen wird lauter, doch da ist wieder dieses andere Geräusch. Wie ein Murmeln in der Ferne dringt es zu mir. Es ist tief, aber sanfter als das Krachen um mich herum. Es löst eine angenehme Wärme in mir aus.
Eine ganze Weile höre ich dann nichts mehr außer einem lauten Rauschen. Aber ich schwebe nicht mehr und spüre noch immer etwas unter mir. Dann, ganz plötzlich, zieht wieder etwas an mir und ich spüre einen weichen Untergrund.
Erneut erklingt das tiefe, angenehme Geräusch und ich spüre einen leichten Druck an meinem Hals, kurz unterhalb des Kiefers. Immer deutlicher dringt das Geräusch zu mir durch und ich realisiere, dass es eine Stimme ist. Sie sagt etwas, wiederholt es, rüttelt an mir.
„IVY!"
Wie als würde ich eine unsichtbare Barriere durchbrechen, nimmt mein Körper einen heftigen Atemzug und ich reiße die Augen auf. Ein übermächtiger Hustenreiz erfasst mich und ich drehe mich mühsam zur Seite.
Länger als ich je dachte, dass ein Mensch husten könnte, liege ich da und mache exakt das. Auf meiner Schulter spüre ich eine warme Hand, die vorsichtig weiter wandert und mir behutsam über den Rücken streicht. Als ich mir sicher bin, dass es nichts mehr gibt, was ich aushusten könnte, lasse ich mich zurück in den Sand sacken. Unendliche Erschöpfung zerrt an mir und meine Atemwege fühlen sich an wie Feuer.
„Ivy?" Da ist sie wieder, diese Stimme. Unverhohlene Angst färbt sie dunkel ein und mein Blick trifft auf die schönsten blauen Augen, die ich je gesehen habe.
Jedoch sind es auch die Augen eines Mannes, den ich nie wiedersehen will.
Mein erster Instinkt ist Abstand zu ihm zu gewinnen. Mein Körper ist aber anderer Meinung, denn auch wenn ich mich bemühe von ihm weg zu rutschen, sind meine Muskeln viel zu schwach. In meiner Brust beginnt sich ein tiefes Loch aufzuwerfen und mein Kopf fühlt sich an wie in Watte gepackt.
„Cassiel." Meine Stimme bricht sich in einem Husten und eine besorgte Falte erscheint zwischen den Augenbrauen Cassiels.
„Du brauchst einen Arzt." Eine simple Feststellung aus seinem Mund, der ich im Moment liebend gerne zustimme. Noch ehe ich versuchen kann aufzustehen, schieben sich zwei starke Arme unter meinen Körper und ich sacke gegen seine warme Brust. Alles in mir sträubt sich gegen seine Berührung, aber zugleich fühlt es sich an wie nach Hause kommen. Mit letzter Kraft stemme ich mich gegen ihn und er sieht gequält auf mich herab. In seinen Augen tobt ein Sturm, ähnlich dem, der sich am Himmel aufbaut.
„Bitte Ivy. Lass mich dir helfen." Ich kann sehen wie es ihn innerlich zerreißt mich so zu sehen. Schwer atmend komme ich seiner Bitte nach, denn auch wenn ich von ihm weg will, ist er im Moment meine einzige Rettung.
Vorsichtig drückt er mich fester an sich, sodass mein Kopf an seiner Brust ruht und ich seinen Herzschlag hören kann. Das dumpfe Pochen ist schneller, als ich es normalerweise von ihm kenne. Ob das an seiner Anstrengung liegt? Oder an seiner Angst um mich, die er so offen zeigt, obwohl er seine Gefühle sonst immer gut unter Kontrolle hat?
So schnell er es mit mir auf dem Arm kann, läuft er den Weg vom Strand weg. Während sein Blick strikt geradeaus gerichtet ist, fliegt meiner zu seinem Gesicht und bleibt wie verzaubert dort. Seine dunklen Locken hängen ihm nass in die Stirn und vereinzelte Regentropfen zeichnen feine Linien über seine Haut. Sein Kiefer ist sichtbar angespannt und ein leichter Bartschatten zieht sich darüber entlang. Noch eine Sache, die anders an ihm ist.
Mit jedem Zentimeter, den mein Blick über sein Gesicht wandert, spüre ich deutlicher die Sehnsucht, die mich in den letzten Wochen so sehr quälte. Ich will es nicht, aber seine Nähe gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit.
„Ivy?" Cassiels Stimme klingt anders als sonst. Nicht mehr selbstsicher, fast schon gebrochen.
Still sehe ich ihm in die Augen, denn sprechen halte ich im Moment für ein Ding der Unmöglichkeit. Akribisch mustert er mich und sein Kiefer spannt sich noch fester an, falls das überhaupt noch möglich ist. Offenbar will er sichergehen, dass ich immer noch bei Bewusstsein bin.
„Was hast du dir nur dabei gedacht?" murmelt er mehr zu sich selbst als zu mir, doch ich höre es trotzdem. Der Drang, ihm die Wahrheit entgegen zu schleudern, versucht die Oberhand zu gewinnen, doch ich bleibe stumm. Einzig mein Blick spricht für mich, sagt all die Dinge, die mich verfolgen und der Grund dafür sind, dass ich es für eine gute Idee hielt heute surfen zu gehen.
Ein plötzliches Frieren überkommt mich und einzig Cassiels Körperwärme bietet mir Zuflucht. Augenblicklich drückt er mich noch näher an sich. Scheinbar hat auch er es bemerkt.
„Wir sind gleich da", sagt er mit einem wiederholten besorgten Blick. Seine rhythmischen Laufbewegungen werden schneller und ich drehe meinen Kopf so, dass ich unsere Umgebung betrachten kann. Alles erscheint mir so grau, doch das könnte auch am Sturm liegen. Auf unserem Weg treffen wir nicht auf einen einzigen Menschen, wahrscheinlich haben sie sich alle in ihre Häuser geflüchtet.
Keine Minute später ändert sich alles um mich herum. Das Grau wird von einem unangenehm hellen Leuchten abgelöst und gleich mehrere Stimmen dringen laut an mein Ohr. Durch das grelle Licht kneife ich die Augen zusammen und vergrabe meinen Kopf wieder an Cassiels Brust.
Über mir höre ich Cassiel nach einem Arzt rufen, gefolgt von weiteren fremden Stimmen. Vorsichtig legt er mich auf eins der Betten, die mit Rollen durch die Gänge geschoben werden und von irgendwem zu uns gebracht worden sein musste. Kaum, dass ich seine Nähe nicht mehr spüre, öffne ich die Augen und blicke mich nach ihm um.
Wie ein Engel steht er da, während er mit einer der Frauen in typischer Krankenhauskleidung redet und nicht eine Sekunde lang seinen Blick von mir abwendet. Doch schneller als ich es realisiere, werde ich von der Frau in eine andere Richtung geschoben, fort von ihm. Einen Schritt geht Cassiel nach vorne, will mir folgen, bleibt dann aber stehen. Ich sehe, wie viel Mühe es ihm abverlangt.
„Es wird alles gut", folgen mir stattdessen seine Worte durch den Gang.
Nichts wünsche ich mir mehr als das.
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