19. Kapitel
Hyunjin POV:
Die Nacht lag still und kühl über dem Wald. Der Himmel war von dichten Wolken verhangen, sodass kaum ein Lichtstrahl den Boden erreichte. Doch die gelben Augen des Wolfes, der vor ihnen stand, leuchteten wie kleine Flammen. Als Jisung, hatte er sich vorgestellt. Der Auskundschafter des Lee-Rudels.
Meine Muskeln waren gespannt, meine Instinkte auf Alarmbereitschaft geschaltet. Neben mir hörte ich Felix' Atem, der viel zu flach ging. Der Kampf hatte ihm mehr abverlangt, als er sich eingestehen wollte. Ich schob mich unauffällig ein Stück näher an ihn heran, als wolle ich mit meiner bloßen Anwesenheit jede weitere Gefahr abwehren.
„Also?" Jisung's Stimme durchschnitt die Stille. „Kommt ihr freiwillig mit, oder muss ich meinem Alpha melden, dass wir zwei störrische Fremde im Gebiet haben?"
Ich kniff die Augen zusammen. Jisung's Tonfall war weder aggressiv noch bedrohlich, doch es klang eindeutig mit, dass das Rudel nicht zögerte, unwillkommene Gäste aus seinem Territorium zu vertreiben.
„Wir haben keine feindlichen Absichten", sprach ich ruhig. „Aber wir haben einen langen Weg hinter uns."
Felix zog hörbar Luft ein und machte einen Schritt nach vorn. „Wir brauchen nur eine sichere Nacht. Wir ziehen weiter, sobald der Morgen anbricht."
Ich warf ihm einen warnenden Blick zu. Weiter reisen? Nach dem Zustand, in dem wir beide waren, war das keine Option. Doch ich verstand Felix' Stolz und den Drang, unabhängig zu bleiben.
Jisung betrachtete uns beide mit schiefgelegtem Kopf. „Das ist nicht meine Entscheidung. Kommt mit zum Rudelsitz. Dort wird der Alpha entscheiden, was mit euch geschieht."
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Was, wenn wir ablehnen?"
Jisung blinzelte langsam, als überlegte er, ob das eine ernstgemeinte Frage war. „Dann jagen wir euch zurück über die Grenze."
Ein Zucken durchfuhr meinen Nacken. Meine Wolfsgestalt wollte sich aufbäumen, die Androhung einer Verdrängung nicht hinnehmen. Doch ich hielt mich zurück. Es war unklug, jetzt unnötig einen Kampf zu riskieren.
Felix legte eine Hand an meinen Arm. Es war nur eine flüchtige Berührung, aber genug, um ihn zu beruhigen.
„Wir kommen mit", entschied ich schließlich.
Jisung nickte. „Gut."
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Der Weg zum Rudel war länger, als ich erwartet hatte. Der Wald lichtete sich erst, als sie einen weiten, geschätzten Talgrund erreichten. Zwischen dichten Bäumen erhoben sich Holzhütten und eine breite Lichtung, auf der mehrere Wölfe in menschlicher Gestalt versammelt waren.
Die Gespräche verstummten sofort, als sie Jisung und uns beiden Fremden entdeckten. Ich konnte die wachsenden Spannungen in der Luft fast schmecken. Blicke voller Neugier, Skepsis und unterschwelliger Aggression richteten sich auf Felix und mich.
Erstgenannter wich nie mehr als einen halben Meter von meiner Seite, seine Schultern angespannt. Die ungewohnte Aufmerksamkeit schien ihm sichtlich Unbehagen zu bereiten.
„Bleib bei mir", murmelte ich leise.
Felix' Kiefer spannte sich, aber er nickte kaum merklich.
Jisung führte uns zu einem Kreis aus flachen Steinen. Dort wartete ein Mann, dessen Präsenz selbst mich für einen Moment aus dem Konzept brachte. Ihr Alpha. Er war schlank, aber seine Haltung strahlte unerschütterliche Stärke aus. Seine Augen funkelten neugierig und wachsam zugleich.
„Jisung", begrüßte er den Auskundschafter mit einem kurzen Nicken. „Und wer sind unsere Gäste?"
Jisung trat einen Schritt vor. „Ich habe sie an der Grenze gefunden, Alpha. Sie wurden von den Stadtwachen verfolgt."
Ein murmelndes Raunen ging durch die Wölfe ringsum. Die Erwähnung der Stadtwachen genügte, um die Atmosphäre noch angespannter zu machen.
„Name und Rang?" Minhos Blick lag prüfend auf mir.
Ich spürte, wie mein Wolf in mir knurrte. Rang? Ich hatte diesen Teil seines Lebens hinter mir gelassen. Felix war mir gleichgestellt und nicht aufgrund eines dämlichen Titels weniger wert.
„ Hwang Hyunjin", antwortete ich kühl. „Alpha. Aber ich bin nicht mehr Teil der Stadt."
Die Augen des Alphas verengten sich. „Und du?" Er wandte sich an Felix.
Felix hob das Kinn, seine Stimme fest. „Felix. Freier Omega." Es war so unfair, dass mein Reisepartner noch nicht mal einen Nachnamen aufgrund seines Ranges haben durfte.
Für einen Moment herrschte Schweigen. Dann lächelte der Braunhaarige überraschender Weise. „Ihr habt also eure Ketten abgeworfen. Interessant."
Ich verspürte einen Stich des Unbehagens. Die Worte klangen wohlwollend, doch ich wusste nicht, ob der Rudelführer das wirklich ernst meinte.
„Warum seid ihr hier?" Der Tonfall des Alphas wurde schärfer.
