
Sag einfach Ja
40.
Am nächsten Morgen wurde Scout davon geweckt, dass ein unglaublich hämmernder Schmerz in ihrem Kopf sich bemerkbar machte. Stöhnend verzog sie das Gesicht und öffnete langsam die Augen.
Das Sonnenlicht schien durch die die Vorhänge zu ihr ins Schlafzimmer. Es musste bereits neun oder zehn Uhr sein. Dann realisierte sie, plötzliche sehr starke Wärme um sie herum. Wärme auf ihrer nackten Haut, als würde sie...Moment, nackte Haut?! Tatsächlich war ihr Oberkörper nur noch von ihrem BH bedeckt und sie trug noch die Jeans von gestern. Außerdem war da ein fremdes Paar Arme, dass sich um ihren Körper geschlungen hatte. Ein Blick nach hinten, ließ sie fast entsetzt auf keuchen. Valentin. Und auch er trug kein Hemd mehr. Scout wagte einen kurzen Blick unter die Bettdecke. Er trug allerdings ebenfalls noch seine Jeans.
Scheiße, wie zur Hölle, war sie dorthin gekommen? Vor allem noch mit Valentin?
Gestern. Was war gestern gewesen? Scout versuchte sich daran zu erinnern. Nur langsam kamen die Erinnerungen in ihr restalkoholisiertes Gehirn. Radtour, Strandspaziergang, Bier und tanzen, Taxifahrt nach Hause, Kuss mit Valentin, Bett, wildes Herummachen und...Fuck...hatten sie etwa, Scout wagte es nicht diesen Gedanken zu Ende zu bringen. Doch an mehr konnte sie sich momentan nicht erinnern. Dann besann sie sich auf ihre restlichen Klamotten, die sie noch trug. Wenn sie wirklich Sex gehabt hatten, hätte sie sich danach vermutlich nicht mehr die Mühe gemacht, sich wieder anzuziehen und Valentin vermutlich auch nicht. Und dann kam es wieder. Sie und Valentin hatten miteinander rumgemacht und er hatte sie dann schließlich abgewiesen, weil er in diesem Zustand nicht mit ihr schlafen wollte, aus Angst, sie könnte denken, er würde sie nur ausnutzen.
Sie erinnerte sie auch daran, dass sie geschmollt hatte und ihn dann aber gebeten hatte, über Nacht zu bei ihr zu bleiben.
Behutsam löste sie nun seine Arme von ihr und setzte sich an die Bettkante.
Sie rechnete es ihm hoch an, dass er ihren Zustand nicht ausgenutzt hatte und sogar noch als Stimme der Vernunft agiert hatte, während ihr restlos alles egal war. Sie hätte in diesem Zustand ganz sicher mit ihm geschlafen. Ob sie es heute bereut hätte, vielleicht, aber er hatte sie abgehalten, was gut war. Vermutlich hätte es die ganze Sache zwischen ihnen verkompliziert, wenn sie jetzt Sex gehabt hätten. Aber eigentlich zeigte Valentins Handeln ihr, dass sie ihm tatsächlich vertrauen konnte. Vielleicht sollte sie nun wirklich Ja zu ihm sagen. Aber erstmal brauchte sie eine Kopfschmerztablette und eine Dusche. Wacklig stemmte sie sich auf die Beine und warf einen Blick zu Valentin, der noch immer friedlich schlief. Sie lächelte. Er sah so unschuldig aus, wenn er schlief. Leise schlich sie sich zur Tür und schloss sie hinter sich, um ihn weiter schlafen zu lassen, während sie ins Bad ging, sich auszog und dann eine Tablette aus dem Schränkchen fischte, ehe sie in die Dusche stieg.
