Epilog
12 Jahre später dachte ich über genau diese Worte nach, während ich aus dem milchigen Fenster blickte, ohne wirklich viel von meiner Umgebung wahrzunehmen.
Sie schienen so weit weg, wie eine Fata Morgana eines Lebens, welches ich einmal geführt hatte, in einer anderen Dimension.
Ich hatte tatsächlich überlebt, auch wenn ich mich nach all der Zeit an nicht mehr viele Sachen erinnern konnte. Mein Gedächtnis war, was diese Zeit betraf, verschwommen und ungenau und ein schwacher Hauch von Schmerz überkam mich jedes Mal, wenn ich daran dachte. Ein paar Erlebnisse standen zwar heraus und waren so klar, dass ich nur die Augen schließen musste, um alles nochmal zu erleben, doch vieles war in falscher Reihenfolge, oder ich erinnerte mich nur Schemenhaft daran.
Meine Therapeutin sagte, dass dieses Phänomen im Bereich der Psychologie nicht unbekannt war. Sie meinte, dass dies bei Klienten mit sehr traumatischen Erlebnissen ein Weg des Gehirns war, damit klar zu kommen.
Hinzu kam der Fakt, dass ich mich wirklich sehr bemüht hatte, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen.
"Vielleicht ein wenig zu sehr.", hatte sie einmal diskret angemerkt und mich damals mit weichem Blick angesehen.
'Warum, hakte ich daraufhin nach, kann ich mich dann noch genau daran erinnern, wie Sirius aussah, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe? Warum erinnere ich mich gerade an solche Sachen und an andere wiederum nicht?"
Ihr Stift klapperte, das Papier raschelte und der Stuhl quietschte, als sie darauf herumrutschte. Auf einmal war mir alles viel zu laut und viel zu nah und um ein Haar hätte ich darum gebeten, gehen zu dürfen. Doch ich biss mir auf die Zunge und schwieg. Ich war schon zu oft einfach aufgestanden und hatte den Raum ohne ein weiteres Wort verlassen. Noch einmal konnte ich mir das nicht leisten.
Sie zuckte mit den Schultern, eine Mischung aus keine Ahnung und Ist das denn so wichtig?, die mir sauer aufstieg
Ja ist es, antwortete ich damals in Gedanken, weil ich diesen letzten Anblick sehr gerne vergessen und nur die glücklichen Momente im Gedächtnis behalten würde.
Ich wollte keine schmerzerfüllten, wütenden Erinnerungen an ihn.
Ich wollte Lachen und Küsse und meine Hand in seinen Haaren. Das war alles was ich von ihm behalten wollte. Was Sirius anging war ich immer noch der kleine, aufsässige Teenager, den ich sonst komplett zurückgelassen hatte. Nur das Gute, nicht das Schlechte. Die verbrannte Pizzakruste nicht, alles andere? Ja, gerne.
"Ihr Fall ist sehr speziell, Remus. Da sind Abweichungen vollkommen normal. Jeder Kopf funktioniert anders." Eine mehr als unbefriedigende Antwort. An Sitzungen wie diesen fragte ich mich, warum ich überhaupt noch hinging.
Doch trotz der Differenzen, die wir manchmal hatten, half es, mit einem Außenstehenden über all das und noch mehr zu reden. Zuerst war ich sehr misstrauisch gewesen, als eine Freundin sie mir vorgestellt hatte, und manchmal fragte ich mich immer noch, warum es half, aktiv über diese Zeit zu reden und alle Gefühle nochmal durchzumachen.
Manchmal waren die Sachen, die sie mir in ihrer sachlichen Stimme vortrug, kaum zu ertragen.
Noch bildhaft erinnerte ich mich an den Wutausbruch, der der Aussage, dass es okay sei, auf Sirius sauer zu sein, folgte. Manchmal tat die Wahrheit weh, und ich brauchte lange, um sie zu akzeptieren. Doch es half und letztendlich war das das Einzige, was zählte.
Mit ihrer Hilfe und all den Jahren, die vergangen waren, war es mir gelungen, all die dauerhaft blutenden und schmerzenden Wunden, die diese Schreckensnacht und die Zeit danach davongetragen hatten, in Grinde zu verwandeln. Zwar welche, die sehr leicht wieder aufgingen, nichtsdestotrotz Grinde.
