22. Kapitel
Felix POV:
Der Morgen dämmerte kühl und frisch über dem Lagerplatz des Lee-Rudels. Die Geräusche des erwachenden Lebens hallten zwischen den Zelten wider, und die Wölfe begannen ihren Aufgaben nachzugehen. Ich streckte mich auf dem weichen Fell aus und blinzelte in das schummrige Licht des Zelts. Neben mir lag Hyunjin, immer noch halb in den Schlaf versunken. Seine schwarzen Haare waren zerzaust, und ein Arm lag schwer über meiner Taille.
Ich beobachtete ihn für einen Moment, bevor ich mich vorsichtig unter seinem Arm herauswand. Doch kaum hatte ich mich bewegt, zog er mich mit einem unterdrückten Brummen zurück. „Bleib liegen", murmelte er verschlafen.
„Hyunjin", flüsterte ich, „Wir müssen raus. Jisung wird uns sonst wahrscheinlich aus dem Zelt zerren."
Er blinzelte mich träge an. „Wäre mir immer noch lieber, als dich den anderen Wölfen draußen auszusetzen."
Ich verdrehte die Augen. „Das Thema hatten wir gestern Abend schon."
„Und ich bleibe bei meiner Meinung."
Ein schmunzelndes Seufzen entkam mir. Ich schob seine Hand endgültig weg und setzte mich auf. „Komm schon. Vielleicht kriegen wir heute endlich mal was Sinnvolles zu tun."
Hyunjin folgte mir grummelnd und rieb sich den Nacken. „Solange ich bei dir bleiben kann."
„Gott, du bist schlimmer als eine Klette", zog ich ihn auf und kicherte leise, als er eine Augenbraue hochzog.
_______________
Jisung wartete tatsächlich bereits ungeduldig vor unserem Zelt. Der Beta trug heute eine enge, dunkelbraune Weste und sah aus, als hätte er die Nacht kein Auge zugetan. „Da seid ihr ja endlich! Minho hat gemeint, dass ihr nicht länger faulenzen dürft."
„Faulenzen?", fragte Hyunjin trocken. „Ich würde das eher als Erholung von einem Kampf auf Leben und Tod bezeichnen."
Jisung verdrehte die Augen. „Dramaqueen."
Ich unterdrückte ein Lachen und fragte stattdessen: „Und was sollen wir jetzt machen?"
„Na ja," sagte Jisung gedehnt, „ihr seid beide noch nicht in der Verfassung, um richtig zu jagen oder Wachdienst zu übernehmen. Deswegen dachte Minho, dass ihr bei der Vorratskontrolle helfen könntet."
„Vorratskontrolle?" Hyunjins Stimme klang skeptisch.
„Ja, ihr zählt das Fleisch und die Heilpflanzen durch. Sortiert aus, was schlecht geworden ist, und sorgt dafür, dass alles ordentlich verstaut ist."
Ich sah Hyunjin an, der die Augen zusammenkniff. „Das klingt... wenig aufregend."
„Oh, glaub mir," grinste Jisung, „das ist die langweiligste Aufgabe im ganzen Rudel. Aber hey, ihr wolltet ja unbedingt zusammenarbeiten."
Ich spürte, wie Hyunjin steif wurde. „Dann machen wir das eben", sagte ich schnell, bevor er eine Diskussion anfangen konnte. „Ist doch besser als getrennt zu werden, oder?"
Hyunjin brummte nur zustimmend.
_______________
Die Vorratskammer war eine kleine, überdachte Hütte am Rand des Lagers. Drinnen stapelten sich Körbe mit getrocknetem Fleisch, Fässer mit Beeren und Bündel von Kräutern. Der Geruch von Salz und Kräutern lag schwer in der Luft.
„Na gut," sagte ich und klatschte in die Hände, „fangen wir an."
Hyunjin musterte den chaotischen Raum mit missmutiger Miene. „Das ist ein Alptraum."
„Ach komm, so schlimm ist es nicht."
„Das sagst du jetzt. Warte ab, bis wir uns durch diesen Haufen hier gewühlt haben."
Tatsächlich war es mühsamer, als ich gedacht hatte. Wir sortierten Fleischstücke aus, die bereits ranzig geworden waren, stapelten frische Kräuter ordentlich aufeinander und überprüften die Mengen an Vorräten. Hyunjin blieb dicht bei mir und warf immer wieder einen prüfenden Blick zur Tür, als würde er erwarten, dass jemand hereinkam und mich entführte.
„Du kannst entspannen", sagte ich schließlich und stupste ihn mit der Schulter an. „Hier drinnen gibt es keine bedrohlichen Blicke."
„Man weiß nie", murmelte er, aber ein kleines Schmunzeln huschte über sein Gesicht.
Während wir arbeiteten, kam uns der Alltag des Rudels seltsam friedlich vor. Von draußen hörte man das Lachen von Jungwölfen und das leise Klappern von Werkzeug. Die Spannung der letzten Tage schien sich langsam zu lösen.
Irgendwann ließ ich mich seufzend auf einen Stapel Felle sinken. „Ich bin fertig. Mein Rücken macht nicht mehr mit."
Hyunjin ließ sich direkt neben mich fallen und streckte die Beine aus. „Ich auch. Das war grausamer als jeder Kampf."
Ich lachte. „Du wirst einfach nur alt."
Er drehte den Kopf zu mir und grinste. „Oh Hilfe, bald bekomme ich auch noch Falten!"
