7. Kapitel
Hyunjin POV:
Die Dämmerung brach über den Wald herein, als ich meinen Platz auf dem Felsvorsprung einnahm. Der Wind spielte mit den Blättern der Bäume und trug den erdigen Geruch von Moos und Rinde zu mir herauf. Unten, verborgen zwischen dichten Sträuchern und knorrigen Baumwurzeln, lag das Nest von Felix. Ich konnte es kaum sehen, aber mein ausgeprägter Geruchssinn machte es unmöglich, seine Anwesenheit zu übersehen.
Sein Duft, eine Mischung aus Wildblumen und dem salzigen Hauch von frischem Blut, lag in der Luft und kitzelte meine Sinne. Die Wunde, die ich ihm im Kampf zugefügt hatte, musste immer noch offen sein. Er war stark, das musste ich ihm lassen. Die meisten Omegas wären längst zusammengebrochen.
Ein Schmunzeln umspielte meine Lippen, während ich Felix' geschäftige Bewegungen beobachtete. Er bewegte sich mit einer stoischen Präzision, zerrte frische Moosbüschel und Kräuter in sein Nest und bereitete sich offenbar darauf vor, seine Verletzungen zu behandeln.
Er hatte sie vorhin wohl gesammelt, bis ihm der Bär in die Quere kam. Aus Reflex sprang ich dazwischen und half Felix. Irgendwie war es komisch gewesen. Ich hatte keine Sekunde daran gedacht, dass ich bei meiner Aktion selbst hätte verletzt werden können.
Ich lehnte mich gegen den rauen Stein und schloss für einen Moment die Augen. Die Geräusche des Waldes waren mir seit meiner Kindheit vertraut - das Rauschen des Windes, das gelegentliche Knacken von Ästen unter den Pfoten eines Tieres. Es war eine Symphonie der Freiheit, die ich in der Stadt nie gehört hatte.
Dort war alles Lärm und Enge: Straßen voller Stimmen, der harsche Klang von Metall auf Pflaster und die unaufhörliche Wachsamkeit des Rats. Hier im Wald war ich endlich wieder ich selbst.
Doch ich wusste auch, dass dieser Moment trügerisch war. Felix war mein Ziel, und ich durfte mich nicht von sentimentalen Erinnerungen ablenken lassen.
Trotzdem ließ mein Blick nicht von ihm ab. Es faszinierte mich, wie er sich trotz seiner offensichtlichen Erschöpfung und Schmerzen immer wieder aufrappelte. Seine Bewegungen waren zielgerichtet und instinktiv, als wäre der Wald ein Teil von ihm.
Und ich konnte nicht leugnen, dass ich ihn dafür respektierte.
Die Zeit verstrich langsam. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und würde sicher bald aufgehen. Felix hatte sich schließlich in sein Nest zurückgezogen, und ich saß immer noch auf meinem Felsvorsprung.
Meine Gedanken wanderten zurück zu früheren Zeiten, zu dem Leben, das ich hinter mir gelassen hatte. Das Rudel, das ich einst mein Zuhause genannt hatte, lag mittlerweile nur noch in den Schatten meiner Erinnerungen.
Ich erinnerte mich an meinen Vater, einen stolzen und strengen Alpha, der das Rudel mit eiserner Faust führte. Er hatte mir beigebracht, dass Stärke alles war und dass Gefühle nur ein Zeichen von Schwäche waren.
„Ein Alpha darf niemals zögern, Hyunjin!", hatte er gesagt, während wir eines Nachts Seite an Seite durch den Wald patrouillierten. „Zögern bedeutet den Tod."
Damals hatte ich jedes Wort geglaubt. Ich hatte mir geschworen, niemals zu zögern, niemals Schwäche zu zeigen.
Doch irgendwann hatte ich genau das getan.
Ich wusste nicht mehr genau, wann es passiert war, aber eines Tages hatte ich mich einfach nicht mehr in die Regeln des Rudels gefügt. Und bevor wir irgendwas klären konnten, kam es zu diesem schrecklichen Angriff, bei dem fast mein gesamtes Rudel ausgelöscht wurde. Soweit ich wusste, war ich der einzig Überlebende aus dem Hwang-Rudel.
Der Alpha-Rat hatte mich damals mit offenen Armen aufgenommen. Sie hatten meine Fähigkeiten erkannt und mir eine neue Heimat gegeben - eine Heimat, die auf Disziplin und Gehorsam beruhte.
Und jetzt saß ich hier, inmitten des Waldes, und fragte mich zum ersten Mal seit Jahren, ob ich je wirklich meinen Platz gefunden hatte.
Felix war ein weiterer Auftrag gewesen, nichts weiter. Aber er hatte etwas in mir ausgelöst, das ich nicht benennen konnte. Vielleicht war es seine Entschlossenheit, vielleicht seine Fähigkeit, trotz aller Widrigkeiten zu überleben.
Oder vielleicht war es einfach die Tatsache, dass er mich daran erinnerte, wer ich einmal gewesen war.
Ein plötzlicher Laut riss mich aus meinen Gedanken.
Mein Kopf fuhr herum, und ich erkannte Felix, der aus seinem Nest gestolpert kam. Sein Fell war zerzaust, und er sah aus, als hätte er auch kaum geschlafen. Doch in seinen Augen loderte ein ungebrochener Funke.
Er bewegte sich vorsichtig, als würde er versuchen, seinen verletzten Körper nicht zu sehr zu belasten.
Ich beobachtete, wie er sich langsam durch das Unterholz bewegte und schließlich bei einem kleinen Bach anhielt. Das Wasser glitzerte im schwachen Licht, und Felix neigte seinen Kopf, um zu trinken.
Ich wusste, dass ich mich jetzt zeigen sollte. Ein Angriff wäre der logische Schritt gewesen. Doch etwas hielt mich zurück.
Stattdessen blieb ich in den Schatten verborgen und ließ ihn seine Ruhe genießen.
Das war untypisch für mich, und ich konnte bereits die Stimme meines Vaters in meinem Kopf hören, die mich einen Narren nannte.
„Schwäche", flüsterte die Erinnerung.
Ich ballte die Fäuste. War es wirklich Schwäche? Oder war es etwas anderes?
Ein plötzlicher Gedanke schoss mir durch den Kopf. Vielleicht wollte ich die Jagd wirklich nicht sofort beenden. Vielleicht reizte mich der Gedanke, ihn noch ein bisschen länger zu beobachten, ihn herauszufordern und zu sehen, wie weit er gehen konnte.
Felix war ein Omega, aber er hatte mehr Willenskraft als viele Alphas, die ich kannte.
Und das machte ihn gefährlich, aber auch faszinierend.
Ich lehnte mich zurück und ließ ein leises Lachen entweichen.
„Du bist wirklich anders", murmelte ich in die Dunkelheit.
Der Wald antwortete nicht, doch in meinem Inneren hatte sich bereits etwas verändert. Ich wusste, dass diese Jagd nicht mehr so enden würde, wie der Rat es geplant hatte.
Denn jetzt ging es nicht mehr nur darum, Felix zu fangen.
Es ging darum, herauszufinden, wer ich wirklich war.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro