12. Kapitel ~Schockstarre~ ✔️
Lied: Alessia Cara - River of Tears
,,Leah, pack das Handy weg", sagt meine Mutter noch einmal nachdrücklich. Ich unterdrücke zwanghaft ein paar Tränen und schüttele verzweifelt den Kopf. Ein dicker Klos bildet sich in meinem Hals. Er wird mit mir Schluss machen, genau das wird passieren. Wie kann ich es ihm auch verübeln? Schließlich habe ich absoluten Mist gebaut.
,,Tut mir leid", entgegne ich kleinlaut und lasse mein Handy schweren Herzens wieder in der Clutch verschwinden. Angespannt betrachte ich Dean, der sich selbstbewusst vor das Mikro stellt. Ein Glas Sekt in der rechten Hand:
,,Vielen Dank. Auch ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen allen für Ihr Erscheinen bedanken. Ich war noch nie wirklich gut darin, die richtigen Worte zu finden. In der Hinsicht scheine ich wohl nicht nach meinem Vater zu kommen, der einem praktisch aus dem Stegreif eine beeindruckende Rede halten kann. Zwar habe ich mir einige Gedanken darüber gemacht, was ich gerne loswerden möchte, wie ich ausdrücken kann, dass ich mich wahnsinnig geehrt fühle, die Firma leiten zu dürfen.
Natürlich wird es eine große Herausforderung für mich werden, aber ich habe von dem Besten gelernt und an dieser Stelle möchte ich mich insbesondere bei dir bedanken Dad. Danke, dass du mir dein Vertrauen schenkst und mir dein Lebenswerk in meine Hände legst. Ich werde es in Ehren halten und hoffentlich mit dem selben Talent und Geschick leiten, wie du es getan hast. Außerdem soll dieser Abend nicht nur mir gewidmet sein, sondern auch Ihnen. Sie sind ein wichtiger Teil dieser Firma. Ohne Ihre harte Arbeit wären wir jetzt nicht da, wo wir heute stehen. Deshalb erhebe ich das Glas auf Sie alle. Auf die weitere Zusammenarbeit. Auf uns."
Er hebt sein Sektglas kurz an, schaut sich in der Runde um und nippt dann daran. Seine Mutter gegenüber von mir fängt an zu klatschen, gefolgt vom Rest des Saals. Geistesabwesend stimme ich mit ein und räuspere mich wenig später ungeduldig.
,,Das Buffet ist übrigens eröffnet. Guten Appetit", fügt Dean noch hinten dran und stapft gefolgt von seinem Vater die Bühne herunter. ,,Ich schnappe kurz ein wenig Luft, es ist ziemlich warm hier drin", flüstere ich meiner Mom ungeduldig zu und erhebe mich vom Stuhl. Ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, laufe ich so schnell es die acht Zentimeter hohen High Heels zulassen nach draußen in den Flur und sehe mich in alle Richtungen hin um.
,,Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?", fragt mich ein freundlicher Mann im Anzug und hebt abwartend eine Augenbraue an. Scheinbar gehört er zur Security. ,,Wenn Sie mir verraten könnten, wo ich ungestört ein Telefonat führen kann, sehr gerne." Aufgeregt warte ich eine Antwort von ihm ab. Sein harter Gesichtsausdruck macht mich ein wenig unruhig und auch die beachtliche Statur wirkt ziemlich angsteinflößend auf mich.
,,Die Treppe hoch links und dann die zweite Tür", raunt er mit einem Zwinkern. Dankend nicke ich und verschwinde die breite Wendeltreppe nach oben. Mit jedem weiteren Schritt bin ich mehr und mehr versucht, Matts' Nachrichten einfach zu ignorieren. Zumindest für eine Zeit lang. Ich weiß selbst, dass ich ein ziemlich schrecklicher Mensch bin. Jeder andere der wüsste, wie ich zu Dean stehe, beziehungsweise glaube zu stehen, würde vermutlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und mich nur ungläubig ansehen. Mir höchstwahrscheinlich dazu raten mir einen anderen Praktikumsplatz zu suchen und sich insgeheim darüber aufregen, wie falsch ich bin.
Vermutlich hätten sie damit sogar recht, aber trotz der Tatsache, dass ich meinen Boss mehr mag, als mir lieb ist, liebe ich Matt. Er fehlt mir, denn er war die letzten zwei Jahre mein Zufluchtsort. Mein Zuhause.
