
Kapitel 1 - Radioactive
Kapitelsong:
Imagine Dragons - Radioactive
Langsam öffnete ich meine Augen und blickte in die knisternde Glut des Lagerfeuers, das ich in der Nacht entzündet hatte. Ich setzte mich auf und sah zu meinem Bruder, der tief und fest zu schlafen schien. Das wunderte mich etwas, denn eigentlich war er immer mit mindestens einem Auge wach und bereit für einen möglichen Kampf. Aber wahrscheinlich war er einfach nur geschafft, da wir gestern bis spät abends noch Nahkampf trainiert hatten, so wie jeden Tag in den letzten Monaten.
Ich hörte meinen Magen knurren und überlegte kurz Lincoln zu wecken, damit wir gemeinsam auf die Jagd gehen konnten. Denn normalerweise zogen wir immer zusammen los, um uns Essen zu beschaffen, oder eben mein Bruder alleine. Wir hatten fast nichts mehr essbares da und ich hatte wirklich Hunger, also beschloss ich kurzerhand, mich einfach alleine auf den Weg zu machen. Dann konnte Lincoln noch etwas weiter schlafen und ich hatte endlich mal die Chance, unsere Umgebung selbstständig zu erkunden. Auch wenn ich mich in dem Gebiet, in dem wir wohnten, mittlerweile gut auskannte, hatte ich schon seit längerem einfach mal das Bedürfnis eigenständig jagen zu gehen. Mein Bruder hatte mir oft genug gezeigt wie es funktionierte und im Umgang mit meinem Bogen fühlte ich mich ebenfalls sicher. Der einzige Haken an der ganzen Sache: Lincoln würde mir niemals erlauben, alleine die Außenwelt zu betreten.
Aber er schlief ja gerade und konnte mir daher auch nichts verbieten, also stand ich leise auf und begann, mich an ihm vorbei zu schleichen. Ich hatte es fast geschafft meinen Bruder zu überwinden, als ich ungeschickterweise auf einen kleinen Ast trat, der direkt neben ihm auf dem Boden lag. Es knackte leise, jedoch laut genug für Lincoln, um davon wach zu werden. Dieser Mann hatte Ohren wie ein Luchs und das hätte ich eigentlich auch bedenken müssen, bevor ich so unbedacht auf diesen Ast getreten bin. Dass er überhaupt schlafen konnte, wunderte mich ja und dann auch noch vermeintlich so fest.
„Wohin gehst du, kleine Schwester?", murmelte er, ohne sich dabei zu mir umzudrehen. „Ich gehe jetzt für uns jagen, denn wir haben fast nichts mehr zu Essen und ich bin echt hungrig.", antwortete ich ihm und schnappte mir selbstbewusst ein paar Pfeile, sowie meinen Bogen. Im selben Moment jedoch schoss Lincoln nach oben und stellte sich vor mich, um mir den Ausgang unserer Höhle zu versperren. „Das wirst du nicht tun.", sagte er bestimmend und ich verdrehte genervt meine Augen. „Mir wird schon nichts passieren, Linc. Ich bin 17 und alt genug, um auf mich selbst aufzupassen.", entgegnete ich, doch Lincoln ging nicht zur Seite.„Außer ein paar wilden Tieren ist da draußen doch niemand und unser altes Dorf ist auch abgeschieden genug, wodurch hier nur selten andere Grounder vorbei kommen. Das weißt du doch selbst, Bruderherz. Du kannst mich nicht ewig vor allen und jedem beschützen, ich muss auch lernen alleine zurecht zu kommen.", fügte ich noch hinzu, woraufhin Lincoln erstaunlicherweise nickte und zur Seite trat, um mich vorbei gehen zu lassen.
Irgendwie hatte ich mir die Diskussion mit ihm schwieriger vorgestellt, aber umso besser für mich dass wir das so schnell klären konnten. Bevor ich loszog nahm ich mir dann noch ein Stück Kohle von unserem ausgebrannten Lagerfeuer, strich mit meinen Fingern darüber und bemalte mir damit mein Gesicht, hauptsächlich die Augen. „Wenn du heute Abend, zu ein Einbruch der Dunkelheit, noch nicht wieder da bist dann werde ich dich suchen gehen.", sagte Lincoln zum Abschied, während ich gerade dabei war unsere Höhle zu verlassen. „Ich verspreche dir, dass ich rechtzeitig wieder zurück sein werde, großer Bruder.", beruhigte ich ihn daraufhin und ging anschließend nach draußen. Die Sonne war bereits aufgegangen und die ersten Sonnenstrahlen schienen durch die Baumkronen auf den grünen Waldboden.