An manchen Tagen fühlte ich mich immer noch, als könnte ich keinen Schritt aus dem Bett wagen, die Wunden waren wieder aufgerissen, bluteten salzige Tränen und brannten und zwickten so sehr, dass es sich zeitweise so anfühlte, als würde ich in Flammen stehen. An diesen Tagen verkroch ich mich unter die Decken, und lauschte meinem flachen Atem, welcher das einzige Geräusch in der sonst totenstillen Wohnung war.
Ich nannte sie die roten Tage, wenn mich jemand danach fragte, weil es die einzige Farbe war, die ich an diesen Tagen erkennen konnte.
Doch an guten Tagen, an gelben Tagen, in guten Momenten konnte ich wieder lachen, ohne mich schuldig fühlen, ich konnte bei schlechter Musik durch die Wohnung tanzen und wieder einen Patronus zustande bringen, etwas von dem ich dachte, ich würde es nie wieder schaffen.
Ich zählte diese Tage, hortete sie in meinem Herzen und betrachtete sie, wenn ich mal wieder unter der Decke lag, um mich daran zu erinnern, dass bessere Zeiten folgen würden.
Tatsächlich ging es mir in der letzten Zeit so gut (nur eine Panikattacke im Supermarkt und ein roter Sonntag, innerhalb von zwei Wochen!), dass ich den Sprung ins kalte Wasser wagte und, entgegen meines Schwurs, nie wieder mit ihm zu reden, Dumbledores Angebot annahm. Zwar wollte ich zuerst ablehnen, doch die Gelegenheit einfach zu gut und es war Zeit für Veränderung in meinem Leben. Nach so langer Zeit in Schockstarre war der Wunsch nach Neuem in letzter Zeit stetig gewachsen.
Erschwerend wirkte außerdem die Tatsache, dass das gebotene Gehalt zu gut war, um diese Stelle abzulehnen und es mich schon sehr lockte, in mein altes Zuhause zurückzukehren. Deshalb beschloss ich nach einiger Bedenkzeit, die alten Gemäuer doch wieder zu betreten, diesmal als Lehrer.
Tatsächlich freute ich mich inzwischen darauf, dieses Mal die große Halle von der anderen Seite zu sehen und unzähligen Schülern etwas fürs Leben beizubringen.
Fast fühlte es sich so an, als wäre es schon immer meine Bestimmung gewesen, die ich jetzt erst gefunden hatte.
Außerdem hatte Snape, egal wie sehr wie ich ihn immer noch verabscheute, alle Kenntnisse, die es brauchte, um mir den Wolfsbann Trank zuzubereiten. Also würde ich zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder schmerzfreie Vollmonde erleben.
Die 13 Jahre seit der Auflösung der Rumtreiber waren auch in Bezug auf mein pelziges Problem die schlimmsten jemals gewesen.
Ich hatte mich so daran gewöhnt, die Rumtreiber in diesen Nächten um mich zu haben, dass ich vergessen hatte, wie viel schlimmer es war, all die Schmerzen allein aushalten zu müssen. Es schien nie aufzuhören und nach all der Zeit sehnte mich nach Linderung mehr als alles andere.
Letztendlich war es keine schwere Entscheidung gewesen.
Also so saß ich hier, auf den immer noch gleich zerfledderten Sitz und wartete darauf, dass der Zug abfuhr. Ich war viel zu früh gekommen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war nicht gerade typisch, dass ein Lehrer mit dem Zug fuhr, jedoch war ich auch kein typischer Lehrer, also nahm ich mir diese kleine Reise in die Vergangenheit raus.
Ich hatte die Regeln ausgiebig studiert und nicht gefunden, was dagegensprach.
Selbst wenn, wäre es mir vermutlich egal gewesen.
So viele Partien Karten und Zauberschach, so viele dumme Witze, Schokofrösche und Ideen, die wir untereinander geteilt hatten. Fast war mir, als könnte ich uns unter all den Jugendlichen erkennen, die nach und nach auf dem Bahnhof auftauchten. Ich sah James wirren Haarschopf, hörte Lilys helles Lachen durch die Massen schallen und sah Peter, wie er ächzend den Koffer hinter sich her schleppte, während Tatze sich über Snape schlapplachte und seinen Eltern keines Blickes würdigte.
