Kapitel 23
Cassiel
Argwöhnisch leuchte ich mit meiner Taschenlampe dem Mann in der Tür entgegen, denn sein Gesicht liegt im Schatten. Warum ruft er nicht seine Kollegen? Warum reagiert er nicht, wie ein Wachmann meines Vaters reagieren soll?
Langsam tritt er auf mich zu und ich weiche vorsichtshalber zurück. Es ist möglich, dass das hier eine Falle ist.
„Beruhig dich Kleiner."
Verdutzt sehe ich genauer hin und kann es nicht fassen. Kleiner hat mich immer nur einer genannt.
„Aleardo?" Der flachsblonde, großgewachsene Mann vor mir schließt die Tür hinter sich und nickt.
„Habe ich mich so sehr verändert oder warum erkennst du mich nicht mehr?"
Ich kann es nicht glauben ihn hier wiederzusehen. Als Teenager hatte ich eine gute Bindung zu ihm, was ihn zu einer Art Vaterersatz für mich machte. Zumindest so lange bis er seine Schulden bei meinem Vater abgearbeitet hatte und schleunigst das Weite suchte. Ich verstand sein handeln schon damals, das einzige was mich zu der Zeit verärgerte war, dass er mich nicht mitgenommen hat.
„Was machst du denn hier?" Seine Anwesenheit ist eine überaus angenehme Überraschung, wenn auch nicht gerade unter günstigen Umständen.
„Hey, dasselbe habe ich dich gefragt!" Kurz lacht er dunkel auf und ich spüre, dass selbst nach so langer Zeit noch eine Verbindung zwischen uns existiert.
„Aber um deine Frage zu beantworten: Ich arbeite wieder für deinen Vater." Aleardo klingt darüber nicht glücklich.
„Aber warum? Du hast deine Schulden doch abgearbeitet und warst dann frei von ihm."
Er schnaubt. „Ich wünschte du hättest Recht und ich habe es für einige Jahre auch geglaubt. Ich habe jetzt eine Tochter musst du wissen."
Ein Lächeln huscht über sein Gesicht und ich beglückwünsche ihn. Ohne Frage ist er ein hervorragender Vater.
„Danke Kleiner. Aber das Problem ist, dass meine Tochter letztes Jahr krank wurde. Schwer krank. Niemals habe ich solche Angst gehabt. Ihre Behandlungen wurden immer teurer und irgendwann kam der Punkt an dem ich nicht mehr zahlen konnte. Mir blieb nichts mehr anderes übrig als deinen Vater um Geld zu bitten. Seitdem arbeite ich wieder für ihn."
Geplättet sehe ich ihn an. Sein Schicksal war hart und absolut nicht fair, doch ich weiß dass nichts im Leben fair ist.
„Und deine Tochter?", frage ich nach, denn er sagte nicht was mit ihr passierte.
„Sie ist wieder gesund und quirliger als je zuvor." Wieder erscheint ein Lächeln auf seinem Gesicht und die Liebe mit der er über sie spricht, berührt mich.
„So, nun zu dir", wechselt er das Thema. „Da du mit einer Taschenlampe im Zimmer stehst und dein Gesichtsausdruck ziemlich ertappt aussah, als ich die Tür öffnete, gehe ich mal davon aus, dass du unerlaubt hier bist?"
Es zu leugnen wäre sinnlos, daher nicke ich.
„Und was veranlasst dich zu so einer Tat? Ich glaube kaum, dass du deinem Vater nur eins damit auswischen willst."
„Nein, so einfach ist es leider nicht. Außerdem gibt es dafür viel leichtere Mittel. Ich war auf der Suche nach etwas, dass mir helfen wird ihn für immer aus dem Verkehr zu ziehen."
Aleardo zieht die Augenbrauen hoch. „Wow. Woher kommt denn auf einmal der Wille zu Revolution?"
„Er ist zu weit gegangen und bin in der Pflicht das zu tun, was ich schon längst hätte tun sollen." Aleardo bemerkt meinen Zorn und sein Gesichtsausdruck verändert sich. Eine Vorahnung zeichnet sich ab.