Ich schloss kurz die Augen, atmete tief ein und genoss die Ruhe der Natur, bevor ich mich auf die Suche nach potentieller Nahrung für die nächsten Tage machte. Es war ungewohnt für mich alleine draußen zu sein, aber irgendwie auch total schön. Ich spürte zwar eine gewisse Unsicherheit, ohne Lincoln an meiner Seite, gleichzeitig fühlte ich mich aber auch unabhängig und selbstbewusst. Und dieses Gefühl gefiel mir gut, sogar verdammt gut. Ich hoffte auch irgendwie, andere Grounder aus unserem alten Dorf zu treffen, um endlich mal soziale Kontakte erleben zu dürfen. Lincoln hatte mich nämlich, seit dem Tod unserer Eltern vor 10 Jahren, sehr von den anderen Menschen unseres Stammes abgeschottet und ich habe seitdem quasi nie mehr jemand anderen zu Gesicht bekommen außer ihn.
Mein Bruder hatte noch nie viel von der Lebensweise der Grounder gehalten, besonders was Bestrafungen und Foltermethoden anging, weshalb er mich auch immer vor ihnen beschützen wollte, vor allem nachdem unsere Eltern gestorben waren. Er fühlte sich seit dem extrem für mich verantwortlich und richtete sein Leben hauptsächlich nur nach mir. Dafür war ich ihm auch auf ewig dankbar, dennoch hatte ich einfach langsam das Bedürfnis, mich von ihm abzunabeln und selbstständiger zu werden. Daher machte ich heute auch den ersten Schritt in Richtung Eigenständigkeit.
Während ich so durch die Wälder streifte fing ich jedoch an mir Gedanken darüber zu machen, wie ich überhaupt mit anderen Groundern interagieren sollte, falls ich welche treffen würde. Ich hatte ja wie gesagt fast keine Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen, geschweige denn anderen Groundern, aber das sollte mich nicht von meinem Streifzug abhalten. Entschlossen lief ich weiter, mit meinem Bogen in der Hand und sowas von bereit, einen Hasen oder ein Reh zu erlegen.
Seit mindestens 2 Stunden zog ich nun schon durch den Wald und mir war noch kein einziges Tier begegnet, was mich langsam echt verzweifeln ließ. Ich wollte gerne mit einer „Beute" zurückkommen und Lincoln beeindrucken, anstatt ihn zu enttäuschen. Also riss ich mich zusammen und ging weiter, als ich zwischen den Bäumen plötzlich etwas entdeckte, das ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte.
Als ich noch ganz klein war und mit Lincoln und meinen Eltern in Tondc lebte, hatten sie mir immer Geschichten von früher erzählt. Davon, dass die Erde vor vielen Jahrzehnten radioaktiv verseucht worden war und wir die Nachfahren von den letzten Überlebenden auf der Erde sind. Sie sprachen auch von der Menschheit vor der Atomkrise, dass es richtige Häuser, Städte und Elektrizität gegeben hatte und auch sogenannte Raumschiffe, mit denen man in den Weltraum fliegen konnte. Diese Geschichten oder eher „Mythen" wurden über Generationen weiter erzählt und ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass sie anscheinend wirklich der Wahrheit entsprachen.
Doch so wie es gerade aussah waren diese Geschichten wahr, denn vor mir im Wald war etwas...gelandet schätzte ich, das definitiv eines dieser Raumschiffe sein könnte. So hatte ich mir Objekte aus dem All irgendwie immer vorgestellt, auch wenn ich nie an deren Existenz geglaubt hatte . Während ich dieses Ding beobachtete, blieb ich wie angewurzelt stehen und spürte, dass mein Herz anfing schneller zu schlagen. Noch war nichts passiert, dieses Raumschiff stand einfach nur da und dennoch war ich mir aus irgend einem Grund sicher, dass sich darin etwas verbarg. Dass sich darin jemand verbarg, möglicherweise Menschen aus dem All, weitere Überlebende der Atomkrise.
Ich hatte noch nie andere Menschen außer die Grounder hier auf der Erde gesehen, was meine Aufregung gerade ins Unermessliche steigen ließ. Langsam ging ich weiter, immer näher an dieses Ding heran und versuchte dabei möglichst leise zu sein, um nicht sofort entdeckt zu werden. Da jedoch immer noch nichts passiert war, fing ich an zu glauben, dass dieses Ding vielleicht doch einfach nur leer und nach Jahrzehnten der Nichtbenutzung aus dem All gefallen war. Ich wollte gerade umkehren und meine Jagd fortsetzen, als es plötzlich einen dumpfen Schlag tat und sich eine riesige Klappe öffnete, die langsam nach unten fuhr. Ich zuckte vor Schreck zusammen und versteckte mich schnell hinter einem Baum, um aus sicherer Entfernung das Geschehen beobachten zu können.
Und tatsächlich traute ich meinen Augen kaum, als die Luke auf dem Boden aufgekommen war und wirklich...andere Menschen zum Vorschein kamen. Meine Atmung verschnellerte sich und mein Herz rutschte mir fast in die Hosentasche, als ich all diese Jugendlichen sah, die so überhaupt keine Ähnlichkeit mit uns Groundern hatten. Ich konnte es fast nicht glauben, dass meine erste Vermutung über dieses Raumschiff gestimmt hatte und damit wirklich andere Menschen vom Himmel heruntergekommen waren.
