Kapitel 16
Cassiel
Düster fällt nur das Licht einer vereinzelten Straßenlaterne in die kleine Gasse, die zum Hintereingang des Clubs meines Vaters führt. Von der Hauptstraße aus hört man den Lärm des Verkehrs der Wind ist aufgefrischt.
Mein Blick landet auf dem abgenutzten Schild an der Tür, auf dem in verblasster Schrift Zutritt nur für Mitarbeiter steht und meine Gedanken schweifen weiter zu Ivy. Gestern Abend haben wir uns überraschend gut verstanden und die Zeit mit ihr hat mich fast die Zeit vergessen lassen, in der wir getrennt waren. Nach einem Anruf bei ihrem Vater hat sie die Nacht auf meiner Couch verbracht. Zwar habe ich ihr auch mein Bett angeboten, dass zweifelsohne gemütlicher war als die Couch, aber sie lehnte mein Angebot ab. Jedoch verstehe ich ihre Reaktion, denn sie versucht nach allem was war, egal ob wir uns wieder verstehen oder nicht, Abstand zu halten um sich selbst zu schützen.
„Wie lange dauert das denn noch?" Verärgert hämmert Léon erneut gegen die Tür. Auf unser erstes Klopfen hat nämlich keiner reagiert.
„Vielleicht sind wir die ersten, die hier sind?", mutmaße ich, einfach um etwas gesagt zu haben und die Anspannung, die zwischen uns in der Luft liegt, zu überspielen.
Eine von Léons Augenbrauen zuckt in die Höhe. „Vielleicht liebt dein Vater es auch einfach andere warten zu lassen. Dann kann er sich wie der König fühlen, der er glaubt zu sein."
Seine Antwort war viel wahrscheinlicher und wundern würde es mich überhaupt nicht. Mein Vater hatte schon immer das Problem, dass er sich als etwas Besonderes sah.
Quietschend öffnet sich die Tür und ein stämmiger Kerl blickt uns grimmig entgegen. Zweifelsohne die Sorte Mann, die mein Vater liebend gerne in seine Dienste nimmt.
„Was wollt ihr?", fragt er unfreundlich und Léon und ich wechseln einen skeptischen Blick.
„Der Boss hat uns persönlich eingeladen", gibt mein Begleiter knapp zurück und will an dem Typen vorbei. Der sieht die Sache aber ganz anders, denn er hält Léon an der Schulter zurück. Kurz zuckt der Blick des Aufgehaltenen auf die fremde Hand und ich kann förmlich spüren, wie sich die Luft um ihn herum mit Wut auflädt.
„Wenn du die Hand behalten willst, nimmst du sie sofort weg." Seine Drohung ist leise, aber sollte der Koloss wirklich so dumm sein und seine Hand nicht wegnehmen, würde er sie später schmerzlich vermissen.
Doch seine Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. Sonderlich glücklich war unser Hindernis aber nicht.
„Wer seid ihr?", brummt er aggressiv.
Ich will gerade antworten, da baut sich Léon auch schon vor ihm auf und ich entscheide mich dazu, dass meinem Freund zu überlassen. Wenn er gerade so schön in Stimmung ist, will ich ihn nicht stören.
„Sagt dir der Name Léon DiSacarez vielleicht etwas?" Jedes Wort ist eine scharfe Drohung und Erkenntnis breitet sich auf dem Gesicht des Mannes aus. Natürlich sagt ihm der Name etwas, denn jeder, der mit Geschäften im Untergrund zu tun hat, kennt ihn. Nur mein Vater übertrifft ihn noch.
„Und ich bin sehr gespannt wie der Boss es finden wird, wenn ich ihm erzähle, dass du seinen Sohn nicht erkennst." Léon deutet auf mich und ein wachsamer Blick trifft mich.
„Ganz recht, das ist Cassiel Marro und wenn du es so willst, wird er auch irgendwann dein Boss sein. Also merk dir lieber das Gesicht."
Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, aber ich finde diese Szene sehr amüsant. Wenn Léon will, kann er ganz schön gefährlich sein, aber im Moment spielt er einfach nur mit dem Kerl.
