10. Kapitel
Hyunjin POV:
Ich saß noch immer unter dem Felsvorsprung, das Fell meiner Wolfsgestalt feucht von der kühlen Nachtluft. Die Stille des Waldes war nahezu vollkommen, nur das leise Rascheln der Blätter und das entfernte Zirpen von Insekten durchbrachen sie. Mein Körper pochte dumpf vor Schmerzen, besonders an der Flanke, wo die Krallen des fremden Alphas mich erwischt hatten. Doch das war nicht der Grund, warum ich innerlich aus dem Gleichgewicht geraten war.
Es war Felix.
Ein Omega, der mir Essen brachte. Mir, seinem vermeintlichen Henker.
Noch immer lag das improvisierte Blattkörbchen vor meinen Pfoten, gefüllt mit Beeren und Rinde. Felix hatte es mir mit einem Schwall von Beleidigungen vor die Füße geworfen, als würde er dabei selbst Gift schlucken. Und dann hatte er sich tatsächlich umgedreht, als wollte er verschwinden, bis ich dieses eine Wort ausgesprochen hatte.
„Bleib."
Ich wusste selbst nicht, warum ich es gesagt hatte. Vielleicht aus Trotz. Vielleicht aus dem schlichten Wunsch, diese absurde Situation noch weiter auszukosten. Aber was mich am meisten überraschte, war, dass er tatsächlich stehen geblieben war.
Doch dies nur um mir zu sagen, ich könnte ihn mal kreuzweise.
Jetzt war ich allein und starrte auf das verdammte Essen. Ich sollte es wegstoßen, es in den Bach werfen und mir selbst Beute reißen. Das hier war schließlich lächerlich. Ein Omega hatte mir nichts anzubieten, außer Furcht und Unterwerfung. Und doch...
Mein Instinkt widersprach mir.
Etwas in mir war fasziniert von diesem widerspenstigen, silbernen Wolf, der trotz seiner Verletzungen noch genug Kampfgeist besaß, um mich einen arroganten Bastard zu nennen. Und dann auch noch genug Mitgefühl hatte, mir Nahrung zu bringen, obwohl ich ihn eigentlich jagen sollte.
Ich verwandelte mich zurück in meine menschliche Form. Die kühle Luft prickelte auf meiner Haut, und ich fuhr mir mit einer Hand durch das zerzauste schwarze Haar. Meine Flanke brannte, das Blut hatte zwar aufgehört zu fließen, aber ich konnte die Wunde nicht ignorieren.
Mit einem leisen Fluch griff ich nach den Beeren und stopfte mir eine Handvoll in den Mund. Der süße Geschmack explodierte auf meiner Zunge, und für einen Moment konnte ich die absurde Ironie dieser Situation vergessen. Essen, das mir von einem Omega angeboten worden war. Ich hätte lachen können.
Stattdessen starrte ich in die Dunkelheit des Waldes. Meine Gedanken drifteten ab.
Wann war das letzte Mal gewesen, dass jemand sich um mich gekümmert hatte? Richtig gekümmert, ohne dass es um Macht oder Pflicht ging? Nicht mal mein eigenes Rudel hatte das jemals so gezeigt. Meine Erinnerungen an damals waren verschwommen, doch ich wusste noch genau, wie kalt die Hierarchie des Rudels gewesen war. Stärke bedeutete alles, und Schwäche war unverzeihlich.
Vielleicht hatte ich deshalb immer wieder in die Stadt zurückgefunden, mich dem Alpha-Rat angeschlossen und meine Rolle als Jäger akzeptiert. Dort gab es klare Regeln, keine emotionalen Verstrickungen, keine Enttäuschungen. Und jetzt war dieser Omega dabei, all das infrage zu stellen.
Ein Knurren drang aus meiner Kehle, als ich versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Ich sollte nicht hier sitzen und über Gefühle nachdenken. Ich sollte ihn jagen, ihn stellen und zum Rat bringen. Und trotzdem...