Ich setzte zu einer Antwort an, doch Felix war schneller. „Wir fliehen", sagte er knapp. „Vor dem Rat und vor allem, was sie uns aufzwingen wollen."
Der Alpha nickte langsam, als habe er diese Antwort erwartet. „Das ist ein Anfang."
Ich blieb wachsam, als Minho mit einer knappen Geste einige Wölfe zu sich winkte.
„Bringt sie zu einer Hütte und lasst sie sich ausruhen", befahl er. „Morgen sprechen wir weiter."
Jisung trat vor und bedeutete uns beiden, ihm zu folgen. Ich blieb dicht hinter Felix, dessen Schultern nun etwas entspannter wirkten.
Doch bevor wir die Lichtung verließen, spürte ich, wie der Blick des Anführers schwer auf meinem Rücken lastete. Ich wusste, dass dies hier nur der Anfang war.
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Das Zelt war überraschend warm und gemütlich. Der Geruch von frischem Holz und getrocknetem Moos hing in der Luft. Weiche Felle bedeckten den Boden, und das Licht eines kleinen Feuers flackerte durch die Stoffwände.
Ich lag auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Neben mir hatte es sich Felix breitgemacht, und brauchte so viel Platz, dass sich ihre Schultern gelegentlich berührten. Das war notwendig - redete ich mir zumindest selbst ein - um uns warm zu halten. Die Kälte der Nacht kroch trotz des Feuers immer noch durch die Ritzen des Zelts.
„Sie sind nett, oder?" Felix' Stimme durchbrach das Schweigen, leise und unsicher.
Ich brummte. „Vielleicht. Aber nett reicht nicht."
Felix drehte den Kopf zu mir. Sein Atem streifte zart meine Wange. „Du meinst, du traust ihnen nicht?"
„Ich traue keinem Alpha."
Felix seufzte leise. „Ich wusste, dass du das sagen würdest."
Ich zog eine Augenbraue hoch. „Oh, hast du Hellseherkräfte entwickelt?"
„Nein, ich kenne dich einfach inzwischen ganz gut." Felix grinste leicht, auch wenn es in der Dunkelheit kaum zu sehen war.
Ich schwieg stattdessen einen Moment und starrte zur Zeltdecke. Mein Wolf war immer noch unruhig. Der Gedanke, einem fremden Alpha zu folgen, widersprach allem, was in mir brannte. „Ich habe mich nicht aus der Stadt und dem Einfluss des Rates befreit, um mich jetzt dem nächstbestem, anderem Alpha zu unterwerfen."
„Vielleicht will dieser Führer das gar nicht", erwiderte Felix ruhig. „Er hat uns bisher weder bedroht noch herumkommandiert. Er könnte uns auch einfach rausgeworfen haben, weißt du?"
„Noch nicht." Ich verzog den Mund. „Ich wette, das kommt noch. Sie werden Regeln haben, Hierarchien. Und ich habe keine Lust, mich da reinzuzwängen."
Felix drehte sich nun vollständig zu mir um, stützte sich auf einen Ellbogen. „Vielleicht sollten wir das nicht direkt negativ sehen. Du weißt selbst, dass wir gerade in keinem Zustand sind, um weiterzuziehen. Wenn sie uns ein paar Tage bleiben lassen, könnten wir unsere Wunden lecken und endlich mal in Ruhe schlafen."
Ich öffnete den Mund, doch Felix hob eine Hand. „Bevor du was sagst: Nein, das bedeutet nicht, dass wir uns dauerhaft hier einnisten. Aber wir müssen schlau sein, Hyunjin. Die Stadtwachen werden uns weiterhin jagen. Wenn wir hier für ein paar Tage verschwinden können, ohne sofort wieder kämpfen zu müssen - warum nicht?"
Ich sah ihn schweigend an. Felix hatte recht, und das ärgerte mich. Es machte mich wütend, dass wir überhaupt in dieser Lage waren. Wütend, dass wir überhaupt Zuflucht brauchten.
„Ich mag es einfach nicht, abhängig zu sein." Meine Stimme war rau.
Felix' Blick wurde weicher und er kuschelte sich etwas an meine Seite. Vorsichtig, als ob er darauf warten würde, dass ich ihn wieder weg schob. Doch dies würde nicht passieren.
„Das ist mir Bewusst. Aber weißt du, was ich gelernt habe?"
Ich hob fragend eine Augenbraue.
„Manchmal ist Stärke nicht, alles allein zu schaffen. Sondern zu wissen, wann man Hilfe annehmen sollte." Felix ließ sich zurück auf das Fell sinken. „Das heißt nicht, dass du schwach bist. Es heißt, dass du schlau bist."
Hyunjin atmete tief durch. „Das klingt wie so eine Lebensweisheit aus einem billigen Buch."
Felix lachte leise. „Vielleicht. Aber das macht sie nicht weniger wahr."
Einen Moment herrschte Stille. Das Prasseln des Feuers füllte den Raum. Schließlich drehte ich mich ebenfalls auf die Seite, sodass unsere Gesichter sich fast berührten.
„Okay", meinte ich widerwillig. „Ich werde versuchen, das hier positiv zu sehen."
Felix lächelte zufrieden. „Das ist alles, was ich will."
Schnaubend antwortete ich: „Du bist wirklich ein kleines Miststück, weißt du das?"
Felix grinste frech. „Und trotzdem liegst du hier neben mir."
Ich verdrehte die Augen, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. Felix hatte gewonnen - mal wieder. Aber diesmal war das vielleicht gar nicht so schlimm.
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