Wir verfielen in ein angenehmes Schweigen. Ich spürte die Wärme seines Körpers neben mir und war überrascht, wie natürlich sich das anfühlte.
„Weißt du," begann ich schließlich leise, „so schlimm finde ich es hier gar nicht."
„Hm?"
„Das Rudel. Die Aufgaben. Klar, es ist nicht perfekt, aber... es fühlt sich sicher an."
Hyunjin schwieg einen Moment, dann nickte er. „Ja, ich weiß, was du meinst."
„Ich meine, wenn wir hier wirklich länger bleiben sollten..."
„Warte." Hyunjin drehte sich zu mir. „Willst du das wirklich? Hier quasi leben?"
Ich zögerte. „Vielleicht. Zumindest für die nächste Zeit. Es wäre dumm, das Angebot abzulehnen."
„Hm."
„Was ist mit dir?", fragte ich vorsichtig.
„Solange ich bei dir sein kann, ist mir der Ort egal." Seine Stimme war rau, aber ehrlich.
Mein Herz schlug schneller. Ich konnte nur hoffen, dass er das Knistern in der Luft nicht bemerkte.
„Du bist unmöglich", sagte ich leise, aber ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen.
„Ich weiß."
Bevor ich antworten konnte, schob er sich ein Stück näher. Seine Finger streiften meinen Handrücken, und ein warmer Schauer lief über meinen Körper.
„Felix," murmelte er, „ich werde dich immer beschützen. Egal, wo wir sind."
Ich schluckte hart und nickte. „Ich weiß."
Sein Blick brannte sich in meinen. Die Luft zwischen uns war geladen, und für einen Moment schien die Welt stillzustehen. Doch bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, rief Jisung von draußen: „Hey, seid ihr fertig da drin oder plant ihr gerade eine neue Zeltdeko?"
Hyunjin knurrte leise, und ich brach in Lachen aus.
„Ich glaube, wir sollten besser rausgehen", sagte ich grinsend.
„Nur, wenn du versprichst, dass ich dich später noch mal für mich allein haben kann."
Mein Herz machte einen Sprung. „Deal."
_______________
Hyunjin zog mich ohne Vorwarnung näher zu sich, bis ich mit dem Rücken an seiner Brust lehnte. Ich spürte seinen warmen Atem an meinem Nacken und versuchte, die plötzliche Nähe nicht zu ernst zu nehmen. Aber verdammt, er machte es mir nicht gerade leicht, ruhig zu bleiben.
„Weißt du eigentlich," begann er leise, „dass du immer noch nach Omega riechst?"
Ich runzelte die Stirn. „Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung?"
„Kompliment", brummte er und ließ seine Nase über meinen Hals gleiten. Mein Atem stockte. „Aber... ich fände es besser, wenn du mehr nach mir riechen würdest."
Ich wollte lachen, doch das Kribbeln, das seine Worte hinterließen, machte das schwer. „Was zur Hölle soll das heißen?"
„Genau das, was du denkst."
Seine Zähne streiften sanft meinen Hals, und mein Herz schlug unruhig. „Hyunjin..."
„Ganz ruhig", murmelte er. „Es ist nur fair. Du bist meins, und ich will, dass die anderen das auch kapieren."
„Ich gehöre niemandem", fauchte ich halbherzig, aber die Überzeugung in meiner Stimme war wackelig.
Hyunjin lachte leise. „Ach ja?" Seine Lippen fanden die empfindliche Stelle direkt unter meinem Ohr, und ich zog scharf die Luft ein. „Sag mir das nochmal, wenn du dich nicht so an mich presst."
„Du bist unmöglich", murmelte ich, doch meine Finger verkrallten sich in seinem Hemd.
„Weißt du, wie Duftdrüsen funktionieren?", fragte er mit einem spielerischen Unterton.
„Natürlich. Glaub nicht, dass ich naiv bin."
„Gut." Ohne weitere Vorwarnung ließ er seine Zunge sanft über die Stelle an meinem Hals gleiten, direkt über die Drüse, von der ich wusste, dass sie das Zentrum meines Geruchs war. Ein prickelndes Gefühl breitete sich über meine Haut aus, und ich spürte, wie sich mein ganzer Körper anspannte.
„Hyunjin..."
„Hm?" Er zog sich nicht zurück. Stattdessen hauchte er noch ein paar sanfte Küsse auf die gleiche Stelle, als wollte er sicherstellen, dass kein Zweifel an seinem Anspruch blieb.
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Das ist unfair."
„Nein," sagte er ruhig, „das ist Schutz. Damit diese ganzen jungen Wölfe endlich aufhören, dich anzustarren."
Mein Kopf schwirrte, aber irgendwo tief in mir wusste ich, dass er recht hatte. Wölfe orientierten sich stark an Gerüchen, und wenn ich nach Hyunjin roch, würden das die meisten von mir fern halten.
„Du hast immer eine verdammte Begründung für deinen Unsinn, oder?"
„Klar." Sein Ton war frech, aber auch warm. „Ich bin eben clever."
Ich verdrehte die Augen und knuffte ihn leicht in die Seite. „Wenn das heißt, dass du dich jetzt beruhigst, bitte. Aber keine Knutschflecken."
„Keine Versprechen." Sein Lachen vibrierte gegen meine Haut.
Und obwohl ich es nie zugeben würde, fühlte es sich seltsam beruhigend an, seinen herben Alpha-Duft an mir zu spüren.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro