32. Kapitel
Hyunjin POV:
Die Anspannung lag schwer in der Luft, als Minho uns das Signal gab, ihm in Richtung der Lichtung zu folgen. Felix ging dicht an meiner Seite, unsere Schultern streiften sich hin und wieder. Trotz der Ernsthaftigkeit der Situation beruhigte mich seine Anwesenheit. Die letzten Tage hatten uns beide verändert, und auch wenn das Chaos sich wie eine dunkle Wolke über uns legte, war ich mir sicherer denn je, dass ich an seiner Seite kämpfen wollte.
Minho ging voran, seine Haltung aufrecht und souverän. Jisung folgte ihm mit einem grimmigen Ausdruck, der selten von seinem sonst so verspielten Wesen abwich. Niemand sprach ein Wort. Wir alle wussten, wie wichtig dieses Treffen war.
Zwei verbündete Rudel. Eine Allianz, die wir bitter nötig hatten.
„Das Seo-Rudel und das Kim-Rudel sind beide kampferfahren", hatte Minho uns zuvor erklärt. „Changbin ist ein starker Alpha, und Seungmin..." Er hatte kurz gezögert. „Er ist zwar jung, aber seine Führungsqualitäten sind unbestreitbar."
Ich war skeptisch geblieben. Vertrauen in andere Rudel fiel mir schwer, und die Tatsache, dass ich mein Leben in ihre Hände legen sollte, gefiel mir nicht. Dennoch hatte Minho recht: Wir konnten es uns nicht leisten, allein zu kämpfen.
Als wir die Lichtung erreichten, sah ich sie bereits auf uns warten. Changbin stand an der Spitze seines Rudels, eine beeindruckende Gestalt mit breiten Schultern und einem selbstbewussten Blick. Neben ihm hielt sich Seungmin, schlanker und mit einer ruhigen, kontrollierten Ausstrahlung.
„Minho." Changbin's tiefe Stimme hallte über die Lichtung. „Gut, dich zu sehen."
„Changbin." Minho nickte ihm respektvoll zu. „Seungmin."
Seungmin erwiderte das Nicken, sein Blick jedoch wanderte kurz zu mir und Felix. Er musterte uns mit einer Neugier, die ich nicht einordnen konnte, bevor er sich wieder auf Minho konzentrierte.
Die Gespräche begannen schnell. Strategien wurden diskutiert, Kampfformationen besprochen, und ich konnte nicht anders, als die beiden Rudelführer genau zu beobachten. Changbin sprach mit der Überzeugung eines Kriegers, während Seungmin analytischer vorging. Es war eine interessante Dynamik, und trotz meiner Skepsis musste ich zugeben, dass sie beeindruckend wirkten.
Doch dann geschah es.
Ein plötzlicher Duft erfasste meine Sinne - vertraut und doch fremd zugleich. Mein Körper spannte sich an, und mein Atem stockte. Es war ein Geruch, den ich nie vergessen würde, auch wenn er sich verändert hatte.
Mein Herz begann schneller zu schlagen. Das konnte nicht sein.
Unwillkürlich machte ich einen Schritt zurück, die Augen weit geöffnet. Felix bemerkte meine Reaktion und legte eine Hand auf meinen Arm. „Hyunjin? Was ist los?"
Ich konnte ihm nicht antworten. Meine Gedanken rasten, während ich den Ursprung des Dufts suchte. Und dann sah ich ihn.
Am Rand der Lichtung, etwas abseits der anderen Rudelmitglieder, stand er. Sein Haar war zerzaust, sein Blick hart, aber es gab keinen Zweifel.
Jeongin.
Mein Bruder.
Mein Atem ging flach, und für einen Moment konnte ich mich nicht rühren. Ich hatte geglaubt, ihn verloren zu haben. Nach dem Angriff auf unser Rudel hatte ich keine Spur mehr von ihm gefunden. Die Vorstellung, dass er tot sein könnte, hatte mich jahrelang verfolgt.
