8.Kapitel ~Freiheit~ ✔️
Lied: Chains - Nick Jonas
Würde nicht plötzlich die Stimme dieses Ben Davids' aus der Freisprechanlage dröhnen, hätte ich mich wahrscheinlich komplett in seinen Augen verloren. ,,Mr. Hewitt? Zwei Kollegen haben bereits das Gebäude erreicht, wir werden Sie umgehend dort rausholen."
Mein Chef hält meinen Blick noch für einen kurzen Moment gefangen, nimmt jeden Winkel meines Gesichtes in sich auf, bevor er zögerlich aufsteht und der Stimme antwortet: ,,Das sind gute Neuigkeiten, vielen Dank.", sagt er freundlich und wendet sich dann mir zu, während er sich erleichtert seine Krawatte um den Hals hängt.
Ich stelle unweigerlich fest, dass ihm dieser wilde Look wahnsinnig gut steht.
Nur zu gerne würde ich ihm durch seine wüsten Haare fahren, die gerade in alle Himmelsrichtungen abstehen. Spüren, wie sie sich zwischen meinen Fingern anfühlen. Verlegen senke ich den Kopf über meine absurden Gedanken und stoße etwas Luft durch meine Lippen. ,,Das ging ja schnell", sage ich leise und will mich aufrichten, jedoch kommt mir Mr. Hewitt zuvor und hält mir ganz gentlemanlike seine Hand hin. ,,Warte, ich helfe dir", entgegnet er was mich unauffällig Lächeln lässt.
Ohne großartig darüber nachzudenken, nehme ich sein Angebot an und greife nach seiner Hand. Als meine Haut auf seine trifft, durchzuckt ein Stromstoß meinen Körper. Meine Fingerspitzen fangen an zu kribbeln und kleine elektrische Impulse an mein Herz zu senden, die es sofort schneller schlagen lassen. Er umfasst meine Hand sanft, aber bestimmt und zieht mich auf die Beine.
Die Zeit über konnte ich nur erahnen, wie es sich wohl anfühlen mag von ihm berührt zu werden. Und zu meinem Bedauern muss ich feststellen, dass nicht mal Matt so eine Wirkung auf mich hat. Nicht in diesem Ausmaß. Schlechten Gewissens löse ich meine Hand kurz darauf wieder aus seiner und streiche mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr: ,,Danke."
,,Nicht dafür", raunt er freundlich. Etwas weiter über ihm vernehme ich Schritte, die sich schnell der Fahrstuhltür nähern. ,,Mr. Hewitt?!", ruft eine tiefe Männerstimme. ,,Wir sind hier!", erwidert Besagter laut und tritt an die Tür heran. Es folgt ein metallisches Klappern: ,,Ich bin Henry und mein Kollege Zach ist gleich neben mir. Es könnte kurz etwas laut werden, das ist nichts schlimmes. Wir werden mit einer Axt die Tür aufschieben und sie vorsichtig rausholen. Der Fahrstuhl ist etwas mehr als 1 1/2 Meter weiter unterhalb der Etage zum Stehen gekommen. Wir werden Sie also rausheben müssen. Haben Sie mich verstanden?", fragt uns eine weitere Stimme. Nervosität macht sich in mir breit.
Auch das noch. Darauf war ich jetzt gar nicht vorbereitet. ,,Verstanden!", bestätigt Mr. Hewitt. ,,Gut, dann machen Sie bitte ein paar Schritte zurück, wir fangen sofort an." Zeitgleich gehen wir ein wenig nach hinten und warten angespannt ab. Wenn ich das meiner Mutter erzähle. Gott sei dank weiß sie momentan nicht, in welch einer Lage ich mich befinde. Die Arme wäre völlig krank vor Sorge.
,,Es geht los!", ein präziser Schlag gefolgt von einem Quietschen ertönt. Innerlich bete ich, dass ich noch rechtzeitig hier heraus komme, bevor mein Vater wieder zurück ist. Wahrscheinlich ist es sogar besser, wenn ich das hier für mich behalte.
