15. Kapitel
Felix POV:
Die Nachmittagssonne kämpfte sich durch das dichte Blätterdach und tauchte den Wald in ein sanftes, goldgrünes Licht. Vögel zwitscherten irgendwo in den Zweigen, und der Duft nach frischem Moos lag in der Luft. Es war friedlich - zumindest, bis Hyunjin wieder anfing, sich zu beschweren.
„Du hast wirklich ein Händchen dafür, die schlimmsten Routen auszuwählen", grummelte er hinter mir.
„Komm schon, Alpha", erwiderte ich spöttisch. „Ein bisschen Klettern wird dich nicht umbringen. Oder sind Jäger nur auf gepflasterten Straßen unterwegs?"
„Sehr witzig", schnaufte er und sprang über eine moosbedeckte Wurzel. „Ich würde dir ja helfen, aber du würdest wahrscheinlich nur rumschreien, dass ich dich anfasse."
Ich drehte mich halb zu ihm um und grinste. Er schnitt eine genervte Grimasse. "Ja, weil ich die aufdringlichen Griffel von einem Omega nicht auf meinem Körper brauche."
Trotz unserer ständigen Sticheleien hatte sich etwas zwischen uns verändert. Die Spannung war immer noch da, aber es war nicht mehr nur Rivalität. Irgendetwas tieferes hatte sich eingeschlichen - etwas, das ich nicht benennen wollte, weil es zu kompliziert war.
Nach einem weiteren Marsch durch den Wald erreichten wir eine kleine Lichtung mit einem Bach, dessen Wasser glitzernd über glatte Steine floss. Ich ließ mich seufzend ins Gras fallen und streckte die Beine aus.
„Endlich mal ein guter Ort für eine Pause", sagte ich und zog meine Stiefel aus.
Hyunjin stand über mir und zog eine Augenbraue hoch. „Ich hoffe, du erwartest nicht, dass ich dir die Füße massiere."
„Wenn du es schon so freundlich anbietest..."
Er verdrehte die Augen und setzte sich neben mich.
Für eine Weile herrschte angenehmes Schweigen. Das Plätschern des Wassers und das Summen der Insekten waren die einzigen Geräusche. Ich bemerkte, dass Hyunjin immer wieder nervös in den Wald starrte, als würde er jeden Moment einen Angriff erwarten.
„Du kannst echt nicht abschalten, oder?", fragte ich schließlich.
„Gewohnheit", antwortete er knapp.
„Du bist hier im Wald. Kein Beton, keine Stadtmauern, keine Wachen, die dich beobachten. Vielleicht solltest du das genießen."
Er sah mich an, als hätte ich ihm gerade vorgeschlagen, nackt durch den Wald zu rennen.
„Genießen?", fragte er skeptisch. „Ich bin auf der Flucht, falls du das vergessen hast."
„Und genau deshalb solltest du dir solche Momente nehmen", erwiderte ich. „Wer weiß, wie lange wir das hier noch haben."
Sein Blick wurde weicher, aber er sagte nichts. Stattdessen griff er nach einem flachen Stein und schleuderte ihn über das Wasser. Der Stein sprang mehrmals über die Oberfläche, bevor er versank.
„Nicht schlecht", bemerkte ich.
„Natürlich nicht", sagte er mit einem selbstgefälligen Grinsen.
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Nach der Pause setzten wir unseren Weg fort. Hyunjin übernahm diesmal die Führung, seine Schritte sicher und zielgerichtet.
„Wohin genau gehst du eigentlich?", fragte ich, während ich ihm folgte.
„Weit weg von der Stadt und dem Alpha-Rat", antwortete er mir ohne sich umzudrehen.
„Tolle Strategie. Sehr präzise."
„Willst du etwa die Karte ausbreiten und einen Campingplatz markieren?"
„Hey, ich bin nur neugierig."
„Na ja," fügte er hinzu, „vielleicht gibt es tief im Wald einen Ort, den sie nicht so leicht durchsuchen können. Ein Versteck."
Sein Ton war düster, als würde er selbst nicht daran glauben.
„Klingt fast, als hättest du in deinem Alten Leben schon mal darüber nachgedacht", bemerkte ich.
Er schwieg, und ich beschloss, nicht weiter nachzubohren.
Der Nachmittag verstrich, und die Sonne senkte sich langsam dem Horizont entgegen. Der Wald wurde stiller, und ich konnte spüren, wie die Anspannung in Hyunjin wieder wuchs.
„Was ist los?", erkundigte ich mich.
„Wir sind zu lange an einem Ort geblieben", erklärte er. „Die Stadtwache ist nicht dumm. Sie werden uns irgendwann einholen."
Ich spürte, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildete. „Und was machen wir dann?"
Hyunjin sah mich mit einem harten Blick an. „Kämpfen. Oder rennen. Aber ich werde nicht einfach aufgeben."
Seine Entschlossenheit war beeindruckend, aber auch beängstigend.
„Okay", sagte ich schließlich. „Dann rennen wir. Aber lass uns heute Nacht noch eine Pause machen. Wir brauchen Energie."
Er zögerte, dann nickte er widerwillig.
Wir fanden einen geschützten Platz zwischen dichten Büschen und einem umgestürzten Baum. Hyunjin baute ein kleines Feuer, während ich nach essbaren Pflanzen suchte.
„Hier", holte ich mir seine Aufmerksamkeit und warf ihm ein paar Wurzeln und Beeren zu.
„Großartig. Waldsalat."
„Besser als nichts."
Er murrte, aber begann trotzdem zu essen.