Scout frühstückte alleine und dachte nach. Sie hatte noch länger warten wollen, hatte Valentin noch länger zappeln lassen wollen, aber sie konnte nun auch nicht leugnen, was letzte Nacht passiert war. Zwar war es teilweise dem Alkohol zu verschulden, dass sie so auf ihn reagiert hatte, aber sie war sich auch bewusst, dass auch ein wenig unterdrücktes Verlangen aus ihr gesprochen hatte. Eigentlich wollte sie ihn ja schon die ganze Zeit. Alle um sie herum schrien ihr zu, doch einfach Ja zu sagen und inklusive ihr eigenes Unterbewusstsein. Der Schmerz war noch da, fühlte sich aber plötzlich nicht mehr so präsent an. Vorher fühlte er sich an, wie eine klaffende, brennende Wunde an. Doch nun war es, als hätte man auch diese Wunde eine kühlende Salbe gestrichen und es hatten sich erste Krusten um die Wunde gebildet. Als würde sie nun beginnen zu verheilen. Und das Brennen war zu einem stumpfen Pochen geworden.
„Zeit heilt alle Wunden". Früher hatte Scout gedacht, was für ein Schwachsinn, dieser Spruch war. Denn jede Wunde hinterließ trotzdem Narben und ließ so nicht zu, dass es ein Vergessen gab. Aber vielleicht war es auch gar nicht das Vergessen, sondern das Verhalten nach der Wunde. Wie man damit umging, dass man verletzt wurde. Ob man auf Rache sann und niemanden mehr an sich heranließ. Oder ob man vergab.
‚Man vergisst die Wunde nicht, aber man vergibt sie trotzdem und macht weiter und damit nimmt auch der Schmerz ab' , dachte Scout.
Jetzt wusste sie plötzlich, was sie tun musste. Sie stand auf und räumte ihr Frühstücksgeschirr weg, ehe sie aufbrach.
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Stöhnend, frisch geduscht und angezogen, tappte Valentin die Treppe hinunter. Gott, sein Kopf brachte ihn um. Zu denken tat weh, an gestern zu denken, tat noch viel mehr weh. Er hatte bereits eine Kopfschmerztablette eingeworfen und wartete darauf, dass sie wirkte. Als er aufgewacht war, lag Scout nicht mehr neben ihm. Vermutlich hatte sie bemerkt, was sie gestern getan hatte und hatte die Flucht ergriffen. Valentin hoffte, dass er es sich mit der Knutscherei von gestern nicht endgültig bei ihr versaut hatte. Wahrscheinlich würde sie ihm nun wieder tagelang aus dem Weg gehen und nicht mehr mit ihm reden.
„Scout?", rief er ins Wohnzimmer.
Keine Antwort.
Er seufzte. Hatte er also doch Recht gehabt. Im Wohnzimmer war der Frühstückstisch gedeckt. Offenbar hatte sie daran gedacht, dass er ebenfalls Hunger haben würde. Eine Kanne mit Kaffee stand ebenfalls auf dem Tisch. Mit einem kleinen Lächeln setzte er sich an den Tisch und begann zu essen. Als er nach der Kanne griff und sich einschenkte, bemerkte er einen kleinen Zettel, der an seiner Tasse klebte. Er nahm einen Schluck von dem Kaffee. Er war noch heiß und schmeckte genau so, wie er ihn mochte. Dann nahm er den Zettel und las ihn.
„Du hast gesagt, ich soll einfach Ja sagen. Ich denke nach gestern Nacht, sollten wir darüber reden. Strand."
Valentin stellte seine Tasse ab.
Vorfreude und Angst, durchfluteten ihn. Es konnte alles Mögliche bedeuten. Ja aber auch nein. Aber auf alle Fälle, dass sie ihm heute Bescheid sagen würde.
Er stand auf, ließ alles stehen und liegen und schnappte sich ihm hinausgehen seine Jacke und Schlüssel, ehe er ins Auto stieg und losfuhr. Instinktiv wusste er schon, wo er sie finden würde. Zwar war „Strand" ein etwas unspezifisch ausgedrückt, aber ihm reichte es vollkommen.
Sein Handy piepste. Eine SMS.
„Dein Geschenk ist da. Ich hoffe, du hast Spaß!"
Er grinste. Das war doch mal eine gute Voraussetzung mehr, die jetzt nutzen konnte.
Er startete den Wagen und fuhr los.