„Hat es etwas mit diesem Mädchen zu schaffen? Ich habe ein bisschen was über dich und sie gehört und das ihr unschön auseinander gegangen seid."
Unschön auseinander gegangen? Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.
„Ja hat es. Aber ich werde dafür sorgen, dass mein Vater nie wieder jemandem etwas antun kann."
Mein Gegenüber lässt meine Worte einen Moment auf sich einwirken. Ich sehe wie er nachdenkt.
„Heißt das, wenn du mit deinem Vater fertig bist, sind meine Schulden vergessen?"
Todernst schaue ich ihm in die Augen. „Wenn ich mit meinem Vater fertig bin, ist alles vergessen."
Erkenntnis gleitet über Aleardos Züge, gefolgt von einem gefährlichen Glitzern in den Augen.
„Wenn dem so ist, müssen wir dich schnellstmöglich aus diesem Haus kriegen."
Erleichtert atme ich auf. Es ist unfassbar, wie viel Glück ich habe.
Gänzlich in seinem Element öffnet Aleardo die Tür wieder einen Spalt breit, lugt heraus auf der Hut vor seinen Kollegen.
„Die Anderen sind noch unten. Wenn wir uns beeilen, kann ich sie ablenken und du schlüpfst aus der Hintertür."
Dann stutzt er, hält inne und blickt mir über die Schulter entgegen.
„Wie bist du eigentlich hier rein gekommen?"
Grinsend ziehe ich den Schlüssel hervor. Sein Blick trifft auf das silberne Material und er nickt anerkennend.
„Nicht schlecht." Wieder schaut er nach draußen. „Komm jetzt."
Leise schleiche ich ihm nach, am Treppenansatz halten wir. Von unten dringen Stimmen zu uns herauf.
„Warte hier!", weißt er mich an, bevor er nach unten geht. Halb hinter dem Geländer verborgen, gehorche ich.
Gedämpft höre ich seine Stimme: „Schaut im Keller nach. Wir müssen sichergehen, dass dort auch alles sauber ist."
Die Männer scheinen zu gehorchen, denn mehrere Schritte entfernen sich. Zusammengekauert harre ich weiter aus.
Angespannt horche ich auf, als jemand sich der Treppe wieder nähert.
„Kleiner! Beeil dich!" Sofort erhebe ich mich und eile die Stufen hinab.
Den Weg nach draußen folgt er mir, wie um sicherzugehen, dass ich die Flucht auch wirklich schaffe. Erst am kleinen Gartentor, durch das ich auch hereinkam, bleibt er stehen.
„Viel Glück Kleiner. Gegen einen Man wie deinen Vater wirst du es nämlich dringend brauchen." Ernst blickt er mir ins Gesicht und ich erkenne deutlich, wie schwer die Arbeit hier auf seinem gewissen lastet.
„Ich werde es schon hinkriegen. Bis jetzt habe ich alles hingekriegt." Aleardo nickt knapp, aber hoffnungsvoll. Durch ihn habe ich noch einen Grund mehr, der mir verbietet zu versagen.
Ich will mich zum gehen wenden, als mir etwas einfällt. Es kommt mir nicht richtig vor so zu gehen.
„Aleardo?"
Fragend dreht er sich nochmal zu mir um.
„Wenn das alles hier vorbei ist würde ich gerne deine Tochter kennenlernen, wenn du damit einverstanden bist."
Ein helles Strahlen tritt in seine Augen und ein ehrliches Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. „Liebend gerne."
„Wie heißt sie?", frage ich weiter und in mir kommt Freude auf. Auch wenn diese Welt total beschissen ist, gibt es doch noch Menschen, die einen dies vergessen lassen.
„Cassia. Nach dem Jungen, den ich damals nicht retten konnte."
Seine Antwort überwältigt mich. Damit habe ich nicht gerechnet. Dass er seine Tochter nach mir benannt hat, berührt mich tief in meinem Innersten.
„Du konntest absolut nichts dafür. Aber du kannst mir glauben, der Junge hat gelernt sich selbst zu retten."
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