7.Kapitel ~Ängste~ ✔️
Lied: Can I Be Him - James Arthur
Es gibt Momente im Leben, denen will man unbedingt entfliehen. Daran bestehen keine Zweifel und dann gibt es das genaue Gegenteil;
Momente von denen du dir wünscht, dass sie niemals enden.
Das, was gerade passiert, kann ich keinen von diesen beiden Optionen zuordnen. Wie in Trance nehme ich Mr. Hewitts Berührung wahr. Seine starken Arme, die sich um meinen verkrampften Körper gelegt haben.
Ganz langsam lasse ich meine Augen nach oben wandern, ohne mich dabei auch nur den kleinsten Zentimeter zu bewegen. Ich muss träumen. Geschieht das wirklich?
Er ist mir so nah, ich kann beinahe seinen Herzschlag hören. Seine Wärme umhüllt mich
und ich muss zugeben, dass dieses Gefühl anders ist als alles, was ich bis jetzt fühlen durfte. Die Betonung liegt auf "durfte".
Dürfen.
Mir wird schlecht. Das Atmen fällt mir immer schwerer. Bevor mir komplett die Luft wegbleibt, rege ich mich ein wenig und veranlasse ihn so dazu, mich loszulassen. Die Hitze steigt mir unweigerlich in die Wangen. Sollte hier eine Kamera sein und die gibt es mit großer Wahrscheinlichkeit, könnte das einen falschen Eindruck machen. Einen ganz falschen Eindruck. ,,Oh verdammt Leah, es tut mir leid", stößt Mr. Hewitt gestresst aus und fährt sich mit zitternder Hand durch seine vollen Haare. Er wirkt nervös. Nein, nicht nur nervös, sondern schon beinahe panisch.
,,A-alles gut", entgegne ich und taste nach der Stange hinter mir, um mich festzuhalten.
Wie paralysiert stehen wir einfach nur da, bis er sich wortlos von mir abwendet und zu der Freisprechanlage geht, vermutlich um Hilfe zu rufen.
Derweil beschleunigt sich mein Puls immer weiter. Panik übermannt meinen gesamten Körper, doch ich schaffe es nicht, mich auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen. ,,Hallo?", höre ich Mr. Hewitt fragen, der kurz darauf sein Ohr an die Anlage hält. ,,Hallo? Ist jemand da? Der Aufzug ist steckengeblieben", sagt er, dann hält er wieder sein Ohr dran. Das wiederholt er noch etwa drei Mal, bis endlich ein Rauschen am anderen Ende ertönt und eine tiefe Männerstimme antwortet.
,,Guten Abend. Mein Name ist Ben Davids. Bitte machen Sie sich keine Sorgen, sobald es uns möglich ist Sie aus dem Fahrstuhl zu befreien, werden wir das umgehend in die Wege leiten. Bis dahin bewahren Sie unbedingt Ruhe, es kann Ihnen nichts passieren. Mit wem spreche ich denn? Sind Sie alleine im Fahrstuhl, oder sind noch andere Personen dabei?", fragt die Stimme beruhigend.
,,Hier spricht Dean Hewitt, ich bin noch mit einer weiteren Person im Aufzug eingesperrt. Wie lange wird es circa dauern, bis Sie uns rausholen können?", entgegnet er gefasst und dreht sich zu mir um. Ein besorgter Ausdruck legt sich auf sein Gesicht. Er zieht die Augenbrauen zusammen, als die Stimme ihm überrascht antwortet:
,,Mr. Hewitt! Geht es Ihnen gut? Wir werden Ihnen umgehend jemanden schicken. Es könnte allerdings ein wenig dauern. Komischerweise haben wir heute alle Hände voll zu tun. Sobald wir eingetroffen sind, geben wir Ihnen Bescheid."
Na ganz klasse. Das hat mir gerade noch gefehlt. Mein Vater landet in weniger als einer Stunde, ich werde vermutlich nicht rechtzeitig zu Hause sein und zu allem Übel sitze ich mit meinem Boss zusammen hier fest.
Nicht nur ich scheine im Moment durchzudrehen. Mr. Hewitt vor mir fährt sich durch seine leicht wüsten Haare und presst angestrengt die Lippen aufeinander. ,,Dann werden wir wohl warten müssen. Danke für die Info, sollte es etwas Neues geben, sagen Sie mir bitte sofort Bescheid."