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Scout stand am Strand. Die nackten Füße im Sand vergraben. Der Wind fuhr durch ihr Haar und die Sonne schien wärmend auf ihr Gesicht. Sie war sich nicht sicher, ob Valentin ihre Nachricht richtig gedeutet hatte und ob er herkommen würde, bevor sie wieder zurückfuhr, aber wenn nicht, machte sie ihm auch keinen Vorwurf. Jetzt in diesem Moment wollte sie allerdings die Sonne genießen und das Meer spüren. Lächelnd ließ sie zu, dass die Wellen ihre Füße umspülten. Ihre Füße sanken noch etwas tiefer in den Sand. Sie schloss die Augen und streckte ihr Gesicht noch ein wenig mehr der Sonne entgegen.
Und dann, ohne sich umzudrehen, spürte sie seine Präsenz. Sie wusste, dass Valentin da war.
„Scout."
Seine Stimme klang sanft und warm. Mit einem Lächeln, öffnete sie die Augen und drehte sich zu ihm um. Er stand vor ihr und sah sie ebenfalls sanft lächelnd an.
„Du hast gesagt, du möchtest reden?"
Sie nickte und betrachtete ihn einen Moment lang, ehe sie antwortete: „Warum hast du gestern Nacht nicht mit mir geschlafen? Ich meine, du hattest die Gelegenheit und ich hab dich ja auch darum gebeten, wenn ich mich recht erinnere", meinte sie dann ernst.
„Um ehrlich zu sein, ich wollte es auch, vermutlich hab ich mich deshalb auch erst so spät beherrscht. Aber ich wollte nicht, dass unser erstes Mal Sex so abläuft. Denn vermutlich gäbe es zwei Möglichkeiten. Entweder, du wärst sauer auch mich, weil ich deinen Zustand ausgenutzt hätte. Oder es hätte die ganze Zeit zwischen uns gestanden. Und das hätte alles noch viel komplizierter gemacht. Außerdem, wenn ich mit dir schlafe, möchte ich, dass wir beide bei klarem Verstand sind und es beide wollen. Ich gebe zu, ich hätte früher aufhören können, aber ich bin eben auch nur ein Kerl und außerdem in dich verliebt. Ich hab es schon genossen", erklärte er dann.
Scout nickte.
„Aber du hast bei mir im Bett geschlafen", fügte sie dann hinzu.
„Na ja, du hast mich so lieb gebeten und ich wollte dich auch nicht alleine lassen. Ich wollte bei dir sein. Aber wenn, dass nicht okay war, dann...", weiter kam er nicht, Scout war in zwei Schritten bei ihm und küsste ihn innig.
Völlig überrumpelt stand Valentin für einen Moment da, ehe er den Kuss erwiderte. Diesmal waren beide klar bei Verstand. Diesmal wollten es beide.
Als sie sich schließlich außer Atem von ihm löste, lächelte sie ihm zu.
„Du hast gesagt, ich soll dir noch eine Chance geben. Ich soll einfach Ja sagen", flüsterte sie gegen seine Lippen.
Abwartend sah Valentin sie an, noch immer hielt er sie fest in seinen Armen.
„Ich sage Ja", lächelte sie.
Auf Valentins Gesicht breitete sich ein unendlich erleichtertes und glückliches Lächeln aus.
„Ja?", hauchte er ungläubig.
„Ja", war ihre einfache Antwort.
Erneut zog er sie in einen langen, innigen Kuss. Das Meer umspülte ihre Beine, der Wind zerrte an ihren Kleidern und Haaren. Aber all das war nebensächlich. Es gab in diesem Moment nur Valentin und Scout.
„Ich liebe dich", flüsterte Valentin, als sie sich schließlich wieder voneinander lösten.
„Ich liebe dich", erwiderte Scout.
Sie strich ihm mit einer Hand liebevoll durchs Haar.
„Willst du nochmal knutschen oder darf ich dir dein zweites Geburtstagsgeschenk geben?", fragte Valentin dann.
Verwirrt sah sie ihn an.
„Zweites Geburtstagsgeschenk?"
„Ja oder nachträgliches Geburtstagsgeschenk. Also nur, wenn du möchtest", schlug er schelmisch lächelnd vor.
„Okay, lass sehen, was ist es?"
„Ähm, momentan liegt es noch bei mir zuhause in Köln, aber ich kann dir gerne davon erzählen."
„Okay, und was ist es?"