Mental versuche ich mich auf das vorzubereiten, was gleich wohlmöglich kommen wird und öffne vorsichtig die besagte Tür, um in einen dunklen Raum zu treten, der nur durch die Lichter von draußen erhellt wird. Eine einzelne Couch, sowie ein Glastisch und einige Bilder an der Wand befinden sich hier, mehr allerdings auch nicht.
Mit zittrigen Fingern schließe ich die Tür wieder hinter mir und trete wackligen Schrittes an die Couch heran, um mich zu setzen. Eine Weile betrachte ich einfach nur mein Handy in der Hand. Dann nehme ich einen tiefen Atemzug, gehe meine Kontakte durch und klicke auf seinen Namen. Es klingelt einmal, zweimal und dann nimmt er ab.
,,Leah?", der Klang seiner Stimme jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Unfähig ihm zu antworten öffne ich meinen Mund, jedoch verlässt nicht ein einziges Wort meine Lippen.
,,Leah...", raunt er noch einmal. Matt weiß ganz genau, dass ich ihm zuhöre, dafür braucht er keine Reaktion meinerseits. Ich unterdrücke ein Schluchzen, während meine Augen sich mit Tränen füllen. Er nimmt einen tiefen Atemzug am Ende der Leitung. Die folgenden Sätze fallen ihm gewiss nicht leicht: ,,Du weißt, wie sehr ich dich liebe und wie sehr ich dir vertraue beziehungsweise vertraut habe ... Ich weiß deine Ehrlichkeit zu schätzen, jedoch will es mir nicht in den Kopf gehen, wie du deinen Chef einfach so küssen konntest. Jedes Mal, sobald ich mir euch zwei nur Vorstelle, wird mir schlecht. Ich ekele mich regelrecht und weiß wirklich nicht, wie ich überhaupt damit umgehen soll. Dabei stelle ich mir die ganze Zeit nur eine Frage: Wenn dich diese Beziehung mit mir doch so glücklich macht, wenn ich das bin, was du willst, dürfte es für dich dann nicht keine anderen Optionen geben? Für mich beweist das alles hier, dass dir etwas fehlt und ich dir genau das offensichtlich nicht geben kann. Was auch immer das sein mag. Und mit dieser Gewissheit kann und will ich das zwischen uns nicht weiterführen. Es geht nicht, dafür hat mein Vertrauen dir gegenüber zu sehr gelitten. Daher möchte ich das hier und jetzt beenden. Vielleicht hilft es ja, dir über einiges im Leben klarer zu werden und in deiner nächsten Beziehung den gleichen Fehler nicht wieder zu begehen."
Ich presse meine Hand auf den Mund. Fassungslos warte ich. Darauf, dass ich aus diesem absoluten Alptraum aufwache. Doch es ist keiner. Das hier passiert gerade wirklich. Und ich kann rein gar nichts sagen, um das wieder gut zu machen.
Meine Lungen ziehen sich schmerzlich zusammen. Ich will etwas erwidern, aber es geht nicht. Alles um mich herum dreht sich.
,,Mach's gut Leah und pass auf dich auf", raunt er am anderen Ende der Leitung. Dabei kann ich deutlich sein Bedauern in der Stimme heraushören. Danach wird es still. Mir ist bewusst, dass er aufgelegt haben muss. Wahr haben, will ich es allerdings nicht.
Tränen rinnen mir die Wangen bis zum Hals hinab. Ich verfrachte mein Handy zurück in die Clutch und schleudere sie wütend über mich selbst in die nächste Ecke des Raumes. Zeitgleich klopft es an der Tür und nur wenig später wird sie vorsichtig geöffnet. ,,Leah?", flüstert eine zarte Stimme behutsam, danach folgt ein Klicken.
,,Lass mich bitte allein", erwidere ich schluchzend und vergrabe mein Gesicht in den Händen. So viel Selbsthass hab ich noch nie empfunden. Wie kann ich mich je wieder im Spiegel ansehen?
Trotz meiner Abweisung setzt sich Roisín neben mich auf die Couch und legt einen Arm um meine Schultern. ,,Hey, was ist denn passiert? Ist ja gut..". Tröstend streichelt sie mir über den Rücken. Mein Herz zieht sich zusammen, schnürt mir die Luft zum Atmen ab. Um mich herum bricht gerade eine Welt zusammen und am liebsten würde ich sofort von dieser Veranstaltung verschwinden wollen.