Allmählich öffnet sich die Fahrstuhltür einen Spalt, der sekündlich breiter wird. Als er etwa einen halben Meter weit aufsteht, schiebt einer der beiden Männer eine dicke Metallstange dazwischen, damit er nicht direkt wieder zu geht.
,,Das wäre geschafft", sagt er und grinst uns freundlich an. Unrecht hatte er mit seiner Aussage nicht. Der Fahrstuhl ist ein ganzes Stück weiter unterhalb des 9. Stocks zum stehen gekommen. Allein werden wir hier nicht ohne weiteres rausklettern können. Etwa 50 Zentimeter hoch ist der Schlitz, durch den wir durch müssen. Das sollte machbar sein.
,,Da haben Sie ja beide Glück gehabt, nicht allein im Fahrstuhl gewesen zu sein", stellt der um die vierzig Jahre alte Mann fest und begutachtet uns durch seine braunen Augen. Kurz habe ich das Gefühl, er könne falsche Schlüsse ziehen, verwerfe diesen Gedanken jedoch direkt wieder. ,,Das stimmt." Mr. Hewitt neben mir atmet erleichtert aus: ,,Es wäre trotzdem schöner schnellstmöglich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben", scherzt er und sieht mich kurz an.
,,Selbstverständlich, das haben wir sofort", ein weiterer Mann beugt sich zu dem Spalt runter und nickt uns zu. Er scheint nicht viel älter als Matt zu sein. ,,Gut Zach, du passt auf, dass die Tür nicht unerwartet zugeht. Die Dame eventuell zuerst. Falls es Ihnen nichts ausmacht Mr. Hewitt, würde ich Sie bitten ihr ein wenig zu helfen." Henry legt sich Bauch links auf den Boden und streckt mir seine Arme entgegen. ,,Natürlich." Sofort ist mein Boss zur Stelle und wartet auf weitere Anweisungen.
Mir wird ganz heiß. Soll das etwa heißen er hebt mich gleich hoch, damit dieser Henry mich besser rausziehen kann? Das will ich auf gar keinen Fall.
,,Wie heißt du denn?", fragt er an mich gewandt und holt mich so aus meiner Starre zurück. ,,Äh, Leah", erwidere ich zögerlich und schlucke einmal schwer. ,,Gut Leah, Mr. Hewitt wird dir gleich mit einer Räuberleiter nach oben helfen. Greif direkt nach meinen Händen und ich ziehe dich rauf. Mr. Hewitt, Sie werden dann bitte von unten ein wenig stützen."
,,Alles klar." Er sieht mich abwartend an. Binnen weniger Sekunden schießt mein Puls in die Höhe. Vermutlich läuft mein Gesicht gerade komplett rot an. ,,Bereit?", fragt er leise und faltet seine Hände zu einer Kuhle, damit ich meinen Fuß dort hineinstellen kann. ,,Du brauchst keine Angst zu haben, halt dich einfach an meiner Schulter fest, wenn du aufsteigst."
Scheinbar bemerkt er mein unwohl sein. Er schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln, tritt direkt vor die Tür und geht dann ein wenig in die Hocke. Was anderes außer einfach über meinen eigenen Schatten zu springen bleibt mir wohl nicht übrig.
Zögerlich mache ich einen Schritt auf ihn zu, lege meine Hand auf seine Schulter und platziere den linken Fuß auf seinen Fingern. Erneut bin ich ihm wieder so nah, dass es beinahe unerträglich ist. Ich ziehe scharf die Luft ein. Sein angenehmer Geruch steigt mir in die Nase. Umhüllt mich komplett.
,,Gut, auf drei", kündigt Henry an und ich mache mich bereit. Konzentriere dich auf das Wesentliche Leah. ,,Eins..., zwei ... drei."
Wie aufs Stichwort drückt mich Mr. Hewitt mit Leichtigkeit nach oben, sodass Henry nach meinem Unterarm greifen kann. Ich lasse mit der anderen Hand seine Schulter los und reiche ihm sofort den anderen. Sofort spüre ich zwei starke Hände oberhalb meiner Kniebeugen, die mich sanft stützen. Mir springt fast das Herz aus der Brust. Natürlich kann nur eine einzige Person es sein, die mich dort gerade berührt. So wirklich wahrhaben will ich es trotzdem nicht.