Wir waren so jung, so unerfahren gewesen und doch so von uns selbst überzeugt, dass es mich beim Gedanken daran schüttelte. Wie töricht wir doch waren, zu glauben, dass nichts auf der Welt uns was anhaben könnte. Wenn ich nur gewusst hätte, was das Leben noch für mich in Petto hatte.
Tatsächlich erinnerte ich mich noch an alles, was in diesem Zug passiert war, der sich so wenig verändert hatte. Sogar der Geruch erweckte in mir einen Hauch der Nostalgie.
Ich konnte förmlich James Wutausbruch hören, als er mal wieder Merlin als Schokofroschkarte bekam (Ich habe diesen alten runzeligen Knacker schon sieben Mal, Tatze! Sieben!).
An diesem Ort war so viel passiert und würde noch so viel passieren, von dem ich keine Ahnung hatte. Und doch war auch meine Geschichte ein winziges Staubkorn in der Geschichte dieses Zuges, versteckt in Gepäckablagen und eingeritzten Initialen an der Wand.
Hier hatte ich meine ersten und besten Freunde gefunden, mich verliebt und gelacht, wirklich und ehrlich gelacht, bis mir die Tränen über das Gesicht strömten und ich nach Luft japste.
Ich hatte mich über Krone aufgeregt, der dazu neigte, zu schummeln, hatte Tatze überglücklich und triumphierend geküsst, wenn wir gewannen.
Ich hatte Lily und James getriezt und in diesen Abteilen die besten Streiche geplant, die Hogwarts je gesehen hatte.
Es fühlte sich an, als wäre all das erst gestern passiert, als wären wir alle noch am Leben und die Selben, als würden sie gleich alle gemeinsam laut diskutierend und lachend ins Abteil platzen, und doch war alles anders geworden, seit wir das letzte Mal diesen Zug verlassen hatten.
Er war dafür das beste Beispiel.
Seufzend blickte ich, zum tausendsten Mal allein heute auf den zerknitterten Zeitungsauschnitt in meinen Händen. Er war schon fadenscheinig und fiel fast auseinander, da ich ihn die ganze Zeit mit mir herumtrug.
Sirius Black aus Askaban geflohen. Versagen der Dementoren?
Als ich sein Gesicht zum ersten Mal im Großformat auf einer Zeitung entdeckt hatte, wären mir fast die Knie weggeknickt.
Es war in der Winkelgasse gewesen, und ich war absolut nicht darauf vorbereitet gewesen.
Jetzt war ich an den Anblick gewohnt, doch mein Herz wurde jedes Mal ganz schwer und ein seltsames, unnennbares Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus, wenn ich das Fahndungsbild betrachtete.
Er sah schrecklich aus. Ich würde gerne behaupten, dass es anders war, da seine verboten schönen, hohen Wangenknochen immer noch so aussahen wie ich sie in Erinnerung hatte, doch alles andere wirkte wie ein Abbild, wie etwas was mal Tatze war, jetzt jedoch nicht mehr.
Seine früher glänzenden, wunderschönen Locken, die niemand anfassen durfte, waren jetzt viel zu lang und matt.
Seine Augen, in die ich mich so viel zu früh verliebt hatte, die immer geglänzt hatten, wenn er mit uns zusammen war, waren stumpf, lagen tief in den Höhlen und schimmerten leicht irre.
Er sah aus wie ein anderer Mann. Er sah aus wie Sirius Black, der irre Zauberer der so viele Muggel umgebracht hatte, nicht wie der Sirius Black, den ich mal gekannt hatte
Sollte er über diese Bilder stolpern, wird er sich grün und schwarz ärgern. Sie lassen ihn absolut schrecklich aussehen.
Ich schnaubte über meinen eigenen Gedankengang. Das klang wirklich sehr nach Tatze.
Tatsächlich überraschte es mich nicht, dass er ausgebrochen war. Vermutlich war ihm dieselbe Idee gekommen, wie mir vor ein paar Jahren.
Er war der brillanteste Kopf, den ich je kennengelernt hatte, vermutlich hatte er diesen Plan schon seit dem ersten Tag in dieser Hölle im Hinterkopf. Schließlich wusste ich auch schon seit Ewigkeiten, dass es diese Option gab, nur hatte ich es nie jemanden gesagt.