„Verdammt", murmelte ich und legte den Kopf gegen den Fels. Mein Blick wanderte zu den Sternen über mir, die durch das Blätterdach funkelten. Das hier war mein natürlicher Lebensraum, mein eigentliches Zuhause. Und doch fühlte ich mich wie ein Fremder in meiner eigenen Haut.
Ich schloss kurz die Augen und konzentrierte mich auf meinen Atem. Die Schmerzen an meiner Seite drängten sich wieder in den Vordergrund. Wenn ich mich nicht bald um die Wunde kümmerte, würde sie sich entzünden.
Ein leises Rascheln ließ mich aufhorchen. Meine Ohren zuckten, und ich verwandelte mich instinktiv zurück in meine Wolfsform. Der Schmerz durchzuckte meinen Körper, aber ich ignorierte ihn. Meine Sinne waren geschärft, und ich erkannte Felix' Geruch sofort. Er war nicht weit weg. Vermutlich hatte er sich irgendwo in der Nähe ein Lager gesucht.
Mein innerer Wolf verlangte danach, ihn erneut zu konfrontieren. Nicht um ihn zu töten zumindest nicht jetzt - sondern um herauszufinden, warum er mir nicht aus dem Kopf ging. Es war, als hätte er einen Teil von mir berührt, den ich längst begraben hatte.
Ich schnappte nach Luft und zwang mich, zur Ruhe zu kommen. Nein. Ich durfte mich nicht ablenken lassen. Die Wunde musste versorgt werden, und danach würde ich einen klaren Kopf haben.
Mit einem letzten Blick auf die Sterne wandte ich mich ab und lief tiefer in den Wald hinein. Doch ein Gedanke ließ mich nicht los.
Vielleicht war Felix nicht nur meine Beute. Vielleicht war er die Herausforderung, die ich all die Jahre vermisst hatte.
Und das machte ihn gefährlicher, als ich mir eingestehen wollte.
_______________
Mein Atem ging flach, als ich durch das Unterholz lief. Jede Bewegung schickte einen scharfen Schmerz durch meine verletzte Seite, aber ich kämpfte mich weiter. Wunden heilten, Stolz jedoch nicht.
Die Stille des Waldes war trügerisch, als würde die Natur selbst den Atem anhalten. Ich wusste, dass ich nicht weit von Felix entfernt war. Sein Geruch hing noch immer in der Luft, dieser eigenartige Mix aus frischer Erde und etwas Metallischem, das mich auf eine Weise reizte, die ich mir nicht erklären konnte.
„Verflucht noch mal", knurrte ich leise und blieb stehen.
Ich hätte ihn einfach in Ruhe lassen können. Er hatte mir Essen gebracht - aus welchen verdrehten Gründen auch immer. Aber ein Teil von mir konnte das nicht unkommentiert lassen. Dieses Gefühl nagte an mir wie ein hungriger Welpe.
Vielleicht war es der Schmerz. Vielleicht die Absurdität, dass ich, ein Alpha-Jäger, gerade von einem Omega bemuttert worden war.
Doch egal, was es war, ich fand mich wenig später an einem kleinen Lagerplatz wieder. Felix hatte sich unter einem ausladenden Baum niedergelassen. Moos und Blätter bildeten eine einfache Schlafstätte. In der Dunkelheit schien sein silbernes Fell fast zu leuchten.
Ich fragte mich, wieso er in meiner Nähe geblieben war, obwohl er genauso gut auch in sein sicheres und warmes Nest hätte zurückkehren können.
Er war ein leichter Schläfer - das sah ich sofort. Seine Ohren zuckten, als ich näher trat, und sein Atem wurde für einen Moment unregelmäßig. Ich hielt inne, die Spannung in meinem Körper ließ mich Zittern.
Warum war ich hier?