,,Sehr gut, wir haben's gleich geschafft."
Schneller als ich es überhaupt realisieren kann liege ich auf dem glatten Stein Boden der Firma und werde von Zach auf die Beine gezogen.
,,Du hast es geschafft", meint er bestärkend, hebt seine Mundwinkel zu einem Lächeln an, bevor die beiden mit vereinten Kräften auch Dean Hewitt aus dem Fahrstuhl befreien, der ohne großartige Hilfe heraus klettert. Das wundert mich nicht, schließlich ist er um die 1,90m groß und nicht gerade unsportlich.
Dem Himmel sei dank hat wenigstens einer mitgedacht und meine Plastikrolle mit dem Entwurf, sowie unsere Taschen mit rausgeholt, die ich beinahe vergessen hätte. ,,Das ist denke ich deins", raunt Mr. Hewitt und reicht mir meine Sachen. Ich puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nehme sie ihm dankend ab.
,,Wir wollen Sie nicht weiter aufhalten. Morgen früh sollte der Fahrstuhl wieder funktionieren. Solang sollten Sie allerdings die Treppe benutzen. Vielen Dank für Ihre Geduld und kommen Sie gut nach Hause", verabschiedet sich Henry von uns. ,,Einen schönen Abend noch", sagt auch Zach und nickt uns erneut zu.
,,Leah, falls es dir nichts ausmacht bleibe ich bis die beiden fertig sind. Du kannst nach Hause fahren, denn soweit ich weiß ist dein Vater gerade gelandet. Wenn du dich beeilst, schaffst du es bestimmt noch rechtzeitig. Aber fahr vorsichtig." Er deutet auf seine Armbanduhr. Ich reiße die Augen weit auf. ,,Verdammt", fluche ich etwas zu laut und beiße mir direkt auf die Unterlippe. Mr. Hewitt vor mir lächelt unauffällig. ,,Also, was ich eigentlich meine ist... ich danke Ihnen. Für alles."
Hastig winke ich den drei Männern zu und verschwinde dann die Treppen runter zum Ausgang. Bis ich an meinem Auto ankomme erlaube ich es mir kaum zu atmen. Noch während ich die Klinke berühre scheint eine tonnenschwere Last von meinen Schultern zu fallen.
Ich nehme ein paar tiefe Atemzüge. Fülle meine Lungen mit der kühlen Nachtluft, die allmählich den trüben Nebel um mich herum verschwinden lässt, der mich umgeben hat.
Ein Wirr Warr an Gefühlen strömt durch meinen kompletten Körper. Es lässt mich erzittern. Nun ist eindeutig klar, dass ich weitaus mehr als nur Sympathie für Dean Hewitt empfinde. Spätestens bei seiner Berührung im Fahrstuhl habe ich es gemerkt. Und obwohl es falsch ist muss ich mir eingestehen, dass ich ihn mag. Sehr sogar.
Ein Lächeln huscht über meine Lippen, bevor der schrille Klingelton meines Handys mich auf den Boden der Tatsachen zurück holt.
*** 2 Tage später ***
,,Hahaha, Leah! Das ist echt der Hammer!", lacht Cole und wischt sich mit dem Finger eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich boxe ihm gegen seine Schulter und verschränke die Arme vor der Brust. Natürlich hat der Hausmeister am Freitag mitgekriegt, was passiert ist und die Sache hat sich wie ein Lauffeuer rumgesprochen.
Da Cole wusste, dass ich noch länger gemacht habe, hat er sich nur vergewissern wollen, ob ich um die Zeit schon zu Hause gewesen bin. Nach eindringlichen Blicken und lauter Fragen seinerseits, bin ich irgendwann eingeknickt und habe ihm erzählt, dass ich mit in diesem Fahrstuhl festsaß. Zum Glück weiß wohl niemand sonst, wer die zweite Person im Aufzug war.