„Weißt du," begann ich schließlich, „du bist nicht der schlimmste Alpha, den ich je getroffen habe."
Er sah überrascht auf. „Ist das ein Kompliment?"
„Möglicherweise."
„Na dann, danke, denke ich?"
Ich lachte leise. „Mach dir nichts draus. Morgen könnte ich wieder eine andere Meinung haben."
„Das überrascht mich nicht."
Trotz seiner Worte schien er zufrieden zu sein.
Nachdem wir gegessen hatten, legten wir uns nahe ans Feuer. Die Wärme war angenehm, und ich spürte, wie meine Augenlider schwer wurden.
„Felix?", fragte Hyunjin leise.
„Hm?"
„Danke."
Ich drehte den Kopf zu ihm. „Wofür?"
„Dafür, dass du... keine Ahnung, einfach da bist."
Seine Worte überraschten mich, und für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte.
„Na ja", räusperte ich mich schließlich, „Irgendjemand muss ja auf dich aufpassen."
Er lachte leise. „Wenn du das sagst."
Wir lagen still nebeneinander, und zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich sicher. Vielleicht war das hier gar nicht so schlimm. Vielleicht konnten wir es tatsächlich schaffen.
_______________
Der Wald lag still und dunkel um uns herum. Nur das Knistern des Feuers und das gelegentliche Zirpen eines einsamen Insekts durchbrachen die Stille. Obwohl ich müde war und mein Körper dringend Ruhe brauchte, konnte ich nicht einschlafen. Gedanken rasten durch meinen Kopf, wild und ungeordnet.
Hyunjin lag neben mir, die rechte Hand über die Stirn gelegt, die Augen geschlossen - oder zumindest tat er so. Sein Atem war nicht gleichmäßig genug für jemanden, der wirklich schlief.
„Du kannst auch nicht schlafen, oder?" fragte ich leise und wandte den Kopf zu ihm.
Er grummelte etwas Unverständliches.
„Das nehme ich mal als ein Nein."
„Wie soll ich auch?" fragte er schließlich genervt, ohne die Augen zu öffnen. „Der Boden ist hart, und ich hab das Gefühl, dass du mich die ganze Zeit anstarrst."
„Vielleicht, weil du schnarchst wie ein verärgerter Bär?"
Er öffnete ein Auge und sah mich scharf an. „Ich schnarche nicht."
„Oh, glaub mir, das tust du."
Wir schwiegen eine Weile, und ich dachte schon, das Gespräch sei zu Ende, bis er plötzlich meinen Namen aussprach. „Felix?"
„Hm?"
„Warum bist du eigentlich hier draußen im Wald?"
Seine Stimme klang weder herausfordernd noch überheblich, sondern einfach nur neugierig.
Ich überlegte kurz. „Weil ich es dort nicht mehr ausgehalten habe."
„In der Stadt?"
„Ja." Ich zog die Hinterbeine näher an meinen Bauch und starrte ins Feuer. „Die Erwartungen, die Regeln... alles war zu viel. Jeder wollte mir vorschreiben, wie ich zu leben habe. Und als Omega hatte ich sowieso nie wirklich eine Wahl. Entweder gehorchst du oder du wirst zerbrochen."
Er war still, aber ich spürte seinen Blick auf mir.
„Also bist du einfach weggelaufen?", hakte er nach er leise.
„Nicht einfach. Es war schwer. Ich habe alles zurückgelassen." Meine Stimme brach fast, aber ich fing mich schnell wieder. „Aber ich musste es tun. Sonst hätte ich mich selbst verloren."
Hyunjin nickte langsam. „Ich verstehe das."
Ich war überrascht. „Ehrlich?"
Er zögerte, bevor er sprach. „Ich bin auch weggelaufen. Nicht direkt, aber ich hab meine Verantwortung beim Alpharat hinter mir gelassen. Ich sollte die Stadt beschützen, die Gesetze durchsetzen - aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich nur eine Marionette war. Deswegen hab ich dir auch diesen Frieden zwischen uns angeboten. Ich hatte die Macht, aber keinen eigenen Willen mehr."
„Und das hat dir nicht gefallen?"
Er schnaubte. „Ich bin ein Alpha. Glaubst du, ich lasse mir gerne vorschreiben, was ich zu tun habe?"
Ich grinste schwach. „Nein, das passt wirklich nicht zu dir."
Er lachte leise, dann wurde er wieder ernst. „Weißt du, Felix ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit einem Omega im Wald sitze und über mein Leben philosophiere."
„Und ich hätte nie gedacht, dass ein Alpha jemals ehrlich mit mir sprechen würde, ohne mich als minderwertig zu behandeln."
Seine Augen glitzerten im Schein des Feuers. „Na ja, du bist auch ziemlich stur. Vielleicht mag ich das an dir."
Mein Herz setzte einen Moment aus, und ich wusste nicht, ob es am Schlafmangel lag oder an seinen Worten. „Das war fast ein Kompliment."
„Genieß es, ich mache das nicht oft."
Ich lächelte. „Werde ich."
Wir verfielen in ein angenehmes Schweigen. Die Luft zwischen uns fühlte sich irgendwie leichter an, vertrauter.
„Hyunjin?" fragte ich nach einer Weile leise.
„Was ist, Kleiner?"
„Glaubst du, wir schaffen das?"
Er sah mich lange an, bevor er antwortete. „Ja. Aber nur, wenn wir zusammenhalten."
Seine Worte klangen ehrlich, und das war alles, was ich in diesem Moment hören musste.
„Okay", flüsterte ich.
Und zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich wirklich bereit, die Augen zu schließen und zu schlafen.
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