Doch jetzt stand er vor mir, lebendig und stärker als je zuvor.
Seungmin trat einen Schritt zur Seite und legte eine Hand auf Jeongins Schulter. Die Geste war besitzergreifend und doch vertraut. Und dann fiel es mir auf - der Geruch, der Jeongin umgab, war nicht nur sein eigener.
Es war der von Seungmin.
Mein Magen zog sich zusammen, als die Erkenntnis mich traf. Jeongin war mit Seungmin gebunden. Eine Mate-Bindung.
Felix' Hand verstärkte den Druck auf meinem Arm. „Hyunjin, alles okay?"
Ich brachte nur ein heiseres „Das ist mein Bruder" heraus.
Minho und Jisung drehten sich überrascht zu mir um, und selbst Changbin hob eine Augenbraue. Doch ich hatte nur Augen für Jeongin.
Er hatte mich ebenfalls bemerkt. Sein Körper versteifte sich, und für einen Moment sah ich das gleiche Erstaunen in seinen Augen, das ich fühlen musste.
Die Zeit schien stillzustehen, während wir uns gegenüberstanden, zwei Brüder, die durch Krieg und Verlust getrennt worden waren.
Dann machte Jeongin einen Schritt auf mich zu.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Meine Gedanken rasten, während ich versuchte, die Situation zu begreifen. Wie hatte er überlebt? Wie war er hierhergekommen? Und warum hatte er mir nie ein Zeichen gegeben?
Doch noch bevor ich eine Antwort finden konnte, blieb Jeongin stehen. Sein Gesichtsausdruck war unentschlossen, zwischen Freude und Vorsicht gefangen.
„Hyunjin?" Seine Stimme war rau, als hätte er lange nicht gesprochen.
Ich wollte etwas sagen, irgendetwas, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Die Worte blieben mir im Hals stecken.
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Die Luft zwischen Jeongin und mir war immer noch angespannt, aber ich wusste, dass wir reden mussten. Zu viele Fragen brannten in mir, und wenn ich je Antworten bekommen wollte, war jetzt der richtige Zeitpunkt.
Minho hatte das Treffen mit Changbin und Seungmin in ruhigere Bahnen gelenkt, während Felix diskret an meiner Seite geblieben war. Er schien zu spüren, dass ich gerade Raum brauchte, um mit meinem Bruder zu reden.
„Lass uns ein Stück gehen", schlug ich vor und warf Jeongin einen abwartenden Blick zu.
Seine Lippen verzogen sich zu einem kaum sichtbaren Lächeln. „Gerne."
Wir entfernten uns ein Stück von der Lichtung und fanden einen ruhigeren Ort nahe der Bäume. Das Rascheln der Blätter im Wind war das einzige Geräusch, das die Stille zwischen uns füllte. Schließlich blieb ich stehen und drehte mich zu ihm um.
„Wie..." Meine Stimme brach. „Wie bist du überhaupt hier gelandet?"
Jeongin seufzte leise und fuhr sich durch das Haar. „Es ist eine lange Geschichte."
„Ich habe Zeit", erwiderte ich, vielleicht schärfer, als ich wollte.
Er nickte, sein Blick wurde ernst. „Nach dem Angriff auf unser Rudel habe ich versucht, zu fliehen. Ich wusste, dass du und Mutter irgendwo kämpfen musstet. Aber es war Chaos, Hyunjin. Überall Blut und Schreie. Ich dachte, ich würde sterben."
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen bei der Erinnerung an diese Nacht. Ich hatte immer geglaubt, dass Jeongin es nicht geschafft hatte.
„Wie hast du überlebt?" fragte ich leise.
„Ich bin verletzt worden", sagte er und zog den Kragen seines Hemdes ein Stück herunter, um eine Narbe an seiner Schulter zu zeigen. „Ein anderer Wolf hat mich erwischt, aber irgendwie konnte ich mich losreißen und bin in den Wald gerannt."