,,Du und Mr. Hewitt in einem Fahrstuhl, ich glaub's nicht. Wenn das jemand hört", er stößt erneut ein lautes Lachen aus. Ich lege den Finger an meinen Mund und sehe mich lauernd in alle Richtungen hin um.
Zwar befinden wir uns gerade im Besprechungsraum, da gleich die Präsentation unserer vorläufigen Entwürfe der Werbeplakate stattfindet, jedoch kann man nie vorsichtig genug sein. ,,Wehe du erzählst das jemandem hier!", drohe ich ihm, kann mir ein Grinsen aber nicht verkneifen. Cole ist zwar mein Vorgesetzter, gibt mir allerdings nicht das Gefühl ihm untergeordnet zu sein. Im Gegenteil, er ist in dieser kurzen Zeit fast schon wie ein großer Bruder für mich geworden.
Als Einzelkind durfte ich die Vorzüge eines Geschwisterchens leider nicht in Anspruch nehmen. Manchmal wünschte ich, mit jemandem wie ihm aufgewachsen zu sein. Klar, ich habe als einziges Kind meiner Eltern alles gekriegt was ich wollte. Wurde mit Samthandschuhen angefasst, aber es gibt eben Dinge, die man einfach nicht mit ihnen besprechen kann.
,,Keine Sorge, wenn es dir so wichtig ist, werde ich das nicht tun. Ich will dich nur etwas ärgern", gibt er zu und zwinkert kurz. ,,Gut, Spaß beiseite, hol' du lieber mal deinen Entwurf, in einer viertel Stunde beginnt die Präsentation. Du wirst sie mit Sicherheit umhauen". Cole deutet zur Tür. Mein Herz fängt sofort wieder schneller an zu schlagen. Das Wochenende über habe ich versucht mich darauf vorzubereiten, da wir am Samstag spontan eine Mail von der Marketingabteilung erhalten haben.
Mr. Hewitt wolle wohl gerne die Entwürfe am Montag bereits sehen. ,,Mir ist ganz schlecht, ich glaube ich muss nach Hause", entgegne ich aufgeregt und halte mir extra die Hand an den Bauch. Cole legt seinen Kopf schief: ,,Du musst gar nichts, nur diesen Vortrag halten. Das schaffst du!". Ich stoße angestrengt etwas Luft durch meine Lippen.
Unter normalen Umständen wäre das auch überhaupt kein Problem für mich, allerdings wird er da sein. Und genau diese Tatsache, macht mich mehr als unruhig. ,,Jaja", wehre ich ab und stapfe nach draußen zu meinem Schreibtisch. ,,Beruhig dich Leah, er ist auch nur ein Mensch", rede ich mir leise ein und halte abrupt an, während meine Augen auf ein Getränk von Starbucks fallen, das auf meinem Arbeitsplatz deponiert wurde.
Verwirrt lege ich meine Stirn in Falten und schaue mich in der Abteilung um. Ich könnte schwören, dass der vor zehn Minuten noch nicht dort stand. Zögerlich greife ich danach und betrachte ihn von allen Seiten, als wäre er irgendein besonderes Geschöpf. Dabei ist es lediglich ein Caramel Frappuccino, wie ich nach einem zaghaften Nippen daran feststellen muss.
Mir fällt ein kleiner Satz auf, der feinsäuberlich mit einem schwarzen Textmarker auf den Becher geschrieben wurde; "Dein Lieblingsgetränk, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Viel Erfolg bei deiner Präsentation."
,,Cole", schmunzele ich und hole meinen Entwurf aus der Tasche raus. Auch wenn ich absolut keine Ahnung habe, wie er den unauffällig auf meinem Tisch deponiert hat, bin ich ihm dankbar für diese nette Geste. Ich entspanne meine Schultern und mache mich mit neugewonnenem Mut auf in den Besprechungsraum. Nicht nur Mr. Hewitt, sondern auch mein Vater wird da sein.
Da kann ich nur hoffen, dass dabei nichts schiefgeht.
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