,,Matt hat Schluss gemacht, das ist passiert!", platzt es aus mir heraus. Ich springe mit einem Satz auf und fahre mir durch die Haare. Völlig verdattert mustert mich Roisín: ,,Matt hat was?!", sagt sie schockiert. Erneut kullert mir eine Träne die Wange hinab.
,,Er hat Schluss gemacht...", wiederhole ich meine eigenen Worte und realisiere, dass es tatsächlich vorbei ist. Matt und ich sind kein Paar mehr. Dank meiner Dummheit, habe ich wohlmöglich einen der liebenswertesten Menschen für den Rest meines Lebens verloren.
,,I-Ich muss gehen." Wie hypnotisiert greife ich nach der Clutch und trete gefolgt von Roisín, die nicht mal einen Ton von sich gibt nach draußen in den Flur. Das habe ich schon immer an ihr geliebt. Sie weiß ganz genau, wann es keinen Sinn mehr macht mit mir zu sprechen. Dass ich meine Zeit brauche, bis ich bereit bin, der Wahrheit ins Auge zu blicken.
Allein ihre Anwesenheit ist zumindest ein schwacher Trost. Zum Glück habe ich für heute extra mein wasserfestes Augen Make Up draufgemacht. Als ob ich es geahnt hätte. ,,Mein Vater wird zwar stinksauer sein, aber könntest du ihm von mir ausrichten, dass ich mich nicht gut gefühlt habe und mit dem Taxi nach Hause gefahren bin?".
,,Mach ich und wenn was ist, ruf mich jederzeit an." Dankend umarme ich sie zum Abschied und verschwinde noch einmal schnell auf die Damentoilette, um wenigstens ein bisschen von meinem Make Up zu retten. Gerade als ich um die Ecke biegen möchte, kommt mir Dean entgegen, der mich zunächst jedoch nicht bemerkt. Unauffällig bin ich versucht mich aus dem Staub zu machen, bis er mich nur wenige Millisekunden später davon abhält: ,,Leah? Hast du geweint?". So hatte ich mir den Abend ganz bestimmt nicht vorgestellt.
Hektisch senke ich den Kopf und will mich an ihm vorbeidrängen, als er ohne zu Zögern meinen Arm packt und mich an die Seite einen schmalen Gang entlang in eine kleine Kammer zieht. Allem Anschein nach die Putzkammer. Perplex entreiße ich ihm meinen Arm und schaue ihm gereizt in die Augen: ,,Was soll das?!", fahre ich ihn an und will nach der Türklinke greifen, wovon er mich geschickt abhält. Er stellt sich mit seinem ganzen Körper davor und legt besorgt seine Stirn in Falten: ,,Du hast geweint", stellt er fest und zieht kaum hörbar scharf die Luft ein.
Ich stoße einen tiefen Seufzer aus. Wenn jetzt jemand hier hereinplatzen sollte, werden wir das nicht plausibel erklären können. ,,Sollten Sie nicht bei Ihren Gästen sein?". Gekonnt ignoriere ich seine Aussage und die Tatsache, dass wir beide uns in einem winzigen Raum befinden, kaum mehr Platz für eine weitere Person darin.
,,Willst du darüber reden?", macht er das Spielchen mit und sucht meinen Blick. Ich lasse die Schultern nach unten hängen und beiße mir angestrengt auf die Unterlippe. Warum sollte ich gerade mit ihm darüber sprechen wollen, dass soeben mein Freund mit mir Schluss gemacht hat - Seinetwegen.
Außerdem ist er praktisch ein Fremder für mich und immer noch der Geschäftspartner meines Vaters. Das kann ich unmöglich tun.
,,Nein... Lassen Sie mich bitte einfach nur nach Hause", murmele ich leise. Eine erneute Welle der Trauer überkommt mich. Dean antwortet mir erst nicht. Lässt die Worte wie einen Geist im Raum herum schweben, bis er plötzlich beiseite tritt und mir die Tür öffnet.
Ein wenig verwundert darüber, dass er so schnell nachgibt, sehe ich ihm in die Augen und hebe kaum merklich meine Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln an, ehe ich schnurstracks an ihm vorbei nach draußen stürme und gleichzeitig mein Handy zücke, um mir ein Taxi zu rufen.
Morgen kann ich mir immer noch Gedanken über alles andere machen.
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