„Ed Sheeran Karten für sein Konzert im Juli. Mit V.I.P. Pässen", lächelte Valentin. Scouts Augen wurden augenblicklich groß und rund.
„Wie...?"
„Ich hab einen Freund um einen Gefallen gebeten und ich weiß, dass du diesen Sänger gerne hörst, deshalb dachte ich...", fing er lächelnd an und Scout küsste ihn erneut kurz.
„So so Herr Sarazar, du versuchst dir also mit Ed Sheeran Karten, meine Liebe zu erkaufen?", fragte sie grinsend.
„Wenn du es so sagen willst...", erneut wurde er von Scout kurz geküsst.
„Danke. Vielen Dank. Das bedeutet mir sehr viel", sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln.
Dann löste sie die Arme von seinem Hals.
„Ich glaube, ich muss dir noch was sagen", meinte sie dann.
„Wenn du dich jetzt auch als Schauspielerin herausstellst, muss ich dich ins Meer werfen, denn noch mal sowas, vertrage ich nicht", meinte Valentin dann halb scherzend, halb ernst.
„Nein, keine Sorge, das nicht, aber... ich hab tatsächlich auch einen Youtube-Kanal. Ich singe", lächelte sie.
„Ach wirklich, auf welchem Kanal?"
„Ich singe mit der Band meines Bruder. Diese Blue Rose, kennst du die?", fragte sie dann, während sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr strich.
„Ja, die hat doch auch mit dir in deinem Video an mich gesungen", erinnerte er sich.
„Das bin ich. Ich bin Blue Rose."
Überrascht sah er sie an.
„Was? Aber... die hat doch ne ganz andere Frisur als du und..."
„Perücke und ne Maske, das war alles. Es wissen auch nicht so viele Menschen davon und ich würde mich freuen, wenn das auch erst mal so bleibt", erklärte sie ihm.
Bedächtig nickte Valentin.
„Okay und warum die Maske?"
„Mir haben so viele Menschen gesagt, dass ich nicht hübsch genug bin, für die Öffentlichkeit. Außerdem war es schön anonym zu sein, so konnte keiner über mein Gesicht urteilen oder sagen, dass es ihm nicht gefällt. Und wenn ich, als ich selber mal in der Band aufgetreten bin, hat mich einfach niemand erkannt. Also hat es eigentlich ganz gut gepasst."
„Und wer weiß davon?"
„Na ja, mein Bruder, seine Band, Tatjana und Erik."
„Erik und Tatjana wissen es?"
„Tatjana hat die Maske durch Zufall bei mir gefunden und mich darauf so sehr mit Fragen bombardiert, dass ich mit der Sprache rausgerückt bin. Und Erik wusste es durch sie. Er wollte wohl Blue Rose zu einem Livestream einladen und mich auch dabei haben, dann wäre es für mich heikel geworden, also hat sie ihm einfach gleich die Wahrheit erzählt."
Er legte den Arm um sie und gemeinsam wanderten sie den Strand entlang.
„Ich glaube, wir müssen uns noch eine Menge erzählen."
„Ich denke, wir haben genug Zeit um das zu tun", erwiderte Valentin lächelnd und küsste sie aufs Haar.
„Wir sollten es aber langsam angehen lassen, immerhin haben wir jetzt noch einiges im Bezug Arbeit zu klären", erwiderte Scout.
„Langsam angehen? Wir kennen uns seit fast drei Jahren und waren ewig lang befreundet."
„Und trotzdem weiß ich mehr über dich, als du über mich", lachte Scout.
„Zumindest weißt du, wie ich meinen Kaffee mag."
„Ja und auch, dass du verpeilt bist und bei der Arbeit einpennst", kicherte Scout.
Lachend zog er sie an sich und küsste sie.
„Na ja, wie du bereits sagtest, wir haben viel Zeit um alles nachzuholen."
„Aber du hast mich über zwei Jahre warten lassen", lächelte sie frech. Ehe sie sich versah, hob Valentin sie hoch und sie schlang die Beine um seine Hüften, ehe er sie in eine geschützte Felsnische trug.
„Dann sollte ich gleich damit anfangen meine Fehler zu begleichen", raunte er und küsste sie gierig.
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