Er tritt von der Anlage weg und wandert mit seinen Fingern zu seiner Krawatte, um sie etwas zu lockern. Unruhig lehnt er sich gegen die Wand gegenüber von mir und mustert mich, wobei ihm dieser Augenkontakt mindestens genauso unangenehm sein muss, wie mir. Am liebsten würde ich aus diesem Fahrstuhl steigen und meinetwegen auch den verdammten Schacht hochklettern, nur um nicht länger mit ihm eingesperrt sein zu müssen.
,,Hast du Angst?", erkundigt er sich angespannt, während ich meinen Blick auf meine Füße richte .
,,Nein, alles gut", raune ich nur. Gott, ist das komisch. Was war das Bitteschön vorhin? Hatte er etwa Angst um mich? War sein erster Gedanke mich zu schützen und er hat mich deshalb so zu sich gezogen?
,,Du bist ganz blass im Gesicht, vielleicht solltest du dich hinsetzen", sagt er mitfühlend.
Ich zucke zusammen und spanne meine Schultern an. Beruhig dich Leah. Denk an etwas anderes, niemand wird irgendwelche falschen Schlüsse ziehen, sobald wir hier rauskommen und auch sonst wird nichts passieren.
,,Ich muss mich nicht hinsetzen", entgegne ich schroffer, als beabsichtigt und beiße mir schlechten Gewissens auf die Zunge. ,,Ok, aber ich werde mich denke ich kurz setzen" haucht er und pflanzt sich an der Fahrstuhlwand auf den Boden hin. Verwirrt hebe ich den Kopf an, auch wenn es mir gänzlich widerstrebt.
Natürlich.
Wäre ich nicht so versessen darauf diesem Mann aus dem Weg zu gehen, hätte ich vielleicht schon vorher bemerkt, dass es ihm nicht gut geht. Um die Nase herum ist er kreideweiß und auf seiner Stirn zeichnen sich vereinzelt feine Schweißperlen ab.
,,Sie haben Angst", stelle ich fest und schaue ihn direkt an. Mr. Hewitt hat seine Unterarme locker auf den Knien abgelegt und seinen Kopf an der harten Fahrstuhlwand angelehnt. Sein linker Mundwinkel zuckt bei meiner Feststellung kaum merklich nach oben. Wieso sieht selbst das sexy aus?
,,Erwischt."
Er lehnt seinen Kopf vorsichtig erst auf die eine und dann auf die andere Seite, bis sein Nacken leise knackt. ,,Ganz schön heiß hier drin", höre ich ihn sagen, bevor er nervös seinen schwarzen Sacco auszieht. Die Atmosphäre scheint sekündlich angespannter zu werden.
Verdattert mustere ich ihn. Diesen Kerl, der im Moment nichts mehr mit dem selbstbewussten, unnahbaren Mann, wie ich ihn kennengelernt habe, gemeinsam hat. Seine Finger wandern zu den ersten zwei Knöpfen an den Ärmeln seines Hemdes, die er kurz darauf öffnet, und die Enden anschließend bis zu seinen Ellenbogen hin hochkrempelt.
Schlechten Gewissens hocke ich mich ebenfalls auf den Boden und ziehe die Beine an meinen Körper ran. So habe ich mir den Abend bestimmt nicht vorgestellt. Wer hat das schon?
,,Das wissen eigentlich nur meine Eltern, aber es ist jedes Mal eine Überwindung für mich, in einen Fahrstuhl zu steigen. Wärst du jetzt nicht mit dabei, würde ich wahrscheinlich nicht so ruhig bleiben können", gibt er zu und sieht mich mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen an.
Mein Herz schlägt bei seinen Worten gleich ein paar Takte schneller. Auf die eine Art fühle ich mich geschmeichelt, auf die andere wiederum, weiß ich nicht, wie ich mit der Situation umgehen soll. Dean Hewitt kann momentan vermutlich nichts weniger gebrauchen, als eine schweigende Praktikantin, die ihm nicht mal richtig in die Augen sehen kann, wenn er ohnehin kurz davor ist durchzudrehen.
