Kapitel 13
Cassiel
Ivys Atmung geht ruhig und gleichmäßig. Friedlich liegt sie neben mir auf der Couch und meine Augen verfolgen jedes einzelne Heben und Senken ihres Brustkorbs. Ihre Lider sind geschlossen und ab und zu gibt sie leise Geräusche von sich, sonst ist sie aber komplett entspannt.
Ehrfürchtig wage ich es nicht meinen Blick von ihr abzuwenden. Ich hätte sie heute beinah verloren. Aber das Verrückte ist, dass wir uns dadurch wieder ein Stück näher kommen. So gerne ich ihr den Unfall erspart hätte, ich bin dankbar, dass wir jetzt wieder miteinander reden. Im Moment kann ich für so viele Sachen dankbar sein, dass ich nicht mal weiß wo ich anfangen soll.
Plötzlich zerreißt ein Klingeln an der Tür die Luft und ich fürchte, dass Ivy wach wird. Doch sie stört sich nicht an dem Geräusch, schläft zum Glück einfach weiter.
Rasch stehe ich auf. Vor der Tür steht Léon, über seiner Schulter hängt eine graue Tasche und in den Händen hält er ein Paar Turnschuhe. Eilig deute ich ihm an reinzukommen, dann schließe ich schnell die Tür.
„Danke", sage ich kurz angebunden zu ihm, während mein Blick vom Eingangsbereich aus bereits wieder auf Ivy ruht. Die Sachen lege ich auf die kleine Kommode in der Nähe der Couch.
„Kein Problem." Seine Hand landet auf meiner Schulter, sodass ich ihn wieder ansehen muss.
„Du weißt, dass ich auf deiner Seite stehe, oder?" Wachsam mustert er mich .
Ich brauche nicht lange um zu antworten, denn ich weiß, dass ich ihm absolut vertrauen kann. Dafür kennen wir uns nun bereits seit vielen Jahren und haben schon genug zusammen erlebt.
„Ich weiß." Léon ist für mich der Bruder den ich nie hatte und ich weiß, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Deswegen habe ich ihn auch angerufen um uns abzuholen. Deswegen und weil ich sonst niemandem, ausgenommen von Ivy, so traue wie ihm.
„Wie geht's ihr?", fragt er weiter und schaut ebenfalls zur Couch, auf der sie nach wie vor schläft.
„Den Umständen entsprechend, würde ich sagen."
„Und wie geht's dir?", hakt er nach. Ohne Frage sieht er mir die Spuren, die die letzten Stunden bei mir hinterlassen haben, an. Ich glaube, selbst wenn ich versuchen würde meinen Zustand zu verstecken, würde er es trotzdem merken.
„Den Umständen entsprechend", wiederhole ich meine vorherige Antwort und ernte dafür ein missbilligendes Schnauben von ihm.
„Ich bin nicht Ivy. Vor mir musst du nicht den harten Kerl spielen."
Damit entlockt er mir ein kurzes Lachen. „Glaub mir, sie ist auch eindeutig hübscher als du."
„Autsch." Gespielt legt er eine Hand über sein Herz. „Das trifft mich jetzt aber schwer!"
Ich genieße diese Art an ihm sehr. Irgendwie macht er es einem dadurch immer leichter, über schwierige Themen zu sprechen. Einige Sekunden verstreichen, bevor ich ihm wirklich auf seine Frage antworten kann.
„Ich habe sie beinah ertrinken sehen. Ich glaube du weißt in etwa wie ich mich dann fühlen muss."
„Aber du warst da. Du hast es verhindert", erinnert er mich wieder Mal daran, die Dinge auch von der positiven Seite zu sehen.
„Das stimmt. Aber es hätte auch anders ausgehen können."