Einige Augenblicke verstreichen, in denen der Türsteher uns abwechselnd mustert. Dem Vorbild meines Freundes folgend, bemühe ich mich um ein möglichst verärgertes Gesicht und eine angriffslustige Körpersprache.
„Also gut." Missmutig tritt er zur Seite, sodass wir endlich in den Club gehen können.
Ohne ein weiteres Wort schreitet Léon voran, so als wäre er der Eigentümer. Als ich auf Augenhöhe mit dem Koloss bin, komme ich nicht drumherum selbst noch etwas zu seinem Verhalten zu sagen. Es würde sonst komisch wirken, wenn der Sohn vom Boss nicht für sich selbst spricht.
„Noch so ein Patzer und ich sorge dafür, dass du schlaflose Nächte hast."
Rasch schließe ich zu Léon auf, der jedes Wort gehört hat. Zwar ist er immer noch perfekt in seiner Rolle als zwielichtiger Mafiavertreter, aber ich sehe das verräterische Zucken um seine Mundwinkel. Er findet meinen Versuch lustig.
„Meinst du nicht du hast ein bisschen zu dick aufgetragen?", fragt er mich, nachdem wir außer Hörreichweite sind.
„Das musst du gerade sagen! Ich glaube, hättest du noch ein bisschen weiter gemacht, wäre er zusammengebrochen." Meine Worte sorgen bei Léon für ein begeistertes Funkeln in den Augen.
Wir folgen dem schmalen Gang, der von den Garderoben und dem Bereich hinter der Bühne in den Hauptraum führt. Drinnen wird alles von den unzähligen kleinen Lämpchen an der Decke erhellt, die sonst in allen möglichen Farben erstrahlen, jetzt aber den Raum in ein steriles Weiß tauchen.
Aufmerksam scanne ich den Raum. An der langen Bar steht eine Gruppe von drei Männern, allesamt in schicken Anzügen. Von Kopf bis Fuß schreit alles an ihnen maßgeschneidert und der Geruch von teurem Aftershave dringt unangenehm in meine Nase.
„Irgendwie sind wir underdressed", stelle ich leise fest und Léon gibt ein abfälliges Schnauben von sich.
„Lieber bin ich mein Leben lang underdressed als jemals so aussehen zu müssen."
Aus einem Nebenraum dringt plötzlich Gelächter und ein weiterer fremder, rothaariger Mann tritt mit meinem Vater daraus hervor. Auch er trägt einen Anzug, nur ist seiner schlichter.
„Cassiel!" Überraschung schwingt in seinem Ton mit, als er mich entdeckt. Bis jetzt wusste er nicht, dass ich komme. Wir hielten es für schlauer das Überraschungsmoment auf unserer Seite zu haben. Möglicherweise bringt ihn meine unerwartete Anwesenheit aus dem Konzept.
„Vater." In mir schwappt eine Welle an Wut hoch, doch ich zügele mich. Es darf nichts schiefgehen.
Doch mein Vater wäre nicht mein Vater, wenn er nicht sofort sämtlichen Anwesenden vorspielt, dass das geplant ist um damit seinen Ruf zu schützen.
„Wie schön, dass du es noch einrichten konntest." Dann wendet er sich zu den mir fremd en Männern. „Meine Herren, das ist mein Sohn Cassiel Marro."
Warum er extra noch unseren Nachnamen nennt, verstehe ich nicht. Wahrscheinlich aus Prestigegründen.
Entgegen der Höflichkeitsregeln meines Vaters bleibe ich stehen wo ich bin, anstatt den Männern nacheinander die Hände zu schütteln. Das einzige, dass die Fremden von mir kriegen ist ein kurzes Nicken.
Unzufrieden sieht er mich mahnend an, ehe er wieder zum Geschäft übergeht.
„Nun denn, Zeit die Ware zu zeigen"
Ein ungutes Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Jetzt würden wir endlich erfahren, warum mein Vater uns dabei haben wollte.
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