,,Möchten Sie vielleicht etwas trinken?". Diese Frage kostet mich all meine Überwindung und ohne wirklich seine Antwort abzuwarten, krame ich eine große Wasserflasche aus meiner Tasche heraus. So blass wie er um die Nase ist, scheint er es tatsächlich ernst zu meinen.
,,Danke und bitte, nenn mich Dean ", entgegnet er zögerlich. Da war sie. Die Situation, die ich mir unterbewusst wahrscheinlich seit Wochen herbeigewünscht habe. Ein Angebot, was weitaus mehr in mir auslöst, als es sollte. Ich, Leah Lawrence darf Mr. Hewitt tatsächlich beim Vornamen nennen. Aber will ich das überhaupt? Was bringt es mir denn? Vermutlich bietet er es mir nur an, weil er gerade sowieso nicht weiß, wohin er mit seinen Gedanken soll.
Ich reiche ihm mit einem Nicken das Wasser rüber und beobachte, wie er ein paar große Schlucke davon nimmt.
,,Warum mögen Sie keine Fahrstühle?" Er schraubt den Verschluss der Flasche zu und gibt sie mir wieder zurück. ,,Als ich elf Jahre alt war, bin ich im Aufzug stecken geblieben. Du musst wissen, dass meine Familie nicht immer so wohlhabend war. Wir wohnten im obersten Stock eines Mehrfamilienhauses, in einer kleinen Wohnung. Bis dahin waren es 13 Etagen. Zwischen der 10. Und 11. hat der Fahrstuhl dann den Geist aufgegeben", antwortet er mir und lehnt seinen Kopf wieder an.
,,Ich war zwar nur für zwanzig Minuten eingesperrt, aber ich war allein", fügt er noch hintendran und schluckt einmal schwer. Angestrengt beiße ich mir auf die Unterlippe, stoße mich vom Boden ab und stehe auf, um mich mit etwas Abstand zueinander, neben ihn hinzusetzen. Mr. Hewitt braucht jetzt einfach jemanden, der ihn beruhigt und dummerweise, muss ich das wohl übernehmen.
,,Ich habe panische Angst vor Wespen und Hornissen", gebe ich zu. Meine Stimme bricht am Ende ab. Diese Nähe zu ihm, bringt mich ganz durcheinander. Von der Seite aus nehme ich wahr, wie er sein Gesicht zu mir dreht und mir aufmerksam zuhört. ,,Sobald ich auch nur Eine sehe, renne ich schreiend weg. Das ist bestimmt auch der Grund dafür, warum ich noch nie gestochen wurde", fahre ich fort und atme einmal tief ein.
Sein Blick auf mir scheint sich förmlich in meine Haut zu brennen. Er schweigt einen Moment und legt sich nun auch seine Krawatte ab, um den obersten Knopf seines Hemdes zu öffnen. Nicht nur ihm wird hier drin heißer. Auch ich bin kurz davor zu hyperventilieren, und das liegt gewiss nicht am Fahrstuhl.
,,Danke. Ich weiß wirklich zu schätzen, was du gerade machst", Mr. Hewitt stupst mich leicht mit seiner Schulter an. Ein angenehmer Schauer jagt mir über den Rücken. Ein winziger Teil in mir lässt dieses Gefühl zu, was sich daraufhin in mir ausbreitet.
Empfängt es mit offenen Armen, bevor mein Verstand es wieder im Keim ersticken kann. Ich fühle mich wohl. Zumindest für diesen Augenblick.
,,Jeder hat vor irgendetwas Angst. Wenn ich Sie... Dich beruhigen kann, dann mache ich das selbstverständlich", korrigiere ich mich.
,,Das kannst du wirklich", entgegnet er mir und fährt sich mit seiner Hand über den leichten Stoppelbart. Mein Bauch fängt zu kribbeln an. Er macht es mir aber auch echt nicht einfach, ihn nicht zu mögen. Ich spüre ein leichtes Ziehen in meiner unteren Bauchgegend. Die Spannung zwischen uns ist förmlich greifbar.
Seine Worte veranlassen mich dazu, ihn erneut anzusehen. Er erwidert meinen Blick. Hält mich gefangen. Würde es nach mir gehen, könnte dieser Moment noch ewig andauern. Denn genau wie dieser Aufzug, scheint auch die Zeit um uns herum stehen geblieben zu sein.
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