„Das ist es aber nicht. Hör auf dich mit eventuellen Szenarien auseinanderzusetzen, die nicht eintreten. Du machst dich nur selbst verrückt. Was meinst du was sie dazu sagen würde, wenn sie deine Worte gehört hätte?" Des Stehens überdrüssig, zieht er sich einen der Stühle im Küchenbereich heraus, dreht ihn um und setzt sich so, dass er seine Arme auf die Rückenlehne stützen kann. Da Küche und Wohnbereich bei mir ohne Wand ineinander übergehen und ich Ivy somit immer noch im Auge behalten kann, erlaube ich mir ihm zu folgen.
„Wahrscheinlich würde sie etwas Ähnliches sagen wie du." Zufrieden sieht er mich an und ich seufze.
„Habt ihr geredet?", erkundigt er sich. Augenblicklich spüre ich einen Hauch von Freude in mir aufsteigen.
„Ja, tatsächlich. Sie gibt mir die Chance zu beweisen, dass ich unschuldig bin."
Positiv überrascht sieht er mich an. „Na wenn das Mal kein Fortschritt ist!"
Seine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen. Da er weiß, wie es mir in den letzten Wochen erging, ist es auch für ihn eine gute Nachricht.
„Jetzt muss ich nur noch die Wahrheit herausfinden." Auch wenn ich noch nicht weiß wie. Aber Léon wäre nicht er selbst, wenn er mir nicht sofort in solchen Sachen seine Hilfe anbieten würde. Wenn es nämlich um Menschen geht die seine Familie bedrohen, egal ob wirklich verwandt oder nicht, versteht er keinen Spaß.
„Ich werde mich umhören. Sowohl in der Stadt, als auch im Untergrund." Im Gegensatz zu mir steckt Léon in Letzterem ziemlich tief drin und hat sich einiges an Respekt verdient. Keiner würde es wagen ihn zu belügen.
„Danke." Léon nickt, ehe er plötzlich so aussieht, als wäre ihm wieder etwas eingefallen. Jedoch sagt er nichts, sieht aus als würde er es mir lieber verschweigen.
„Was ist los?" Diesen Gesichtsausdruck kenne ich von ihm nur zu gut und er verheißt nie etwas Gutes.
„Dein Vater war gestern bei mir", offenbart er und in mir verkrampft sich alles. Schon der bloße Gedanke an diesen Mann lässt Wut in mir hochkochen.
„Was wollte er von dir?" Meine Stimme ähnelt einem Knurren, obwohl ich um Selbstbeherrschung bemüht bin.
„Er will, dass ich bei dem Verkauf morgen dabei bin, hat aber nicht gesagt worum es genau geht. Ein Paar meiner Männer soll ich auch mitbringen. Angeblich für die Sicherheit." Der verkniffene Zug um Léons Mundwinkel zeigt mir deutlich, dass er das, was mein Vater plant, nicht gut findet.
Was zum Teufel hat er nur vor?! „Bei mir war er auch. Heute morgen", informiere ich ihn.
„Was?!" Ungläubig starrt er mich an und ich kann seine Reaktion verstehen. Das letzte Mal als mein Vater und ich Kontakt hatten, hätte ich ihn beinah umgebracht. Eine ungesunde Angewohnheit, wenn ich so darüber nachdenke.
„Ja und es ging ebenfalls um den Verkauf morgen. Er will mich dabei haben", lasse ich die Bombe platzen.
Léons Gesicht wechselt von ungläubig zu berechnend. Ich kann förmlich sehen, wie er versucht alle Möglichkeiten im Kopf durchzugehen, keine Eventualitäten auszulassen. Ohne zu zögern ist er wieder der Mann, der kein Risiko scheut, während er zugleich Alles strategisch genau durchplant.
„Hat er noch etwas gesagt?", will er wissen.
„Dazu nicht. Aber er hat Ivy gedroht.
Ein unerbittlicher Ausdruck legt sich über sein Gesicht. In seinen Augen erkenne ich ein gefährliches Glitzern, ähnlich meinem eigenen. „Ich glaube es wird Zeit, dass dein Vater wieder Manieren lernt."
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