30. Kapitel
Felix POV:
Die Luft war seltsam angespannt, als wir uns im Hauptzelt des Lagers versammelten. Normalerweise war das ein Ort des Zusammenkommens und der Besprechung von Jagdstrategien oder kleineren Alltagsangelegenheiten. Heute jedoch lag eine Schwere in der Atmosphäre, die mir die Kehle zuschnürte. Selbst Jisung, der sonst immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte, stand mit finsterer Miene neben Minho und Hyunjin.
Ich saß dicht an Hyunjin's Seite, unsere Knie berührten sich, und obwohl ich normalerweise Abstand hielt, war ich heute dankbar für seine Nähe. Irgendetwas lag in der Luft, und ich konnte es mit jeder Faser meines Wesens spüren.
Minho verschränkte die Arme vor der Brust und ließ seinen scharfen Blick durch die Runde wandern. „Wir haben ein Problem", begann er ohne Umschweife.
Ein Raunen ging durch die Versammelten. Einige der Krieger tauschten beunruhigte Blicke aus, während andere angespannt die Lippen zusammenpressten.
„Was für ein Problem?" fragte Hyunjin mit dieser selbstbewussten, fast provokativen Stimme, die ich mittlerweile liebte und fürchtete.
Minho holte tief Luft. „Unsere Spione im Alpharat haben Informationen zurückgebracht. Es gibt Gerüchte, dass der Rat beschlossen hat, den Blutmond für einen offenen Angriff auf uns zu nutzen."
Mir wurde eiskalt. Der Blutmond war nur wenige Nächte entfernt. Ein seltenes Phänomen, bei dem der Mond blutrot am Himmel stand und die Kräfte der Wölfe auf ein ungeahntes Level anstiegen. Es war eine Zeit, die normalerweise für Rituale und Bindungen genutzt wurde - aber ein Kampf während dieser Phase war ein Albtraum.
„Ein Angriff?", wiederholte Jisung entsetzt. „Warum? Wir haben uns doch zurückgezogen, wir leben friedlich hier im Wald!"
„Das spielt keine Rolle", sagte Minho bitter. „Für den Alpharat sind wir eine Bedrohung. Die Rebellion des Omegas hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Andere Rudel haben begonnen, Fragen zu stellen, sich gegen die traditionellen Strukturen zu wehren. Und für den Rat sind wir nicht nur Verräter, sondern eine Gefahr, die beseitigt werden muss."
Mein Herz schlug wie wild. Ich hatte immer gewusst, dass unsere Entscheidung, uns dem Rudel anzuschließen, Konsequenzen haben würde. Aber das hier war eine völlig neue Dimension.
„Sie wollen uns alle auslöschen", sagte Hyunjin leise, und ich spürte, wie sich seine Hand unbewusst zu Fäusten ballte. „Nicht nur dich, Minho. Jeden Einzelnen von uns."
„Verdammt", fluchte Jisung und fuhr sich durchs Haar. „Das ist doch Wahnsinn! Wir sind nicht stark genug für einen offenen Krieg."
Minho nickte düster. „Deshalb müssen wir jetzt handeln."
„Was schlägst du vor?" fragte Hyunjin mit einem gefährlichen Unterton in der Stimme.
„Verteidigung vorbereiten. Unsere Grenzen verstärken. Ich werde einige meiner besten Krieger losschicken, um Verbündete zu suchen. Wir brauchen jede Unterstützung, die wir bekommen können."
Ein Zittern durchlief meinen Körper, und Hyunjin bemerkte es sofort. Ohne zu zögern legte er einen Arm um meine Schultern und zog mich näher. „Hey", flüsterte er. „Wir schaffen das."
Ich wollte ihm glauben, wirklich. Aber die Angst nagte an mir. „Was ist, wenn wir das nicht schaffen?" flüsterte ich zurück.
Seine Augen blitzten entschlossen. „Ich lasse nicht zu, dass dir oder diesem Rudel etwas passiert. Das verspreche ich dir."
Minho räusperte sich und zog unsere Aufmerksamkeit zurück. „Felix", sagte er plötzlich, und ich zuckte zusammen, als er mich direkt ansah.
„Ja?" Meine Stimme war dünn.
„Du hast ein gutes Gespür für Territorien und Fluchtwege. Ich brauche dich und Hyunjin, um die umliegenden Gebiete zu erkunden. Findet Schwachstellen, Engpässe und mögliche Fluchtwege. Wir müssen vorbereitet sein."
Hyunjin nickte sofort. „Wir übernehmen das."
Ich wollte protestieren, sagen, dass ich viel zu nervös war für so eine wichtige Aufgabe, aber Minho schenkte mir einen festen Blick. „Wir zählen auf dich, Felix. Du bist stärker, als du denkst."
