Kapitel 12
Cassiel
Für einen Moment scheint die Welt um mich herum stillzustehen. Ivys Worte bilden ein, sich ständig wiederholendes, Echo in meinem Kopf und ich spüre mein Herz in Anbetracht ihrer Worte brechen. Der Schmerz, der in ihrer Stimme mitklingt, bringt mich um den Verstand und stürzt mich in einen Abgrund.
Ich habe ehrlich gesagt nicht mit dieser Antwort gerechnet. Ich habe irgend einen anderen Grund erwartet. Doch damit macht sie mich sprachlos und ich will sie nur noch in meine Arme ziehen, will die letzten Wochen ungeschehen machen, auch wenn ich ganz genau weiß, dass das nicht möglich ist.
Mein Körper folgt unaufgefordert meinem stillen Wunsch und ich lehne mich in ihre Richtung, halte dann aber inne. Ivy verfolgt wachsam jede meiner Bewegungen. Ihrem Gesicht kann ich nicht ablesen, ob sie es zulassen würde, dass ich näher komme oder nicht. Überhaupt ist sie verschlossener als früher und egal wie oft ich versuche aus ihr schlau zu werden, sie verbirgt ihre Gefühle hinter einer unbewegten Maske.
Gerne würde ich ihr so viel sagen. Dass ich sie liebe. Dass es mir leid tut. Dass ich unschuldig bin. Aber kein einiges Wort kommt über meine Lippen.
„Danke, dass du da warst", sagt Ivy plötzlich leise und ich verstehe die Welt nicht mehr. Sie braucht sich doch nicht bei mir zu bedanken! Für sie würde ich durchs Feuer gehen. Oder eben durchs Meer. Je nachdem.
„Hör auf." Überrascht sieht sie mich an, nicht wissend was ich meine. „Bitte hör auf dich zu bedanken. Wenn du es so willst, habe ich sogar aus Eigennutz gehandelt."
Nun habe ich sie endgültig verwirrt und ich kann nicht fassen, dass ich ihr das wirklich erst erklären muss. Früher hätte sie es sofort verstanden und mir wieder ein übertriebenes Ego und zu viel Machogehabe vorgeworfen. Und verflucht, sie hatte damit absolut recht.
„Ich brauche dich Ivy. Wie die Luft zum Atmen. Ich musste dich also retten." Erst als ich es ausspreche, fällt mir auf, wie bescheuert das eigentlich klingt.
Ungläubig zucken ihre Augenbrauen in die Höhe. „Ist das dein Ernst?" Wie vorhin klingt sie verärgert und ich habe es für diese Antwort auch verdient.
„Ja", ich stocke, „und nein." Verdammt, warum ist das nur so schwer?
Ein Seufzen entkommt mir. „Ich brauche dich wirklich. Das war keine Lüge oder irgendein Trick. Ich liebe dich und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du gelitten hast. Es macht mich wütend, dass ich dir nicht helfen konnte. Aber ich will für dich da sein, will an deiner Seite sein."
Jedes Wort spreche ich mit dem Herzen, in der verzweifelten Hoffnung uns doch noch retten zu können. Doch dafür muss ich ihr wirklich alles von mir zu Füßen legen um sie entscheiden zu lassen.
„Glaubst du, dass ich schuldig bin?" Mit dieser einen Frage lege ich ihr mein Herz in die Hand. Wenn sie jetzt ja sagt, wird es mich zerstören. Das weiß ich mit unumstößlicher Sicherheit.
Ivys Blick löst sich von meinem und senkt sich auf ihre, im Schoß gefalteten, Hände. Angst schießt durch meine Adern. Das ist kein gutes Zeichen.
Angespannt fahre ich über den Ring an meinem Zeigefinger. Ich kann verstehen, dass es für sie eine schwierige Frage ist, denn was sie gesehen hat und was ich sage, sind zweierlei. Wahrscheinlich ist es auch nicht fair von mir genau das zu fragen, aber seit wann geht es in der Liebe fair zu?
„Ich habe es geglaubt", beginnt sie schließlich und ich werde unruhig. Ihre Worte treffen mich hart und unvorbereitet, zerschlagen nahezu alle Hoffnung.
„Alles war zu viel. Alba so zu sehen. Deine Rose daneben. Für mich bestand keine andere Möglichkeit mehr, als das Offensichtliche als Wahrheit zu akzeptieren." Ihre Stimme zittert und ich sehe, wie ihre Augen vor Tränen glitzern. Doch sie hält sich tapfer.
„Du willst wissen ob ich glaube, dass du schuldig bist?" Ihr Blick sucht wieder den meinen und ich habe Angst vor dem, was sie gleich sagen könnte.
„Ja", antworte ich. Auch meine Stimme klingt mitgenommen.
Einen langen Augenblick sieht sie mich einfach nur an. Ihr Blick gleitet über mein Gesicht, wie um nach der Wahrheit zu suchen. Das Bernstein in ihren Augen erinnert mich nun mehr als je zuvor an Gold und verkörpert für mich das Schicksal selbst.
Heftig klopft mir das Herz bis zum Hals, während ich auf ihre Antwort warte. Noch nie in meinem Leben habe ich eine Antwort so sehr gefürchtet.
Ich sehe wie Ivys Lippen sich teilen, noch bevor sie etwas sagt. Unbewusst stockt mir der Atem.
„Ich weiß es nicht. Aber ich würde gerne glauben, dass du es nicht warst."
Erleichtert keuche ich auf. Es war zwar kein absolutes nein, aber tausendmal besser als ein ja. Trotzdem klingen ihre Worte in meinen Ohren himmlisch und der Druck auf meiner Brust löst sich in Luft auf. Würde ich nicht bereits schon sitzen, würde mich die Überwältigung in die Knie zwingen.
„Beweis mir, dass du es nicht warst. Beweis mir, dass ich nicht umsonst auf deine Unschuld hoffe", spricht sie weiter und ich entdecke in ihren Augen einen Sturm an Gefühlen, mit dem sie ringt. Es muss ihr viel abverlangen, dass zu sagen.
Sie gibt mir tatsächlich eine Chance. All die Wochen hat sie mich von sich fern gehalten, nicht einen Anruf angenommen oder meine Bitte um ein Gespräch erhört. Jetzt endlich war es soweit.
Die Freude, die in mir aufsteigt, ist unbeschreiblich. Zugleich wird in mir der Wille, die Wahrheit herauszufinden, nur noch größer als er es ohnehin schon ist.
Mein Körper wird erneut von meinen Gefühlen übernommen und noch bevor ich mich davon abhalten kann, greife ich nach Ivys Hand. Ich höre sie stockend einatmen, spüre ihren Blick auf mir. Doch sie lässt mich gewähren.
Ihre Haut ist weich unter meinen Fingern und schon allein diese simple Berührung lässt mich die emotionale Tortur der letzten Wochen vergessen.
„Ich verspreche dir, dass ich dich bedingungslos liebe. Ich verspreche dir, dass ich alles tun werde um deinen Schmerz zu lindern. Ich verspreche dir, dass ich unschuldig bin."
Meine Finger schließen sich sanft um ihre Hand.
„Und ich schwöre dir bei meiner Liebe, dass ich die Wahrheit finden werde um deine Hoffnung zu erfüllen."
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