Sein Blick wurde düster . „Ich war tagelang unterwegs, ohne Nahrung, ohne Wasser. Ich habe mich versteckt, weil ich wusste, dass das feindliche Rudel jeden Überlebenden jagen würde. Irgendwann bin ich zusammengebrochen."
Er machte eine Pause und atmete tief durch.
„Da hat Seungmin mich gefunden."
Ich runzelte die Stirn. „Seungmin?"
Jeongin nickte. „Er war damals noch nicht der Alpha seines Rudels, aber er war schon ein Anführer in allem außer dem Namen. Er hat mich mitgenommen, mich versorgt und mich vor den Jägern des Park-Rudels versteckt. Ohne ihn hätte ich nicht überlebt."
Die Dankbarkeit in seiner Stimme war unverkennbar, und ich konnte nicht anders, als Seungmin innerlich Respekt zu zollen.
„Und jetzt seid ihr... gebunden?", fragte ich vorsichtig.
Ein leichtes Rot stieg Jeongin in die Wangen. „Ja. Die Mate-Bindung hat sich nach ein paar Monaten entwickelt. Ich habe mich lange dagegen gewehrt, aber..." Er zuckte mit den Schultern. „Man kann seine Seele nicht belügen."
Ich atmete langsam aus und versuchte, die Informationen zu verarbeiten. Jeongin war nicht nur am Leben, sondern hatte auch eine Verbindung gefunden, die ihm Sicherheit und Halt gab.
„Warum hast du mir nie ein Zeichen gegeben?", fragte ich schließlich, die Verletzung in meiner Stimme unverkennbar. „Ich habe geglaubt, dass du tot bist."
Sein Gesicht verzog sich vor Schuld. „Ich wollte es, Hyunjin. Ich habe versucht, dich zu finden, aber Seungmin war vorsichtig. Er meinte, wir sollten uns nicht zu sehr exponieren, solange das andere Rudel noch nach Überlebenden suchte."
„Ich hätte es trotzdem wissen müssen", sagte ich leise.
Jeongin sah mich eindringlich an. „Es tut mir leid, wirklich. Aber ich bin jetzt hier."
Ich hielt seinem Blick stand, und all die Wut und Enttäuschung, die sich über die Jahre in mir aufgestaut hatten, begannen zu verblassen. Er war hier. Lebendig. Das war alles, was zählte.
„Ich bin froh, dass du lebst", sagte ich schließlich, meine Stimme brüchig.
Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. „Ich auch."
Wir standen noch eine Weile schweigend da, bis Jeongin vorsichtig fragte: „Und du? Was ist mit dir passiert?"
Ich erzählte ihm von meiner Zeit in der Stadt, von den Jahren, die ich allein überlebt hatte, und schließlich von meiner Flucht mit Felix. Jeongin's Gesicht verdüsterte sich bei der Erwähnung des Alpharats, aber er sagte nichts.
„Felix scheint dir viel zu bedeuten", bemerkte er schließlich.
Ein leichtes Kribbeln zog durch meinen Körper. „Er ist... besonders."
Jeongin grinste verschmitzt. „Besonders, hm?"
Ich schnaubte. „Halt den Mund."
Er lachte, und für einen Moment fühlte es sich an, als wären wir wieder zwei Brüder, die sich über Kleinigkeiten stritten.
„Ich bin froh, dass du jemanden gefunden hast, Jinnie", sagte er ernst. „Und ich werde an deiner Seite kämpfen, wenn der Alpharat kommt."
Mein Herz zog sich zusammen bei seinen Worten. „Danke, Innie."
Er legte eine Hand auf meine Schulter. „Wir werden das gemeinsam durchstehen. Keine Frage."
Ich nickte, die Schwere der letzten Jahre fiel langsam von meinen Schultern ab. Vielleicht, nur vielleicht, würde sich das Blatt endlich zu unseren Gunsten wenden.
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