Ein hübsches Mädchen mit langen braunen Haaren trat zuerst nach vorne und sie war dicht gefolgt von einem großen jungen Mann, der eine Art Schutzweste trug. Hinter den beiden tummelten sich all die anderen Jugendlichen, die schon fast andächtig auf die Erde blickten und mit großen Augen alles begutachteten. Plötzlich lief das hübsche Mädchen nach vorne, betrat langsam den Erdboden und atmete tief ein. „Wir haben es geschafft! Wir sind wieder da!", brüllte sie anschließend laut, was mich nochmals schreckhaft zusammen zucken ließ. Daraufhin lachte der junge Mann neben ihr sie an und der ganze Haufen Jugendliche hinter ihnen strömte aus dem Raumschiff.
Schnell zog ich mich noch ein Stück weiter zurück, da ich es auf keinen Fall riskieren wollte, sofort entdeckt zu werden. Ich wusste ja nicht, wie diese Menschen auf mich reagieren würden und entschied mich daher, sie erstmal nur aus der Ferne auszukundschaften. Ich wollte gerade möglich lautlos von einem Baum zum nächsten huschen, da dieser einen dickeren Stamm und mehr Fläche zum Verstecken hatte, als ich einen Stein auf dem Boden übersah und darüber fiel. „Autsch!", zischte ich laut und hielt mir im selben Moment meine Hand vor den Mund. Wie konnte ich nur so leichtsinnig sein?Hoffentlich hatte mich gerade niemand von diesen Menschen gehört oder sogar gesehen.
Vorsichtig erhob ich mich vom Boden und schaute zwischen zwei großen Farnblättern hinüber zu den Jugendlichen, die gerade ausgelassen tanzten, lachten, sich freuten und in den Armen lagen. Von ihnen schien mich keiner gehört zu haben, bis mein Blick wieder bei dem jungen Mann landete, der vorhin neben dem hübschen schreienden Mädchen gestanden hatte. Er sah direkt in meine Richtung und verzog verwirrt das Gesicht, als ob er sich nicht sicher darüber wäre, vielleicht jemanden gesehen zu haben. „Shit.", murmelte ich leise, während ich mich reflexartig duckte und zu dem Baum mit dem dicken Stamm hinüber robbte, um mich dahinter zu verstecken.
„Hallo!? Ist da jemand?", sagte der junge Mann darauf hin und ich konnte beobachten, wie er sich suchend umsah und sogar einen Schritt in meine Richtung machte. Ich wollte mich gerade ein weiteres Mal aus dem Staub machen, um nicht entdeckt zu werden, als der junge Mann plötzlich von einem anderen Jugendlichen angesprochen und dadurch von mit abgelenkt wurde. Erleichtert atmete ich aus, denn nun konnte ich die ganze Situation hier noch eine Weile unbemerkt im Auge behalten.
„Murphy!", hörte ich den jungen Mann laut zu dem anderen Jugendlichen sagen und was er sonst noch so von sich gab war leider zu leise für mich, um es zu verstehen. Der andere Jugendliche schien also Murphy zu heißen, interessanter Name. „Danke für das Ablenkungsmanöver, Murphy. Wer auch immer du sein magst.", flüstere ich vor mich hin, während meine Augen weiter wanderten und ich mir den Rest der Masse ansah. Ich entdeckte ein Mädchen mit langen blonden Haaren, die eine Art Landkarte in der Hand hielt und mit einem Jungen diskutierte, der etwas längere braune Haare hatte. Kurz darauf kamen noch zwei weitere Jungs dazu, der eine trug eine Art...Schutzbrille? auf dem Kopf und der andere schien asiatischer Abstammung zu sein.
Sie sprachen alle miteinander, wovon ich aber leider überhaupt nichts hören konnte. Anschließend kam auch noch das hübsche braunhaarige Mädchen dazu, das vorhin zuerst aus diesem Raumschiff gelaufen war und schloss sich der kleinen Gruppe an. Der junge Mann, der mich vorhin fast entdeckt hätte, lief daraufhin dem besagten Mädchen hinterher und schien sie von irgendwas abhalten zu wollen. „Octavia, du gehst da nicht mit!", rief er ihr ziemlich laut hinterher, anscheinend hatte dieses kleine Grüppchen von Jugendlichen eine Erkundungstour der Umgebung geplant. Der junge Mann, dessen Namen ich nicht kannte, wollte das dem hübschen Mädchen, Octavia, aber wohl verbieten so wie es aussah. Wahrscheinlich war er ihr Freund, so wie er sich um sie sorgte, möglicherweise könnte er aber auch ihr Bruder sein. Schließlich konnte sie ihn dann aber doch überreden und die fünf Jugendlichen zogen los.
Das war mein Startschuss dieses ganze Spektakel hier wieder zu verlassen, da ich wissen wollte was sie vorhatten und wo sie hin gingen. Also beschloss ich der kleinen Gruppe unauffällig zu folgen und dabei gleich noch nach einem Tier für heute Abend Ausschau zu halten, das ich jagen konnte. Ich wollte heute Abend ja nicht mit leeren Händen zu Lincoln zurückkehren.
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