Ich hatte auch nichts unternommen, um ihn zu retten, warum genau konnte ich nicht sagen. Vielleicht wusste ich, dass er es allein schaffen würde, wenn er wirklich wollte. Ich wusste instinktiv, dass ihn etwas bis jetzt in Askaban gehalten hatte.
Aber warum genau jetzt? Ich verstand partout nicht, warum er sich diesen Zeitpunkt ausgesucht hatte, um auszubrechen, und wenn ich ehrlich war, machte es mich ein wenig wütend.
Was war so wichtig, dass er sich dazu entschied, jetzt erst den Ausbruch zu wagen?
Und warum war ich ihm nicht Grund genug gewesen? Schnell schob ich diesen Gedanken beiseite, wohl wissend, dass es nichts brachte, darüber zu viel Zeit zu verschwenden.
Die Wahrheit war, dass ich nicht mal mehr wusste, ob ich Tatze noch liebte.
Ich hatte mich so lange darum bemüht, ohne ihn und meine Rumtreiber zurecht zu kommen, dass mich der Gedanke daran, dass er potentiell wieder in mein Leben treten könnte, abschreckte.
Ich hatte lange gebraucht, um die Scherben aufzusammeln und würde mich nicht freuen, wenn ich bald wieder von vorne anfangen müsste.
Andererseits wusste etwas tief in mir, dass mein Herz anfangen würde zu rasen, wenn er vor mir auftauchen würde, egal wie demoliert er aussah, egal wie viel Zeit vergangen war. Mein Herz würde rasen, meine Knie würden vermutlich weich werden und ich könnte nicht länger als eine halbe Stunde auf ihn sauer sein.
Es wäre unvermeidlich. Genauso wie unsere Liebe unvermeidlich war.
Damals wussten wir es noch nicht, doch wenn ich so daran zurückdachte, realisierte ich, dass unsere Gefühle füreinander wirklich unvermeidlich gewesen waren.
Wir waren wie zwei Boote auf hoher See gewesen, die unaufhaltsam aufeinander zu getrieben sind. Zusammen hatten wir einander vorm Ertrinken gerettet, uns an den Strand geschleppt und ein neues Leben angefangen.
Seit dem ersten Tag war die Beziehung zwischen Tatze und mir anders gewesen als die zwischen ihm und James oder Peter. Ich konnte bloß bis zu unserem fünften Jahr keinen Finger darauf legen, was genau anders war.
Sirius war mein Prolog, mein Hauptteil, mein Epilog und auch meine Danksagung.
Wir waren endgültig, ein Punkt am Ende des Satzes. Er war mein verlorenes Immer.
Ich konnte mich noch nie dagegen wehren, denn wie wehrte man sich gegen das Unvermeidliche?
Und deswegen wusste ich, dass ich auch nicht wehren würde, wenn er zurückkäme.
Es blieb also nur zu hoffen, dass er, entgegen Dumbledores Prognosen, nicht nach Hogwarts kommen würde. Es war besser so, wie es Momentan war.
Ich war nicht bereit, mein Herz wieder herzugeben, auch wenn ich es vielleicht nie zurückbekommen hatte.
Vermutlich trug Sirius es immer noch mit sich herum, wo auch immer er war.
Seufzend blickte ich nach draußen und erhaschte einen Blick auf den Himmel über dem Bahnhof.
Wer wusste schon, was da draußen auf mich wartete?
Fakt war, dass mein Momentanes Glück, mein momentanes Leben vielleicht nicht vollkommen war, nicht ohne die Rumtreiber, aber es reichte aus.
Ich hatte eine Vergangenheit, die zugleich Freudentränen und Trauer in mir auslöste, eine Gegenwart
die sich aushalten lies und eine Zukunft, die sehr erfreulich aussah.
Alles war gut. Und alles würde hoffentlich gut bleiben.
Draußen tummelten sich haufenweise junge Menschen, die sich lauthals begrüßten, lachten und sich von ihren Eltern verabschiedeten. Bald würde ein neues Schuljahr beginnen, was so viele Möglichkeiten auf deine Erlebnisse und Erinnerungen bot.
Wie viele würden sich wohl dieses Jahr verlieben, so wie ich vor so langer Zeit?
Ich schloss die Augen und träumte mich zurück zu dem Tag, als ich realisierte, dass ich in Sirius Black verliebt war.
Ende
Danksagung ist angehängt
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