Das war die Frage, die ich mir immer wieder stellte. Ich hätte zurück zu meinem eigenen Lager gehen und die Wunde selbst versorgen können. Stattdessen stand ich hier und beobachtete einen Omega, der mich genauso verwirrte, wie er mich reizte.
Ich verwandelte mich zurück in meine menschliche Gestalt und trat näher. Meine Schritte waren leise, dennoch öffnete Felix abrupt die Augen. Sein Blick war scharf und misstrauisch.
„Was zum Teufel?" Er setzte sich ruckartig auf und blinzelte. „Hyunjin? Was machst du hier?"
„Gute Frage." Meine Stimme war rau, und ich spürte, wie meine Lippen sich zu einem schiefen Grinsen verzogen. „Vielleicht bin ich neugierig, ob du dein nächstes Essen genauso beleidigend servierst."
Felix verdrehte die Augen. „Wenn du nochmal was willst, bring dir gefälligst selbst was. Ich bin nicht dein verdammter Diener."
Ich lachte leise, aber der Schmerz in meiner Flanke erstickte das Geräusch. Ich griff instinktiv an die Wunde, und Felix' Blick fiel sofort darauf.
„Du blutest noch", stellte er fest, seine Stimme jetzt ernster.
„Ach was." Ich zuckte mit den Schultern, tat, als sei es nicht der Rede wert, auch wenn ich fühlte, wie das warme Blut wieder sickerte.
Felix musterte mich mit zusammengekniffenen Augen. „Setz dich hin."
„Machst du jetzt auf Heiler?" Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Wenn du stirbst, hab ich die Last, deine Leiche irgendwo zu vergraben. Also halt die Klappe und setz dich."
Noch während ich über seine bissigen Worte schmunzeln musste, nahm er ebenfalls seine menschliche Gestallt an. Und ich musste ehrlich sagen, ich hatte selten einen so flüssigen Übergang gesehen. Selbst die meisten Alphas brauchten mindestens zwei oder drei Schübe.
Ich wollte ihm widersprechen, doch mein Körper entschied sich anders. Widerwillig ließ ich mich auf den Boden sinken. Der Schmerz war mittlerweile wie ein brennendes Messer, das bei jeder Bewegung tiefer schnitt. Felix zögerte nicht lange und kniete sich neben mich.
„Zieh das weg", befahl er und deutete auf meine Hand, die noch immer die Wunde abdeckte.
Ich hätte ihn wegstoßen sollen. Aber irgendetwas in seiner Entschlossenheit hielt mich davon ab. Vielleicht war es auch der pochende Schmerz, der meine üblichen Reaktionen überlagerte.
Er zog vorsichtig das getrocknete Blut auseinander und begutachtete die Wunde. Seine Berührung war unerwartet sanft.
„Scheiße", murmelte er. „Das hat dich ordentlich erwischt. Hättest du das mal früher gesagt."
Ich zog die Mundwinkel zu einem ironischen Grinsen hoch. „Wollte dich nicht beunruhigen, Prinzessin."
Er verdrehte nur die Augen, schnappte sich dann ein sauberes Stück Moos und begann, die Wunde vorsichtig zu reinigen. Ich biss die Zähne zusammen und zwang mich, stillzuhalten.
„Weißt du," meinte Felix schließlich, während er arbeitete, „ich hätte echt nie gedacht, dass ich mal einem Alpha das Leben rette, der mich eigentlich umbringen will."
„Und ich hätte nie gedacht, dass ich mir das gefallen lasse."
Unsere Blicke trafen sich. Für einen Moment war alles ruhig. Keine Beleidigungen, keine Rivalität. Nur das sanfte Flackern des Mondlichts und die merkwürdige Erkenntnis, dass wir beide hier etwas erlebten, das nicht in unser Weltbild passte.
Felix brach schließlich das Schweigen. „Das ist das letzte Mal, dass ich dir helfe. Klar?"
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Klar. Bis zum nächsten Mal."
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