Seufzend stimmte ich schließlich zu. „Okay. Wir machen das."
_______________
Eine Stunde später standen Hyunjin und ich am Waldrand. Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont entgegen, und die Schatten wurden länger.
„Bereit?" fragte Hyunjin und reichte mir seine Hand.
Ich zögerte kurz, ergriff sie dann aber. „Bereit."
Wir liefen los, nachdem wir uns in unsere Wolfsform verwandelt hatten. Und obwohl die Aufgabe ernst war, konnte ich nicht anders, als den Moment zwischen uns zu genießen. Die Spannung vom Lager ließ allmählich nach, und Hyunjins Präsenz beruhigte mich auf eine Weise, die ich mir nicht erklären konnte.
„Glaubst du, wir haben eine Chance?" fragte ich schließlich.
Hyunjin war einen Moment lang still. „Ja", sagte er dann bestimmt. „Solange wir zusammenhalten und klug vorgehen, schaffen wir das."
„Und was ist, wenn sie uns überrennen?"
Er hielt inne und sah mir direkt in die Augen. „Dann werde ich kämpfen, bis zu meinem letzten Atemzug. Für dich. Für uns."
Seine Worte ließen mein Herz schneller schlagen. „Hyunjin..."
„Nein, lass mich ausreden", sagte er sanft. „Ich weiß, dass das alles beängstigend ist. Aber ich habe gelernt, dass man nicht immer weglaufen kann. Und ich werde nicht weglaufen, Felix. Nicht vor dir, nicht vor dem Alpharat, vor gar nichts."
Ich schluckte schwer. „Du bist echt verrückt."
Er grinste schief. „Möglich. Aber du hast mich zu dem Verrückten gemacht."
Ich lachte leise, obwohl mir eigentlich nicht danach war. Doch in diesem Moment fühlte ich mich tatsächlich etwas besser. Vielleicht hatte Hyunjin recht. Vielleicht hatten wir wirklich eine Chance - solange wir zusammenhielten.
_______________
Die Dämmerung legte sich wie ein sanfter Schleier über den Wald, während wir uns immer tiefer in das Territorium vorwagten. Das Geräusch unserer Schritte auf dem Laub vermischte sich mit dem Zwitschern vereinzelter Vögel und dem Rascheln des Windes in den Bäumen. Hyunjin ging neben mir, seine Schultern angespannt, als wäre er bereit, jeden Moment auf einen Angriff zu reagieren.
„Du bist viel zu ernst", sagte ich schließlich und versuchte, die bedrückende Stille zu durchbrechen.
Er zog eine Augenbraue hoch und schielte zu mir herüber. „Ich bin nur konzentriert."
„Konzentriert oder paranoid?"
„Paranoid zu sein hat mir bisher das Leben gerettet."
Ich schnaubte. „Klingt nach einem anstrengenden Leben."
Ein kurzes Grinsen huschte über sein Gesicht, und für einen Moment war die Anspannung aus seinen Zügen verschwunden. „Vielleicht. Aber seit du hier bist, ist es weniger anstrengend."
Mein Herz machte einen kleinen Sprung, doch ich schüttelte schnell den Kopf, um mich nicht von seinen Worten aus der Fassung bringen zu lassen. „Also bin ich deine persönliche Entspannungstherapie?", neckte ich ihn.
„Definitiv nicht", erwiderte er trocken. „Du machst mich eigentlich nur verrückt."
„Danke für das Kompliment", murmelte ich sarkastisch.
Sein Grinsen wurde breiter, und obwohl die Situation alles andere als leicht war, spürte ich, wie sich meine Nervosität langsam legte. Hyunjin hatte diese seltsame Fähigkeit, mich entweder zur Weißglut zu treiben oder mich komplett zu beruhigen - manchmal beides gleichzeitig.
Wir liefen eine Weile schweigend weiter, bis wir an einen engen Durchgang zwischen zwei Felsen gelangten. Hyunjin hielt inne und hob die Pfote, um mich zum Stehenbleiben zu bringen.
„Das hier könnte ein Engpass sein", sagte er und betrachtete die Umgebung aufmerksam. „Wenn wir den blockieren, könnten wir den Alpharat zumindest für eine Weile aufhalten."
Ich trat neben ihn und betrachtete die Felsformation. „Ja, aber wir bräuchten massive Barrikaden. Und es wäre riskant, hier überhaupt zu kämpfen. Zu wenig Platz für unsere Leute."
Er nickte nachdenklich. „Guter Punkt. Aber als Fluchtweg könnte es funktionieren, wenn es hart auf hart kommt."
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken bei dem Gedanken, dass wir tatsächlich gezwungen sein könnten zu fliehen. Doch ich schob die Angst beiseite. Wir mussten vorbereitet sein.
„Lass uns weitergehen", sagte ich schließlich.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro